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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0354
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ssmtcr llcn Kulissen.

Es fragt den Ruffen der Franzos:
„Sag, Bruder, kannst du's fasten,
Wofür wir beide eigentlich
Hier Blut und Leben lasten?
Ich weiß doch sonst stets, was ich will,
Und gelte grad für dumm nicht
jedoch bei diesem Mastenmord
Begreif' ich das warum nicht!"
Er kennt das wie und das warum:
Er rührte ja den Toffeln
Die höUenheiße Suppe ein,
An der sie jetzo löffeln;
Und geht auch manche Million
An Spesen in die Binsen:
Am Ende trägt der Weltkrieg doch
Recht annehmbare Zinsen.

Dieweil die beiden sich bemühn
Das Rätsel zu ergründen,
Warum man sie ins Feld gehetzt,
Und keine Lösung finden
Sitzt fern am sichern Themsestrand
Der biedre, fromme Brite
Und kalkuliert mit schlauem Blick
Die steigenden Profite.
Drum vorwärts, Rüste und Franzos,
Laßt euer Schwert nicht rosten,
Gebt freudig euer Leben hin,
Denn England zahlt die Kosten,
Ls zahlt euch jeden Tropfen Blut,
Den ihr vergoßt im Streite
Falls nicht am Weltkrieg-Ultimo
Ihr alle drei seid pleite! p.i-nnmu;.
0 O O-

Und seufzend spricht der Bruder Rust':
„Ach, Freundchen, laß das Fragen!
Mir liegt der blöde Völkerkrieg
Schon lange schwer im Magen ;
Zu Hause ließ ich Weib und Kind,
Ließ Pffug und Egge liegen,
Um hier für nichts und wieder nichts
Den Buckel voll zu Kriegen !"

„Die Tiger."

Ein Erlebnis.

An einen! Septemberabend kamen in dem
kleinen belgischen Städtchen die letzten Pa-
riser Zeitungen und das Journal der nord-
sranzösischen Stadt Roubaix an. Keiner wußte
recht, wer sie gebracht hatte. Sie lagen plötz-
lich in den Cafes und Wirtschaften aus und
wurden von den Besuchern förmlich ver-
schlungen.
Was man da las, war auch sehr geeignet,
die erregten Gemüter zu beschäftigen. Da hieß
es, daß die englische und französische Flotte
die deutsche Flotte vernichtet und die Hansa-
städte, voran Hamburg, bombardiert hätte.
Dann wurde von einem Riesensieg über die
Deutschen bei Charteren ganz ausführlich be-
richtet, bei dem die Generale Klack und Emmrich
gefangen genommen und das deutsche Heer
veruichtet wordeu war. Eine halbe Million
Japaner und Hindus marschierten auf Brüssel
zu usw.
Die Phantasie der Zeitungsschreiber blieb
aber hierbei nicht stehen. Die Greueltaten der
„deutschen Tiger" wurden haarklein aufgetifcht.
Jeder Leser sah deutlich, wie diese „Tiger"
Säuglinge auf die Bajonette gespießt hatten,
ivie sie Frauen mißbrauchten und die Männer
verstümmelten. Es gab kein Verbrechen, das
sie nicht schmunzelnd und grinsend begangen
hatten.
Diese gefährliche Saat trug gefährliche
Früchte. Das kleine Korps der deutschen Land-
wehrleute, das in dem alten Städtchen biwa-
kierte, wurde von der Bevölkerung mit finsteren
Blicken betrachtet. In den zwei Tagen, seit
diese bärtigen Riesen hier standen, war zwar
noch nichts passiert. Aber konnte nicht jeden
Moment die in ihnen schlummernde Bestie er-
wachen und ihre Tigerinstiukte an den wehr-
losen Bürgern auslassen?!
Das Wort von den „Tigern" ging von Mund
zu Munde. Man ballte anfangs heimlich, dann
öffentlich die Faust. Der Mut der erhitzten
Menschen schivoll an, je eifriger sie sich in die
Nachrichten von den deutschen Niederlagen ver-

tieften. Die Flinten, die man schon lange heim-
lich versteckt hielt, wurden hervorgeholt. Zu-
erst zum Schutze gegen etwaige Übergriffe des
Feindes, dann aber, um ihn selbst zu geeigneter
Zeit zu überfallen.
Als das kleine deutsche Detachement gegen
Abend zum Bahnhof marschierte, um dort einen
ankommenden Militärzug zu empfangen, wußte
jeder Hitzkopf, daß es mit der Herrschaft der
Deutschen endgültig zu Ende sei, daß sie
flohen. . . .
Und plötzlich ertönten aus verschiedenen
Häusern der Bahnhofstraße Schüsse in den
Rücken der ahnungslosen Deutschen. Wie auf
ein Signal hin prasselte es von allen Seiten
her auf die Feldgrauen nieder.
Der deutsche Trupp machte einen Moment
Anstalten zur Gegenwehr. Aber da die Schüsse
von allen Seiten fielen und es unmöglich war,
Haus für Haus zu räumen, gingen die An-
gegriffenen im Lausschritt aus dem Hexenkessel

Der arme Teufel.


„Bei meinem Steib! Gegen die Anstifter dieses Welten
brandes bin ich doch der reinste Nachtwächter!"

heraus auf den freien Bahnhossplatz, die ge-
töteten Kameraden zurücklassend.
Die Bevölkerung glaubte die deutsche Be-
satzung endgültig vertrieben, und die kleine
Frau Lamette, deren Mann fern bei der
Antwerpener Garnison stand, wurde ausge-
lacht, als sie ihren 'Nachbarn Vorschlag, lieber
zu flüchten, da die Rache der Deutschen sicher
kommen werde und sie alle ruinieren könne.
Nach einer Stunde bereits änderte sich das
Bild und die Befürchtungen der Frau Lamette
gingen in Erfüllung. Die Deutschen kehrten
mit den neu angekommenen Verstärkungen
zurück. Maschinengewehre wurden aufgefah-
ren. Und bald kartätschten die ersten Schüsse
in die Häuser der Schuldigen und Un-
schuldigen.
Frau Lamette war mit ihren Kindern gerade
auf der Straße, als das Unerwartete geschah.
So schnell sie kennte, flüchtete sie, ihre Kinder
mit sich zerrend, in den Keller des Hauses.
Er war fest gewölbt und bot wohl Schutz,
was auch immer kommen mochte.
Das furchtbare Geknatter der Geschütze und
Gewehre, die wilden Schreie der Getroffenen,
das Geprassel der zusammenstürzenden Häuser
drang in ihr Versteck und lähmte ihre Ge-
danken. Sie umklammerte angstvoll ihre kleinen
Kinder, die sich in stummer Verzagtheit an sie
preßten.
Was sie nicht sah, war noch schlimmer: das
Feuer, das in den beschossenen Häusern aus-
gebrochen war, ergriff auch die Nebenstraßen.
Die alten Gassen, die jahrhunt erlelang still
geträumt hatten, waren plötzlich laut und
lärmend geworden. Es war wie cin einziger
Tvdesschrei der todgeweihten Stadt.
Endlich Hörle der Wind auf, und das Feuer
blieb auf seinen Herd beschränkt. Tie alte
gotische Kathedrale mit ihrem hohen, schlanken
Turm, dessen Steinornamente fein wie ein
Spitzengewebe waren, blieb so vor der Ver-
nichtungbewahrt. Ein leicht herniedcrriescluder
Regen löschte allmählich die Flammen. Nur
hier und da schwelte noch die Glut in den
Trümmerhaufen.
«Fortsetzung aus S. 8528.)
 
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