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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0356
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85>28

„Die Tiger."
(Fortsetzung von S. 8526.)
Frau Lainette hackte immer noch im Keller.
Aber so unbehaglich es hier auch war, sie hätte
ihre Zufluchtsstälte um keinen Preis der Welt
verlassen. Sie hatte weniger Furcht vor deu
Herumirrenden Kugeln oder dem niederstürzeu-
deu Gebälk; die Angst vor deu wilden Männern
mit den Tigersinnen war viel größer.
Sie bekam förmliche Fieberschauer bei dein
Gedanken, den wilden Deutschen in die
Hände zu fallen. Alle Greueltaten, von denen
die Zeitungen geschäftig berichtet hatten und
die von den Nachbarn und Nachbarinnen nach
ins Unheimliche vergrößert worden waren, stan-
den ihr vor Augen und ließen sie erbeben.
Sie glaubte im Ohr noch den Kricgsgesang
ihrer erregten Landsleute zu ver-
nehmen:
Aber es war nur eine Sinnes-
täuschung: wenn sie ihr Ohr au
die Scheibe des Kellerfensters legte,
hörte sie deutlich die Kommando
rufe in der fremden Sprache.
Was ordneten diese Wilden jetzt
wohl an? Sicher war es eine jener
entsetzlichen Greueltaten..'. .
Frau Lamette blieb mehrere Tage
in dem finsteren Keller. Ein Brot, das
sie in ihren Versteck mitgenommen
hatte, und einige Apfel ernährten die
drei. Sie selber aß so gut wie nichts,
nur, damitdieKindermehrübrig hät-
ten. Sie nahm sich — auch als sich der
kleine Vorrat dem Ende näherte
fest vor, erst dann mit ihren Kindern
aus dem Versteck hervorzukommen,
wenn die Eindringlinge die Stadt
verlassen hätten.
Aber sie überschätzte ihre Kraft.
Der Hunger und die Aufregung
hatten ihren Körper so geschwächt,
daß sie am dritten Tage in Ohn-
macht sank.
Das jüngere Kind, die sechsjäh-
rige Marguerite, schrie in wilder
Verzweiflung. Umsonst versuchte die
zehnjährige Suzanue sie zu beruhi-
gen, damit die fremden Wüteriche
—von denen sie genug gehört hatte -
sie nicht hörten. Margueritens Angst
um sich und die wie tot daliegende
Mutter war viel zu groß, als daß
sie auf die Gründe der älteren
Schwester gehört hätte. Sie schrie in
lauten gellenden Tönen.
Und so geschah dann das Ent-
setzliche. . . .
Ein bärliger Kopf neigte sich zum
Kellerfenster hernieder und gleich
darauf ein zweiter. Die „Tiger"
waren wirklich noch da.
Einige Zeit hörte man eindumpfes
Rumoreu und Rufe in bestimmten
Abständen. Offenbar versuchten die
draußen das Gebälk wegzurüumen,
aber es schien nicht zu gelingen.
Endlich schlug mau kurz entschlos-
sen das Kellerfeuster ein, und eine
männliche Gestalt zwängte sich hin-

durch, um sich aus den Boden des Kellers her-
unterzulassen.
Entsetzt wichen die Kinder zurück. Aber der
Soldat machte nicht viel Umstände. Er packte
erst Suzanne, daun Marguerite und schob
sie durch die Luke nach draußen, wo sie ein
anderer in Empfang nahm.
Schon wollte er deu Weg zurückmachen, als
ihn ein Stöhnen im dunklen Winkel belehrte,
daß noch jemand da war. Behutsam faßte er
die Frau, hob sie empor und brachte auch sie
mit Hilfe seines Kameraden an die frische Lust.
Als Frau Lamette die Auge» aufschlua,
erschrak sie aufs tiefste: rings um sich herum
sah sie die meist sehr bärtigen Gesichter der
wilden Deutschen, deren Blicke sich auf sie rich
teten. „Aber Frauchen, was machen Tie nur für

Dummheiten! So lange ini Keller mit den
armen Gören zu hocken!" sagte einer.
Sie verstand seine Worte nicht; aber sic
begriff wohl, daß sie nicht schlimm waren,
um so mehr, als der Sprecher ihr gleichzeitig
einen Löffel warmer Suppe einslößte.
Als sie zu Kräften kam, war ihr erster Ruf
nach den Kindern. Und da erlebte sie eine neue
Überraschung. Beide saßen im Kreis der Land-
wehrleute, und die kleine Marguerite saß gar
einem auf den Knien und ließ sich von ihni
streicheln.
„Marguerite," schrie sie auf.
„Ach, Maina," rief das Kind zurück. „Er
ist so gut wie unser Papa, und ich glaube
auch nicht, daß er ein Tiger ist."
Frau Lamette ging schwankenden Schritts
zu der Gruppe. Sie wollte denen
ein paar Dankesworte sagen, die
ihre Lebensretter geworden waren,
aber sie stammelte nur uuter Träuen
etivas Undeutliches hervor.
„Lassen Sie man, Frauchen!"
sagte der Soldat verlegen. „Ich
hab' zu Hause auch Frau und
Kinder und wünsche, daß es denen
auch gut geht. Schließlich sind wir
doch alle Menschen."
Die kleine Frau verstand auch
diese Worte nicht ganz; aber sie
begriff ihren Sinn, und sie begriff
zum erstenmal in ihrem Leben, daß
Menschlichkeit keine Landesgrenzen
kennt oder doch nicht kennen sollte.
Ein Mißverständnis.
Auf einer Funkenstalion in Rus
sisch-Polen hat der listige russische
Regimentskommandeur einen deut-
schen Funkenspruch abgefangen.
„Sieg auf ganzes Linie," schreit
er, „deitsches Regiment hat eben
Befehl zum Ausrücken erhalten!"
Personalnachrichk.
Der Gouverneur von Lodz, Ge-
neralleutnant v. Liebert, soll erklärt
haben, eine auf ihn fallende Wahl
zum Abgeordneten von Lodz für
den polnischen Reichstag anzuneh-
men, nachdem der Wahlkreis Borna-
Pegau ihn endgültig als abkömm-
lich bezeichnet hat.

Völkerrecht — was will das heißen?
Kch, ein Stück Papier nur, glaubt,
Vas ein jeder Kanu zerreißen,
Dem es die Gewalt erlaubt.
„Negierung."
„Es ist doch sehr anständig von
Frankreich," sagte ein Mitglied der
belgischen Regierung, „uns in Havre
zu behausen. Zweihuuderlfüufuud-
vierzig Gendarmen stehen zu unserm
Schutz bereit, wir haben zu essen
und zu trinke». Wenn wir nun
noch etivas zu regieren hätten, wäre
alles in Ordnung — —."

Wunderbare Errettung
durch den Berliner Lokal-Anzeiger.


Der Berliner Lokal-Anzeiger schreibt:
Ein eifriger Leser unseres Blattes, Herr Krawutschke aus
Neukölln (siehe obiges Bild), zog als Reservist in den Krieg. Auf-
merksam gemacht aus die wärmenden Eigenschaften des Zeilungs-
papierS, bedeckte er von wegen Rheumatismus den ganzen Körper
mit einer dicken Schicht unseres Blattes. Leider reichte sein Papier-
vorrat nicht vollständig aus, so daß er gezwungen war, das rechte
Bein mit dein Papier unseres Konkurrenzblattes, des Berliner
Tageblattes, zu umwickeln. Das sollte sich aber bitter rächen!
Gemütlich unsere Kriegszeitung (Preis zehn Pfennig, überall er-
hältlich) lesend, saß Krawutschke im Schützengraben, als eine Gra-
nate einschlug, krepierte und unseren Helden just am rechten Bein
verwundete, während der übrige, mit dem Lokal-Anzeiger umwickelte
Teil seines Körpers wie durch ein Wunder unversehrt blieb. Dankbar
schwor Krawutschke feierlich, sich nie mehr in seinem Leben mit
einem anderen Blatte als dem lieben Lokal-Anzeiger zu befassen.
 
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