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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0382
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8554

Die Weihnachtshoffnung.
Von Ernst Preczang.

„Kriegszustand!"
Als dies Wort durch die deutschen Lande
flog ivie ein fressendes Feuer, wußte jeder-
mann, daß dieser Zustand nur ein kurzes, tiefes
Atemholen vor dem Zuschlägen bedeutete.
Der Tischlergeselle Sebald Schröder wußte
es auch. Wußte, daß er in wenigen Tagen
wieder in der Montur stecken werde, dis er vor
zwei Jahren abgelegt hatte.
Und sein erster Gedanke war: Ursula.
Ursula besorgte das „Kontor" des Kaufmanns
und Stadtrats Steinberg neben dem Laden. Fast
jeder Kaufmann in der kleinen norddeutschen
Stadt hat so ein „Kontor", wo mitunter die Ge-
schäftsbücher liegen und ein Geldschrank steht,
aber in der Hauptsache getrunken und gespielt
wird. Der Sebald war kein Trinker und Spieler.
Aber seitdem er einmal zufällig dort hingeraten
war und die Pflegetochter des Kaufmanns ken-
nen gelernt hatte, kam ihm das Mädchen nicht
mehr aus dem Sinn. Eine Schönheit war die
Ursula nicht. Aber in ihrem frischen zwanzig-
jährigen Antlitz flössen Klugheit, gesetzter Ernst
und stille Heiterkeit zu einer merkwürdigen Har-
mouiezusaminen. Aus ihren freundlichenAugeu
sprach stets eine gewisse Mütterlichkeit, und ihre
schlanke, mittelgroße Gestalt bewegte sich so
leicht und ruhig, daß alles, was sie tat, selbst-
verständlich erschien und gar nicht anders sein
konnte.
Für Sebald Schröder, der sich so leicht nicht
vergaffte, war sie ein Magnet geworden, der
ihn nicht mehr losließ und doch vielleicht nie
zu erreichen war. Mochte sie ihn? Er wußte
es nicht genau, hatte da§ entscheidende Wort
noch nicht gewagt.
Und eben daran dachte er sofort, als es hieß:
„Kriegszustand".
Wie dies Wort das Innerste in allen
Menschen aufrüttelte und die Bedeu-
tung der anderen Dinge herabminderte,
so schoß es nun auch dem Sebald
durch den Kopf: Bald wirst du vor
den Flinten und Kanonen der Feinde
stehen und wagst nicht ein Wort vor
einem Mädchen? Feigling, du!
Und Sebald Schröder ging ins
„Kontor", setzte sich gar nicht erst, son-
dern holte tief Atem und stieß es her-
aus: daß er nun endlich Klarheit haben
müsse! Wenn sie ihm gut sei, wolle er
mit Freuden in den Kampf gehen und
als Sieger wiederkommen; wenn sie
aber nichts von ihm wissen möge, sei
ihm alles gleich, und dann käme er
bestimmt nicht wieder.
Die Ursula machte zuerst große er-
staunte Augen zu dieser seltsamen
Liebeserklärung. Dann lächelte sie —
und dies Lächeln war ihm wie blanker,
freudiger Sonnenschein — und sagte:
„Was, du Dummer, drohen willst du
mir? Nicht wicderkommen? Das wär'
ja noch schöner!"
Und was in anderen Tagen langsam
herangereift wäre, das wurde in diesen
schicksaldrohenden Stunden eine plötz-
liche Wirklichkeit: sie umarmten und

küßten einander, als zwinge es sie in großer
Eile zusammen. . . .
Diese Liebe hatte nur einen Feiertag, einen
Sonntag, lind da wußten sie es schon ganz
bestimmt, daß Sebald mit hinein müsse in das
große Kämpfen und Würgen. Sie gingen auf
stillen, einsamen Wegen außerhalb der Stadt
in den friedlichen Sommertag hinein, um-
klammerten einander und fühlten beide, daß
sie nur diesen Tag, nur diese kurze Gegenwart
besaßen, daß hinter dem Heute tausendfältiger
Tod lauere und alle kommenden Tage ungewiß
und dunkel waren. In das erste überquellends
Glück floß die Furcht des Verlierens, und in
ihre Küsse mischte sich die Angst, daß diesen
köstlichen Stunden vielleicht nie eine weitere
folgen werde.
Wenige Tage später stak Sebald Schröder
in der Montur.
Und der Kaufmann Steinberg wunderte sich
nicht wenig, als kurz vor dem Ausrücken des
Regiments ins Feld ein Soldat bei ihm er-
schien und ihn in wenigen, aber dringenden
Worten um seine Einwilligung zu einer Not-
trauung mit Ursula bat. Erst sperrte der Stadt-
rat erstaunt den Mund auf, dann lachte er
ärgerlich: „Possen! Was sind Sie denn? Ge-
freiter . . . na ja . . . ist das ein Stand zum
Heiraten? Sonst Tischler - - schön. Ehrbares
Gewerbe. Hab' nichts dagegen. Aber für's Ur-
sachen? Nee, mein Lieber. So ein vier, fünf
Grad höher, verstanden? Kaminen Sie zu
Weihnachten mit den Epauletts — im Krieg
ist ja alles möglich. Oder wenigstens mit dem
Eisernen Kreuz, hä? Dann reden wir mal
drüber. Es hat doch keine Eile, wie? Na, adieu
also und viel Glück!" Bitten konnte der Se-

Waldfrieden.

bald nicht, und so ging er trotzig und ärgerlich
davon, nahm noch herzlichen Abschied von der
Ursula und sagte seinen Eltern Lebewohl.
Die wohnten in einem Häuschen am anderen
Ende der Stadt, wo des Sebalds Vater, den
sie überall den „Winkeltischler" nannten, eine
kleine Werkstätte besaß. Er war so eine Art
Flickschuster in seinem Fach und hatte daher,
und weil er in einem entlegenen Winkel wohnte,
wohl seinen Spitznamen. Hauste hier mit seiner
alten, gebrechlichen Frau und einem Lehrbuben
und setzte alle Hoffnung, allen Plan der Zu-
kunft auf seinen Sohn, den Sebald.
„Also der Steinberg hat dich abblitzen
lassen?" sagte er und zog die Stirn in Falten.
„Meint wohl, du angelst nach seinem Geld?
Tu bist mein Einziger, und ich hab' für dich
gearbeitet. Kannst auch mal eine Werkstatt
aufmachen. Brauchst ihn nicht. Das Betteln
ist nicht unsere Art. Weg damit, Sebald! Tu
deine Schuldigkeit, aber wirf dein Leben nicht
mutwillig hin. Wir haben bloß eines. Und
die Mutter ist arg schwach, du weißt. . . ."
Ja, das wußte er. Die alte Frau schlich wie
ein Schatten im Hause umher. Sie zählte
kaum noch mit, so still und geistesabwesend,
ivie sie meist war.
Als er von ihr Abschied nahm, streichelte
sie ihm nur wortlos die Wangen mit ihren
welken, zitternden Händen.
Es kamen die ersten Siegesmeldungen. Mit
ihnen die Hoffnung: Lange dauert das Würgen
nicht.
Auch der Sebald schrieb es: „Wenn's in
dem Tempo weitergeht, bin ich lange vor
Weihnachten zu Hause." So las es der Vater.
So auch stand es in jedem Feldpost-
brief, den die Ursula erhielt: „Zu Weih-
nachten, Ursel, dann —!"
Sie wußte, was dies „dann" bedeu-
tete: ein Versprechen treuer Kamerad-
schaft für das ganze Leben. Und vor
ihrem inneren Auge ward Weihnachten
ein so strahlendes, glückliches Fest, wie
sie noch keines erlebt hatte: Frieden im
Land und sein eigenes Zuhause! Tiefe
Heiterkeit und starke Zuversicht erfüllten
sie. Und eine Hoffnung, die aller Hinder-
nisse lachte.
Aber nach einigen Wochen kamen
Stunden, da eins neue, nie gefühlte
Ängstlichkeit sie ergriff. Und je weiter
die Zeit fortschritt, desto häufiger wur-
den die Augenblicke, in denen ein un-
erklärliches Empfinden aus tiefstem In-
nern, scheinbar ohne Veranlassung, in
ihr emporquoll, ihr Schweißtropfen auf
dis Stirn trieb und ihre dunklen Augen
zwang, fragend ins Leere zu sehen.
Gedanken erwachten in ihr, die sie
heftig erschreckten, die sie gewaltsam
von sich stieß. Diese Gedanken nahmen
mit den schwindenden Wochen die Ge-
stalt eines drohenden, unfaßbaren Ge-
spenstes an, dessen Anblick sie lähmte
und sie die Fäuste in namenloser Furcht
(Fortsetzung aus S. 8556.)
 
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