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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0010
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8883

Der Himmel bewahre uns vor dem Anblick
eines Schauspiels, wie es der Mond auf dieser
Walstatt sah, als er über deu waldumsäumten
schwarzen Hügelrücken im Hintergrund herauf-
lam und auf das Blachfeld herabblickte, be-
sät mit himmelwärts gerichteten Gesichtern,
die voreinst nin Mutterbusen Mutteraugen
^ngelächelt oder ruhig geschlummert hatten.
Der Himmel bewahre uns vor den Geheim-
nissen, welche der mit Leichengeruch beladene
Wind über den Schauplatz von dieses Tages
-Arbeit und dieser Nacht Tod und Leiden
flüsterte. Mancher einsame Mond glänzte ans
diese Walstatt, mancher Stern hielt trauer-
voll darüber Wacht, mancher Wind ans jeder

Rauch stieg aus den Feueressen empor; Sab-
batglocken ließen ihr fröhliches Geläut ertönen;
alte Leute lebten und starben; die scheuen Ge-
schöpfe des Feldes und die einfachen Blumen
des Waldes und des Gartens blühten und
welkten dahin in der gewohnten Zeit aus der
blutigen Walstatt, wo tausend und aber-
tausend Menschen in der großen Schlacht ge-
fallen waren.

Aber anfangs sah man dunklere Flecken in
der jungen Saat, welche die Leute mit scheuem
Grauen betrachteten. Jahr auf Jahr kehrten
sie wieder; und man wußte, daß auf diesen
fruchtbaren Stellen Menschen und Pferde in
buntem Haufen begraben lagen und den Boden

in ihrem Verlauf selbst diese Spuren des alten
Kampfes verschwinden und verwischten die
sagenhaften Erinnerungen desselben aus dem
Gedächtnis der Menschen, bis sie zu Alten-
weibermärchen zusannnenschrumpften und mit
jedem Jahre mehr vergessen wurden. Wo die
wilden Blumen und Beeren so lange un-
gepflückt blieben, da standen jetzt Gärten und
Häuser, und Kinder spielten Krieg auf dem
Rasen.

Noch immer brachte die Pflugschar von Zeit
zu Zeit Stücke verrostetes Eisen zutage, aber
es war schwer zu erkennen, wozu es gedient
hatte, und die Finder grübelten und dispu-
tierten darüber. Ein alter schwarzer Harnisch

Weltgegend ivehte darüber hin, ehe die Spuren
dieses Kampfes verschwanden.

Sie blieben noch lange Zeit, aber nur in
Kleinigkeiten, denn die Natur, hoch erhaben
über die bösen Leidenschaften des Menschen,
gewann bald ihreHeiterkeit wieder und lächelte
rtllf das schuldige Schlachtfeld hernieder wie
ehedem, als es noch unschuldig war. Die Lerchen
sangen hoch über ihm, die Schatten der fliehen-
den Wolken verfolgten sich spielend über Wiese
und Wald und über Dächer und Kirchtürme
der von Bäumen umsäumten Stadt hinaus
>» die glänzende Ferne, wo Erde und Himmel
SUsammenfließen und das Abendrot verbleicht.
Maaten wurden gesät und wuchsen empor und
wurden eingeerntet; der Bach, der mit Purpur
gefärbt gewesen, drehte ein Mühlrad; Männer
pfiffen hinter dem Pfluge; Ährenleser und Mäh-
der arbeiteten in ruhigen Gruppe»; Schafe und
Kühe grasten auf der Weide; Knabe» schrien
auf den Feldern, um die Vögel zu verscheuchen;

düngten. Der Ackersmann, der dort pflügte,
scheute sich vor den großen Würmern, die hier
in der Erde wohnten; und die Garben, die
man dort erntete, wurden viele viele Jahre
lang die Schlachtgarben genannt und beson-
ders gesetzt, und niemals kam eine Schlacht-
garbe beim Erntefest auf den letzten Wagen.
Lange Zeit kam mit jeder Furche, die gezogen
wurde, eine Spur des Gefechts an den Tag.
Lange Zeit sah man verletzte Bäume auf der
Walstatt und halbzerstörte Hecken und Mauern
auf den Stellen/wo mörderisches Handgemenge
gewesen, und festgetretene Flecke, wo kein Halm
wachsen wollte. Lange Zeit scheute sich jede
Dirne, sich Haar oder Busen mit der schönsten
Blume von diesem Totenfeld zu schmücken;
und viele Jahre lang glaubte inan, die dort
wachsenden Beeren hinterließen in der Hand,
die sie pflückte, einen unauslöschlichen Fleck.

Aber die Jahreszeiten, obgleich sie so flüchtig
vorübergingen wie die Sommerwolken, machten

und ein Helm hatten so lange in der Kirche
gehangen, daß derselbe schwache halbblinde
Greis, der sich jetzt vergebens bemühte, sie
oben an dem weißen Gewölbe zu erkennen,
sie schon als Kind staunend betrachtet hatte.
Wenn das auf dem Felde erschlagene Heer
einen Augenblick lang in der Gestalt, wie jeder
gefallen, und auf der Stelle, wo er seinen Tod
gefunden, hätte auferstehen können, dann hätten
gespaltene Schädel zu Hunderten zu Hütten-
türen und Fenstern hereingesehen; wären er-
schienen um den friedlichen Herd; wären auf-
gespeichert gewesen in den Scheuern; wäre»
emporgestiegen zwischen dein Kind in der
Wiege und seiner Wärterin und hätten den
Bach gedämmt, sich um das Mühlrad gedreht,
den Obstgarten und die Wiese angefüllt, den
Heuschober hoch aufgetürmt mit Sterbenden.
So verändert war die Walstatt, wo tausend
und aber tausend Menschen in der großen
Schlacht gefallen waren. . ..
 
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