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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0022
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8895

Silberne Kugeln.

Französische Estafette: Die Schlacht steht kritisch — mein General lässt dringend um Hilfe bitten!
Englischer Offizier: Wieviel gebrauchen Sie?

o

Eine Äiobspost.

Von Will). Seylher.

Ein trüber Wintertag im Januar. Dichte
Schneeflockeu ivirbeln ohne Ende vom Himmel
nieder; sie umspannen die Landschaft gleichsam
mit einem Leichentuch und legen sich schwer
auf die schiefen Dächer der niederen Dorf-
häuschen, die unter der blendenden Decke noch
kleiner erscheinen als sonst.

In einem dieser Häuschen stand am Fenster
der zu ebener Erde befindlichen Stube ein junges
Weib und lies; ihren drei Jahre alten Buben
durch die Scheiben gucken. Das Kind hatte
anscheinend großen Spaß an dem Schnee-
treiben draußen und fragte und plapperte un-
aufhörlich; die Mutter gab ihm nur versonnen
Antwort; ihre sorgenvollen Gedanken weilten
bei ihrem Männe, der in den Vogesen kämpfte.
Sechs lange Monate schon stand er im Felde,
und sie mußte die Wirtschaft seitdem fast allein
führen. An Arbeit war niemals Mangel ge-
wesen. Ohne die tätige Hilfe der Schwieger-
eltern und einiger braven Nachbarsleute wäre
die Ernte kaum eingebracht worden.

Wie es ihm jetzt ergehen mochte? Ob er
noch heil und gesund war? Und warum er

so lange nichts mehr von sich hören ließ? —
Seit vierzehn Tagen kam nun keine Nachricht
mehr von ihm. Seine letzte Feldpostkarte ent-
hielt nur die kurze Mitteilung, er käme gleich
ins Gefecht. Ach, der grimme Tod ging überall
um in dieser schweren Zeit; bald da, bald
dort meldete er sich zu Gaste. Auch im Orte
waren schon viele, viele Männer gefallen!

Dunkle, schreckhafte Vorstellungen plagten
das junge Weib; der heutige Tag war auch
wie geschaffen zum Trübsinn. Und doch wohnte
in dieser Stube die Traulichkeit. Alles darin
ivar blitzblank bis auf den hell gescheuerten
Fußboden. Über der mit Nippsachen dicht be-
standenen Kommode hing inmitten von Photo-
graphien und Tabakspfeifen das breitgerahmte
große Reservebild des Bauern mit der Auf-
schrift „Parole Heimat!" In der Ecke stand
ein Kinderbett. Der bescheidene Raum atmete
Ruhe und Behaglichkeit und schien nur auf
den abivesenden Ehemann zu warten.

„Batter ein Krieg! Brengt mer en Säbel
mit!" schwatzte der Kleine, unbewußt dem
Jdeengang der schweigsamen Mutter folgend.
Sie strich dem Kind zärtlich über die blond-
gelockten Haare. Aber nun wurde es weiner-
lich und rieb sich mit den Fäustchen eifrig die

Äuglein; es hatte sich wohl müde geplaudert.
„Gelt, du hoscht Schloß Herzle! Komm, en
dei Bettle!" Behutsam legte sie den Kleinen
in sein Bett, wo' er alsbald einschlummerte.
Dann ging sie stille hinaus, um den Kühen
in; Stalle frisches Futter aufzustecke». Als sie
damit fertig war und zurück kam, sah sie den
graubärtigen Briefträger schleppenden Schritts
durch das Vorgärtchen kommen. Freudig durch-
zuckte es sie: endlich eine Nachricht von ihm!
Rasch öffnete sie das Fenster.

„Grüß di Gott!" rief der Alte, stehen blei-
bend. „E reacht's Sauw.etter heut!" Dann
langte er umständlich in seine Tasche und
brachte einen Brief zum Vorschein. Ernst und
mitleidig schaute er sie an, ehe er das Schrift-
stück überreichte.

„Gar nex Guets desmol, noa! Nemm's aber
net so herb! Du muescht di eabe mit de andere
tröschte — 's ischt e arg baise Zeit wirklich!"

Die junge Bäuerin entfärbte sich; mit zit-
ternden Fingern griff sie nach dem Briefe und
überflog die Adresse. Aber das war doch ihr
Brief, den sie kürzlich an ihren Mann geschickt
hatte! „Zurück!" stand groß aufgestempelt dar-
über, und als sie mechanisch wendete, las sie
auf der Rückseite, von fremder Hand geschrie-
 
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