8918 —-
Durch 91ad)t und Nebel rattert der Zug.
Zwischen den Schienen klingt es wieder.
Als klingen die lieben Heimatlieder
Dein Wiedersehen voraus im Flug.
Die Heimat, die liebe Heimat mein . ..
Singt cs im Herzen mancher Brave».
Was in den Tiefen des Geistes geschlafen,
Erwacht zum klare», lebendigen Sein.
Der Schliß in die Butter.
Eine erlebte Geschichte von Karl Brvger
Das Lachen ist uns allmählich vergangen.
Drei Tage mib drei Nächte schlagen ivir uns
schon in dieser erbaulichen Gegend herum, wo
für keinen recht viel mehr z>l hole» ist als ein
Heldengrab.
Drei Tage und drei Nächte das gleiche Pro-
gramm: erst stundenlanges Marschieren hinter
der Front von rechts nach links und von links
»ach rechts, dann vor in die Linie, Eingraben,
Sturmangriff, iviedcr Eingraben, Sturm-
angriff—
Zwei erstürmte Ortschaften liegen schon
hinter uns, ranchelid und schivelend in Glut
und Brand. Bis kurz nach Mitternacht sind
ivir in der einen gelegen, mitten auf derDorf-
slraße, zwischen zermalmtem Mauerwerk, ab-
gerissenen Asten und loten französische»Jägern,
deren erstarrte Gesichter unbewegt aufschen
zu der silbcrgrauen, tiefziehende» Brandwolke.
Im Umkreis einer Stunde brennen — riesige
Totenfackeln die Strohfeime.
Wieder heißt es: Vorwärts!
Tie ganze Nacht hat das Schießen noch
nicht aufgehört. Vor uns liegt ein Dorf. Nie-
mand iveiß, ob es schon vom Feinde frei ist.
Patrouillen schleichen vorsichtig an, kommen
nach kurzer Zeit zurück und melden, keine
Menschenseele sei im Dorf zu sichten.
Der Oberst beißt sich ans de» rotborstigen
Schnurrbart. Soll er, soll er nicht? Birgt
dieses dunkle, taubstumme Etwas da vorn ein
Geheimnis? Eine Falle? Eine Hölle?
Übermäßig laut klappern unsere schwer ge-
nagelten Sliesel ans dem holprigen Basalt-
pflaster. Sonst, kein Laut in der drohende»
Stille.
„In die Häuser! Alles von oben bis unten
durchsuchen!"
Krampfhaft klammern sich die Fäuste um
die Knarre. Wer macht den Ersten?
Die Tür fliegt ans Wie in einem lautlose»,
höhnische» Lachen verzerrt gähnt das schwarze
Maul des Hausflurs uns entgegen.
In den Zimmern ... nichts... im Hinter-
hof ... nichts ... im Keller ... nichts. Milten
int peinlich aufgeräumten Wohnzimmer das
Wehrgehänge eines französischen Pioniers.
Heraus die Vierkantklinge, ein kräftiger Druck
über's Knie. ... Du stichst keinen mehr ab!
„Da her, Kameraden, da her! Hurra . ■ .
wir haben ihn!"
Aber keinen Franzosen, nur einen offenen
Küchenschrank. ... Butterkipfe, Dosen voll der
famosen Obstmarmelade, Bratenreste und ähn-
liche Guttaten. . ..
Heimat und Wiedersehen.
Die grausame, wundenschlagende Zeit
Gab ihnen Narben mit und Gebrechen.
Nun will die Heimat zu ihnen sprechen,
Vergessen machen das bittere Leid.
lind Bilder steigen im Geiste auf
Aus sonniger Jugend im Hcimatlcbe».
Voll Menschgedanken und hohem Streben—
Schwermütig Erinnern lastet darauf.
-o-——
Acht Hände strecken sich nach den Schätzen.
Jede nimmt, ivas ihr zunächst liegt; nicht ganz
ohne Murren und scheele Blicke geht die Tei-
lung der Beute ab. Ans meinen Teil kommt
ein mehrpfündiger Bntterkipf.
Nächste Frage: Wo bringt man die Liebes-
gabe unter? In die Tasche kann ich meine
Butter nicht stecken; im Tornister riecht es zu
schlecht, also hinein ins Kochgeschirr damit-
Der Tag ist schon angebrochen, ein Sonn-
tag. . . . Das Dorf wirft im Schein der
milden Oktobersonne eine Hülle nach der an-
dern ab, in die es sich die Nacht hindurch
gemummt hat.
Mit dem ersten Morgenstrahl fliegt auch die
erste Granate los, hinüber zum Feind, der
keine fünfhundert Bieter vor dem Dorf ein-
geschanzt liegt.
Er verbittet sich den groben Morgengruß.
Die Ziegel ans dc» Hansdächern und die
westlich gerichteten Jenstcrscheiben klirren,
Ziegelbrocken und Glasscherben fallen auf die
Straße und der Aufenthalt fängt an, unge-
mütlich zu werden.
Gcwehrfeuer belfert von beiden Seilen, im
Laufschritt komme» die Unterstühuiigstruppe»
heran, das trockene, unangenehme Schnarrcn
eines Maschinengewehrs »lischt sich ei» . . .
alles ist in Fluß und Bewegung.
Die Kirche voit Loupmoitt.
Zeichnung von P. Odenthal, im Felde.
Zn blutigen Nächten starb alle Lust.
And dennoch erfüllt ein gewaltiges Sehnen
Nach unvergeßlichen Muttertönen
Der Heimaterde die müde Brust.
Durch finstere Wälder schreit der Föhn.
Durch Nacht und Nebel zwei Augen glühen.
Aus dem Sturme der Heimfahrt die Melodien
Singen von Heimat und Wiedersehn. r.P.
Angriff! Unser Bataillon in erster Linie. Um
den Bataillonsführer sammeln sich die Melde-
gänger, Radfahrer, Krankenträger_Ich bin
unter den Gefechtsmeldegängern vorn am Aus-
gang des Dorfes, schön gedeckt hinter einem
hübschen Häuschen.
Das Gefecht entwickelt sich wie es scheint
ganz nach den Wünschen der Führer. Unsere
kommen gut voran, rücken den Franzosen hart
auf den Pelz. . . . Wer weiß: Mittags ist die
Sache ans und wir können vielleicht nach vier
Tagen wieder einmal in Ruhe essen.
So denken wir vom Bataillonsslab. Wir
haben es vorderhand noch schandbar bequem.
Die Franzosen sehen uns nicht, und selbst wenn
sie uns sehen würden: sie haben vorn alle
Hände voll zu tun. Wir genießen also die
gnadenvolle Zeit, sonnen uns behaglich und
steigen abwechselnd einmal auf eine ans Hans
gelehnte Leiter, um nach dem Rechlen zu sehen.
Ein prachtvoller Rundblick da oben. Das
ganze Gefcchtsbild liegt klar und übersichtlich
vor unseren Angen. Jetzt eben springen unsere
wieder vor ... zwei ... drei ... vier Gruppen
sind schon bis auf die Höhe vorgekommen,
die Franzosen laufe» gegen den Bahndamm
zurück. . . .
Verflucht! Was ist da drüben los? Schnell
einen Feldstecher herauf. Vielleicht zweitausend
Meter westlich steigt eine Hügelkette an. Über
den Kamm . .. Der Teufel! . . . Wahrhaftig:
Kolonnen, richtig eingefädelte Kolonnen, die
sich seelenrnhig den Hang heraufwinden. Jetzt
fällt die Schlange auseinander, ein Glied nach
rechts, ein Glied nach links, die Punkte zer-
fließen länglich, werden zu Strichen. . . . Kein
Zweifel: drüben greifen Verstärkungen ein,
die fast vor unserer Nase zum Gefecht anf-
marschiercn.
Artillerie! Wo bleibt Artillerie?
Plnntz! Über uns schrillt es bösartig. Ar-
tillerie? Jawohl, aber französische.
Wir haben sie schon den Vormittag vermißt,
frelidig vermißt, versteht sich. Nun heißt es
sich k.einer machen, denn an ihrem löblichen
Willen, uns den idyllischen Aufenthalt nach
Kräften zu gesegnen, ist nicht zu zweifeln.
Die Geschichte kriegt ein anderes Ansehen.
Vorne ist das Gewehrfeuer wieder nt größter
Wut aufgeflammt, die Verwundeten, die bis-
her beruhigend spärlich zurückgekoinme» sind,
vermehren sich, derHerrMajor bläst die Backen
ans — ein sicheres Zeichen, daß irgendwo ein
Knoten sitzt.
Da kommt auch schon der Regimentsrnd-
fahrer und gibt einen verschlossenen Umschlag ab.
„Gefechtsmelder zu mir! Regimentsbefehl:
Alles vor in die erste Linie!"
Durch 91ad)t und Nebel rattert der Zug.
Zwischen den Schienen klingt es wieder.
Als klingen die lieben Heimatlieder
Dein Wiedersehen voraus im Flug.
Die Heimat, die liebe Heimat mein . ..
Singt cs im Herzen mancher Brave».
Was in den Tiefen des Geistes geschlafen,
Erwacht zum klare», lebendigen Sein.
Der Schliß in die Butter.
Eine erlebte Geschichte von Karl Brvger
Das Lachen ist uns allmählich vergangen.
Drei Tage mib drei Nächte schlagen ivir uns
schon in dieser erbaulichen Gegend herum, wo
für keinen recht viel mehr z>l hole» ist als ein
Heldengrab.
Drei Tage und drei Nächte das gleiche Pro-
gramm: erst stundenlanges Marschieren hinter
der Front von rechts nach links und von links
»ach rechts, dann vor in die Linie, Eingraben,
Sturmangriff, iviedcr Eingraben, Sturm-
angriff—
Zwei erstürmte Ortschaften liegen schon
hinter uns, ranchelid und schivelend in Glut
und Brand. Bis kurz nach Mitternacht sind
ivir in der einen gelegen, mitten auf derDorf-
slraße, zwischen zermalmtem Mauerwerk, ab-
gerissenen Asten und loten französische»Jägern,
deren erstarrte Gesichter unbewegt aufschen
zu der silbcrgrauen, tiefziehende» Brandwolke.
Im Umkreis einer Stunde brennen — riesige
Totenfackeln die Strohfeime.
Wieder heißt es: Vorwärts!
Tie ganze Nacht hat das Schießen noch
nicht aufgehört. Vor uns liegt ein Dorf. Nie-
mand iveiß, ob es schon vom Feinde frei ist.
Patrouillen schleichen vorsichtig an, kommen
nach kurzer Zeit zurück und melden, keine
Menschenseele sei im Dorf zu sichten.
Der Oberst beißt sich ans de» rotborstigen
Schnurrbart. Soll er, soll er nicht? Birgt
dieses dunkle, taubstumme Etwas da vorn ein
Geheimnis? Eine Falle? Eine Hölle?
Übermäßig laut klappern unsere schwer ge-
nagelten Sliesel ans dem holprigen Basalt-
pflaster. Sonst, kein Laut in der drohende»
Stille.
„In die Häuser! Alles von oben bis unten
durchsuchen!"
Krampfhaft klammern sich die Fäuste um
die Knarre. Wer macht den Ersten?
Die Tür fliegt ans Wie in einem lautlose»,
höhnische» Lachen verzerrt gähnt das schwarze
Maul des Hausflurs uns entgegen.
In den Zimmern ... nichts... im Hinter-
hof ... nichts ... im Keller ... nichts. Milten
int peinlich aufgeräumten Wohnzimmer das
Wehrgehänge eines französischen Pioniers.
Heraus die Vierkantklinge, ein kräftiger Druck
über's Knie. ... Du stichst keinen mehr ab!
„Da her, Kameraden, da her! Hurra . ■ .
wir haben ihn!"
Aber keinen Franzosen, nur einen offenen
Küchenschrank. ... Butterkipfe, Dosen voll der
famosen Obstmarmelade, Bratenreste und ähn-
liche Guttaten. . ..
Heimat und Wiedersehen.
Die grausame, wundenschlagende Zeit
Gab ihnen Narben mit und Gebrechen.
Nun will die Heimat zu ihnen sprechen,
Vergessen machen das bittere Leid.
lind Bilder steigen im Geiste auf
Aus sonniger Jugend im Hcimatlcbe».
Voll Menschgedanken und hohem Streben—
Schwermütig Erinnern lastet darauf.
-o-——
Acht Hände strecken sich nach den Schätzen.
Jede nimmt, ivas ihr zunächst liegt; nicht ganz
ohne Murren und scheele Blicke geht die Tei-
lung der Beute ab. Ans meinen Teil kommt
ein mehrpfündiger Bntterkipf.
Nächste Frage: Wo bringt man die Liebes-
gabe unter? In die Tasche kann ich meine
Butter nicht stecken; im Tornister riecht es zu
schlecht, also hinein ins Kochgeschirr damit-
Der Tag ist schon angebrochen, ein Sonn-
tag. . . . Das Dorf wirft im Schein der
milden Oktobersonne eine Hülle nach der an-
dern ab, in die es sich die Nacht hindurch
gemummt hat.
Mit dem ersten Morgenstrahl fliegt auch die
erste Granate los, hinüber zum Feind, der
keine fünfhundert Bieter vor dem Dorf ein-
geschanzt liegt.
Er verbittet sich den groben Morgengruß.
Die Ziegel ans dc» Hansdächern und die
westlich gerichteten Jenstcrscheiben klirren,
Ziegelbrocken und Glasscherben fallen auf die
Straße und der Aufenthalt fängt an, unge-
mütlich zu werden.
Gcwehrfeuer belfert von beiden Seilen, im
Laufschritt komme» die Unterstühuiigstruppe»
heran, das trockene, unangenehme Schnarrcn
eines Maschinengewehrs »lischt sich ei» . . .
alles ist in Fluß und Bewegung.
Die Kirche voit Loupmoitt.
Zeichnung von P. Odenthal, im Felde.
Zn blutigen Nächten starb alle Lust.
And dennoch erfüllt ein gewaltiges Sehnen
Nach unvergeßlichen Muttertönen
Der Heimaterde die müde Brust.
Durch finstere Wälder schreit der Föhn.
Durch Nacht und Nebel zwei Augen glühen.
Aus dem Sturme der Heimfahrt die Melodien
Singen von Heimat und Wiedersehn. r.P.
Angriff! Unser Bataillon in erster Linie. Um
den Bataillonsführer sammeln sich die Melde-
gänger, Radfahrer, Krankenträger_Ich bin
unter den Gefechtsmeldegängern vorn am Aus-
gang des Dorfes, schön gedeckt hinter einem
hübschen Häuschen.
Das Gefecht entwickelt sich wie es scheint
ganz nach den Wünschen der Führer. Unsere
kommen gut voran, rücken den Franzosen hart
auf den Pelz. . . . Wer weiß: Mittags ist die
Sache ans und wir können vielleicht nach vier
Tagen wieder einmal in Ruhe essen.
So denken wir vom Bataillonsslab. Wir
haben es vorderhand noch schandbar bequem.
Die Franzosen sehen uns nicht, und selbst wenn
sie uns sehen würden: sie haben vorn alle
Hände voll zu tun. Wir genießen also die
gnadenvolle Zeit, sonnen uns behaglich und
steigen abwechselnd einmal auf eine ans Hans
gelehnte Leiter, um nach dem Rechlen zu sehen.
Ein prachtvoller Rundblick da oben. Das
ganze Gefcchtsbild liegt klar und übersichtlich
vor unseren Angen. Jetzt eben springen unsere
wieder vor ... zwei ... drei ... vier Gruppen
sind schon bis auf die Höhe vorgekommen,
die Franzosen laufe» gegen den Bahndamm
zurück. . . .
Verflucht! Was ist da drüben los? Schnell
einen Feldstecher herauf. Vielleicht zweitausend
Meter westlich steigt eine Hügelkette an. Über
den Kamm . .. Der Teufel! . . . Wahrhaftig:
Kolonnen, richtig eingefädelte Kolonnen, die
sich seelenrnhig den Hang heraufwinden. Jetzt
fällt die Schlange auseinander, ein Glied nach
rechts, ein Glied nach links, die Punkte zer-
fließen länglich, werden zu Strichen. . . . Kein
Zweifel: drüben greifen Verstärkungen ein,
die fast vor unserer Nase zum Gefecht anf-
marschiercn.
Artillerie! Wo bleibt Artillerie?
Plnntz! Über uns schrillt es bösartig. Ar-
tillerie? Jawohl, aber französische.
Wir haben sie schon den Vormittag vermißt,
frelidig vermißt, versteht sich. Nun heißt es
sich k.einer machen, denn an ihrem löblichen
Willen, uns den idyllischen Aufenthalt nach
Kräften zu gesegnen, ist nicht zu zweifeln.
Die Geschichte kriegt ein anderes Ansehen.
Vorne ist das Gewehrfeuer wieder nt größter
Wut aufgeflammt, die Verwundeten, die bis-
her beruhigend spärlich zurückgekoinme» sind,
vermehren sich, derHerrMajor bläst die Backen
ans — ein sicheres Zeichen, daß irgendwo ein
Knoten sitzt.
Da kommt auch schon der Regimentsrnd-
fahrer und gibt einen verschlossenen Umschlag ab.
„Gefechtsmelder zu mir! Regimentsbefehl:
Alles vor in die erste Linie!"