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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0046
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- - . 891.9

«

Der rundliche Bataillonsführer voran —
seine roten Hängebacken hüpfen wie Gummi-
bälle , geht es in ziemlichem Schweinstrab
aus dein Dorf heraus, zwei-, dreihundert
Meter über freies Feld, bis uns die tief ein-
geschnittene Straße aufnimmt und einen we-
niger beeilten Marsch erlaubt.

Sind wir in ein Wespennest getreten? Um
unsere Köpfe surrt und summt es jedenfalls,
als wäre ein Schwarm aufgebrachter Hornissen
hinterher. Das feine, zornige, metallische Singen
der französischen Jnsanteriegeschosse. .. .

„Halbrechts in das Rübenfeld! Marsch,
marsch!" Der Major zerrt ivütend an seinem
Rockkragen. Der Mund steht ihm kreisrund
offen. Die Art, wie er nach Luft japst, erinnert
verzweifelt an einen Karpfen, der auf den
Sand geraten ist.

Die Kerle da drüben schicken uns aber auch
wieder einmal höllisch auf den Trab.

Wir liegen im Rübeufeld. Die Schießerei
hat etwas nachgelassen. Gesegnet sei jeder tote
Winkel. Er ist des Feldsoldaten bester Freund.

Mein Kehlkopf zappelt wie eine Maus in
der Falle, und das Btut stößt gegen die Adern,
daß man den Widerhall im Boden hören kann.

Vierhundert Meter vor uns liegt die Schützen-
kette. Wenn man den Kopf eine Spanne hebt,
sieht man, wie die einen anlege», zielen, ab-
drücken, die andern, halb auf die Seile gewälzt,
sich eingraben. Mitten in diesem höchst tätige»
Leben fällt der Blick manchmal auf ein graues
Häuflein, das sonderbar still dazwischen liegt...
unsere Toten....

Sß . . . sß . . . So hart, daß ich den Lust-
wirbel spüre, sausen zwei Geschosse an meiner
Nase vorbei. Einige Sekunden Pause, dann
wieder sß ... sß ... Mir kriecht eine schleimige
Wärme langsam den Rücken herauf.

Mein Nachbar rückt unruhig hin und her,
bohrt die Nase in die Ackerfurche und legt
den Kopf schräg. Das gibt nämlich ein kleineres
Ziel, und wir wollen den Kerlen drüben die
Arbeit doch nicht gar so leicht machen.

Wo mögen sie übrigens stecken? Rätselhaft,
wie sie uns in demFeld einsehen können. Wir
liegen doch auf dem höchsten Punkt, das heißt
besser hinter dem höchsten Punkt.

Wir sind enger zusammengekrochen. Die
Augen auf, vielleicht entdecken wir die Bande.
Die Kugeln surren immer näher herum. Der
Augenblick des ersten Treffers hängt voll quälen-
der Spannung über uns.

„Verfluchter Sauhund!... Da drüben, Kaine-
raden! . . . Ganz leicht halblinks.. . . Auf.de»
Bäume» . . .!"

Wir spähen scharf hinüber. Es stehen scchs-
bis achthundert Meter von uns entfernt zwei
kleine Baunigruppen. Ausfälliges ist zunächst
nicht zu sehen. Da . . . jetzt. . . . Die klare,
wundervoll reine Luft, in der die Bäume stehen,
nimmt an zwei, drei, vier, fünf Stellen eine
leichte Trübung n», kaum merklich, ivie der
Hauch auf einem reinen Spiegel, lind jetzt...
durch das schüttere Laub blitzt es gelb auf,
sekundenlang, daun ist ivieder alles beim alten.

Wir sind iur Bild. Auf den Bäumen hocke»
Zuaven. Die gelbe» Blitze kommen von den
Ornamenten ihrer bunten Affenjacken.

Eine dumpfe Wut kocht in jedem von uns.
Verdammte Situation! Wir können auf die
Brüder nicht einmal schieße», weil vor uns

Vor der Abreise von Ägypten.

„Jetzt heißt's aufgcpastt, datz uns die Entente nichts
wegen Neutralitätsverletzung anhaben kann!"

die eigenen Leute liegen, die nicht wenig auf-
geregt ivären, wenn plötzlich hinter ihnen das
Geknalle losginge.

Die kupferne» Singvögel, die auf jenen
Bäumen nisten, zwitschern indessen munter
weiter. Ohne Befehl, nur von einem gleichen
Gedanken gepackt, reißen wir den Tornister
herunter und schieben ihn vor uns als Kopf-
deckung.

Pantsch! . . . Ich erhalte einen gehörigen
Stüber auf die Nase. Ein Geschoß muß in
den Tornister gefahren sein.

„Alles in die Mulde hinunter! Marsch,
marsch!" Ehe ich noch recht den Sinn dieses
Befehls erfassen kann, schnellen die Kameraden
rechts von mir auf. Einer schwankt plötzlich,
dreht sich langsam uin die eigene Achse und
stürzt wie ein gefällter Baum nieder. Ein
Satz ... ich bin über den Gefallenen wegge-
sprungcn und sause hinter den anderen drein.

Rechts und links schwirren die Gewehr-
kugeln mit, manche mit einem tiefen- fast ge-
mütlichen Brummen . . . Querschläger. . . .
Zwischen den Beinen durch, an der Nase
vorbei klatschen sie auf die Rübenblätter und
schleiße» sie der Länge ruid Breite nach. . . .

Wir sind in der Mulde, zittern vor An-
strengung, Wut und Jubel und werfen uns
keuchend hi».... Ein Augenblick voll höchsten,
drängendsten Empfindens nach diesem Sprung
vom Tod ins Leben.

Eine Biertelstnude später hören wir das
dröhnende Hurra der Unseren, die das Dorf
in einenr Anlauf stürmen und darüber hinaus
auch die Höhen hinter dem Dorf nehmen.

Wir schließen uns de» nachrückenden Unter-
stützungsabteilungen an und nehmen im Vor-
beigehen unsere Tornister wieder auf. Nur
einer muß liegen bleiben, um den zu tragen,
der ihn so oft getragen hat. . . . Tödlicher

Kopfschuß_Wir legen dem Toten die Hände

über die Brust, schieben ihm den Tornister
unter, ein letzter Blick. . . ade, Kamerad!

Am Abend gibt es warmes Essen und, was
wir fast noch schwerer entbehrten, Brot. Mir
fällt meine erbeutete Butter ein. Sie soll nun
ihren Zweck erfüllen.

Der Feldkesscl hat oben ein Loch. Aha, da-
her der Nasenstüber!

Ich schneide in die Butter, finde aber mit
dem Messer Widerstand, bohre also den Fremd-
körper aus und in meiner Hand liegt — ein
französisches Kupfergeschoß.

Das Butterbrot hat mir trotz dem anfäng-
lichen leichten Grusel herrlich geschmeckt.

In unserem Zug aber geht seitdem die
Redensart, wenn im Gefecht einer wider alles
menschliche Erivarten unverwundet durch-
konimt: „Den haben sie in die Butter ge-
schossen!"

Bessere Kenntnis der deutschen Sprache!

Nicht nur der Gebrauch von Fremdworten,
sondern auch niangelhafte Kenntnis der deut-
schen Grammatik läßt sich bedauerlicherweise
selbst in den höchsten Regierungskreisen fest-
stellen. Wie kann man zum Beispiel etivas
als „Höchstpreise" bezeichnen, das doch immer
wieder erhöht wird? Da wäre die Bezeich-
nung „Höherpreise" schon richtiger, zumal sie
tatsächlich stets höher sind als — sage» wir
angenehm ist. Oder sollte man vielleicht noch
besser „Niedrigerpreise" sagen, um anzu-
deuten, daß sie niedriger sind als ihre zu er-
wartenden Nachfolger? —ch.

Die Palme.

Von A. Titus.

Wie einsam dort die Palme
Auf ihrem Äügel steht.

Durch deren grüne Blätter
Ein leises Rauschen geht!

Sie sieht die Welt durchtoben
Den ungeheuren Kampf,

Wo Friede einst gewaltet.

Ist Blut und Lärm und Dampf.

Es geht Vernichtungs-Odem
Durchs Land und durch die Luft,

Die Welt füllt sich mit Leichen,

Es wird das Meer zur Gruft.

Was tvohl die schlanke Palme
Dabei sich träumt und denkt!

Es haben ihre Blätter
Gar traurig sich gesenkt.

Die sonst der Welt verkündet
Des Friedens sanften Lauch,

Sie ward im Schlachtendonncr
Geschwärzt vom Pulverrauch.

Sie träumt: Wie auch der Menschheit
Das blut'ge Los nun fällt —

Es werden nicht die Palmen
Verschwinden aus der Welt.

Es wird doch einmal kommen
Des Friedens großer Tag,

Den uns der Zweig der Palme
Dann freudig künden mag.
 
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