Ein Telegrammwechsel.
PoincarL: Der alte Gauner will mich uzen!
Nikita: So eine Gemeinheit, der Kerl uzt mich auch!
o
Im Schützengraben.
Der Mond sieht bleich am Limmel,
Äernieder sinkt die Nacht,
Der Wolken grau Gewimmel
Zieht auf als wie zur Schlacht.
Die Berge fern verdämmern
Im blaffen Nebelgrau,
Maschinengewehre Hämmer»
Dort hinterm Drahtverhau.
Wolfsgruben recken die Nachen
Begierig nach blut'gem Fraß,
Vom Unterstand ein Lache»,
Ein Stöhnen fern im Gras.
Schwarz liegt der Wald in Schweigen —
Wer weiß, was er verbirgt?
Ob hinter seinen Zweige»
Nicht Tod und Unheil würgt?
In Lüften hoch die Krähen,
Die künden wohl den Tod —
find möcht' doch jeder sehen
Noch mal das Morgenrot. Ernst Klaar.
Mehr Kinder!
In einem kleinen, verschnürten Bündel hatte
man das Kind tot aufgefunden; die junge
Mutter — eine ledige Arbeiterin — war noch
am gleichen Tag verhaftet worden, und zwar
in der Charitö, in die inan die von der Auf-
regung- schwer Erkrankte gebracht hatte.
Nun war die Gerichtsverhandlung, und viel
Entrüstung wurde in den Korridoren des Ge-
richtsgebäudes über das Verbrechen zu Tage
gefördert.
Der Bankdirektor, der heute als Geschivorener
seines Amtes waltete, faßte gewissermaßen die
Gefühle der Sprechenden zusammen in den
Worten: „Ist dies Verbrechen schon in nor-
malen Zeiten abscheulich und fast unbegreiflich,
so ist es in diesen Kriegszeiten doppelt schwer:
denn die Mannschaftsverluste müssen ausge-
glichen werden. Wir brauchen viel Kinder,
damit es uns auch in der Zukunft nicht an
Soldaten fehlt!"
„Sehr richtig!" echote es ringsum. Und einer
schlug vor, eine Gesellschaft zu gründen, die
diesen Gedanken im Lande propagieren sollte.
Die Verhandlung begann.
Es war das alte Lied von unbedenklicher
Selbsihingabe, Not und Verzweiflung; nur
hatte der Krieg auch hier eine besondere Note
hineingebracht: der Vater des Kindes war im
Westen gefallen, noch ehe das Kind auf die
Welt gekommen war. In einem Augenblick
der Verzweiflung hatte die Mutter das Kind,
das nach Nahrung schrie, die sie ihm nicht
geben konnte, beseitigt.
Der Verteidiger war noch jung und begnügte
sich nicht damit, das in solche» Fällen Übliche
vorzubringen, er griff tief ins Leben hinein
und zog Zahlen »nd Vergleiche heran.
Er sprach davon, daß jährlich in Deutsch-
land im ersten Lebensjahr zweihnndertachtzig-
tausend Kinder sterben, daß die Säuglings-
sterblichkeit fünfzehn vom Hundert betrage,
während sie zum Beispiel in England nur
neun, in Schweden siebe» vom Hundert er-
reiche. Er sprach von dem Unterschied dieser
Sterblichkeit im Proletarier- und Tiergarten-
viertel - die Reichen verlieren nur achtzehn
ProzentKinder im Alter bis zu sechzehn Jahren,
Bedenklich.
„Sie, Herr Nachbar, der Maler hat Sie so verhungert
gezeichnet, daß der Zensor Cie wahrscheinlich nicht in
den Wahren Jacob hineinläßt!"
die Armen fünfzig Prozent — und von de»
schweren Mängeln des Mutterschutzes. „Die
Sterblichkeit unehelicher Säuglinge beträgt
fünfzig bis sechzig Prozent" — so schloß er
„betrachten Sie diese Zahlen, dann iverden
Sie diese einzelne Tat inilder beurteilen. Die
Angeklagte ist ein Opfer unserer Gesellschaft,
die wohl Kinder fordert, aber der verlassenen
Mutter iveder den unbedingt nötigen Schutz,
noch die Sicherheit des Lebens gibt. Hätte man
dieser Unglücklichen beizeiten die Hilfe gewährt,
auf die sie als Mutter ohne weiteres Anspruch
hat, dann wäre dieser Verzweiflungsakt nicht
geschehen und der Staat hätte einen Bürger
mehr."
Die Angeklagte wurde für schuldig befun-
den, kam aber mit der Mindeslstrafe von zwei
Jahren davon. Apathisch, gebrochen an Leib
und Seele, ließ sie sich hinausführen.
Die Geschworenen gingen nach Hause.
„Was sagen Sie zu dieser Verteidigungs-
rede, Herr Bankdirektor?"
„Unglaublich, ivas sich diese Advokaten an
Verdrehungen von offenbaren Tatsachen lei-
sten!" eiferte der Gefragte. „Klang es nicht
gerade, als ob wir Alle die Schuld an der Tat
dieses Mädchens hätten??"
Es zieht das Leid durch das Land.
von Unna Julia wolsf.
Es zieht das Leid durch das blühende Land,
2m roten, blutdurchtränkten Gewand,
Es trägt in der ljand eine Keule schwer,
So zieht es daher.
Und es schlägt »m sich, wild, brutal,
Hier ein Hieb, dort ein Hieb, ohne lvahl.
„Du wagst zu hoffen, du junges Llut?
Du blühst und fieberst in sehnender Glut?
Warte nur, Nlägdlein rosenrot,
Sch schlag dir dein blühendes Hoffen tot.
„Und all ihr INlltter, im Scheitel von Schnee -
Sn einem einzigen Trünensee
Ertränk' ich, was euer Hochaltar,
lllas euer Tiefstes, Heiligstes war."
Und weiter, die Ileule in der Hand,
Ziehet das Leid durch das blühende Land... .
PoincarL: Der alte Gauner will mich uzen!
Nikita: So eine Gemeinheit, der Kerl uzt mich auch!
o
Im Schützengraben.
Der Mond sieht bleich am Limmel,
Äernieder sinkt die Nacht,
Der Wolken grau Gewimmel
Zieht auf als wie zur Schlacht.
Die Berge fern verdämmern
Im blaffen Nebelgrau,
Maschinengewehre Hämmer»
Dort hinterm Drahtverhau.
Wolfsgruben recken die Nachen
Begierig nach blut'gem Fraß,
Vom Unterstand ein Lache»,
Ein Stöhnen fern im Gras.
Schwarz liegt der Wald in Schweigen —
Wer weiß, was er verbirgt?
Ob hinter seinen Zweige»
Nicht Tod und Unheil würgt?
In Lüften hoch die Krähen,
Die künden wohl den Tod —
find möcht' doch jeder sehen
Noch mal das Morgenrot. Ernst Klaar.
Mehr Kinder!
In einem kleinen, verschnürten Bündel hatte
man das Kind tot aufgefunden; die junge
Mutter — eine ledige Arbeiterin — war noch
am gleichen Tag verhaftet worden, und zwar
in der Charitö, in die inan die von der Auf-
regung- schwer Erkrankte gebracht hatte.
Nun war die Gerichtsverhandlung, und viel
Entrüstung wurde in den Korridoren des Ge-
richtsgebäudes über das Verbrechen zu Tage
gefördert.
Der Bankdirektor, der heute als Geschivorener
seines Amtes waltete, faßte gewissermaßen die
Gefühle der Sprechenden zusammen in den
Worten: „Ist dies Verbrechen schon in nor-
malen Zeiten abscheulich und fast unbegreiflich,
so ist es in diesen Kriegszeiten doppelt schwer:
denn die Mannschaftsverluste müssen ausge-
glichen werden. Wir brauchen viel Kinder,
damit es uns auch in der Zukunft nicht an
Soldaten fehlt!"
„Sehr richtig!" echote es ringsum. Und einer
schlug vor, eine Gesellschaft zu gründen, die
diesen Gedanken im Lande propagieren sollte.
Die Verhandlung begann.
Es war das alte Lied von unbedenklicher
Selbsihingabe, Not und Verzweiflung; nur
hatte der Krieg auch hier eine besondere Note
hineingebracht: der Vater des Kindes war im
Westen gefallen, noch ehe das Kind auf die
Welt gekommen war. In einem Augenblick
der Verzweiflung hatte die Mutter das Kind,
das nach Nahrung schrie, die sie ihm nicht
geben konnte, beseitigt.
Der Verteidiger war noch jung und begnügte
sich nicht damit, das in solche» Fällen Übliche
vorzubringen, er griff tief ins Leben hinein
und zog Zahlen »nd Vergleiche heran.
Er sprach davon, daß jährlich in Deutsch-
land im ersten Lebensjahr zweihnndertachtzig-
tausend Kinder sterben, daß die Säuglings-
sterblichkeit fünfzehn vom Hundert betrage,
während sie zum Beispiel in England nur
neun, in Schweden siebe» vom Hundert er-
reiche. Er sprach von dem Unterschied dieser
Sterblichkeit im Proletarier- und Tiergarten-
viertel - die Reichen verlieren nur achtzehn
ProzentKinder im Alter bis zu sechzehn Jahren,
Bedenklich.
„Sie, Herr Nachbar, der Maler hat Sie so verhungert
gezeichnet, daß der Zensor Cie wahrscheinlich nicht in
den Wahren Jacob hineinläßt!"
die Armen fünfzig Prozent — und von de»
schweren Mängeln des Mutterschutzes. „Die
Sterblichkeit unehelicher Säuglinge beträgt
fünfzig bis sechzig Prozent" — so schloß er
„betrachten Sie diese Zahlen, dann iverden
Sie diese einzelne Tat inilder beurteilen. Die
Angeklagte ist ein Opfer unserer Gesellschaft,
die wohl Kinder fordert, aber der verlassenen
Mutter iveder den unbedingt nötigen Schutz,
noch die Sicherheit des Lebens gibt. Hätte man
dieser Unglücklichen beizeiten die Hilfe gewährt,
auf die sie als Mutter ohne weiteres Anspruch
hat, dann wäre dieser Verzweiflungsakt nicht
geschehen und der Staat hätte einen Bürger
mehr."
Die Angeklagte wurde für schuldig befun-
den, kam aber mit der Mindeslstrafe von zwei
Jahren davon. Apathisch, gebrochen an Leib
und Seele, ließ sie sich hinausführen.
Die Geschworenen gingen nach Hause.
„Was sagen Sie zu dieser Verteidigungs-
rede, Herr Bankdirektor?"
„Unglaublich, ivas sich diese Advokaten an
Verdrehungen von offenbaren Tatsachen lei-
sten!" eiferte der Gefragte. „Klang es nicht
gerade, als ob wir Alle die Schuld an der Tat
dieses Mädchens hätten??"
Es zieht das Leid durch das Land.
von Unna Julia wolsf.
Es zieht das Leid durch das blühende Land,
2m roten, blutdurchtränkten Gewand,
Es trägt in der ljand eine Keule schwer,
So zieht es daher.
Und es schlägt »m sich, wild, brutal,
Hier ein Hieb, dort ein Hieb, ohne lvahl.
„Du wagst zu hoffen, du junges Llut?
Du blühst und fieberst in sehnender Glut?
Warte nur, Nlägdlein rosenrot,
Sch schlag dir dein blühendes Hoffen tot.
„Und all ihr INlltter, im Scheitel von Schnee -
Sn einem einzigen Trünensee
Ertränk' ich, was euer Hochaltar,
lllas euer Tiefstes, Heiligstes war."
Und weiter, die Ileule in der Hand,
Ziehet das Leid durch das blühende Land... .