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lungert seiner Landsleute zugewandt war.
Seine Augen sahen pfiffig und blank aus;
wer ihn jetzt gesehen hätte, wäre nie auf de»
Gedanken gekommen, eine» Idioten vor sich
zu haben.
Seine Hände staken in den Taschen, als
fühlte» sie dort die Tausendrubelscheine, die
man ihm für seine Spionentätigkeit versprochen
und teilweise schon vorgeslreckt hatte. Noch so
ein Sturm wie der heute nacht, und die deut-
schen Stellungen waren durchbrochen. Dann
ging er ins Innere des Landes, nur von dem
schwer verdienten Geld sich irgendwo ein
Gütchen zu kaufen, wo er mit seiuenl Sohn
Petruschka, der bei irgendeinem Infanterie-
regiment der achten russischen Armee diente,
behaglich der Zukunft entgegenzugehen.
Teteikow tat seine patriotischen Dienste je-
doch nicht nur des Geldes wegen, so sehr er
es auch zu schätzen wußte, — bewahre! Er tat
es auch aus idealen Gründen. Er entsann
sich noch gut der Stunde, da der Pope, der
einzige, der außer dem Herrn Grafen hier
lesen konnte, den versammelten Dorfbewohnern
aus der Zeitung „Litowskaja Rufsija" die
Geschichte vorlas, wie die Deutschen einem
russischen Gefangenen die Beine abgesägt
hätten.* Daran hatten sich Ermahnungen ge-
knüpft, den Deutschen, die Feinde des Zaren
und der heiligen Kirche seien, zu schaden, wo
inan immer könne. Die anderen Dörfler waren
ja nicht mehr dazu gekommen, diese Mahnung
durch die Tat zu befolgen; beim man hatte
sie — ob mit Recht oder Unrecht — für nicht
ganz sicher gehalten und kurzerhand sort-
geschleppt. Aber er, Iwan, hatte das große
Werk auf sich genommen und bis heute durch-
gesiihrt.
Als er vor die Türe der Mühle trat, sah
er drunten einen dunklen Zug dahertrotten.
Waren das nicht russische Uniformen? Richtig.
Seine scharfen Augen konnte» die gefangene»
Landsleute gut von den Feldgrauen unter-
scheiden.
Sein Herz schlug ihm bis zum Halse. Sollte
er nun aus nächster Nähe die Greueltaten
erleben, von denen er bisher nur gehört
hatte?
Er mußte um jeden Preis herunter, um
später als Zeuge auftreten zu können, wenn
die Seinen kamen und Vergeltung übten. Ja,
er wollte sich die Gesichter der Folterer wohl
merken und sie dem gerechten Strafgericht
überliefern — —
Keuchend lief er den Hügel herab. Erst
unten mäßigte er seine Schritte, um nicht
aufzufallen.
Ein Feldwebel ries ihm zu: „Dein Ältester
ist auch bei den Gefangenen."
Die Beine des Alten zitterte». „Petruschka
gefangen? Hier?"
„Er ist verwundet und hat gleich nach dir
gefragt."
„Wo — wo ist er?"
„Drüben in dem Stall bei den anderen."
Iwan Teteikow mußte sich an einem Liu-
denbaum festhalten, so war ihm der furcht-
bare Schreck in die Glieder gefahren. Sein
Petruschka in den Händen dieser deutschen
Bestien!
* Aus Nummer 823 der „Litowskaja Rufsija" (Ok-
tober 1914).
Er sah ihn blutend und wehklagend unter
den Händen seiner Peiniger, er sah ihn schon
gefoltert und gemartert; alle Greuelgeschichten
schienen sich zu einer einzigen zu konzentrieren,
deren unschttldiges, elendes Opfer sein ein-
ziger Sohn war.
Er wußte selbst nicht, ivie er die Kraft ge-
wonnen hatte, bis zum bezeichneten Stall zit
gehen. Zu seiner Verwunderung aber vernahm
er dort kein Schreien Gefolterter. Hatten sie
seinem jungen Leben schon ein gewaltsames
Ende gemacht?
In zwei Reihen lagen auf Strohmatten die
Verwundeten, Deutsche neben Russen. Sanitäter
gingen von einem zum andern, verbanden sie
oder flößten ihnen erfrischendes Getränk ein.
Mit einem Sprung war der alte Müller
bei seinen! Sohn, de» er trotz seines Kopf-
verbandes gleich erkannt hatte. „Petruschka,
du lebst?"
Nach einigen Augenblicken wußte der Alte,
daß seinem Sohn so viel Pflege zuteil gewor-
den war, wie im Kriege eben möglich war.
„Also ist es Lüge, was die Zeitungen be-
richten und was die Popen sagen?"
Er durfte nicht länger bleiben, um die an-
deren Verwundeten nicht zu stören, bekam aber
die Erlaubnis, gegen Abend vor dem Ab-
transport der Gefangenen seinen Sohn noch
eimnal begrüßen zu können. Er ahnte in diesem
TT"
Landsturm in den Karpathen.
Zeichnung von Rud. Lanntch, im Felde.
Augenblick nicht, daß er von dieser Erlaubnis
keinen Gebrauch mehr machen würde. . . .
Mit Tränen in den Auge» ging er zurück,
der Mühle zu. Er hörte Marschschritte und
merkte, daß die Fortbeivegung der deutschen
Regimenter nach dem Flußufer zu sich seit
gestern noch immer fortsetzte: er hatte die
Richtung dieser Operation gestern ja seinen
Landsleuten drüben verraten und mußte sie
heute zur Bestätigung wiederholen. Aber in
diesem Augenblick erwachte in ihm das Ge-
wisse». Das Dunkle seiner Handlungsweise
wurde ihm delltlich: er verriet ja die Men-
schen, die seinen Sohn pflegten und vor dem
Tode schützten. Das wollte er doch wieder
gut machen.
Und gleich darauf hatte er seinen Plan ge-
faßt. Er würde die Mühle anhalten: das war
das Zeichen, daß hier keine Veränderung statt-
gefunden hatte. Mochten sie fortan selbst ans-
kundschasten, was sie brauchte». Er wollte mit
diesem tückischen Handel nichts mehr zu tu»
haben.
Er eilte in die Mühle und griff in das Ge-
triebe des Werks. Eilt Knirschen und Ächzen
der Räder zeigte au, daß die Flügel still
standen.
Aber er wollte noch ein übriges tun unb
die Flügel ein paar Male nach links hcrum-
gehe» lassen — zum Zeichen, daß seine letzten
Angaben nicht mehr stimmten. Mit aller Kraft
faßte er die Griffe.
Aber im selben Moment packten ihn ein
paar eiserne Hände: deutsche Soldaten, die
die Mühle untersucht hatten und ihn nun bei
seinem verbrecherischen Treiben ertappten. Sei-
ner Ausrede, daß er es diesmal hatte gilt
machen wollen, schenkte niemand Glauben.
Seine Spionage war zu deutlich, auch wenn
man nicht verräterische Zettel und groß- Geld-
summe» gefunden hätte.
Sein Schicksal war besiegelt. . .
Der Landsturmmann.
Von Paul Enderling.
Glutbrände flammen aus Geschützen
In jeder Nacht, an jedem Tag.
Es kracht. Die Bajonette blitze».
Granatenwurf und Kolbenschlag,
Vorwärts zum Sturm im raschen Sprunge!
Und ist's auch grauenhaft und hart, —
Es bleibt doch dir dereinst, mein Junge,
Erspart.
Im Traum seh' ich die kleine Stube,
Von Mukters Länden aufgeräumt.
Bei Büchern dich, mein blonder Bube,
Der von des Vaters Taten träumt
In der Begeistrung heißem Schwünge —
Die Träne rinnt mir in den Bart:
O blieb es dir dereinst, mein Junge,
Erspart!
Der Wind weht und die Flocke» tanzen.
Der Mond scheint über fremdem Land.
Dort drüben an des Feindes Schanzen
Erhebt der Tod die Knochenhand.
Er schreckt mich nicht. Mir ist erklungen
Ein Trost von gar besondrer Art:
Dies alles bleibt einst meinem Jungen
Erspart.
lungert seiner Landsleute zugewandt war.
Seine Augen sahen pfiffig und blank aus;
wer ihn jetzt gesehen hätte, wäre nie auf de»
Gedanken gekommen, eine» Idioten vor sich
zu haben.
Seine Hände staken in den Taschen, als
fühlte» sie dort die Tausendrubelscheine, die
man ihm für seine Spionentätigkeit versprochen
und teilweise schon vorgeslreckt hatte. Noch so
ein Sturm wie der heute nacht, und die deut-
schen Stellungen waren durchbrochen. Dann
ging er ins Innere des Landes, nur von dem
schwer verdienten Geld sich irgendwo ein
Gütchen zu kaufen, wo er mit seiuenl Sohn
Petruschka, der bei irgendeinem Infanterie-
regiment der achten russischen Armee diente,
behaglich der Zukunft entgegenzugehen.
Teteikow tat seine patriotischen Dienste je-
doch nicht nur des Geldes wegen, so sehr er
es auch zu schätzen wußte, — bewahre! Er tat
es auch aus idealen Gründen. Er entsann
sich noch gut der Stunde, da der Pope, der
einzige, der außer dem Herrn Grafen hier
lesen konnte, den versammelten Dorfbewohnern
aus der Zeitung „Litowskaja Rufsija" die
Geschichte vorlas, wie die Deutschen einem
russischen Gefangenen die Beine abgesägt
hätten.* Daran hatten sich Ermahnungen ge-
knüpft, den Deutschen, die Feinde des Zaren
und der heiligen Kirche seien, zu schaden, wo
inan immer könne. Die anderen Dörfler waren
ja nicht mehr dazu gekommen, diese Mahnung
durch die Tat zu befolgen; beim man hatte
sie — ob mit Recht oder Unrecht — für nicht
ganz sicher gehalten und kurzerhand sort-
geschleppt. Aber er, Iwan, hatte das große
Werk auf sich genommen und bis heute durch-
gesiihrt.
Als er vor die Türe der Mühle trat, sah
er drunten einen dunklen Zug dahertrotten.
Waren das nicht russische Uniformen? Richtig.
Seine scharfen Augen konnte» die gefangene»
Landsleute gut von den Feldgrauen unter-
scheiden.
Sein Herz schlug ihm bis zum Halse. Sollte
er nun aus nächster Nähe die Greueltaten
erleben, von denen er bisher nur gehört
hatte?
Er mußte um jeden Preis herunter, um
später als Zeuge auftreten zu können, wenn
die Seinen kamen und Vergeltung übten. Ja,
er wollte sich die Gesichter der Folterer wohl
merken und sie dem gerechten Strafgericht
überliefern — —
Keuchend lief er den Hügel herab. Erst
unten mäßigte er seine Schritte, um nicht
aufzufallen.
Ein Feldwebel ries ihm zu: „Dein Ältester
ist auch bei den Gefangenen."
Die Beine des Alten zitterte». „Petruschka
gefangen? Hier?"
„Er ist verwundet und hat gleich nach dir
gefragt."
„Wo — wo ist er?"
„Drüben in dem Stall bei den anderen."
Iwan Teteikow mußte sich an einem Liu-
denbaum festhalten, so war ihm der furcht-
bare Schreck in die Glieder gefahren. Sein
Petruschka in den Händen dieser deutschen
Bestien!
* Aus Nummer 823 der „Litowskaja Rufsija" (Ok-
tober 1914).
Er sah ihn blutend und wehklagend unter
den Händen seiner Peiniger, er sah ihn schon
gefoltert und gemartert; alle Greuelgeschichten
schienen sich zu einer einzigen zu konzentrieren,
deren unschttldiges, elendes Opfer sein ein-
ziger Sohn war.
Er wußte selbst nicht, ivie er die Kraft ge-
wonnen hatte, bis zum bezeichneten Stall zit
gehen. Zu seiner Verwunderung aber vernahm
er dort kein Schreien Gefolterter. Hatten sie
seinem jungen Leben schon ein gewaltsames
Ende gemacht?
In zwei Reihen lagen auf Strohmatten die
Verwundeten, Deutsche neben Russen. Sanitäter
gingen von einem zum andern, verbanden sie
oder flößten ihnen erfrischendes Getränk ein.
Mit einem Sprung war der alte Müller
bei seinen! Sohn, de» er trotz seines Kopf-
verbandes gleich erkannt hatte. „Petruschka,
du lebst?"
Nach einigen Augenblicken wußte der Alte,
daß seinem Sohn so viel Pflege zuteil gewor-
den war, wie im Kriege eben möglich war.
„Also ist es Lüge, was die Zeitungen be-
richten und was die Popen sagen?"
Er durfte nicht länger bleiben, um die an-
deren Verwundeten nicht zu stören, bekam aber
die Erlaubnis, gegen Abend vor dem Ab-
transport der Gefangenen seinen Sohn noch
eimnal begrüßen zu können. Er ahnte in diesem
TT"
Landsturm in den Karpathen.
Zeichnung von Rud. Lanntch, im Felde.
Augenblick nicht, daß er von dieser Erlaubnis
keinen Gebrauch mehr machen würde. . . .
Mit Tränen in den Auge» ging er zurück,
der Mühle zu. Er hörte Marschschritte und
merkte, daß die Fortbeivegung der deutschen
Regimenter nach dem Flußufer zu sich seit
gestern noch immer fortsetzte: er hatte die
Richtung dieser Operation gestern ja seinen
Landsleuten drüben verraten und mußte sie
heute zur Bestätigung wiederholen. Aber in
diesem Augenblick erwachte in ihm das Ge-
wisse». Das Dunkle seiner Handlungsweise
wurde ihm delltlich: er verriet ja die Men-
schen, die seinen Sohn pflegten und vor dem
Tode schützten. Das wollte er doch wieder
gut machen.
Und gleich darauf hatte er seinen Plan ge-
faßt. Er würde die Mühle anhalten: das war
das Zeichen, daß hier keine Veränderung statt-
gefunden hatte. Mochten sie fortan selbst ans-
kundschasten, was sie brauchte». Er wollte mit
diesem tückischen Handel nichts mehr zu tu»
haben.
Er eilte in die Mühle und griff in das Ge-
triebe des Werks. Eilt Knirschen und Ächzen
der Räder zeigte au, daß die Flügel still
standen.
Aber er wollte noch ein übriges tun unb
die Flügel ein paar Male nach links hcrum-
gehe» lassen — zum Zeichen, daß seine letzten
Angaben nicht mehr stimmten. Mit aller Kraft
faßte er die Griffe.
Aber im selben Moment packten ihn ein
paar eiserne Hände: deutsche Soldaten, die
die Mühle untersucht hatten und ihn nun bei
seinem verbrecherischen Treiben ertappten. Sei-
ner Ausrede, daß er es diesmal hatte gilt
machen wollen, schenkte niemand Glauben.
Seine Spionage war zu deutlich, auch wenn
man nicht verräterische Zettel und groß- Geld-
summe» gefunden hätte.
Sein Schicksal war besiegelt. . .
Der Landsturmmann.
Von Paul Enderling.
Glutbrände flammen aus Geschützen
In jeder Nacht, an jedem Tag.
Es kracht. Die Bajonette blitze».
Granatenwurf und Kolbenschlag,
Vorwärts zum Sturm im raschen Sprunge!
Und ist's auch grauenhaft und hart, —
Es bleibt doch dir dereinst, mein Junge,
Erspart.
Im Traum seh' ich die kleine Stube,
Von Mukters Länden aufgeräumt.
Bei Büchern dich, mein blonder Bube,
Der von des Vaters Taten träumt
In der Begeistrung heißem Schwünge —
Die Träne rinnt mir in den Bart:
O blieb es dir dereinst, mein Junge,
Erspart!
Der Wind weht und die Flocke» tanzen.
Der Mond scheint über fremdem Land.
Dort drüben an des Feindes Schanzen
Erhebt der Tod die Knochenhand.
Er schreckt mich nicht. Mir ist erklungen
Ein Trost von gar besondrer Art:
Dies alles bleibt einst meinem Jungen
Erspart.