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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0081
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. 8954

Abendrast.

Der Tag geht still zu Ende.

Das heiße Leben ruht nun aus.

Ein Weilchen, eine Wende
Der Nacht voraus.

Im Äerzen stumme Freude.

O süße Rast nach Drang und Sturm
Im Dämmerungsgeläute
Klingt sie vom Turm.

Waren gar rauhe Fahrten
Den blutig lichten Tag entlang.

Der Tod in tausend Arten
Die Sense schwang.

Nun senkt die schwarzen Fahnen,

Dem harten Tag zum letzten Gruß.

Von dem faßt uns ein Ahnen,

Was kommen muß.

Die Dämmerlichter spielen.

Wir halten Einkehr, rasten stumm.

Die müden Seelen fühlen
Das Menschentum.

Bald wird die Nacht gebieten.

Die letzten Lichter löschen aus.

Die Menschheit träumt vom Frieden
Nach hartem Strauß. L.P.

&

Die Zukunft.

Aus dem Prospekt einer amerikanischen Reisegesellschaft
ii» Jahre 2166.

... Welcher moderne Amerikaner möchte nicht
einmal Europa gesehen haben! Ein besonderer
Reiz umgibt diesen vom Schauer weltgeschicht-
licher Tragik umwitterten Erdteil! Wohin der
Fuß des Reisenden tritt, begegnet er den Trüm-
mern einer Kultur, die sich einst mit Recht
rühmen konnte, die höchste Blüte des rastlos
strebenden Menschengeisles zu sein. Welcher
Reichtum herrschte einst i» diesen Ländern!

Welche Macht strahlte von hier aus über die
ganze Welt!

Kenner der Geschichte wissen, wie fein und
mannigfaltig einstmals hier Kunst und Wissen-
schaft blühten. Dichtkunst und Malerei, Plastik
und Musik hatten hier ihre Heimat. Philosophie
undTechnistChemieundNaturerkenntniswaren
hochentwickelt und fanden in zahlreichen öffent-
lichen Anstalten eifrige Pflege. Kein Amerikaner
des neunzehnten Jahrhunderts, der nach Schu-
lung und Ausbildung des Geistes dürstete, ver-
säumte es, nach Europa zu gehen, um dort zu
empfangen, was er sonst nirgend in gleicher
Vollkommenheit finden konnte.

Für den Menschen der Gegenwart ist es
schwer, daran zu glauben. Wo einstmals Städte
mit Hunderttausendcn von Bewohnern standen,
sieht heute der Reisende nur wüste Trümmer-
stätten und a» deren Rande einige trostlose Sied-
lungen, deren Armseligkeit in einem schneiden-
den Kontrast zu den Vorstellungen steht, die

der Amerikaner aus seiner Heimat mitbringt.
Die gewaltigen Gebäude, die einst dem regen
Verkehr, dem Handel, den öffentlichen Geschäf-
ten oder der Pflege der Kunst und Wissenschaft
dienten, sind zum Teil verfallen und von den
entarteten Nachfahren jener großen Völker zum
Aufbau ihrer primitiven Hütten benutzt wor-
den, zum Teil aber haben sie der Zeit getrotzt
und sind als stumme und doch lautredende
Zeugen einer versunkenen Welt interessante
Schaustücke für die fremden Besucher, die die
mannigfachen Unbequemlichkeiten nicht scheuen,
um diese untergegangene Kultur in ihren im-
ponierenden Resten zu studieren.

Wie einst der Europäer nach den durch Sage
und Geschichte berühmten Stätten des alten
Hellas oder nach dem Lande der Pharaonen
pilgerte, so zieht heute jeder moderne Ameri-
kaner wenigstens einmal in seinem Leben nach
Europa, um im Anblick dieses gewaltigen
Gräberfeldes seinen Sinn für Geschichte und
Philosophie zu läutern und zu vertiefen. Für
nicht wenige aber ist die Europareise zugleich
ein Akt innerster Pietät; verehren sie doch in
diesem unglücklichen Erdteil die Urheimat ihres
Geschlechts. Noch heute sind der Familien in
unserem Lande nicht wenig, in denen die Über-
lieferung von dem Ahnen fortlebt, der sich vor
jener Zeit der großen Vernichtung nach der
Neuen Welt rettete und hier den Grundstein
zu einem neuen Leben legte. Oft ist es für die
Nachfahre» noch möglich, die Stätte zu be-
stimmen, wo einst die Heimat ihres Geschlechts
stand. Ein Teil der noch vorhandenen spär-
lichen Bevölkerung macht sich ein leidlich näh-
rendes Gewerbe daraus, den Reisenden in
solchen Dingen Führer zu sein.

Was schließlich die oft übertriebene Unsicher-
heit des Reifens in Europa anlangt, so können
wir versichern, daß es keiner nötig hat, sich
dadurch abschrecken zu lassen. Es gibt im Lande
eine Anzahl Stationen, die mit zuverlässigen
amerikanischen Sicherheitsinännern besetzt sind,
die den Reisenden als Begleitung zur Ver-
fügung stehen.... 8i. SB.

-O-;-

Die beiden Alten.

Wintertag. Schon graut die Dämmerung.
Flocken wirbeln hin in wildem Neigen.

In der Stube webt Erinnerung
Am zwei Lerzen ihr erhabnes Schweigen.

Nur die Augen heben immer wieder
Sich empor so seltsam weich und mild:

Aus dem florumhüllten Nahmen nieder
Schaut ein lächelndes Soldatenbild.

„Anser Junge!" And den beiden Alten
Quillt es auf im Innern schwer und heiß.
Mütterchen muß still die Lände falten:

„Ach, nun wird auch wohl sein Lügel weiß."
Vater spricht: „Viel Tapfre deckt der Schnee,
And so mancher Traum ward mitbegraben.
Auch der unsre.... Mutter, es tut weh:
Niemals werden wir nun Enkel haben."

And das Mutterauge hebt sich groß
Voller Andacht auf zum Bilde wieder:

„Ja, ich wiegte sie schon auf dem Schoß,

Sang an ihren Bettchen Schlummerlieder.

Kramte schon in mir nach alten Sagen
And der immer schönen Märchen Pracht.

Ach, dies Glück!... Ich schaut's an allen Tagen,
And ich träumte es in jeder Nacht."

Vater nickt: „Auch ich sah schon die Rangen.
Nein, was war dir das ein tolles Blut!

Wie sie jauchzend in die Stube sprangen
Voller Neckerei und Äbermut!

Wie sie lustig um den Bart mir gingen —

So wie jetzt: zur Zeit der Dämmerung...

Ach, da wuchsen meinen Jahren Schwingen,

And ich selber ward noch einmal jung!..."
 
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