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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0083
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8956 -

Auf Horchposten.

(Schluß von Seite 8955.)

sich geräuschlos heranschleichen, konnte sie ent-
decken tind kaputtschießen. Und das war sicher
nicht ihr Wunsch.

Heute war wieder schivarzes Wetter. Der
ewige Sprühregen hatte zivar etivas nachge-
lassen, dafür aber hatte der Wind eingesetzt.
Der schwache Versuch des Mondes, durchzu-
dringen, war durch schwarzes Gewölk, das
sich am Firmament entlang schob, vereitelt
worden. Nur ab und zu konnten ihre Augen
den Geländestreifen vor ihnen ein ivenig dnrch-
dringen. Das war, wenn drüben bei Dixmui-
den, wo sie ganz nahe beisammen lagen, eine
Leuchtkugel aufstieg. Von deren Glanz drang
dann jedesmal eine fahle Blässe bis hier
herüber. Ein paar Augenblicke konnten sie
dann die Silhouette einer Pappelreihe er-
kennen, die gut dreißig Meter vor ihnen aus
dem Wasser stieg. An der Stelle, wo die
Pappelreihe von einem der sich über das
Wasser hebenden Wiesenstreifen durchschnitten
worden ivar, war zehn Meter vor den Bäu-
men ein kleiner Drahtverhau quer angebracht.
Diesen mußte der Feind übersteigen, wollte er
näher an sie herankommen.

In der Mitte von den dreien lag der Unter-
offizier. Er hatte die Hauptverantwortung.
Ehe sie die Ferme verlassen, hatten sie sich,
wie stets vor dem Beziehen der Horchstellen,
über ihr Verhalten auf ihren Plätzen verstän-
digt: scharf Obacht geben und beiin Erkennen
feindlicher Schleicher die größte Ruhe bewah-
ren. Ruhig herankommen lassen, dann anrufen
und, falls ein Ergeben nicht klar erkennbar,
sofort schießen.

Gewohnheitsmäßig lauschten sie in die Nacht
hinaus. Der scharfe Wind, der von der See
her über die Polder durch die kahlen Pappeln
fuhr, wollte manchmal ihre Ohren betrügen.
Einmal war es dem Unteroffizier, als hätte
er vor sich einen Schatten gesehen, doch konnte
er nichts Bestimmtes behaupten. Ein Anrufen
und Fragen der Kameraden aber wollte er ver-
meiden. So laut durfte man in dieser dunklen
Nacht nicht sein. Wer weiß, ob nicht ein feind-
licherjSchleicher schon wenigeMetervor ihm lag.
Aber scharf aufpassen wollte er auf alle Fälle.

Jetzt glaubte er ganz deutlich einen Laut
gehört zu haben. Sicher, er hatte sich nicht
getäuscht, schien es doch nun, als ob da drüben
jemand im Schlamm patschte. Er packte das
Gewehr fester und bohrte seine Augen in die
Dunkelheit, drehte dann den Kopf etivas nach
links und horchte mit dem rechten Ohr. Dann
schmiegte er sich noch fester an den in Schlamm
gebetteten Strohsack, um so beim etwaigen
Aufflammen einer Leuchtkugel nicht gesehen
zu werden.

Da stieg auch schon eine auf. Im selben
Augenblick sah er, wie drüben bei den Pappeln
einige heranschleichende Gestalten rasch zu Bo-
den glitten. Jetzt wußte er Bescheid. Wenn nur
seine Kameraden Ruhe bewahrten und nicht
vorzeitig riefen oder gar schossen.

Auch die hatten, jeder für sich, das vorsich-
tige Patschen im Schlick gehört, waren aber in
Gedanken einig mit dem Unteroffizier, nichts
Voreiliges zu unternehmen. Wenn inan, zumal
bei dieser Finsternis, kein genaues Ziel hatte,
pilschten selbst auf zwanzig Meter die Kugeln

am Feind vorbei. Und wenn der ihnen dann
rasch einige Handgranaten vor die Nase schmiß,
zogen sie unzweifelhaft den kürzeren.

Jetzt drang eine kleine, kaum merkliche fahle
Mondblässe durchs Gewölk, geisterte matt über
das Feld.

Derllnterosfizier sah, wie drüben sich einige
Schatten hinter die hageren Pappelbäume flüch-
tete». Dann löste sich einer los und kam lang-
sam vorsichtig näher. Schritt für Schritt tastete
er. Schon konnte man erkennen, wie er jedesmal
mit seinem Stock fühlte, ob er für den nächsten
Schritt, den er machen ivollte, auch noch festen
Boden zu gewärtigen habe. Bei diesein durch
ersoffene frühere Schützengräben und Granat-
löcher zerklüfteten überschivemmten Gelände
war solches vonnöten.

Immer näher kam der dort drüben, blieb alle
paar Schritte stehen und schien zu horchen.
Das Gewehr hatte er über die Schulter ge-
hängt. Ob er Handgranaten bei sich führte,
war nicht zu erkennen.

Diesmal geht's auf Leben und Tod, dachte
der Unteroffizier. Ob auch seine Kameraden
den Belgier sahen? Er hatte gar nicht inehr
Zeit, auch iiur einen schielenden Blick nach
denen zu werfe»; der Mann vor ihm erfor-
derte alle Aufmerksamkeit.

Jetzt war er dicht bis an beit Drahtverhau
heran, hütete sich jedoch, diesen anzufassen.
Im Laufe der zwölfmonatigen Kriegsdauer
war man auf beiden Seiten geivitzigt ivorde».
Er ivußte, daß es Verhaue gab, die mit elek-
trischem Strom geladen waren, wußte auch,
daß man zuweilen schon durch Berührung
kleine, am Draht befestigte Grauateu entzün-
dete. Nur das Gesicht beugte er nieder. Ganz
dicht brachte er die Augen an das Drahtnetz,
prüfte dessen Harmlosigkeit und machte jetzt
Miene, es zu übersteigen.

Das war das Zeichen für den Unteroffizier.
Jetzt galt es zu handeln. Näher durfte man

Auf Urlaub aus Rußland.

mmmmimm ■1 m—m I B»' m

„Emil, ick jtoobe, du bist mir untreu jewvrdcu!"
„Aber tvoso merkste der?"

„Na, du erzählst ja uff eenmal, wat ,Liebe' auf rus-
sisch heißt!"

diesen auf keinen Fall kommen lassen. Ein
scharfes „Halt, Hände hoch!" fuhr durch die
Luft.

Doch der drüben dachte an kein Ergeben.
Blitzschnell hatte er sein Gewehr von der
Schulter gerissen und feuerte in die Dunkel-
heit hinein. Klatschend flog das Geschoß neben
dem Unteroffizier in den Schlamm. Im näch-
sten Augenblick fuhren drei rote zornigeStrahle
aus drei deutschen Feuerrohren, und von drei
Kugeln durchbohrt, wälzte sich ein tapferer
. belgischer Korporal in seinem Blute. Die an-
deren patschten eilig davon.

Ein lauteS Stöhnen drang jetzt vom Draht-
verhau her. „Duitscher, Kamrad — hilf!"

Die lagen ein paar Augenblicke still und
horchten. In der Ferne vernahmen sie noch
das Patschen. Dann richtete sich der Unter-
offizier auf, hing sein Gewehr über den Rücken
und rief leise und eintönig: „Kommt, Kame-
raden!" Alle drei gingen sie an den Draht,
hoben den Getroffene» hoch und über den
Zaun. Es war ein schiveres Stück Arbeit,
denn der stöhnte unaufhörlich. Stolpernden
Schrittes schleppten sie ihn auf den Sack des
Unteroffiziers, der noch warm war und jetzt
vom roten Blute benetzt ivurde.

Der Unteroffizier kniete neben dein Stöh-
nenden in den Schlamm und horchte ivieder
nach vorn.Der andere Kamerad ging zu feinem
Strohsack und tat das gleiche. Den dritten
hatten sie nach der Ferme geschickt. Nach zehn
Minuten kam er mit dem Sanitäter und vier
Kameraden, die eine Bahre trugen, im Lauf-
schritt zurück. Der Sanitäter, ein Medizin-
student, untersuchte und fand die Wunde» als
schwer. Nasch hatte er den Stöhnenden not-
dürftig verbunden. Dann hoben sie ihn auf
die mitgebrachte Tragbahre.und patschten mit
dieser zurück nach der Ferme.

Als sie dort ankameu, war das Stöhnen
des schwer getroffenen Korporals zu einem
leisen Wimmer» geworden. Nach wenigen
Minuten hörte auch das auf.

Als sie die Taschen des Toten durchsuchten,
fanden sie ein Formular, ivie es die belgischen
Soldaten fürPatrouillenmeldungen gebrauchen
und das den Truppenverband, zu dem sie ge-
hören, erkennen läßt. Es war bereits auf Ort
und Stunde ausgefüllt. Nur der Ausfertigcr
war nicht mehr zurückgekehrt....

Fahrt ins Lazarett.

Voll Karl Bröger.

Das Auto knattert durch die Nacht,
Beladen mit wunder, fiebernder Fracht.
Von seinen Laternen der starke Schein
Legt silberne Schienen ins Land hinein.
Daß auf so Hellen, lichten Gleisen
Mag blutende Liebe zur Leimat reisen.

Loher Pappel» gespenstischer Zug
Fliegt mit dem Auto, säumt den Flug.
Sterne sinken, Sterne steigen.

Tanzen ihren ewigen Reigen

And summen den wunderbaren Chor . . .

Lart in den Angel» kreischt ein Tor.

Ein blonder Kopf .. . eine weiche Land
Rückt das Kiffe», löst den Verband . . .
Sind wir im Limmel, sind wir im Bett?
Erstes Erwachen im Lazarett.. . .
 
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