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Perücke, eine goldpapierene Krone oder einen wallenden Feder-
busch auf dem Hute. Die Frauenrollen wurden durchweg von
Knaben gegeben. So wurden an die Phantasie des Zuschauers
nach unseren Begriffen
sehr hohe Anforderungen
gestellt, wobei man aller-
dings berücksichtigen muß,
daß die Dramatiker jener
Zeit, und vor allem Shake-
speare selber, schon allein
durch die auf der Bühne
gesprochenenWorteStim-
mungen zu erwecken wuß-
ten, die der Ausstattungs-
prunk unserer Tage ver-
gebens hervorzurufen sich
bemüht. Der anbrechende
Morgen, die müde Ruhe
eines Sonnenuntergangs,
der Gewittersturm oder
das Mondlicht der Som-
mernacht, das »sanft auf
dem Hügel schläft» ■— wie
werden sie durch dieMacht
der Shakespeareschen
Poesie vor unsere Seele
gezaubert! Aber immer-
hin, dieBühne, auf der die
Dramen des größten Dra-
matikers ihre Urauffüh-
rungen erlebten, war dürf-
tig genug und konnte sich
mit der entwickelten Sze-
nerie der zeitgenössischen
französischen und italieni-
schen Bühne nicht messen.
Shakespeare begann mit
der Bearbeitung älterer
Stücke für seine Truppe
und wagte sich dann all-
mählich an die Abfassung
selbständiger Werke. Da-
bei stand er anfangs noch
völlig imBannedeslitera-
rischen Modegeschmacks
seiner Zeit. Er wollte vor
allem ein erfolgreicher
Bühnendichter sein, dank-
bareRollen und effektvolle
Szenen schaffen.Er schrieb,
was seinem Publikum ge-
fallen sollte, und er schrieb
so, wie das Publikum es
liebte und gewohnt war.
Die »Gründlinge im Par-
kett« aber waren derbe,
einfache Handwerksleute,
rohe, stiernackige Matro-
sen und dergleichen, deren
starke Nerven die aller-
kräftigstenReizmittelver-
langten. Das Krasse, Blu-
tige, Schauerliche sagte ihnen vornehmlich zu — und in solchen
Effekten schwelgte auch Shakespeare in seiner Erstlingstragödie
»Titus Andronikus«, die mit ihrer bombastischen, blutrün-
stigen und kraftmeiernden Theatralik uns heute wie ein dra-
matisierter Hintertreppenroman erscheint, zur Zeit ihres Ent-
stehens aber ein richtiges Zugstück war, das Jahrzehnte hindurch
aufden englischen Bühnen
immer wieder und wieder
mit Erfolg gegeben wurde.
Aber auch die feiner Ge-
bildeten, der Adel und die
gelehrte Bürgerschaft be-
suchten dasTheater. Diese
wurden zwar auch durch
Stücke wie »Titus Andro-
nikus« ergriffen, durch-
schauert und hingerissen,
aber sie verlangten noch
eine andere Speise, eine
besondere, uns heute völ-
lig ungenießbare Art von
Geistreichigkeit, wie sie
ihnen Shakespeare in sei-
nen frühesten Lustspielen
kunstgerecht zubereitete.
Elegante zierliche Salon-
dialoge, angefüllt und bis
zum Überdruß überfüllt
mit spielerischem Wortge-
plänkel und gedrechselten,
silbenstechenden Witzen
bildeten die Hauptreize
dieserKunstgattung, deren
Musterbeispiel die Komö-
die »Verlorene Liebes-
müh'« ist. Daneben aber
zollte die Muse des jungen
Shakespeare dem poeti-
schen Modegeschmack der
Zeit auch noch auf andere
Art ihren Tribut. In ein
paar lyrisch-epischen Dich-
tungen — »Benus und
Adonis« und »Tarquin
und Lukrezia« — sowie
in einem Teil seiner »So-
n e tt e«wetteiferte derjun-
ge Dichter mit dem glän-
zenden Wort- und Bilder-
prunk der romanischenRe-
naissancepoesie und ließ
vor seinen Lesern den an-
tikenGötterolymp und die
Gestalten der klassischen
Mythologie aufmarschie-
ren. Diese Schöpfungen
haben den Namen Shake-
speare bei den englischen
Zeitgenossen früher be-
rühmt gemacht als seine
dramatischen Meister-
werke.
Aber erselbstwuchs über
sich hinaus. Er blieb nicht
lange der beliebte Komö-
diant und Komödienschreiber. Sein Horizont erweiterte sich
mächtig im Londoner Leben. Seine Phantasie sammelte und
verarbeitete die tausendfältigen Eindrücke, die hier auf ihn
William Shakespeares Grabdenkmal in der Vreieinigkeitskirche zu Stratfard.
Übertragung der Inschrift unter der Lüste.
An Weisheit einen Nestor, an Geist einen Sokrates, an Kunst einen Virgil
Bedeckt die Erde, betrauert das Volk, empfängt der Olymp.
Steh, Wandrer, eile nicht vorbei in Last!
Lies, wenn du kannst, wen hier vom Tod umfaßt
Dies Denkmal einschließt; Shakespeare ist's; zugleich
Mit ihm starb auch Natur; nicht Prunk macht reich
Dies Grab, nein, nur sein Name, denn er schrieb,
Daß heut'ger Kunst nur ihm zu dienen blieb.
Perücke, eine goldpapierene Krone oder einen wallenden Feder-
busch auf dem Hute. Die Frauenrollen wurden durchweg von
Knaben gegeben. So wurden an die Phantasie des Zuschauers
nach unseren Begriffen
sehr hohe Anforderungen
gestellt, wobei man aller-
dings berücksichtigen muß,
daß die Dramatiker jener
Zeit, und vor allem Shake-
speare selber, schon allein
durch die auf der Bühne
gesprochenenWorteStim-
mungen zu erwecken wuß-
ten, die der Ausstattungs-
prunk unserer Tage ver-
gebens hervorzurufen sich
bemüht. Der anbrechende
Morgen, die müde Ruhe
eines Sonnenuntergangs,
der Gewittersturm oder
das Mondlicht der Som-
mernacht, das »sanft auf
dem Hügel schläft» ■— wie
werden sie durch dieMacht
der Shakespeareschen
Poesie vor unsere Seele
gezaubert! Aber immer-
hin, dieBühne, auf der die
Dramen des größten Dra-
matikers ihre Urauffüh-
rungen erlebten, war dürf-
tig genug und konnte sich
mit der entwickelten Sze-
nerie der zeitgenössischen
französischen und italieni-
schen Bühne nicht messen.
Shakespeare begann mit
der Bearbeitung älterer
Stücke für seine Truppe
und wagte sich dann all-
mählich an die Abfassung
selbständiger Werke. Da-
bei stand er anfangs noch
völlig imBannedeslitera-
rischen Modegeschmacks
seiner Zeit. Er wollte vor
allem ein erfolgreicher
Bühnendichter sein, dank-
bareRollen und effektvolle
Szenen schaffen.Er schrieb,
was seinem Publikum ge-
fallen sollte, und er schrieb
so, wie das Publikum es
liebte und gewohnt war.
Die »Gründlinge im Par-
kett« aber waren derbe,
einfache Handwerksleute,
rohe, stiernackige Matro-
sen und dergleichen, deren
starke Nerven die aller-
kräftigstenReizmittelver-
langten. Das Krasse, Blu-
tige, Schauerliche sagte ihnen vornehmlich zu — und in solchen
Effekten schwelgte auch Shakespeare in seiner Erstlingstragödie
»Titus Andronikus«, die mit ihrer bombastischen, blutrün-
stigen und kraftmeiernden Theatralik uns heute wie ein dra-
matisierter Hintertreppenroman erscheint, zur Zeit ihres Ent-
stehens aber ein richtiges Zugstück war, das Jahrzehnte hindurch
aufden englischen Bühnen
immer wieder und wieder
mit Erfolg gegeben wurde.
Aber auch die feiner Ge-
bildeten, der Adel und die
gelehrte Bürgerschaft be-
suchten dasTheater. Diese
wurden zwar auch durch
Stücke wie »Titus Andro-
nikus« ergriffen, durch-
schauert und hingerissen,
aber sie verlangten noch
eine andere Speise, eine
besondere, uns heute völ-
lig ungenießbare Art von
Geistreichigkeit, wie sie
ihnen Shakespeare in sei-
nen frühesten Lustspielen
kunstgerecht zubereitete.
Elegante zierliche Salon-
dialoge, angefüllt und bis
zum Überdruß überfüllt
mit spielerischem Wortge-
plänkel und gedrechselten,
silbenstechenden Witzen
bildeten die Hauptreize
dieserKunstgattung, deren
Musterbeispiel die Komö-
die »Verlorene Liebes-
müh'« ist. Daneben aber
zollte die Muse des jungen
Shakespeare dem poeti-
schen Modegeschmack der
Zeit auch noch auf andere
Art ihren Tribut. In ein
paar lyrisch-epischen Dich-
tungen — »Benus und
Adonis« und »Tarquin
und Lukrezia« — sowie
in einem Teil seiner »So-
n e tt e«wetteiferte derjun-
ge Dichter mit dem glän-
zenden Wort- und Bilder-
prunk der romanischenRe-
naissancepoesie und ließ
vor seinen Lesern den an-
tikenGötterolymp und die
Gestalten der klassischen
Mythologie aufmarschie-
ren. Diese Schöpfungen
haben den Namen Shake-
speare bei den englischen
Zeitgenossen früher be-
rühmt gemacht als seine
dramatischen Meister-
werke.
Aber erselbstwuchs über
sich hinaus. Er blieb nicht
lange der beliebte Komö-
diant und Komödienschreiber. Sein Horizont erweiterte sich
mächtig im Londoner Leben. Seine Phantasie sammelte und
verarbeitete die tausendfältigen Eindrücke, die hier auf ihn
William Shakespeares Grabdenkmal in der Vreieinigkeitskirche zu Stratfard.
Übertragung der Inschrift unter der Lüste.
An Weisheit einen Nestor, an Geist einen Sokrates, an Kunst einen Virgil
Bedeckt die Erde, betrauert das Volk, empfängt der Olymp.
Steh, Wandrer, eile nicht vorbei in Last!
Lies, wenn du kannst, wen hier vom Tod umfaßt
Dies Denkmal einschließt; Shakespeare ist's; zugleich
Mit ihm starb auch Natur; nicht Prunk macht reich
Dies Grab, nein, nur sein Name, denn er schrieb,
Daß heut'ger Kunst nur ihm zu dienen blieb.