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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0117
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— 8990

Zerschossener Friedhof.

Der einsame Friedhof hinter der Stadt
Sich in ein Chaos verwandelt hat;

Lier schlugen lange, tagaus tagein,

Von beiden Seile» Granate» hinein.

Von einstiger Weihe kaum ein Schimmer —
Zerwühlte Erde, Marmortriiinmer —
Fernher verkündet noch Schuß auf Schuß
Den Toten drunten der Lebenden Gruß.

Dort ein zerbrochenes Kruzifix,

Dran Jesus Christus gebrochenen Blicks.

Er senkt das Laupt voll Wunden und Blut,
Not umschimmcrt von Abendglut.

Nur ab und zu eine Inschrift sagt.

Daß hier einst Mensche» um Menschen geklagt.
In große» Lettern steht — ist es Lohn? —
„Üier ruht in Frieden mein lieber Sohn...

Auf einer eingesunkenen Gruft
Blühe» Veilchen mit süßem Duft.

Sie trösten die Verzagien hienieden:

Bald ruhen alle wieder in Frieden. . . .

Die Mutter.

9?on A. Sb,

Das Waschhaus liegt hart am Flusse, mit
der offenen Seite zum Wasser hin. Eigentlich
ist's nur ein lose zusammengefügter Bretter-
schuppen. Stark zugig ist's immer in dein feuch-
ten, Halbdunkel» Raume. An dieseni Apriltage
jedoch, au dem ein scharfer Ost geradeswegs
vom Wasser herblies, ivar's bitterkalt da. Ein
Kriegslazarett hatte hier eine Waschanstalt ein-
gerichtet. Die beschäftigungslosen Frauen der
Stadt drängten sich in Scharen zu der schive-
rcn Arbeit, inid ivenn einmal ein Posten frei
mürbe, war er im Handumdrehen ivieder
besetzt.

Daruin hielt Frau Werner, die Zimmer-
»lannswitwe, auch tapfer dort aus, obgleich
sie alt und gebrechlich war. Sie bezog zwar
als Mutter eines Kriegsteilnehmers, der ihr
Ernährer war, das zum Lebensunterhalt Nö-
tigste aus den Mitteln der Kriegsfürsorge. Aber
sie ivollte noch soviel als möglich nebenbei
verdienen. Denn ihr Karl, ihr Einziger, war
verivundet uiid gefangen in Feindesland und

dann von de» Franzosen iveit, iveit weg nach
Afrika verschleppt ivorden. Wie es da aussah,
hatte sie anfangs nicht gewußt. Er hatte ja
nur geschrieben, daß er jetzt im Barackenlager
von Rabat in Marokko 'sei, lind daß sie sich
keine Sorgen machen sollte, da es ihm gut
gehe.

Aber deS Nachbars Fritz, der Lehrer wer-
de» ivollte und schon vieles wußte von frem-
den Menschen und Gegenden, halte in unbe-
dachter Geschwätzigkeit von der grausame»
Hitze da unten erzählt und von der harten
Behandlung der Gefangenen durch die Auf-
seher: Turkos und Senegalneger. Da hatte sich
das Herz der arme» Mutter zusammeuge-
krainpft in banger Sorge und bitterem Leid.
Und darum ivollte sie ihm auch tatkräftig
helfen! Wie kann eine Mutter ihr Kind in
Not wissen und nicht wenigstens versuchen,
ihm zu helfen. Eine feste Stelle als Aufwarte-
oder Arbeitsfrau würde sie bei ihren siebzig
Jahren und ihrer Gebiechlichkeit ganz gewiß
nicht bekommen. Da konnte sie von Glück
sagen, daß in der vorigen Woche ihre An-
stellung als Wäscherin im Lazarettwaschhause
erfolgt war. Und nun stand sie schon die
ganze Woche bei Tagesgrauen an ihrem Platze,
beugte unverdrossen den altersschwachen Rük-
ke» über den Zuber und arbeitete mit ihren
gichtgeschwollene» Händen unverzagt in der
heißen, ätzenden Lauge oder im eiskalten,
messerscharfen Abspülwasser. Ihr Mutterherz
aber jubelte dabei. Die paar Mark, die sie
täglich in harter Fron verdiente, kamen doch
ihrem Kinde zugute. Bald würde sie so viel
beisammen haben, daß er sich leichte Leinen-
kleidung und einen schützenden Strohhut würde
kaufe» können. Denn die schmucke feldgraue
Uniform war ja für einen ganz anderen Him-
mel berechnet gewesen. Die mußte ihn ja in
dem heißen Lande dort einschnüren wie in
einen Feuerpanzer. Könnte er nur bald wie-
der die kühle Lust der Heimat atmen!...

Aber heute war's doch bitterkalt hier. Hu,
wie scharf der Wind übers Wasser blies!
Gerade wie mit Messern durchschnitt er die
Brust. Nun würde sie diese Nacht wieder das
Asthma haben. Und die schrecklichen Herzbe-
klemmungen. Einerlei. Sie mußte aushalten.
Die eigenen Schmerzen wollte sie ihrem Sohn

zulieb schon ertragen. So achtete sie nicht, daß
Fieberschauer ihren gebrechlichen Körper schüt-
telten in wechselnder Kälte und Glut.

„Ihr strengt Euch zu sehr an, Fra» Werner.
Ihr habt ja ein feuerrotes Gesicht!"

„Ach, das macht nichts, Luischen," beruhigte
sie die mitleidige junge Nachbarin. „Ich muß
mich heute besonders plagen, um ein Stünd-
chen eher fertig zu werden, weil ich noch zur
Post muß." Aber sie mußte sich doch wunder»,
wie beschwerlich ihr auf einmal das Sprechen
war. Und wie weh ihr die Brust dabei tat.
So, als habe sie flüssiges Feuer in den Adern.

Mit vieler Mühe vollendete sie ihr Tag-
werk. Auf dem Bureau nahm sie mit beschei-
denem Stolze den Wochenlohn entgegen. Nun
hatte sie zwanzig Mark. Zwanzig Mark! Das
war was Besseres als die paar Groschen, die
sie bisher schicken konnte. Nun schleunigst zur
Post damit, ehe die Schalter geschlossen sind.
Morgen ist ja Sonntag. Und iver weiß, was
am Sonntag sein wird? . . .

Es flimmerte ihr so eigen vor den Augen,
während sie mühsam die Buchstaben der langen
Adresse hinmalte. Und nun noch ei» paar
herzliche Worte: „Mein liebes Kind, hoffent-
lich geht's Dir gut! Kaufe Dir etwas Gutes
für das Geld. So Gott will, schicke ich bald
mehr. Es grüßt und küßt Dich Deine treue
Mutter."

Diese zwanzig Mark aber waren das letzte
Geld, das die Mutter schickte. Am andern
Morgen konnte sie ihr Lager nicht verlassen.
Der von den Nachbarn herbeigcholte Arzt
stellte eine gefährliche Brustfellentzündung fest
und ordnete die Überführung der schwer Lei-
denden ins Krankenhaus an. Sie klagte nicht.
Sie murmelte nur von Zeit zu Zeit mit ihrer
schwachen, heiseren Stimme: „Dir zulieb, mein
Sohn, damit es dir gut gehe!"

Drei Tage nachher ist sie verschieden. Und
ivie es so geht in diesein unvollkommenen
Leben: ihr armer Sohn hat die mit dem Leben
erkaufte Liebesgabe der Mutter auch nicht mehr
erhalte».

Ein paar Wochen, nachdem die Mutter in
ihrer Sorge um ihn die harte Arbeitsstelle in
der Waschanstalt angenommen, halte er mit
andern kriegsgefangenen Kameraden und mit
ein paar Fremdenlcgionären in der Ruinen-
 
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