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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0119
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>-• 8992

Der Äamster.

Ein moderner Beitrag zur Naturgeschichte.

Die Hamster (eriostus) sind eine Säuge-
tiergattung aus der Ordnung der Nagetiere
und der Familie Wirkriegendenhalsnichtvoll.
Die meisten Angehörigen dieser Gattung zeich-
nen sich durch einen dicken Kopf, kurzen, dicken
Hals und einen Hängebauch aus, doch finden
sich nicht selten auch Exemplare ohne Fett-
polster mit langem, hageren Halse und einer
Geiernase, Die Allgen treten bei allen hab-
gierig und lauernd hervor; der Gang ist auf-
recht und schleichend; die Vorderpfoten oder
Krallen sind stets wie nach Beute greifend
gekrümmt und werden als Hände gebraucht,
Auffällelld erscheinen besonders die
großen Backen-, Kleider-, Geld- und
Markttaschen/ desgleichen die ewig
fletschenden Nagezähne, DieHamstcr
leben in ganz Europa und den übri-
gen Erdteilen; allen ihren Arten ist
das Bestreben gemeinsam, zu rau-
ben illld aufzuspeichern, was ihnen
an irgendivetchen Dingen von Wert
unter die Pfoten komint.

Der gellieine Hamster (auch
Kornferkel, orieetu8 lrumenta-
iiu8, genannt) tritt besonders zahl-
reich in Kriegszeiten auf ulid bildet
die spezielle Art der Kriegs-
hamster. Der Kriegshainster zeigt
sich als der civig raubgierige Schäd-
ling aller menschlichen Kulturell.

Seine Höhlen, bestehend aus meh-
reren Wohnräuinen, sind stets mit
einer großen Vorratskammer ver-
bllnden und finden sich sowohl in
städtischen ivie ländlichen Gebieten,

Sie eriveisen sich bei näherer Untcr-
suchuiig als reichassorlierle Lager-
stätten menschlicher Nahrungsmittel,
als da sind: Kartoffeln, Korn (da-
her der Name Kornferkel!) Butter,
Schweinefleisch, Speck, Schinken,

Wurst »sw,, doch finden sich in den
Höhlen der städtischen Abart auch
Militärtornister, Hosenträger, Huf-
eisen usw. 9Ute, gerissene Rammler
graben sogar mehrere Speicher, die
sie mit großer Schlauheit zu füllen
und zu hüten missen. Es genügt dem Hainster
keineswegs, seinen Unterhalt auf Monate hinaus
gesichert zu wissen; er speichert selbst dann
Vorräte auf, wenn es ihm ganz umnöglich ist,
sie selber zu verzehren, und läßt sie lieber ver-
derben, als daß er anderen hungerigen Wesen
Zutritt zu seiner Speisekammer gestattet.

An sich nicht von starkem Angriffsgeist be-
seelt, kann er sehr zornig und wild werden,
wenn seinen Vorräten Gefahr droht. In diesem
Falle wird der Kriegshamster ein höchst ge-
fährliches Subjekt, das weder Landrat noch
Bürgermeister scheut. Die Angaben einzelner
Forscher, daß der Hamster von Oktober bis
Februar seine Röhren verstopfe und inmitten
seinerVorräteWinterschlaf halte,haben sichnur
insofern als stichhaltig erwiesen, als in dieser
Zeit in der Tat die Röhren zum Kartoffelvor-
rat vielfach verstopft und nur mit Hilfe neuer
Höchstpreisverordnungen zu öffnen waren.Im
allgemeinen jedoch schläft der Kriegshamster

auch im Winter nicht, sondern zieht sich nur
einen dicker» Pelz mit zahlreichen Taschen an,
um diese auch noch mit Beute zu füllen.

Der gefährlichste Feind des Hamsters ist der
Staatsanwalt, der bemüht ist, ihn in den
Maschen des Gesetzes zu fangen. Manchnml
gelingt es; meistens aber nicht. Bei seiner
notorischen Gerissenheit und unglaublichen Ge-
wandtheit gelingt es ihm recht oft, seinem
Jäger eine Nase zu drehen.

Über das Familienleben des Hamsters wird
verschieden berichtet. Während einige Forscher
bei der städtischen Abart von einer fruchtlosen
Paarung mit Balletratten sprechen, glauben
andere, einen ausgeprägten arlreinen Fami-
liensinn konstatieren zu können. Hiernach wirft

das Weibchen mehrere Junge, bei denen in
der Regel schon in früher Zeit der ererbte
elterliche Raubsinn zutage tritt. Aus diesem
Grunde erscheint eine völlige Ausrottung mit
den gegenwärtig zur Verfügung stehenden
Mitteln wenig wahrscheinlich.

Zu bemerken wäre schließlich noch, daß das
Fell des gemeinen Hamsters von außerordent-
licher Dicke und dieser selbst zu allen Jahres-
zeiten ungenießbar ist. Pan.

Reim-Karten.

Satire von P. E.

Der Lyriker Nepomut Seidenschwanz saß im
Cafö „Größenwahn" und kaute wütend an
seinem Federhalter. Ihm >var passiert, was
einem so großen Lyriker nie hätte passieren
sollen: ihm war der Reim ausgegangen. Seit
einer halben Stunde quälte er sich vergeblich
damit ab, einen recht schönen, schlagfertigen

Reim auf die Zeile: „Die deutschen Kanonen
grüßen Verdun" zu finden, aber er konnte sich
doch nicht entschließen, ein anderes Schluß-
wort für „Verdun" zu wählen.

Allmählich ermüdete ihn der Kampf mit dem
tückischen Objekt — vielleicht auch das genos-
sene Pilsner — er legte sich bequem in das
Plüschsofa zurück und dämmerte ein.

Plötzlich stand ein Herr an seinein Tisch,
den er gar nicht kannte, nahm mit unerhörter
Dreistigkeit sein unvollendetes Manuskript und
las es durch. „Schon ivieder ein Kriegsgedicht?"

„Ich bin so frei," sagte der Lyriker. „Ich
habe bis jetzt jedes Ereignis zu Land, zu Wasser,
unter Wasser, in der Luft besungen und sollte
die Ereignisse von Verdun nicht besingen?"

„Ja, haben Sie bei Ihrem enor-
men Reim-Verbrauch denn noch
Reim-Karten übrig?"

„Reim-Karten?" Dem Lyriker
blieb der Mund vor Staunen offen
stehen.

„Haha," lachte der Fremde, un-
aufgefordert sich zu ihm setzend.
„Sie scheinen von dem neuen Gesetz
noch nichts zu wissen. Hier lesen
Sie mal!"

Nepomuk Seidenschivanz las mit
steigendem Entsetzen die Begrün-
dung des neuen Gesetzes: „Da
Deutschland bei dem unvernünftigen
Reim-Konsum bald am Ende seiner
Reime angelangt sein dürste, ist es
höchste Zeit, die vorhandenen Vor-
räte zu .strecken'. Es werden daher
nach demVorbild der Brot-, Fleisch-,
Milch- und Butterkarten auch Reim-
Karten eingeführt. Jedem Deutschen,
der das Abc beherrscht und der da-
her Kriegsgedichts macht, steht mo-
natlich eine bestimmte Anzahl von
Reimen zu. Diese Reim-Karte hat
er bei jeder Einreichung eines Ge-
dichts dem Redakteur vorzulegen,
der die entsprechende Anzahl Reim-
Marken abreißt — —"

Hier stockte der Lyriker. „Und
wenn die Reim-Karten aus sind?"
fragte er ängstlich.

„Dann ist es mit der Reimerei
bis zum nächsten Monat aus," ant-
wortete der Fremde.

„Muß das sein?"

„Natürlich. Es war die höchste Zeit, die
allerhöchste. Sonst ständen wir plötzlich eines
Tages vor der. Tatsache, daß die deutschen
Reime dein.Abnützungskrieg' rettungslos zum
Opfer gefallen sind und daß ivir alles in Prosa
schreiben müßten! Caveant consules!“

„Entsetzlich!" schrie der Lyriker und-

erwachte bei seinem eigenen Schrei.

Er rieb sich die Augen. Gott sei Dank, er
hatte nur geträumt.

Und schleunigst machte er sich über sein Ge-
dicht her, das unharmonische „Verdun" durch
das bequemere „der Feind" ersetzend. Eine
Viertelstunde später sandte er es bereits an
die unglückliche Redaktion, die unter der Flut
der Kriegslyrik fast ertrank.

Er beeilte sich sehr. Denn was wurde aus
ihm, wenn der Traum doch noch — Wahrheit
ivürde??

Modernes Märchen.

„Es war einmal vor viele», vielen Jahren, als es »och
Goldstücke gab . . ."
 
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