Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0129
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
9002

Sein letzter Gruß.

f Von Ernst Klaar.

„Mir geht es gut", so hat er geschrieben,
„Ich bin noch heil und gesund und frisch" —
Mit Freuden hören es seine Lieben,
Geschart zum Mahl um den runden Tisch.

Sie schwärmen von den gemeldeten Taten,
Von Heldentum in Not und Gefahr:

„Es ist halt doch das Blut des Soldaten,
Das immer und immer schon in ihm war!"

Bereits auch trägt er das Kreuz von Eisen,
Errungen in blutigem Kainpf und Streit —
Und ihre Gedanken ziehen und kreisen
In frohe, ferne und selige Zeit. —

Derweilen sie so noch schwatzen und träumen
In glücklich froher Familienrund,

Liegt draußen unter zerschmetterten Bäumen
Ein junger Krieger, zu Tode wund.

Von feindlicher Kugel liegt er getroffen.
Gefallen ist er in Sturm und Braus —
Und alles Wünschen und alles Äoffcn.

Es ist zur selbigen Stunde aus!

Die Wildsall und der Schimmel.

Von Karl Bröger.

Der Sauitätsgefreite Johann Frieser pfeift.
Wenn der SanitätSgefreite Johann Frieser
pfeift, dann ist sicher der Herr Stabsarzt daran
schuld, der ihn wieder einmal gehörig ange-
haucht hat. Sie führen nämlich einen Krieg
im Krieg, der Sanitätsgefreite Johann Frieser
und der Herr Stabsarzt Or. Salmonsohn. Das
ganze Regiment weiß davon und ergötzt sich
weidlich über die umlaufenden Berichte dieses
Privatkriegs.

Frieser ist fett, faul und frech, drückt sich
bei jeder Gelegenheit und verschwindet sofort,
ivenn der Bataillonsstab einrückt, um für einige
Stunden unsichtbar zu bleiben. Erscheint er
dann wieder auf der Bildfläche, dann ist zehn
gegen eins 311 weiten, daß er auf den Beinen
nicht mehr ganz sicher steht unb im Umkreis
einer Arinlänge nach Alkohol duftet. Der Stabs-
arzt Or. Snlmonsohn behauptet, daß Frieser
noch an seinem Heldentod schuldig würde.

„Gefreiter Frieser, >vo haben Sie ivieder
gesteckt? Jetzt wird nrir die Geschichte aber
zu dumm. Glauben Sie ivirklich, man hat
Sie nach Frankreich gefahren, damit Sie sich
jeden Tag vollsaufen? Ich iverde Sie dem
Herrn Regimentsarzt melden. Verstanden?"

Keine Wimper zuckt in dein derben, wie mit
einem Zimmermaunsbeil zugehaucnen Gesicht
Friesers. Die kleinen, immer etivas verkniffe-
nen Äuglein schauen geradeaus in die Luft
über den kleinen, zierlichen Stabsarzt iveg,
der kurz kehrt macht rlnd in seiner Unterkunft
verschwindet.

Seit diesem Angriff lehnt der Sanitäts-
gesreite Johann Frieser an der Wand des noch
fast erhaltenen Hauses, ivoriil der Bataillons-
stab untergebracht ist. Lehnt dort nnb pfeift
den schönen Choral „Wer nur den lieben Gott
läßt ivalten. . . ." Frieser pfeift nämlich meist
Kirchenlieder.

Eine milde Oktobersonne bescheint das Dorf
Arleux. Blinzelnd guckt Frieser über die von
hellen Lichtstreifen durchzogene Straße, reibt
sich heftig und nachdenklich das von gräulichen
Bartstoppeln bestandene Kinn und schwenkt ȟt
einem plötzlichen Entschluß um die Straßen-
ecke. Ein halbdunkler Hausflur niinmt die
stämmige Gestalt auf.

* -i-

*

'Gegen Mittag geht Alarm. Schon den ganzen
Vormittag ist vor uns geschossen worden, doch
war deutlich zu hören, daß es sich dabei nur
um kleinere Patrouillenkämpfe handeln konnte.

Wir sind auf der Dorfstraße angetreten,
Gesicht nach dem Gefechtslärm. Die Anord-
nungen und Kommandos lassen keinen Zweifel:
wir kommen bald ins Feuer. Krankenträger
und Hilfskrankenträger sind schon ausgetreten
und haben sich um den Stabsarzt versammelt.

Einer fehlt »och der Sanitätsgefreite
Johann Frieser. Der Stabsarzt Or. Salmon-
sohn tritt von einem Fuß auf den andern,
zerrt wütend an feinem dunklen Stutzbart und
zeigt große Lust, loszuplatzen.

Das Regiment tritt «n. Wir vom zweiten
Bataillon sind Unterstützung, schließen also
zuletzt auf. Eben kommt der Befehl „Tornister
aus! Gewehr in die Hand!", als hinter' uns
ein Pollern und Rumpel» anhebt, als ob ein
Haus einstürzen wollte.

Ausländische Satire.

Nach „Borßzem gaistü", Budapest.

Um die Straßenecke schiebt sich langsam ein
feldgraues Hinterteil. Die Füße mit aller Ge-
walt eingestemmt, scheint der Mann aus Leibes-
kräften an einem heftig widerstrebenden Gegen-
stand zu zerren. „Hundsheiter, französischer!
Willst oder willst net!"

Jetzt sieht man auch das hochrote Gesicht
des Sanitätsgefreiten Johann Frieser, dicht
gefolgt von einem struppigen, ungepflegten
Pserdekopf, so daß es wirklich schiver zu unter-
scheiden ist, wo der Mensch aufhört und das
Pferd beginnt.

Mit lästerlichen Fluch- und Schimpfworten
reißt Frieser die sehr störrische Mähre am
Zaum, läßt dazwischen einige Lock- und Schnalz-
laute einfließen und erreicht schließlich doch,
daß das Vieh nachgibt.

„Frieser, Menschenskind, was wollen Sie
bloß mit der Schindmähre? Wollen Sie etwa
gar spazieren fahren?"

Frieser grinst dem Stabsarzt breit ins Ge-
sicht, ehe er vorschriftsmäßige Haltung an-
nimmt. „Entschuldig'«, Herr Stabsarzt! Den
Gaul Hab ich g'funden und denk, 's könnt nix
schaden, wenn dös Luder, dös bockbeini, a bißl
fahrt. Wird ja sunst dämpsi. . . ."

Ei» zweifelnder, aber nicht unfreundlicher
Blick Dr. Salmonsohns beantworlet diese lange
Rede. Es leuchtet dem Arzt ein, daß es unter
Umständen von großem Wert sein kann, Ver-
wundete schneller, als dies mit der Tragbahre
möglich ist, zurückzuschafsen.

Frieser wartet gar keine weitere Antwort
ab. Er versetzt dem dürftigen Tier — es is!
ein durch längere Vernachlässigung verschmutz-
ter Schimmel — einige aufmunternde Püffe,
schwingt sich stöhnend auf den Bock des kleinen
Wagens und fährt hinter der Truppe her.

Der Anblick ist köstlich. Immer wieder wen-
den wir die Köpfe, um das Bild zu geniehen.
Der Wagen ist ein kleines, viereckiges Kasten-
fahrzeug, ähnlich den Wägen, mit denen man
bei uns daheim Kleinvieh transportiert. Da-
vor der knickebeinige Schimmel, der bedächtig
und wie verwundert den struppigen Kopf
schüttelt, und darauf der Sanitätsgefreite
Johann Frieser, über das fette, schwitzende,
im Glanz seiner wochenlangen Ungewaschen-
heit prangende Antlitz schmunzelnd.

Die Fahrt geht nicht so glatt und einfach,
wie sich das der faule Johann Frieser hinter-
listig eingebildet hat. Dcr Schimmel bleibt
öfters ruckartig stehen. Frieser, der einen kleinen
Nachmittagsnicker nicht verschmäht, wird jedes-
mal so aus dem Gleichgewicht geschültelt, daß
er wie ei» Ertrinkender mit den Armen rudert,
um nicht vom Bock zu falle». Eine Flut von
Verwünschungen ergießt sich als nächste Folge
über den Schimmel, der dadurch aber nicht
aus seiner Gemütsruhe zu bringen ist. Schließ-
lich bleibt dem Sanitätsgefreiten Frieser nichts
übrig, als sich vorzuspannen und dem Schimmel
durch ein gutes Beispiel die Notwendigkeit des
Ziehens zu beweisen. Dieses gute Beispiel wirkt
auch prompt. Der Schimmel wacht aus seinem
Hinbrüten auf und setzt sich in Galopp. Flu-
chend, schreiend, beschwörend rennt dann Frieser
neben dem Durchgänger her, bis es ihm ge-
lingt, das Pferd zu beruhigen.

„Hundsheiter, französischer! Wann i di nur
stehn g'lassn hält."

Frieser fährt eben mit uns in gleicher Höhe.
 
Annotationen