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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0130
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9003

„Na, Wildsau! Wohin willst denn mit deiner
Karbolkutsche?"

Solche und noch derbere Scherze fliegen
hinüber. Frieser weiß, daß mit der „Wildsau"
er und nicht etwa der Schimmel gemeint ist.
Im ganzen Regiment wird er mit diesem
Namen gerufen, der zwar für einen Menschen
nicht schön, bei Frieser aber überraschend zu-
ständig ist.

„Red net a su blöd, du Depp! Warst ja
doch froh, wannst aufsitz'» könnst. Aba do
hot's wos. . . ."

Die Wildsau ist nicht übelnehmerisch, doch
zu weit darf man es mit dem Sanitätsgefreiten
Frieser nicht treiben. Er
ist für seine urwüchsige
Grobheit bekannt.

Wir liegen am Wald-
rand, jeden Augenblick
des Befehls zum Eingrei-
fen gewärtig. Das Ge-
fecht ist in vollem Gang.

Gedeckt hinter einer
großen Strohdieme steht
der Wagen mit dem
Schimmel. Ein Kranken-
träger liegt davor und
hält das Tier am Zaum.

Frieser ist schon vorn in
der Gefechtslinie. Wir
wissen das alle. Denn so
saul und unlustig die
„Wildsau" im Quartier
ist, bei den ersten Schüs-
sen ist er nicht mehr zu
halten. Seine Kaltblütig-
keit hat dem Sanitäts-
gefreiten Frieser das Ei-
serne Kreuz eingetragen,
und zu einer anderen
Auszeichnung ist er be-
reits vorgeschlagen.

Von Zeit zu Zeit er-
scheinen am Ausgang
des Waldwegs Leichtver-
wundete, die noch selbst
den Verbandplatz auf-
suchen können.

Dann tauchen erst-
mals die Krankenträger
mit der Bahre ans. Sie
bringen einen Schwer-
getroffenen und legen ihn
hinterderStrohdiemebei
dem Wagen nieder. Gleich gehen sie ivieder
vor, »in den nächsten zu holen. Frieser ist
nicht dabei.

Die Krankenträger kommen wieder mit einer
Last. Die Heftigkeit des Gefechtes nähert sich.
Wir müssen wohl jeden Augenblick schwärmen.
Die ersten Geschosse surren über unsere Köpfe;
rechts von dein kleinen Wäldchen, an dem wir
liegen, haben die Franzosen ihre Front ver-
längert und schießen mit Maschinengeivehren ra-
send in die Richtung der Straße. Kleine Staub-
säulen, eine neben der andern, puffen ans der
Straßehoch ..die Einschläge der Geschoßgarben.

„Hallo, Kameraden! Daher und helft's
tragen!" Der Sanitätsgefreite Frieser schleppt
einen blutüberströmten Körper aus dem Wald.
Zwei, drei Leute springen ihm zur Hilfe.

„Treib den Heiter rum.... I will fahr»-

Dö zwa Seat muss'» in aner halb'» Stund im

Feldlazarett sei, snnst is g'sehlt mit dena_"

Da sind auch schon die zwei Verwundeten
in den Wagen gehoben, gut mit Stroh unter-
legt, und Frieser zerrt seinen Schimmel auf
die Straße. Der Kamerad spricht heftig ans
ihn ein, weist lebhaft gestikulierend nach den
unaufhörlich einschlagenden Geschossen der
Maschinengewehre und scheint sich redlich zu
bemühen, die Wildsau von dem gefährlichen
Unternehmen abznhalte». „Ach wos! I fahr und
wenn dö Franzmänner mit zwatausend Mutter
Gottes (Maschinengewehren) herschiaß'n-"

Damit fährt er los. Wir schauen in größter
Erregung dem verwegenen Kutscher nach. Wenn
nur der Schimmel nicht mitten auf dem Weg
stehen bleibt! Die Wildsau steht aufrecht auf
dein Kutschbock, fuchtelt mit den Händen nach
allen Windrichtungen und brüllt ans seinen
Schimmel ein, daß abgerissene Worte bis zu
uns herüberdringen.

Der Schimmel hält sich brav. Mächtig aus-
greifend trabt er die Straße entlang. . . . Jetzt
müssen die Franzosen den Fahrer bemerkt
haben. Die kleinen Säulen folgen dem Wagen,
kommen ihm näher und näher . . . verflucht.
Frieser krümmt sich zusammen. ... Er muß
getroffen sein.

Aber nein! Schon richtet er sich ivieder zu
seiner vollen Höhe auf, fährt sich mit drei

Fingern über den Mund, streift die nassen
Finger an seinem Hosenboden ab und streckt
die so abgetrocknete Handfläche höhnisch her-
ausfordernd nach den Franzosen aus ... eine
Pantomime von nmnißverständlichem Sinn.

Dann verschwindet die Wildsau und ihr
Schimmel um die Straßenbiegung.

Der Sanitätsgefreite Johann Frieser und
fein Schimmel haben die Fahrt noch öfter
gemacht. Es gibt eine Anzahl Menschen, die
ihnen, Uiid nur ihnen das Leben verdanken,
und die jener französischen Granate gram sind,
die an einem Dezembermorgen, aus blinder
Ferne abgefeuert, Man»,
Pferd und Wagen zer-
schmettert hat.

Dicht beieinander be-
grub man sie, die Wild-
sau und den Schimmel,
den deutsche» Mann und
das französische Pferd,
die dem Tod so oft den
Weg abliefen. . . .

Das schwerste Ver-
brechen.

Im Dorfe war große
Aufregung. Vor dem
Hause des Amtsvorste-
hers stand eine erregte
Menschenmenge. Das
Antlitz des Amtsvor-
stehers war auffallend
bleich. Der Gendarm
halte den Revolver ge-
laden und eine sehr ernste
Miene aufgesetzt. Dem
Amtsdiener zitterten alle
Glieder.

Ein Mann fragte den
armen Kerl: „Was ist
passiert? Ist jemand er-
mordet worden?"

Der Amtsdiener schüt-
telte den grauen Kopf.

„Ist vielleicht dieFrau
unseres Amtsvorstehers
durchgebrannt?"
DerArntsdienerschwieg
beklommen.

„Hat sie gar auf ihre
alten Tage ein Kind be-
kommen?"

Der Amtsdiener bekam kein Wort aus dem
Munde.

„Oder wollen gar die Sozialdemokraten eine
Versammlung abhalten?"

Der Mann blickte auf und sah eine Träne
am Auge des Amtsdieners hängen.

„Ja, um Gottes ivillen, was ist denn bloß
los?"

„Es ist ein Schwein gestohlen worden!"
hauchte der Amtsdiener, und ein Tränenbach
stürzte ans seinen Augen. M.

Der Familienschatz.

„Aber, Herr Rosenblüth, warum sagen Sie
denn zu Ihrer Frau immer: Mei' Gold?"

„Ans der Reichsbank möcht' ich sie abgeben!"

Michel und der verstopfte Brunnen.

„kjerrgottsakrament, warum gibt denn der
Brunnen gar nichts her?"

„va muß doch etwas nicht in Drdnung
fein!"

„Dha, was kommt denn da für ein merk-
würdiges Ving zum Vorschein!"

„Natürlich! ver alte Bureaukratenzopf hat
wieder einmal den (stuell verstopft! Jetzt wird
der Brunnen hoffentlich besser laufen!"
 
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