9039 —
L>eimat und Front.
Vom Tale herauf, von den Ebenen her.
Da rollen die Züge so lang und schwer.
Sie rollen nach Ost, sie rollen »ach West,
And keiner dem andern viel Vorsprung läßt.
Sie tragen alle gar sondre Last,
Zhr Leib nur Tod und Verderben faßt,
Granaten und Pulver, und Eisen und Blei,
And schauerlich Mordgerät dabei.
Sie tragen die Leiber voll Fleisch und Brot
And allem, was nur im Felde not,
VollLolz und Kohlen, voll Schuh und Gewand,
Voll Öl und Fetten zu Licht und Brand.
Die Leimat, selber von Mangel geplagt,
Zhr Letztes opfert sie unverzagt.
And was sie erdarbt und sich schwer erpreßt.
Das schickt sie freudig nach Ost und West.
0m Walde drüben der Kuckuck schreit
And kündet selige Frühlingszeit —
Lier aber rollen die Züge schwer
Zahllos und endlos zur Front, zum Leer.
E. K.
&&
Ein Menschenleben.
Die Schule war heute in sicht-
licher Erregung, Die Schüler liefen
durcheinanderrvieAmeisen in einem
aufgestörten Bau. Die Lehrer mach-
ten feierliche Gesichter. Man merkte,
daß etwas Besonderes in der Luft lag.
Um elf Uhr erfuhren alle, was
vor sich gehe» sollte: ihr Mitschüler,
der zwölfjährige Hans Miethke sollte
heute um zwölf Uhr gefeiert werden.
Der Herr 'Schulrat irnd der Herr
Bürgermeister würden kommen, sie
ivürde» Hans Miethke ein Ehren-
blntt und eine Geldspende überrei-
chen, und eine Rede würde ihren
tapieren, heldenmütigen Mitschüler
feiern.
Sie wußten alle bcn Grund: am
Pfingstmontag war ein kleiner
Bursche von vier Jahren von der
Wallböschung nbgestürzt und direkt
in den Graben gefallen. Er wäre
rctlnngslos ertrunken, wäre ihm
nicht Hans Miethke nachgesprungen.
Das Wasser war nicht gar zu tief,
aber cs ivar mit Schlingpflanzen
durchsetzt, die den Schwimmer fest-
hielten und ihm das Weiterkommen
erschwerten. Der Retter hatte denn
auch lange arbeiten müssen, ehe er
den Kleinen herausgefischt hatte und
seiner Mutter übergeben konnte, die
händeringend dem Vorgang zuge-
schaut hatte. Dann war er still und
bescheiden nach Hause gegangen.
Aber nun wurde er dafür gefeiert,
so daß die andern fast neidisch wur-
den. Der Schulrat überreichte dem
vor Verlegenheit ganz rot geworde-
nen Hans einen Zwanzigmartschein
und eine eingerahmte Urkunde, und
stellte ihn den andern als Vorbild
hin. Der Religionslehrer sprach noch
etwas, das in den Bibelspruch von denen aus-
klang, die ihr Leben einsetzen „für die Brüder".
Dann ging man auseinander.
* *
*
Auf dem Marktplatz drängte sich eine freudig
erregte Menschenmenge um die Anschläge am
Rathaus.
Der Religionslehrer und der Naturgeschichts-
lehrer, die von der Schule nach Hause gingen,
konnten zuerst nicht an die Extrablätter heran
und sprachen noch über die Rede des Schul-
rats. „Schön war es, wie er von dem Wert
und der Bedeutung eines Menschenlebens
sprach!" sagte der Naturgeschichtslehrer. „Wie
viel Mühe und Arbeit kostet es doch, einen
Menschen heranzuziehen und welchem kleinen
Zufall ist solch Leben doch preisgegeben-"
„Siebentausend Engländer umgekommen",
Ins einer laut aus dem Extrablatt vor. Er
las noch den Namen einer Anzahl von Kriegs-
schiffen, die gesunken waren. Aber davon ver-
stand man zu wenig. Jubelnd ging nur die
eine leicht faßliche Tatsache von Mund zu
Mund: „Siebentausend Engländer, denken
Sie nur!"
„Ist das nicht großartig?" sagte auch der
Religionslehrer.
Der Sturz des Gauklers.
Pfingsten 1915.
Salandra: Avanti, Signora lllalia! Passieren kann Ihnen gar nix!
Pfingsten 1916.
„Gewiß", entgegnete sein Kollege langsam.
„Es ist militärisch sehr wichtig. Aber ist es
nicht eine entsetzliche Zeit, daß wir uns über
den Tod von Tausenden freuen müssen zur
selben Stunde, wo wir die Rettung eines
Menschenlebens eben noch so herzlich feierten?"
Aber der andere war längst fort. Er bog
schon um die Ecke, um der erste zu sein, der
die Nachricht am Stammtisch erzählen konnte...
Märchen von heute.
Es war einmal ein englischer Admiral, der
gestand eine Niederlage ein. . . .
Es war einmal ein französischer Minister,
der hielt Calais für einen französischen Hafcn-
platz-
Es war einmal ein italienischer Minister,
der freute sich nach einjähriger Kriegsdauer
über die Kriegserklärung an Österreich. . ..
Es war einmal eine russische Enllastungs-
offensive, die entlastete wirklich. . . .
Es war einmal ein Junker, der halte Re-
spekt vor der Regierung und dem Kanzler_
Es war einmal ein agrarisches Blatt, das
kümmerte sich um den Burgfrieden.. . .
Es ivar einmal ein Deutscher, der kannte
sämtliche Gesetzesverordnungen der
Lebensmiltelbehördcn.. ..
Es war einmal ein Zigarrenfabri-
kant, der rauchte seine Liebesgaben-
zigarren selber. . . .
Es war einmal ein Lebensmittel-
diktator, an dessen segensreiche
Tätigkeit glaubte jedermann. . . .
Reisewinke für 1916.
Tirol. Ruhiger, gemütlicher Auf-
enthalt. Täglich Brillantfeucrmerk
der Skodasabrik.
Verdun. Von französischen 'Advo-
katen bevorzugt, die dort Schwur-
finger-Gymnastik treibe». Male-
rische Ruinen.
Monako. Günstigste Saison bei
größten Gewinn-Chancen, da die
Großfürsten fehlen.
Rom. Andauernder Karneval.
Neckische Scherze der Piazza. Zum
Konfetti verivende man Bündnis-
verlräge oder italienische Staats-
papiere.
Irland. Täglich aniüsanteTreib-
jagd auf Sinn Fei»ers.
München. Zurzeit für Tempe-
renzler sehr geeignet. Andere müssen
ihr Bier mitbringen!
Salandra: Zch bin unschuldig, Signora — das Seil war doch schon
seit 1866 kaputki!
Theorie und Praxis.
G a st w i r t s s o h n (aus d ein Buche
lernend): Ein Hektoliter ist gleich
hundert Liier —
Vater: Stimmt »ich, Krischan.
Dann war' unsereins all längst
pankrott.
Sohn: De Lehrer seggt aber ok
so, Vadding!
V ater: Ja. Wenn he den Schaum
nich milrechent, Krischan!
L>eimat und Front.
Vom Tale herauf, von den Ebenen her.
Da rollen die Züge so lang und schwer.
Sie rollen nach Ost, sie rollen »ach West,
And keiner dem andern viel Vorsprung läßt.
Sie tragen alle gar sondre Last,
Zhr Leib nur Tod und Verderben faßt,
Granaten und Pulver, und Eisen und Blei,
And schauerlich Mordgerät dabei.
Sie tragen die Leiber voll Fleisch und Brot
And allem, was nur im Felde not,
VollLolz und Kohlen, voll Schuh und Gewand,
Voll Öl und Fetten zu Licht und Brand.
Die Leimat, selber von Mangel geplagt,
Zhr Letztes opfert sie unverzagt.
And was sie erdarbt und sich schwer erpreßt.
Das schickt sie freudig nach Ost und West.
0m Walde drüben der Kuckuck schreit
And kündet selige Frühlingszeit —
Lier aber rollen die Züge schwer
Zahllos und endlos zur Front, zum Leer.
E. K.
&&
Ein Menschenleben.
Die Schule war heute in sicht-
licher Erregung, Die Schüler liefen
durcheinanderrvieAmeisen in einem
aufgestörten Bau. Die Lehrer mach-
ten feierliche Gesichter. Man merkte,
daß etwas Besonderes in der Luft lag.
Um elf Uhr erfuhren alle, was
vor sich gehe» sollte: ihr Mitschüler,
der zwölfjährige Hans Miethke sollte
heute um zwölf Uhr gefeiert werden.
Der Herr 'Schulrat irnd der Herr
Bürgermeister würden kommen, sie
ivürde» Hans Miethke ein Ehren-
blntt und eine Geldspende überrei-
chen, und eine Rede würde ihren
tapieren, heldenmütigen Mitschüler
feiern.
Sie wußten alle bcn Grund: am
Pfingstmontag war ein kleiner
Bursche von vier Jahren von der
Wallböschung nbgestürzt und direkt
in den Graben gefallen. Er wäre
rctlnngslos ertrunken, wäre ihm
nicht Hans Miethke nachgesprungen.
Das Wasser war nicht gar zu tief,
aber cs ivar mit Schlingpflanzen
durchsetzt, die den Schwimmer fest-
hielten und ihm das Weiterkommen
erschwerten. Der Retter hatte denn
auch lange arbeiten müssen, ehe er
den Kleinen herausgefischt hatte und
seiner Mutter übergeben konnte, die
händeringend dem Vorgang zuge-
schaut hatte. Dann war er still und
bescheiden nach Hause gegangen.
Aber nun wurde er dafür gefeiert,
so daß die andern fast neidisch wur-
den. Der Schulrat überreichte dem
vor Verlegenheit ganz rot geworde-
nen Hans einen Zwanzigmartschein
und eine eingerahmte Urkunde, und
stellte ihn den andern als Vorbild
hin. Der Religionslehrer sprach noch
etwas, das in den Bibelspruch von denen aus-
klang, die ihr Leben einsetzen „für die Brüder".
Dann ging man auseinander.
* *
*
Auf dem Marktplatz drängte sich eine freudig
erregte Menschenmenge um die Anschläge am
Rathaus.
Der Religionslehrer und der Naturgeschichts-
lehrer, die von der Schule nach Hause gingen,
konnten zuerst nicht an die Extrablätter heran
und sprachen noch über die Rede des Schul-
rats. „Schön war es, wie er von dem Wert
und der Bedeutung eines Menschenlebens
sprach!" sagte der Naturgeschichtslehrer. „Wie
viel Mühe und Arbeit kostet es doch, einen
Menschen heranzuziehen und welchem kleinen
Zufall ist solch Leben doch preisgegeben-"
„Siebentausend Engländer umgekommen",
Ins einer laut aus dem Extrablatt vor. Er
las noch den Namen einer Anzahl von Kriegs-
schiffen, die gesunken waren. Aber davon ver-
stand man zu wenig. Jubelnd ging nur die
eine leicht faßliche Tatsache von Mund zu
Mund: „Siebentausend Engländer, denken
Sie nur!"
„Ist das nicht großartig?" sagte auch der
Religionslehrer.
Der Sturz des Gauklers.
Pfingsten 1915.
Salandra: Avanti, Signora lllalia! Passieren kann Ihnen gar nix!
Pfingsten 1916.
„Gewiß", entgegnete sein Kollege langsam.
„Es ist militärisch sehr wichtig. Aber ist es
nicht eine entsetzliche Zeit, daß wir uns über
den Tod von Tausenden freuen müssen zur
selben Stunde, wo wir die Rettung eines
Menschenlebens eben noch so herzlich feierten?"
Aber der andere war längst fort. Er bog
schon um die Ecke, um der erste zu sein, der
die Nachricht am Stammtisch erzählen konnte...
Märchen von heute.
Es war einmal ein englischer Admiral, der
gestand eine Niederlage ein. . . .
Es war einmal ein französischer Minister,
der hielt Calais für einen französischen Hafcn-
platz-
Es war einmal ein italienischer Minister,
der freute sich nach einjähriger Kriegsdauer
über die Kriegserklärung an Österreich. . ..
Es war einmal eine russische Enllastungs-
offensive, die entlastete wirklich. . . .
Es war einmal ein Junker, der halte Re-
spekt vor der Regierung und dem Kanzler_
Es war einmal ein agrarisches Blatt, das
kümmerte sich um den Burgfrieden.. . .
Es ivar einmal ein Deutscher, der kannte
sämtliche Gesetzesverordnungen der
Lebensmiltelbehördcn.. ..
Es war einmal ein Zigarrenfabri-
kant, der rauchte seine Liebesgaben-
zigarren selber. . . .
Es war einmal ein Lebensmittel-
diktator, an dessen segensreiche
Tätigkeit glaubte jedermann. . . .
Reisewinke für 1916.
Tirol. Ruhiger, gemütlicher Auf-
enthalt. Täglich Brillantfeucrmerk
der Skodasabrik.
Verdun. Von französischen 'Advo-
katen bevorzugt, die dort Schwur-
finger-Gymnastik treibe». Male-
rische Ruinen.
Monako. Günstigste Saison bei
größten Gewinn-Chancen, da die
Großfürsten fehlen.
Rom. Andauernder Karneval.
Neckische Scherze der Piazza. Zum
Konfetti verivende man Bündnis-
verlräge oder italienische Staats-
papiere.
Irland. Täglich aniüsanteTreib-
jagd auf Sinn Fei»ers.
München. Zurzeit für Tempe-
renzler sehr geeignet. Andere müssen
ihr Bier mitbringen!
Salandra: Zch bin unschuldig, Signora — das Seil war doch schon
seit 1866 kaputki!
Theorie und Praxis.
G a st w i r t s s o h n (aus d ein Buche
lernend): Ein Hektoliter ist gleich
hundert Liier —
Vater: Stimmt »ich, Krischan.
Dann war' unsereins all längst
pankrott.
Sohn: De Lehrer seggt aber ok
so, Vadding!
V ater: Ja. Wenn he den Schaum
nich milrechent, Krischan!