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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0183
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♦ 1 um t

9056

. August ♦

Es brüllte auf in milden Sommertagen
wie wilder Sturm, der stille See befällt,

Hob seine Laust, die erntefrohe Welt
Mit Blitz und Feuer, Gram und Tod zu schlagen.
Jäh in der Sonne wunderheitres Licht
Aufreckte sich des Krieges Haßgesicht,

Und vor der sinsterdrohenden Geberde
Versank das karge Sommerglück der Erde.

Krieg! Aus dem (Osten brach der irre Schrei
Der asiatischen Kosakenhorden,

Und trug ins Land uns das vertierte Morden
Kaubgiererfüllter Zarenbarbarei.

(O stolzes Frankreich, freies Engelland!
weil euer Schwert der Knute sich verband,

Saht ihr in todbereiten Menschenwällen
Das deutsche Volk sich um die Heimat stellen.

Und Millionen harte Arbeitshände,

Sie ballten sich zu einer Kiesenfaust,

Daß alle wolfsgier, die im Land gehaust,

Sich flüchtend in die eigne Höhle wende.

Gebt Frieden! blitzte es von unserm Stahl.

Sie aber breiteten die dlut'ge Dual,

Das wilde Spiel der Bomben und der Spcere,
Aus von der Kordsee bis zum Koten Meere!

Zwei Jahre nun. . . . Und arm ward unser Wort,

Den grausen Wahn der Menschheit ganz zu sagen:
Dumpf rauscht empor aus den vergangnen Tagen
Der Pein und Angst gigantischer Akkord.

Kie trug die Welt so unerhörten Schmerz
Und wrackes Glück, zerbrochen von dem Erz,

Kie so viel Trümmer, Schutt, zerschofl'ne Wälder
Und Totenfelder.. .. Totenfelder. . ..

Weh starrt uns an der Menschheit Passion
Aus Vorzeittagen bis zu unsern Stunden:

Es führt ihr weg durch Kampf und Wahn und Wunden
In endlos dunkler Dulderprozession.

Vernunft, gepriesen sonst, wird Hohn und Spott,

Gewalt, verachtet, wandelt sich zum Gott,

Und alle Kraft, die Tempel zu errichten
Lichtvoller Zukunft, mündet ins Vernichten.

Und doch und doch: ob auch die Faust sich ballte,

Zu schützen unsrer Arbeitsheimat Kaum, —

Es lebt so heiß wie je in uns der alte
Und schöpferstarke Weltbefreiungstraum:

Daß aus der Brüder schlichtem Todesmut,

Daß aus der Völker hingeftrömtem Blut
Gezeugt der Menschheit großer Frieden werde,

Der alles Leben heiligt auf der Erde. Pan.

Feldpostbriefe.

LI.

Geliebte Eltern! Heute ist der 4. August,
und dieser merkwürdige Gedenktag, wo sich
vor zwei Jahren alle Stände und Parteien
des deutschen Volkes zur Verteidigung der
deutschen Grenzen vereinigt haben, hat für
mich mit ein sehr merkwürdiges Ereignis be-
gonnen. Ich war nämlich diese Nacht als Frei-
williger mit eine Schleichpatrouille fort, die
außer mir noch aus drei Mann bestand, von
denen der eine in seine Friedensverhältnisse
ein Münchener Professor, der zweite ein Guts-
besitzer aus Westfale» und der dritte ein Königs-
berger Kommis war. Wir hatten unfern Be-
fehl unter große Mühseligkeiten ausgeführt
und kamen gegen Morgen in den Unterstand
zurück, wo die anderen gerade im Begriffe
waren, ihr Frühstück zu vertilgen. Müde wie
ein Hund legte ich mir noch einen Augenblick
in die Falle, und wollte eben aufstehen, um
mitzufuttern, als ein feindliches Trommel-
feuer von eine Inbrunst losging, wie wir es
noch nicht erlebt hatten. Es krachte, knallte,
prasselte und heulte, daß die ganze Sluckver-
zierung von unsere Stubendecke hätte runter-
kommen können, wenn eine drangewesen wäre.
Gleich darauf erfolgte eine Gasvorbereitung,
die einen derartig pestilenzialischen Gestank
entwickelte, daß uns grün und gelb vor Augen
wurde. Aber es half alles nichts, es hieß:
raus aus de gute Stube und rin ins Ver-
gnügen! Wie wir ans die Versenkung vor-
tauchten, waren bic' Brüder schon dicht an
unsere Linie dran, und es kam sofort zum

Handgemenge. Wir vier von die Schleich-
patrouille standen egal Schulter an Schulter
und gegen uns lief eine ganze Horde Russen
Sturm, aber auch Japanesen waren mang
und sogar Franzosen und ein paar englische
Uniformen konnten wir bemerken. Denn die
Russen gehen jetzt aufs Ganze und haben sich
nicht bloß Pinke und Geschütze, sondern auch
intelligente Mannschaften auS alle Entente-
länder zusammengepumpt. Meine Wenigkeit,
der bayerische Professor, der ostpreußische Kom-
mis und der westfälische Agrarier fochten gegen
diese gemischte Übermacht init die allergrößte
Entschiedenheit. Die feindlichen Herrschaften
rannten immer wieder gegen uns an, aber es
half nichts, denn wir hielten zusammen, fest
und treu, wie gepichte Kletten! Da die Leute
ihre vergeblichen Anstrengungen immer aufs
neue wiederholten, so dachte ich schließlich,
vielleicht hilft ein verständiges Wort, und
schrie mit lauter Stimme: „Kerls, seid doch
»ich so dämlich! Seht ihr denn »ich, daß ihr
uns doch nich nnterkriegt? Nehmt doch endlich
Vernunft an und hört mit die unnützliche
Kraftverschwendung auf!" Und der Professor,
der Kommis und der Gutsbesitzer stimmten
mir lauthalsig bei und — mit einem Mal
schmissen unsere Gegner ihre Waffen weg und
der Franzose schrie: „Vife Lallemanje!" und
der Engländer brummte „Verriwell!" und der
Japanese griente übers ganze Gesicht. Einer
von die Russen aber gondelte auf mir zu und
sagte: „Briederchen, das ise auch meine An-
sicht! Bravo!" Dabei schlug er mir freund-
schaftlich auf die Schulter, aber so stark, daß
ich-aufwachte und mir verwundert die

KnualuiM 2t Btrfln

Augen rieb. Neben mir stand mein Freund
Fritze Lehmann aus die Ackerstraße und sagte:
„Menschenskind, nu is aber genug gepennt,
de Erbsensuppe is schon kalt geworden!"
„Rann", sagte ich, „haste denn det Trommel-
feuer nich gehört?" „Jawoll", gröhlte Fritze mit
nngebändigte Heiterkeit, „jeschnarcht haste, det
ivir dachten, de Bude stirzt in!" „Und die
Gnsvorbereitnng? Ich habe dem Gestank noch
in die Reese!" „Wat kann ick denn dafor",
entgegnete Fritze gereizt, „det dir dein Freind
Maxe keene besseren Ziejahrn nich jeschickt
hat?" Und dabei zeigte er mir den glimmen-
den Stummel von eine Giftnudel, die ich ihm
vor unserm Patrouillenabmarsch auf alle Fälle
zum ewigen Angedenken geschonten hatte.

Mir blieb nichts weiter übrig, als mir an
meine Erbsensuppe zu setzen. Aber der Gedanke
hat mir doch während dem ganzen heutigen
4. August keine Ruhe nicht gelassen, daß ein
einzelner im dusseligsten Traum manchmal
klüger sein kann wie das ganze kluge Europa
mit wachende Augen! Oder schläft das viel-
leicht auch bloß und steht ihm das Erwachen
bevor? Dann möchte ich bloß wünschen, daß
es auch noch seinen Teller Erbsensuppe vor-
findet — was ich aber keinesivegs sicher bin.

Mit diese Bedenken grüße ich Euch in kind-
liche Liebe als Euer Sohn

August Säge jun.. Garde-Grenadier.

NB. Wenn Ihr mir ein paar Zigarren
senden könntet, so würde ich Euch herzlich
dankbar sein, aber nicht von Maxen seine
obige Sorte. Denn wir befinden uns augen-
blicklich in die Defensive, und jenes Kraut ist
bloß für Angriffszwecke geeignet.
 
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