Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0208
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 9081

Das Korsett der Alliierten.

Eine berühmte Pariser Korsettfabrik empfiehlt als modernste das Corset des Allies; — cs stelle symbolisch die Abschnürung der
Mittelmächte von der Kulturwclt dar. Der Absatz unter den französischen und englischen Damen soll ein enormer sein.

Lebenszeichen mehr von ihm hat. Das letzte Mal
hat er geschrieben, das; sie hinter Wilna lägen."

„Die alte Geschichte an der Ostfront. Trotz
aller Not und allem Dreck ist's in der Be-
ziehung in Flandern doch besser," entgegnete
Fritz Leuschner, der seinen mit Rost beschla-
genen Geivehrlauf wieder blank rieb. „Ich
habe auch einen Bruder in Rußland, dessen
Briefe manchmal mehrere Wochen unterwegs
sind. Bei den Verhältnissen in Polen auch kein
Wunder."

„Meine beiden Brüder sind in Frankreich
gefallen," sagte Erich Schulz, „und wenn nun
auch noch meinem Schnmger was Schlimmes
zugestoßen ist, dann bin ich noch der einzige
von uns vieren, die wir im August einge-
treten sind." Fetzt sagte keiner mehr etivas.
Sie stopften ihre Pfeifen und lasen beim
glimmenden Mutz ihre Zeitungen.

Ein fernes Surren würde vernehmbar. Der
Osfizierstellvertreter, der am Fenster saß, sprach
das Wort „Flieger" und sah hinaus. Nicht
weniger als drei englische Flugzeuge kamen
in regelmäßigen Abständen nebeneinander von
drüben. Eines glitzerte wundersam im Sonnen-
licht. Auch von den Wehrleutcn waren einige
. ans Fenster getreten und beobachteten die Flug-
zeuge. Die flogen hoch über die Ferine hin-
weg nach den deutschen Hauptstellungen.

Man solle ab und zu beobachten, sagte der
Osfizierstellvertreter.

Schulz ging sogleich au das kopfgroße Guck-
loch im Nebenraum und spähte hinüber nach
der feindlichen Ferme. Dort war nichts zu
sehen, nur ein dachloses Gemäuer guckte zwi-
schen entlaubten Pappelbäumeu hervor. Wie
tot lag alles da. Ob es überhaupt besetzt war?
Darüber mar man sich nicht ganz klar. Der
Osfizierstellvertreter hatte manchen Tag ganze
halbe Stunden lang die Ruine unters Glas
genommen, immer ohne Resultat. Nur einmal
hatte man bei Eintritt der Dunkelheit ganz
deutlich aus der Richtung her laute Stimmen
vernommen. Aber das konnte auch eine Pa-
trouille gewesen sein. Doch würde die wohl
kaum so unvorsichtig laut gesprochen haben.

Der Blick des Beobachters glitt zurück und
blieb aus dem Zwischengelände haften. Wasser-
fläche, Wiesenstreifen und wieder Wasserfläche.
Ei» Holzkrcnz ragte schräg aus der Flut. Ein
Kamerad lag dort begraben. Vor Jahresfrist,
ehe das Wasser kam, mußte er hier seinen Tod
gefunden haben. Aber auch im Wasser selbst
lag uubestattet noch mancher Mutter Sohn,
ausruhend von heißem Streit. Einige Skelette
bleichten, aus niedriger Pfütze hervorragend,
in der Sonne. Drüben, wo leichter Wind das
Wasser blähte, ragte ein totes Rind aus dem
Wasserspiegel. Nur hundert Schritt vor dem
Beobachter aber ragten aus dein Wasser zwei
fast fleischlose Pferdeladnver und ebenso hinter
ihnen die Leiche eines Bauern. In der Mitte

zivischen den dreien sah man die beiden Griffe
eines Pfluges. Deutlich mar zu erkennen, wie
der Bauer mit seinem Gespann gepflügt, und
ivie dabei anscheinend alle drei von einem
Schrapnell gleichzeitig getötet worden sind. Sol-
dat und Bauer, Pferd und Rind und Wagen —
gleichivertig wurden alle von; Schicksal be-
handelt.

Der Posten war in Sinnen versunken. Eine
trostlose Gegend, dieses Land des Todes. Aber
die Reste des toten Bauern müßte man doch
einn;al unter die Erde bringen. Dann ging
er wieder in den Nebenraun; und machte dein
Offizierstellvertreter, der über seinem Roman
saß, den Vorschlag, heute nacht den Bauern
zu begraben.

Der willigte ein. An der Zeit wäre es ja
schon längst. Die Esseubringer, die um Mitter-
nacht kommen, könnten es tun.

In der Lust gab es einen dumpfen Knall,
de»; gleich mehrere folgten. Die Unfern be-
schossen die Flieger. Schrapnellwölkchen ver-
teilten sich in der klaren Luft. „Fünfundvierzig
Mark kostet ein Schuß aus dem Abwehrgeschütz,"
sagte einer, „aber ob eins der Flugzeuge ge-
troffen wird, das steht auf einem andern Blatt."
„Ist auch gar nicht nötig," meinte der Offizicr-
stellvertreter, „die Hauptsache ist, daß die Herr-
schaften rechtzeitig verscheucht werden." Und
dieses schien in der Tat gelungen. Alle drei
Flieger machten kehrt und flogen eilig nach
 
Annotationen