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R.eiinat! [Dort, das neuen Klang gewonnen,
(0eil so vieler Blut darum verronnen —
Beimat, fühlst du je die ganze Cat,
Die beschützt dich und errettet hat?
Sieh, der Erde fruchtgeweihter Grund
LUard an ungezählten Stellen wund:
Glühend Gisen pflügte reiche leider
Und zerpflückte hundertjährige UJälder.
Städte fielen — wollten ewig dauern —,
Branddunst schwelt und geistert um die Mauer»
Gassen sind, durch die das Grauen schleicht
Und des Codes schwarzer friigel streicht.
Dörfer blinkten dort im grünen Cal,
Blauer Rauch stieg auf zum frohen Mahl —
ÖJiirger Krieg erhob die blutigen Bände
Und zerriss das Dach, den Berd, die UJände.
Frau Lamster auf Reifen.
Aus dem beschlagnahmten Gepäck eines weibNchen Kur-
gastes in Bad Kisstngen wurden bervorgeholt: sicben-
unddreißig Pfund Butler, hundertachzig Eier, neun-
einhalb Pfund Gries, zweieinhalb Pfund Reis, sechs
Pfund Mehl und zirka zwanzig Pfund Wurst.
Wieso?! Es muß auf Reisen auch
Der Mensch doch manchmal essen!
Soll ich denn meinen runden Bauch
Infam und roh vergessen?
Wer weiter denkt, packt sich was ein
Und füllt ein Dutzend Köfferlein,
Zieht froh dann durch die Länder
Als wie ein Marketender.
So jemand eine Reise tut.
Frißt die Maschine Kohlen,
Run also: heiz' ich nicht mein Blut,
Wie soll ich mich erholen?!
An Butter braucht's, das weiß ich.
So Pfiindchen siebenunddreißig.
Diverse Kilo Mehl und Gries
And Reis — sonst ist das Reise» mies.
Wie dumpf du, liebes Bäuchlein, knurrst,
Fehlt's dir an kräft'gcn Sachen!
Drum, ohne einen Vorrat Wurst
Ist keine Tour zu machen.
Sonst fahr' ich lieber gar nickt los.
So aber geht es ganz famos:
Es warten dein, du Schreier,
Auch hundertachtzig Eier.
Im Zug, der mich ins Weite trägt,
Sitz froh ich und geborgen.
Du, der sich an den Grenzen schlägt:
Um mich Hab' keine Sorgen!
Ich bin — wird mir ein Frühstück und
Ein gutes Mittag — ganz gesund;
Ei» schlichtes Abendbrölchen
Find' ich in de» Pakctchen. . . .
Wieso?! Man nimmt mir alles weg?!
Ist das gerecht und weise?
Vereitelt wird der ganz« Zweck
Von der Erholungsreise.
Heimat_
Ist kein Cag, da nicht die Schreie hallen
Und die Menschen und die Mauern fallen,
Keine Dacht, da nicht die fririe kreist
Und den fruren tiefe UJnnden reisst.
Denk’s, o Land, wenn du dich schaffend regst
Und geborgen dich zur Ruhe legst:
Deine Söhne bluten, dass die Grde
Ihrer Beimat nicht verwundet werde!
Und die Dankbarkeit flicht reiche Kränze
; Um des Landes treubebegte Grenze,
Dankbarkeit, die immer wieder frug:
Ist’s den Gegnern noch nicht Leids genug?
Ihre Beimat, tief in Hot verdammt,
Maid zur Bolle, feuerüberflammf;
Muss der Zorn die letzten Mauern schleifen?
Molle» nie sie unsre Band ergreifen?
Doch trifft's mich bitter auch und schwer:
Zu Lause Hab' ich noch viel mehr!!
Drum sag ich stolz mit Lindenburg:
Wir schaffen's! Denn: ich halte durch!!
Sec.
Feldpostbriefe.
LV.
Geliebte Rieke! Ich freue mir, das; Du Dir
augenblicklich aufs Land aufhalten und in
Onkeln seine Speckseiten und Tanten ihre
selbstgelegten Eier Fettlebe machen kannst.
Auch beruhigt es mir, daß Dir der pommersche
Aufenthalt das sichere Bewußtsein eingeflößt
hat, daß es in; deutschen Vaterland noch nicht
an Lebensmitteln mangelt, sondern daß bloß
zufällig gerade auf die Berliner leider ein
bißchen wenig davon abfällt. Du willst also
wieder feste durchhalteu, nachdem Du bereits
eine Zeitlang durch die abivechselnden Tänze
von Butter-, Fleisch-, Mehl-, Grieß-, Schmalz-
und Zuckerpolonaisen in Deine Zuversicht
schwankend geworden warst. Ich beglück-
wünsche Dir zu Deine patriotische Wieder-
geburt und versichere Dir: Wir hier halten
ebenfalls durch!
Was nun Deine Frage anbelangt, ob ich
mir vor die wahrscheinlich bevorstehende
Winterkainpagne sehr graule, so kann ich Dir
diese nur verneinend beantworten. Mit kind-
liches Frohlocken tänzelt man gerade nicht in
den dritten Winter hinein. Aber ein Soldat
pflegt sich überhaupt vor nichts zu graulen,
und ein Garde-Grenadier insbesondere noch
weniger. Außerdein hat im Kriege jede Jahres-
zeit ihre besondere Reize, und nach ein paar
Monate Schwitzen wirkt eine angefrorene Nase
jedenfalls alsAbwechslung. EintoterKolonnen-
gaul riecht unweigerlich im Winter besser wie
im Sommer, wo er manchmal schon nach wenige
Stundenaufplatzt. Dahingegen sind dieStraßen
ivieder im Sommer angenehmer wie im Winter.
Das heißt, was sie hier in Rußland unter
Straße» verstehen! In Frankreich und in Bel-
gien versperrten uns die Feinde den Weg, in-
Hiftorisclw KmibImImi » Bunin
Inv.-Nr.:^^
Hon Pan.
Basslos ist und redlich unser fragen,
Jlusgestreckt die Band - drum eingeschlagen!
Gurer Schreier hallender Begehr,
Die durchbricht er unsrer Beimat Mehr.
Opfert, Uölker, länger nicht dem Mahn,
Keines sei dem andern untertan!
Keines blinzle nach des andern Babe,
Keines tanze auf des andern Grabe!
Dieser Grde gramumwöikte Balle,
Sonne hat und Raum sie für uns alle!
Gebt sie jedem nur zum CUirken frei,
Dass die Menschheit wieder menschlich sei.
frei zum Schaffen, frei zu edlem Cun,
frei zu neuem, stolzem Bauen nun —
Und es werden noch die Gnkel sagen:
Siegreich hat Uernunft den Krieg geschlagen!
dem daß sie das Pflaster aufrissen und gefällte
Baumstämme quer drüber legten. Hier in
Rußland sind solche strategische Kunstmittel
ganz unnötig, indem schon die russisch en Strgßen
von alleine für jede Truppe als unpassierbares
Marschhindernis genügen. Wenn Du einen
von die sachkundigen Eingeborenen fragst:
„Welches ist der nächste Weg nach Przwlbsky?"
dann gibt er Dir zur Antwort: „Ter nächste
ist dieserrechts, aber das ist leider eine Chaussee;
marschieren Sie lieber dort links herum, da ist
es zwar zwei Meilen weiter, aber Sie haben
es dafür bequemer!" Und dann tippelst Du
querfeldein, und wenn Du Dir zufällig trotz-
dem ein Eisbein verknaxst, dann freust Du Dir,
daß das Malheur durch die allgütige Mutter
Natur veranlaßt worden ist und daß nicht die
kaiserlich russische Wegebaukunst über Dir
triumphiert hat.
Dagegen sind wir hier mit die Lebensmittel-
frage fein raus und brauchen auch für den
Winter keinen Batoeky nicht. Wir haben den
ganzen Sommer über hinter die Front Ge-
treide- und Gemüsezucht getrieben und dürften
in diese Branche allen Anforderungen ge-
wachsen sei». Fleisch gibt es in die Dörfer
noch immer zu kaufen, und neulich fragte mir
ein Muschik — so nennen sich die hiesigen
Kleinagrarier — im Vertrauen, ob es wahr
wäre, daß in Berlin eine Hungersnot aus-
gebrochen sei. Er habe gehört, daß dort das
Pfund Rindfleisch schon fünfzigPsennige kostet!
Daraus kannst Du entnehmen, an was für
Preise die unverdorbene ländliche Menschheit
hier gewohnt ist. Wenn sie für eine Gans
zwei Mark kriegen, dann küssen sie uns die
Hand und lecken sich die Finger danach!
Mit dem ansrichtigen Wunsche, daß es Ench
in Berlin bald ebenso ergehen möchte, um-
ärmele ich Dir innigst als Dein getreuer
Bräutigam
August Säge jun., Garde-Grenadier.
Nachschrift. Da wir Euch in das Ernäh-
rungsproblem über sind, so bitte ich Dir um
nichts Genießbares. Zigarren dagegen werden
zu jeder Tageszeit dankbar entgegengenommen.
R.eiinat! [Dort, das neuen Klang gewonnen,
(0eil so vieler Blut darum verronnen —
Beimat, fühlst du je die ganze Cat,
Die beschützt dich und errettet hat?
Sieh, der Erde fruchtgeweihter Grund
LUard an ungezählten Stellen wund:
Glühend Gisen pflügte reiche leider
Und zerpflückte hundertjährige UJälder.
Städte fielen — wollten ewig dauern —,
Branddunst schwelt und geistert um die Mauer»
Gassen sind, durch die das Grauen schleicht
Und des Codes schwarzer friigel streicht.
Dörfer blinkten dort im grünen Cal,
Blauer Rauch stieg auf zum frohen Mahl —
ÖJiirger Krieg erhob die blutigen Bände
Und zerriss das Dach, den Berd, die UJände.
Frau Lamster auf Reifen.
Aus dem beschlagnahmten Gepäck eines weibNchen Kur-
gastes in Bad Kisstngen wurden bervorgeholt: sicben-
unddreißig Pfund Butler, hundertachzig Eier, neun-
einhalb Pfund Gries, zweieinhalb Pfund Reis, sechs
Pfund Mehl und zirka zwanzig Pfund Wurst.
Wieso?! Es muß auf Reisen auch
Der Mensch doch manchmal essen!
Soll ich denn meinen runden Bauch
Infam und roh vergessen?
Wer weiter denkt, packt sich was ein
Und füllt ein Dutzend Köfferlein,
Zieht froh dann durch die Länder
Als wie ein Marketender.
So jemand eine Reise tut.
Frißt die Maschine Kohlen,
Run also: heiz' ich nicht mein Blut,
Wie soll ich mich erholen?!
An Butter braucht's, das weiß ich.
So Pfiindchen siebenunddreißig.
Diverse Kilo Mehl und Gries
And Reis — sonst ist das Reise» mies.
Wie dumpf du, liebes Bäuchlein, knurrst,
Fehlt's dir an kräft'gcn Sachen!
Drum, ohne einen Vorrat Wurst
Ist keine Tour zu machen.
Sonst fahr' ich lieber gar nickt los.
So aber geht es ganz famos:
Es warten dein, du Schreier,
Auch hundertachtzig Eier.
Im Zug, der mich ins Weite trägt,
Sitz froh ich und geborgen.
Du, der sich an den Grenzen schlägt:
Um mich Hab' keine Sorgen!
Ich bin — wird mir ein Frühstück und
Ein gutes Mittag — ganz gesund;
Ei» schlichtes Abendbrölchen
Find' ich in de» Pakctchen. . . .
Wieso?! Man nimmt mir alles weg?!
Ist das gerecht und weise?
Vereitelt wird der ganz« Zweck
Von der Erholungsreise.
Heimat_
Ist kein Cag, da nicht die Schreie hallen
Und die Menschen und die Mauern fallen,
Keine Dacht, da nicht die fririe kreist
Und den fruren tiefe UJnnden reisst.
Denk’s, o Land, wenn du dich schaffend regst
Und geborgen dich zur Ruhe legst:
Deine Söhne bluten, dass die Grde
Ihrer Beimat nicht verwundet werde!
Und die Dankbarkeit flicht reiche Kränze
; Um des Landes treubebegte Grenze,
Dankbarkeit, die immer wieder frug:
Ist’s den Gegnern noch nicht Leids genug?
Ihre Beimat, tief in Hot verdammt,
Maid zur Bolle, feuerüberflammf;
Muss der Zorn die letzten Mauern schleifen?
Molle» nie sie unsre Band ergreifen?
Doch trifft's mich bitter auch und schwer:
Zu Lause Hab' ich noch viel mehr!!
Drum sag ich stolz mit Lindenburg:
Wir schaffen's! Denn: ich halte durch!!
Sec.
Feldpostbriefe.
LV.
Geliebte Rieke! Ich freue mir, das; Du Dir
augenblicklich aufs Land aufhalten und in
Onkeln seine Speckseiten und Tanten ihre
selbstgelegten Eier Fettlebe machen kannst.
Auch beruhigt es mir, daß Dir der pommersche
Aufenthalt das sichere Bewußtsein eingeflößt
hat, daß es in; deutschen Vaterland noch nicht
an Lebensmitteln mangelt, sondern daß bloß
zufällig gerade auf die Berliner leider ein
bißchen wenig davon abfällt. Du willst also
wieder feste durchhalteu, nachdem Du bereits
eine Zeitlang durch die abivechselnden Tänze
von Butter-, Fleisch-, Mehl-, Grieß-, Schmalz-
und Zuckerpolonaisen in Deine Zuversicht
schwankend geworden warst. Ich beglück-
wünsche Dir zu Deine patriotische Wieder-
geburt und versichere Dir: Wir hier halten
ebenfalls durch!
Was nun Deine Frage anbelangt, ob ich
mir vor die wahrscheinlich bevorstehende
Winterkainpagne sehr graule, so kann ich Dir
diese nur verneinend beantworten. Mit kind-
liches Frohlocken tänzelt man gerade nicht in
den dritten Winter hinein. Aber ein Soldat
pflegt sich überhaupt vor nichts zu graulen,
und ein Garde-Grenadier insbesondere noch
weniger. Außerdein hat im Kriege jede Jahres-
zeit ihre besondere Reize, und nach ein paar
Monate Schwitzen wirkt eine angefrorene Nase
jedenfalls alsAbwechslung. EintoterKolonnen-
gaul riecht unweigerlich im Winter besser wie
im Sommer, wo er manchmal schon nach wenige
Stundenaufplatzt. Dahingegen sind dieStraßen
ivieder im Sommer angenehmer wie im Winter.
Das heißt, was sie hier in Rußland unter
Straße» verstehen! In Frankreich und in Bel-
gien versperrten uns die Feinde den Weg, in-
Hiftorisclw KmibImImi » Bunin
Inv.-Nr.:^^
Hon Pan.
Basslos ist und redlich unser fragen,
Jlusgestreckt die Band - drum eingeschlagen!
Gurer Schreier hallender Begehr,
Die durchbricht er unsrer Beimat Mehr.
Opfert, Uölker, länger nicht dem Mahn,
Keines sei dem andern untertan!
Keines blinzle nach des andern Babe,
Keines tanze auf des andern Grabe!
Dieser Grde gramumwöikte Balle,
Sonne hat und Raum sie für uns alle!
Gebt sie jedem nur zum CUirken frei,
Dass die Menschheit wieder menschlich sei.
frei zum Schaffen, frei zu edlem Cun,
frei zu neuem, stolzem Bauen nun —
Und es werden noch die Gnkel sagen:
Siegreich hat Uernunft den Krieg geschlagen!
dem daß sie das Pflaster aufrissen und gefällte
Baumstämme quer drüber legten. Hier in
Rußland sind solche strategische Kunstmittel
ganz unnötig, indem schon die russisch en Strgßen
von alleine für jede Truppe als unpassierbares
Marschhindernis genügen. Wenn Du einen
von die sachkundigen Eingeborenen fragst:
„Welches ist der nächste Weg nach Przwlbsky?"
dann gibt er Dir zur Antwort: „Ter nächste
ist dieserrechts, aber das ist leider eine Chaussee;
marschieren Sie lieber dort links herum, da ist
es zwar zwei Meilen weiter, aber Sie haben
es dafür bequemer!" Und dann tippelst Du
querfeldein, und wenn Du Dir zufällig trotz-
dem ein Eisbein verknaxst, dann freust Du Dir,
daß das Malheur durch die allgütige Mutter
Natur veranlaßt worden ist und daß nicht die
kaiserlich russische Wegebaukunst über Dir
triumphiert hat.
Dagegen sind wir hier mit die Lebensmittel-
frage fein raus und brauchen auch für den
Winter keinen Batoeky nicht. Wir haben den
ganzen Sommer über hinter die Front Ge-
treide- und Gemüsezucht getrieben und dürften
in diese Branche allen Anforderungen ge-
wachsen sei». Fleisch gibt es in die Dörfer
noch immer zu kaufen, und neulich fragte mir
ein Muschik — so nennen sich die hiesigen
Kleinagrarier — im Vertrauen, ob es wahr
wäre, daß in Berlin eine Hungersnot aus-
gebrochen sei. Er habe gehört, daß dort das
Pfund Rindfleisch schon fünfzigPsennige kostet!
Daraus kannst Du entnehmen, an was für
Preise die unverdorbene ländliche Menschheit
hier gewohnt ist. Wenn sie für eine Gans
zwei Mark kriegen, dann küssen sie uns die
Hand und lecken sich die Finger danach!
Mit dem ansrichtigen Wunsche, daß es Ench
in Berlin bald ebenso ergehen möchte, um-
ärmele ich Dir innigst als Dein getreuer
Bräutigam
August Säge jun., Garde-Grenadier.
Nachschrift. Da wir Euch in das Ernäh-
rungsproblem über sind, so bitte ich Dir um
nichts Genießbares. Zigarren dagegen werden
zu jeder Tageszeit dankbar entgegengenommen.