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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0250
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9123

Herbstabend.

Du siehst die abendfcuchie Luft
3n schweren Schwaden um dich stehen
lind einen blassen, grauen Duft
Tief über Wald und Wiesen wehen.
Erschauernd auf das trübe Land
Legt sich des Nebels fahle Hand.

Das Dorf, von seiner Hand bedeckt,

Versucht umsonst sich loszukämpsen.

Nur drohend und gespenstisch reckt

Ein Baum sich noch aus Dunst und Dämpfen.

Sonst flutet alles rings im Raum,

Und Stimmen atmen wie im Traum.

Schon naht der Abend rasch heran
Und läßt sein Dunkel endlos fließen.

Noch einmal kräht im Dorf der Hahn,

Und knarrend hörst du Tore schließen-

Dann Stille, Stille weit und breit

Und brütende Unendlichkeit. Karl Brögrr.

O Glück, o

Zwei Federzeichnungen von L.P.

Er stand ain hohen Bogenfenster. Weithin
und tief ins Tal hinab konnte von hier aus
das Auge schauen. Und so iveit der Blick das
prächtige Gelände ringsum traf: alles war
sein! Die Kornfelder, die ihre reife Frucht
bereits hergaben, Kartoffeläcker in reicher
Fülle, mit schweren, reifen Früchten dicht be-
ladene Obstbäume uild drüben auf
der andern Seite die ebenmäßige
Front der Schinelzöfen und Fabrik-
anlagen. Was darinnen geschafft und
erzeugt wurde von tausenden fleißi-
gen Händen, das trug seinen Namen,
und Hunderte von Schiffen und Eisen-
bahnwagen trugen den Ruf seiner
Firma in die Lande. Glück, Ruhm
und Reichtum gab ihm das Leben
wie selbstverständlich hin.

Draußen in der Natur kündete der
Herbst sein Kommen an. Es glühte
und flammte im Laub des Waldes
und an den Büschen. Vor dem
Blätterfall trieben nochmals die ster-
benden Farben ihr Leuchten in den
nebelschweren Morgen. Dann brach
glutrot die Sonnenscheibe durchs
graue Wolkengehänge, die Nebel-
wände schoben sich zurück, goldhell
lag das Licht des Tages weit und
tief im Land, Die Spiegelscheiben
in den toripeiten Fensterbpgen waren
übergossen vom Morgengold der
Sonne. Aber ans der Höhr stand
das Herrenhaus trptzig und stolz
>v e der Wächter und Regent alles
dessen, was da unten im Tal lebte
und ivebte. So stand das Bild im
Morgenlicht.

In den Wäldern sang der scharfe
Wind. Durch die Lichtungen schoß
er stürmend und tiefsummend dahin
und rastete schließlich als unsteter
Wanderer in den moosgrünen Mul-
den der Berghänge. Ein eigenartiges
Raunen ging durch Wald und Feld,
ein Künden vom baldigen Verfall
aller Pracht des Sommers.

Der Herr des Schlosses überschaute sein
Reich. Der höchste Stolz der Menschnatur
schwellte seine Brust. Er fühlte die Macht
und Größe seines Willens. Jeder Wunsch von
ihm galt als Befehl, als eiserne Notwendigkeit.

Da schrillte das Telephon im Nebenraum.
Der Herr ging hinein und griff zum Hörer.
Gespannt horchte er am Apparat. Bei jedem
Wort schnellte seine andere freie Hand in die
Höhe und fuhr kreisend in die Luft, als wollte
sie etwas Schweres von sich weghalten. Die
letzten Worte verstimmten in den Ohren des
Horchers. Der reiche Mann ließ die Arme
schlaff herabhängen und sank in den nächsten
Stuhl. Bleich und starr war sein Gesicht.
Allen Reichtum, alle Macht hatte der Mann
vergessen, 'schwer schlug das Schicksal den
Besitz. Arm und elend kam sich der Reiche
vor. „Er fiel an der Spitze seiner Kompagnie."
Sein einziger Sohn. Jedes Wort traf den
Vater wie ein todbringender Hieb. Über den
höchsten, schönsten Besitz des Menschen ver-
fiigte eine höhere Macht als die des Schloß-
herrn.

Draußen fiel raschelnd das Laub. Ein kalter
Lustzug fuhr durchs Marmorhaus, aus dem
das Glück entwichen ivar. Der Tod schaute
grinsend von der Stätte des Reichtums hin-
aus ins weite Land.

An der Böschung stand das kleine Hans.
Nebenan im Gärtchen hing das Obst rotbackig

an den Bäume». Der kommende Herbst ließ
es reifen und die Sonne tauchte alles in goldig-
rote Tusche. Ihre Strahlen wirkten als gütige
Triebkraft zum Segen der Menschen. Das helle
Weiß der Hüttenwände hob sich scharf ab vom
schmutzigen Farbengemisch der Feldwege. Wie
eine grellrote, riesige Mütze saß das Dach auf
dem Häuslein. Aus dem vergrnnten Schlote
darauf hoben sich faul und verschlafen Rauch-
ringe in die feuchte Morgenluft. So still und
einsam lag die Hütte da. In der Nähe krähte
ein Hahn. Sein greller Schrei fiel scharf in
die Stille. Von weither kläffte Hundegebell.

Ein altes Mütterchen schaffte im Ackerseld
nebenan die reife Knollenfrucht in graue Säcke.
Die alten, zittrigen Hände hatten es gar eilig.
Die Alte hob den Kopf und zählte mit dem
Auf und Nieder des zahnlosen Mundes die
Glockenschläge. Diese summten breit nachhal-
lend vom Kirchlein im Dorfe herüber. Der
Kirchturm stand dort schlank und scharf Um-
rissen in der Morgensonne. An der Spitze
drehte sich der vergoldete Blechhahn nach den
neckischen Tanzlaunen des Frühwindes im
Kreise vor- und rückwärts.

Aus dem Haus trat ein junges Mädel an
den Waschzuber hinter der Hütte. Mit kräf-
tigen Armen hantierte sie da. Fragend schaute
sie nun zur Mutter hinüber und hob die Hand
zum Himmel. Eine stumme Frage: wie ivird
das Wetter werden? Die alte Frau trat näher
und meinte: „Annemarie, es kommt ein schlech-
ter Wind zu uns herüber. Deine
Wäsche wird am Trockenstecken wie-
der naß werde»."

Eine halbe Stunde später machte
der Himmel ein trübes Gesicht. Tief
hingen die grauen Wolken herab.
Der Wind stand stille, einzelne schwere
Tropfen fielen. Bald kam es dick wie
Peilschenschnüre vom Himmel herab
und der Regen klatschte lustig an die
kleinen Scheiben der Hütte.

Mutter und Tochter standen unter
der niederen Haustüre. Das junge
Mädchen sah die Straße hinab.
Plötzlich rief es: „Mutter, dort, dort,
ich glaub', es ist der Michel. Am
Waldrand, dort her!"

Die alte Frau strengte wortlos
ihre Augen an. Richtig, dort kam
ja ein Feldgrauer her, der Hütte
zu. Staunen, Erwartung, Freude
lagen im Gesicht der Mutter. Die
Tochter winkte grüßend mit der Hand.
Schwere Schritte knarrten im Kies,
Soldatenschritte. Dan» klangen zwei
freudige Rufe nacheinander.
„Nsntler!"

,,Michelst-

Sohn und Mutter, Schwester und
Bruder begrüßten sich. Dse armen
Hüttenleutp fühlten sich überglücklich
pnd reich. Reine Freude feserte hier
ein stilles Fest. So lieb und gus
wirkte dies Wiedersehen, als hätte
sich hier auf einem kleinen Stückchen
harter Heimatscholle alles Glück der
ganzen Welt vereint. Das Leben
lachte von der ärmliche» Hütte ans
hinunter in das vom Regen ge-
peitschte Tal.

*

* Ev. Joh. 8,44: Ihr seid von dein Pater, dem Teufel, und nach eures
Vaters Lust wollt ihr tun. Derselbigc ist ein Mörder veni Anfang, und
ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm.
Wenn er die Lüge redet, so redet er von feinem Eignen; denn er ist
ein Lügner unb ein Vater dcrselbigen.
 
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