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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0259
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— 9132

Trotz allem Kreuz und Ungemach
Erhob sich flink und forsch
Jüngst Ehren-Asquirh und nach ihm
Der biedere Lloyd George:

„Wir haben", sprach der eine laut,
„Endgültig schon gesiegt.

Da ringsumher, soweit ich seh'.

Der Feind am Boden liegt!

Bescheidene Anfrage.

„In Ungarn und am Sommestrand
Lind an der Donau prangt
Im lorbeergrünen Siegeskranz
Die herrliche Entente!

Der Feind weiß nicht mehr aus noch ein.
Wir zwangen auf die Knie
Bulgarien, Deutschland, die Türkei
Lind Ostreichs Monarchie!"

„Rumänien gab", versicherte
Der andre ernst und fest,

„Dem Leer der Mittelmächte jetzt
Den Gnadenstoß und Rest,

Der Deutsche nagt am Lungerkuch,
Der Türke hat kein Geld —

So ist des Weltkriegs Schicksalsspruch
Endgültig jetzt gefällt!"

Nun aber frag' ich, Asquith, dich
Als Englands klügsten Mann:
Wenn schon der Sieg errungen ist.
Worauf noch wart'st du dann?

Wenn Deutschland tot und abgetan,

O sprich, mein wackrer Lloyd:

Warum schließst du in aller Welt
Den Frieden nicht schon heut'? ‘Sattmin.

o

Die Prothese.

Von Katl Vröger.

Als dein invaliden Musketier Tüchsen auf-,
getragen wurde, sich am Nachmittag zur An-
probe des fertigen Kunstbeins beim Orthopäden
einzufinden, brummte er eine sehr respektlose
Bemerkung in seinen flachsblonden Zwickel-
bart. Kam der Mensch niemals zur Ruhe?
Jetzt sollte er wieder auf den Krücken über
die Straße humpeln und sich über das dumme
Gegaff mancher Leute ärger», die ihn groß-
mächtig anstarrten, weil ein so großer, himmel-
langer Mensch wie er natürlich komisch aussah,
wenn er mit den ungewohnten Hölzern über
das Pflaster stakt.

Musketier Tüchsen dachte mit Ingrimm
an die verfluchte Granate und an den un-
bekannten Kanonier, die ihm beide in der
Champagne von seinem rechten Bein hal-
fen. Hätte das Teufelsding nicht hundert
Meter iveiler iveg krepieren könne»? Die
monatelange Liegerei in den Lazaretten
mit der fast täglichen Behandlung des
Beinstuinpfes ging noch an, obwohl man
dabei Blut schwitzen konnte. Er war doch
kein Wachsmeier, der bei jedem kleinen
Schnitt,Zeter und Mordio schrie. Aber die
langweilige Geschichte mit der Prothese
mußte einen Menschen borstig machen. Ein
Bein ist doch so schnell weggeschossen. Wa-
rum geht es da so langsam, bis es wieder
durch Holz notdürftig ersetzt ist?

Beim Orthopäden traf Tüchsen bereits
Gesellschaft an. Zwei Kameraden saßen ritt-
lings auf einem Tisch, rauchten, was die
Lunge hielt, und versuchten dazwischen einen
erzwungenen Scherz, dem man die Gewalt-
samkeit schon von weitem anmerkte.

Während sich Tüchsen in einen Stuhl
fallen ließ und die Krücken bedächtig neben
sich hinstellte, sah er sich aufmerksam in
dem Raum um. Es war weiter nichts zu
sehen als einige Modelle und ein lang-
gestreckter Laufbarren, an den» die ersten
Übungen mit den Prothesen vorgenonimen
iverden. Trotz der also wenig aufregenden
Umgebung konnte Tüchsen ein unbehag-
liches Gefühl nicht los werden, das sich
nach seiner Art auch in einem unzufrie-
denen Brummen Luft schaffte.

„Bist auch bestellt, Kamerad? Hast du
das Übungsbein schon hinter dir?"

Ein stämmiger Artillerist wandte sich mit
diesen Fragen nach Tüchsen »m. Der zog erst
das mit einer großen Stecknadel befestigte
Hosenbein stramm, ehe er antwortete.

„Die Geschichte kriegt heute hoffentlich einen
Punkt. Ich bin schon sechsmal bei dem Holz-
beinschuster; den soll der Teufel reiten, gibt
er.mir heute mein Bein nicht."

Der Orthopäde mußte die letzten Worte noch
gehört haben. Sie waren gefallen, als er eben
zwischen Tür und Angel stand. Über das Ge-
sicht des mittelgroßen, klug blickenden Herrn
zog ein leises Lächeln, als er Tüchsen begüti-
gend auf die Schulter klopfte.

„Na, nur nicht so wild, lieber Herr Tüchsen!
Prothesen sind keine Granaten, von denen
man in einem Tag dreitausend Stück dreht.
Gerade Ihr Bein. hat mir tüchtig zu schaffen
gemacht. Jetzt ist es aber auch fertig und wir

wollen gleich sehen, wie es ausgefallen ist_

Nur wollen wir zuvor die beiden anderen
Herren bedienen. Ich habe bei ihnen nur Maß
abzunehmen."

Nach zehn Minuten waren die beiden Ka-
meraden bedient und entfernten sich sichtlich
erleichtert.

Unterdessen hatte sich Tüchsen soweit ent-
kleidet, um die Prothese am Leib zu befestigen.
Der Orthopäde unterrichtete ihsi nochmals
in den wenigen Handgriffen der Vorrich-
tung, worauf Tüchsen mit seiner Hilfe be-
gann, den Mechanismus anzulegen, der
nun ein Bestandteil, und kein unwichtiger,
seines Körpers sein sollte. Die Sache ging
wirklich nicht schwer, was Tüchsen veran-
laßte, einige anerkennende Worte über die
Wissenschaft im allgemeinen und über die
Geschicklichkeit des Orthopäden im beson-
deren zu sagen.

„Jetzt wollen wir aber das Gehen pro-
bieren. Das ist bei der ganzen Geschichte
doch immer das Wichtigste. Was hilft das
schönste Kunstbein, wenn man damit nicht
laufen kann!"

Schwerfällig erhob sich Tüchsen von sei-
nen» Stuhl, stützte sich »vnchtig auf den vom
Orthopäden bereit gestellten Stock und
strebte mit zivei großen, ausgreifenden
Schritten dem Laufbarren zu.

„Langsam, lieber Herr Tüchsen, lang-
sam! So geht das nicht. Sie müssen immer
bedenken, daß sie nur ein »virkliches Bein
haben, das nun unter allen Umständen
Rücksicht nehmen muß auf die Prothese.
Und nicht wahr, so arg eilt es doch vor-
derhand auch nicht?"

Tüchsen biß sich auf die Lippen. Ber-
»vünscht, das konnte nett iverden! Er, ge-
wohnt rnit seinem Jagdhund uin die Wette
zu laufen, sollte nun hübsch vorsichtig
Schritt vor Schritt setzen. Bei seinem Tem-
perament! Wie viel Flüche »vürde er da
erfinden müssen, bis er sich endlich an den
Zustand geivöhnt hat!

Dreiinal ging Tüchsen in dem Lausbarren
hin und her, abgesehen von einem Über-
treten des Fußes, ohne ,vetteren Unfall.

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Stift lag bad Jfefb, ft/ff fag bie Jffur,

3m Tief ec Jüinbe r ringd unb Jfrau’n,

'Die grüßen iprer Tlrßeit Spur.

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Tiud niebern ßütten ßfauer TRaud),

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TOie fonft in fcüpern Japren au cf).

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Jöbwoßf ringsum ber jfriebe fag —

Daß 'TOcf) bed raupen Jiriegedjaßrd,

Hud taufenb ftummen Reißen fpracß’d.

Jxein Jußef ringd, fein £ieb, fein Sang,

Die Ceute aff fo ernft, fa ftiff,

Die JTtienen fo ßeforgt unb bang,

Hfd ob ein Tlnljeif reben wiff.

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Die fonft ben fdßmeren J>ftug gefüprt?

Die emftg fcpwang ber Üxtc Scpaft?

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TVad fofl’n bie Ainbcr unb bie Jfcau’n,

Die Tb üben, nod) nid)t audgereift,

Die Titten, beren Coden braun

OVun fängft bed TVinterd ßauep geftreift?

Die Starten, Jungen ftepn im Jefb,

TVo eine anbre Senfe maßt,

TVo unter Donnern bebt bie TVctt
Tlnb Seufger ffingen früp unb fpät.

Dort püten fte ber ßeimat Jfur,

Den Jrieben fte uon ßaud unb ßerb,

Tlnb eine jfrage freif et nur:

TVann tooljf ber Jfriebe mieberfeßrt? e. kl

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