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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 33.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6705#0265
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9138

Freies Polen.

Es knarrt ein rostig Kerkertor
Und eine Eisenkette klirrt,

Wie wenn ein Mensch, der Sklav' zuvor.
All seiner Fesseln ledig wird.

Nun öffnen sich die Flügel weit
Und hörbar wird ein dumpfer Tritt —
Ein bleicher Mann im Sträflingskleid!
Und tausend andre ziehen mit.

Und immer stärker schwillt die Flut,

Und immer breiter wird der Strom,

Und dankend schweift der Blicke Glut'
Empor zum lichten Himmelsdom.

Das ist kein Sklav', kein Einzelknecht,

Der hier sich hebt aus Grabesruh —

Das ist ein Volk, ein ganz Geschlecht,
Befreites Polen, das bist du!

Du steigst hervor aus Kerkerhaft,
Iahrhundertalt, mit Blut gedüngt —

Und leise regt sich dir die Kraft,

Die dich erneuert und verjüngt.

Aus Blut und Tränen tauchst du hoch.
Befreites Bolk, zu Glanz und Licht —

Ein Hoffnungsstrahl, daß jedes Joch,

Wie deines, einst in Stücke bricht! Ernst rnaar.

Der Sieger Wilson.

So bliebst du wirklich uns erhalten?
Erhörte Gott dein fromm Gebet,

Du höchst origineller Liiter
Der striktesten Neutralität?

Der du in Worten stets und Taten,

Ein wahrhaft christliches Gemüt,

Nur reiner Menschenliebe dientest.

Doch nie vergaßest den Profit —

Der du mit sanftem Augenaufschlag
Den Gott des Friedens stets verehrt.

Und mittels Bombenlieferungen
Das Völkermorden still genährt —

Dir, Triumphator, wie — dem andern
Entbiete ich denselben Gruß:

Es schlägt mein Äerz mit gleicher Liebe
Für dich, mein Wilson, wie für Äughes.

Zwar kenn' ich nicht den edlen Necken,
Den du im heißen Kampf besiegt.

Doch sagt man mir, er sei dir ähnlich —
Und, Freund und Gönner, das genügt!

Balduin.

Ge <38

Feldpostbriefe.

LIX.

Lieber Maxe! Seit eine Woche liegen wir
in Ruhestellung, ein ganzes Ende hinter die
Front, aber ich kam anfangs doch zu keine
rechte Erholung nicht. Ich plagte mir mit
allerhand trübe Gedanken, so daß ich schon
ganz melancholisch geworden war und mir
sogar von die Rumänen einen kleinen Heimat-
schuß wünschte, um wenigstens ans kurze Zeit
zu Hause zu kommen und meine Braut sowie
meine alten Eltern wieder einmal begrüßen
zu dürfen, die sich gewiß auch sehr stark nach
mir bangten, weil ich doch schon immer der
Stolz der Familie gewesen war.

Mit solche gerührte Stimmungen mußte ich
letzten Freitag Butterpatronille schieben, was
schon immer bei die mangelnde Gebefreudig-
keit der Landleute ein trauriges Geschäft ist.

Wstsrisohu KatsmissiOB zu Berlin
Inv.-Nr

Miesepetrig und butterhungrig war ich mor-
gens ausgerückt und gondelte gerade überden
Dorfplatz, wo unser Quartier war, und dachte
seufzend an Muttern, Vätern und Rieken, da
stürzt plötzlich ein sehr propperes Mädchen in
Rieken ihr Alter auf mir zu, gefolgt von ein
greises, ehrwürdiges Bauernpaar. „Das ist
er!" schreit sie mit lautes Jubelgetose, kniet
vor mir in den Dreck und küßt mir beide
Vorderflossen. Daraufhin kriegt mir auch die
alte Mutter zu packen und umärmelt mir unter
heiße Tränen, während der Vater seine Hand
ans meine Mütze legt, mir segnet und mit
schluchzende Stimme spricht: „Endlich finden
wir dich! Heißen Dank dem Herrgott, daß er
uns dieses Glück beschert hat, du Held und
Retter unseres teuren Kindes!" Ich wußte
nicht, wie mir geschah, aber meine Stimmung
war derartig wehmütig, daß auch ich mir nicht
länger halten konnte, sondern wie ein Schloß-
hund zu heulen anfing. Die drei liebkosten mir
noch eine ganze Weile, aber schließlich machte
ich mir doch los, wischte mir die Tränen von
die Backe, und indem ich in sanften Tone
sagte: „Die Herrschaften scheinen sich in die
Hausnummer geirrt zu haben," wollte ich mir
beschämt verflüchtigen. Da klang mir von die
andere Seite des Platzes ein gemeines, drecki-
ges Lachen in die Ohren, und ich sah meinen
Freund Fritze Lehmann aus die Ackerstraße
mit ein halbes Dutzend Kameraden, die sich
vor Vergnügen die Bäuche hielten. Neben sie
stand ein Kerl mit einen photographischen
Apparat, wo er an eine Kurbel drehte. Jetzt
wußte ich Bescheid: das ganze war eine Film-
aufnahme für einen Wiener Kintopp gewesen,
und die gerührte Familie, die sich so über
mir gefreut hatte, waren verkleidete Schau-
spieler. Ich wollte schon eklig werden, aber
die Leute wußten mir zu besänftigen und ich
kriegte außerdem noch fünf Mark Gage. Fritze
Lehmann war es übrigens vorher noch auf-
regender ergangen. Denn er sollte den Unhold
des Mädchens abgeben, das ich nachher durch
meine Heldenhaftigkeit sollte gerettet haben.
Daher hatten ihn die drei Kintvpper unver-
mutet in eine stille Nebenstraße aufgelauert

und mit die rüdigsten Beschimpfungen über-
fallen. Fritzen hatte in seine Unschuld die Wut
gepackt und er wollte den ehrwürdigen Papa,
der in seine Zivilverhältnisse ein Mimiker von
kauin zwanzig Jahre mit aufgepappte weiße
Haare war, gerade eine Knallschote in die
Fassade kleben, als ihm die Sachlage auf-
geklärt wurde. Wegen die ausgestandenen
Injurien hatten sie ihm 7,50 Mark unfrei-
williges Spielhonorar ausbezahlt.

Wir begaben uns sofort in die Kantine, wo
wir die unverhoffte Löhnung in zweckmäßige
Weise erledigten. So endete der melancholische
Tag für mir mit eine sehr fröhliche Seelen-
stimmung, und mir ist jetzt überhaupt wieder
besser.

In die Zuversicht, daß es auch fernerhin
so bleiben wird, grüße ich Dir als Dein alter
Freund

August Säge jun.. Garde-Grenadier.

Nachschrift. In die obige Kantine hatte
ich mir auch österreichische Zigarren gekauft,
ganz lange, dünne, schwarze, innen mit Stroh
drin, was ja auch bei unsere manchmal vor-
kommt, ebenso wie Haare und Bindfaden nicht
ausgeschlossen. Aber sie sind für einen ver-
wöhnten Berliner nicht genießbar. Ich bitte
Dir daher, in Deine nächste Liebessendung
eine Kiste von unsere altbewährte Sorte zu
siebeneinhalb beizupackcn, wo auf den Deckel
„Raketeuzauber" draufsteht.

Neue Bauernregeln.

wenn der lsahn kräht auf dem Mist,
verkauft man die Uartoffel oder sie bleibt, wo
* sie ist.

wenn es am Buß- und Bettag schneit,

Siüd höhere Preise nicht mehr weit.

Ist der November trocken oder naß —

(Er füllt dem Bauern Scheun' und Faß.

Stürmt es heftig am Ndvent,

Bleibt zu Hause das Parlament.

Naschelt's zu heftig im Blätterwald,

Naher sich auch Sankt Zensor bald. Paule.
 
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