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Französische Karikaturen aus dem Kriege 1870/71.
IV.
„Ich bin verproviantiert. Das andere kümmert mich nicht." Von tzonorö Daumier.
lehnt sich Frau Berg-
mann an die Wand des
Hausflurs an. Die über-
mächtige Spannung der
letzten sechs Wochen löst
sich in Schauern, die ihr
über den Rücken laufen.
Große Tränen schießen
in ihre Augen, und zu-
gleich hebt ein unendlich
leichtes Gefühl die Brust.
Ihr Mann lebt!
Aus der Gefangen-
schaft schreibt er. Er ist
gesund, nicht verletzt. Sie
soll sich keine Sorgen uin
ihn machen. Einmal muß
der Krieg ja doch ein
Ende haben. Dann hofft
er gesund und munter
heimzukommen, Hoffent-
lich recht bald.
Wohl zehnmal liest sie
den Brief von Anfang zu
Ende. Sie kann sich nicht
sattsehen an der Schrift.
Mit den Fingern strei-
chelt sie liebevoll über
die Papierfläche, und da-
zu fließen ihr die hellen
Tränen befreiend über
das Gesicht. . . .
Als die Buben mit der Großmutter kommen,
ist die Bescherung aufgebaut. Für jeden liegt
die kleine Gabe bereit und in der Mitte des
Tisches auf dem Ehrenplatz der Brief. Stür-
misch küßt Frau Bergmann ihre Buben, zeigt
ihnen den Brief vom Vater, den Fritz und
Hans mit sehr ernsthaften Gesichtern betrach-
ten, und streichelt immer wieder die Hände
der alten Mutter, die schwerfällig Wort für
Wort des Schreibens entziffert. . . .
Karl Bröger.
Venizelos' Kriegserklärung.
Und wieder fiel vom Roß ein Apfel,
Und wieder kam es an den Tag,
Was Englands Pfund und Rußlands Rubel
Auf ein empfänglich Herz vermag.
Geschlossen ist die letzte Lücke,
Die meinen Schönheitssinn gequält:
Sei mir gegrüßt im Feindeskreise!
Du hast mir grade noch gefehlt.
Ich hielt es wirklich nicht für niöglich,
Daß unter der Neutralen Schar
Heut noch die Sippe, die nicht alle
Zu werden pflegt, nicht alle war.
Jedoch wer kann für die Gefühle?
Die bittre Pille wird verschluckt.
Und seinen Willen muß man haben,
Wenn allzusehr das Leder juckt.
Du kommst im rechten Augenblicke,
Wo grade nach Gesetz und Pflicht
Dein Freund und Zeltgenoß, der biedre
Rumäne seine Keile kriegt.
Doch fürchte nicht, daß ich den Vorrat
An Wichse schon vergeben Hab' —
Es fällt-da kannst du Gift drauf nehmen —
Auch noch für dich genügend ab! Lehmann.
Im republikanischen Griechenland.
Ter Held Venizelos steht im kretische» Gewand,
einen antiken Griechenhelm auf dein Kopf, am Fenster
seines Arbeitszimmers. Tein Sekretär Diebos öffnet
gerade einen Brief mit dem Siegel Sarrails.
VenizeloS: Was schreibt er, edler Diebos?
Will er was geben? Wieviel?
Diebos: Heil dir, Befreier Griechenlands!
Er bietet hllilderttauseiid Drachmen für die
Kriegserklärung gegen Bulgarien.
Venizelos: Alter Knauser! Schreibe
ihm, Diebos: Venizelos erklärt noch iveiter
Krieg, ivenn er zehntausend Drachmen zulegt.
Diebos: Wem denn noch?
Venizelos: Na, zum Beispiel an Österreich,
Rußland und Italien.
Diebos: Großer Meister! Rußland und
Italien sind unsere Freunde. . .
Venizelos: Schade! Hunderttausend Drach-
men — Lappalie! Aber schreib' ihm wenigstens,
er solle fünftausend Drachmen zulegen, wenn
ich an alle Zentralmächte den Krieg erkläre.
Diebos: Das könnte ich machen.
Venizelos (sinnend): Aber läßt sich denn
nicht irgendwo noch was 'rausschlagen? Wenn
wir zilin Beispiel. . .
Diebos:... Ja, ivenn wir zum Beispiel...?
Venizelos: Halt, ich hab's! Diebos, ge-
treuer Genosse, telegraphiere an den Kaiser
von Deutschland: Er soll mir zweihundert-
tausend Drachmen geben und ich nehme die
Kriegserklärung zurück!
Diebos: Venizelos! Du bist ein großer
Mann! R.
Früher gab es nur eine Art Hamster; nun
gibt es unzählige: Fleisch-, Speck-, Wurst-,
Eier-, Bittter-, Gold-, Kartoffel-Hamster usiv.
Wenn das so fort geht, muß die Zoologie
auf neue Grundlagen gestellt werden.
Die Herzen.
Zu Weihnachten, so
heißt es, können die Tiere
sprechen.
Vielleicht ist es wahr.
Aber besser noch wäre es,
ein ander Wunder ge-
schähe und die Herzen
der Menschen sprächen.
Wenn sie einmal ganz
offen und ohne den wei-
ten Umweg über die
Zunge ihre Sprache fän-
den! Wenn der warm
pulsierende Slroin ihres
Blutes nicht erst den
Kühlraum der Gedan-
ken durchränne, nicht
erst matt und schüchtern
würde an den vielen klei-
nen Klippen des Hirns...
Ja, ivenn die Herzen
der Menschen einmal so
ganz einfältig sagen dürf-
ten, was sie fühlen. . . .
„Ach!" würden sie sa-
gen. Ja, dies wäre ganz
gewiß ihr erstes Wort:
„Ach!"
„Ach!" Wie ein mil-
lionenstimmiger Seufzer
würde es emporzittern überall — von Irland
bis Tokio, vom Nordkap bis Tasmanien. Die
Erde würde erschrecken und zu beben beginnen,
durchschauert von dem großen Leid der Herzen,
das sie tragen muß.
„Warum?" Das wäre das zweite Wort.
„Warum, du und du und du, machen wir
einander das Leben so furchtbar schwer?
Warum packen die einen den andern so ge-
ivaltige Lasten auf, daß sie nur noch mühsam
dahinkeuchen können auf dem Wege des Da-
seins? Warum verbittern und zerstören wir
uns die kargen Stunden, die uns zugemessen
sind? Warum verursachen wir einander so
zahllose Pein, so zehrenden Kummer, so schreck-
liche Leiden?"
„Warum?" Eine verzweiflungsvolle Frage
ins Leere. Und wieder würde die Erde beben
unter dem Schauer der Ratlosigkeit.
„Warum hassen wir einander? Da wir »ns
doch alle nach Liebe, Sorglosigkeit und Freude
sehnen?"
„Ja, warum? . . . Aber eigentlich hasse ich
dich gar nicht."
„Nicht? Nein ... ich hasse dich ja auch
nicht. Doch weshalb tun wir so, als ob wir
uns hassen? Und wünschen uns im Grunde
doch gar nichts Übles,"
„Warum verfolgen wir einander, warum
töten wir uns?"
„Ich ivill dich nicht verfolgen, ich will dich
nicht töten. Aber ich will ruhig und friedlich
atmen können, und du sollst mich daran nicht
hindern.".
„Weshalb denn sollte ich dich hindern? Ich
ivill ja selbst nichts anderes. Die Erde hat
Platz für uns alle. Wir könnten so schön im
Frieden nebeneinander leben und die kurzen
Sonnenscheinstunden genießen, die uns der
Himmel vergönnt. Trübe Tage iverden uns
Französische Karikaturen aus dem Kriege 1870/71.
IV.
„Ich bin verproviantiert. Das andere kümmert mich nicht." Von tzonorö Daumier.
lehnt sich Frau Berg-
mann an die Wand des
Hausflurs an. Die über-
mächtige Spannung der
letzten sechs Wochen löst
sich in Schauern, die ihr
über den Rücken laufen.
Große Tränen schießen
in ihre Augen, und zu-
gleich hebt ein unendlich
leichtes Gefühl die Brust.
Ihr Mann lebt!
Aus der Gefangen-
schaft schreibt er. Er ist
gesund, nicht verletzt. Sie
soll sich keine Sorgen uin
ihn machen. Einmal muß
der Krieg ja doch ein
Ende haben. Dann hofft
er gesund und munter
heimzukommen, Hoffent-
lich recht bald.
Wohl zehnmal liest sie
den Brief von Anfang zu
Ende. Sie kann sich nicht
sattsehen an der Schrift.
Mit den Fingern strei-
chelt sie liebevoll über
die Papierfläche, und da-
zu fließen ihr die hellen
Tränen befreiend über
das Gesicht. . . .
Als die Buben mit der Großmutter kommen,
ist die Bescherung aufgebaut. Für jeden liegt
die kleine Gabe bereit und in der Mitte des
Tisches auf dem Ehrenplatz der Brief. Stür-
misch küßt Frau Bergmann ihre Buben, zeigt
ihnen den Brief vom Vater, den Fritz und
Hans mit sehr ernsthaften Gesichtern betrach-
ten, und streichelt immer wieder die Hände
der alten Mutter, die schwerfällig Wort für
Wort des Schreibens entziffert. . . .
Karl Bröger.
Venizelos' Kriegserklärung.
Und wieder fiel vom Roß ein Apfel,
Und wieder kam es an den Tag,
Was Englands Pfund und Rußlands Rubel
Auf ein empfänglich Herz vermag.
Geschlossen ist die letzte Lücke,
Die meinen Schönheitssinn gequält:
Sei mir gegrüßt im Feindeskreise!
Du hast mir grade noch gefehlt.
Ich hielt es wirklich nicht für niöglich,
Daß unter der Neutralen Schar
Heut noch die Sippe, die nicht alle
Zu werden pflegt, nicht alle war.
Jedoch wer kann für die Gefühle?
Die bittre Pille wird verschluckt.
Und seinen Willen muß man haben,
Wenn allzusehr das Leder juckt.
Du kommst im rechten Augenblicke,
Wo grade nach Gesetz und Pflicht
Dein Freund und Zeltgenoß, der biedre
Rumäne seine Keile kriegt.
Doch fürchte nicht, daß ich den Vorrat
An Wichse schon vergeben Hab' —
Es fällt-da kannst du Gift drauf nehmen —
Auch noch für dich genügend ab! Lehmann.
Im republikanischen Griechenland.
Ter Held Venizelos steht im kretische» Gewand,
einen antiken Griechenhelm auf dein Kopf, am Fenster
seines Arbeitszimmers. Tein Sekretär Diebos öffnet
gerade einen Brief mit dem Siegel Sarrails.
VenizeloS: Was schreibt er, edler Diebos?
Will er was geben? Wieviel?
Diebos: Heil dir, Befreier Griechenlands!
Er bietet hllilderttauseiid Drachmen für die
Kriegserklärung gegen Bulgarien.
Venizelos: Alter Knauser! Schreibe
ihm, Diebos: Venizelos erklärt noch iveiter
Krieg, ivenn er zehntausend Drachmen zulegt.
Diebos: Wem denn noch?
Venizelos: Na, zum Beispiel an Österreich,
Rußland und Italien.
Diebos: Großer Meister! Rußland und
Italien sind unsere Freunde. . .
Venizelos: Schade! Hunderttausend Drach-
men — Lappalie! Aber schreib' ihm wenigstens,
er solle fünftausend Drachmen zulegen, wenn
ich an alle Zentralmächte den Krieg erkläre.
Diebos: Das könnte ich machen.
Venizelos (sinnend): Aber läßt sich denn
nicht irgendwo noch was 'rausschlagen? Wenn
wir zilin Beispiel. . .
Diebos:... Ja, ivenn wir zum Beispiel...?
Venizelos: Halt, ich hab's! Diebos, ge-
treuer Genosse, telegraphiere an den Kaiser
von Deutschland: Er soll mir zweihundert-
tausend Drachmen geben und ich nehme die
Kriegserklärung zurück!
Diebos: Venizelos! Du bist ein großer
Mann! R.
Früher gab es nur eine Art Hamster; nun
gibt es unzählige: Fleisch-, Speck-, Wurst-,
Eier-, Bittter-, Gold-, Kartoffel-Hamster usiv.
Wenn das so fort geht, muß die Zoologie
auf neue Grundlagen gestellt werden.
Die Herzen.
Zu Weihnachten, so
heißt es, können die Tiere
sprechen.
Vielleicht ist es wahr.
Aber besser noch wäre es,
ein ander Wunder ge-
schähe und die Herzen
der Menschen sprächen.
Wenn sie einmal ganz
offen und ohne den wei-
ten Umweg über die
Zunge ihre Sprache fän-
den! Wenn der warm
pulsierende Slroin ihres
Blutes nicht erst den
Kühlraum der Gedan-
ken durchränne, nicht
erst matt und schüchtern
würde an den vielen klei-
nen Klippen des Hirns...
Ja, ivenn die Herzen
der Menschen einmal so
ganz einfältig sagen dürf-
ten, was sie fühlen. . . .
„Ach!" würden sie sa-
gen. Ja, dies wäre ganz
gewiß ihr erstes Wort:
„Ach!"
„Ach!" Wie ein mil-
lionenstimmiger Seufzer
würde es emporzittern überall — von Irland
bis Tokio, vom Nordkap bis Tasmanien. Die
Erde würde erschrecken und zu beben beginnen,
durchschauert von dem großen Leid der Herzen,
das sie tragen muß.
„Warum?" Das wäre das zweite Wort.
„Warum, du und du und du, machen wir
einander das Leben so furchtbar schwer?
Warum packen die einen den andern so ge-
ivaltige Lasten auf, daß sie nur noch mühsam
dahinkeuchen können auf dem Wege des Da-
seins? Warum verbittern und zerstören wir
uns die kargen Stunden, die uns zugemessen
sind? Warum verursachen wir einander so
zahllose Pein, so zehrenden Kummer, so schreck-
liche Leiden?"
„Warum?" Eine verzweiflungsvolle Frage
ins Leere. Und wieder würde die Erde beben
unter dem Schauer der Ratlosigkeit.
„Warum hassen wir einander? Da wir »ns
doch alle nach Liebe, Sorglosigkeit und Freude
sehnen?"
„Ja, warum? . . . Aber eigentlich hasse ich
dich gar nicht."
„Nicht? Nein ... ich hasse dich ja auch
nicht. Doch weshalb tun wir so, als ob wir
uns hassen? Und wünschen uns im Grunde
doch gar nichts Übles,"
„Warum verfolgen wir einander, warum
töten wir uns?"
„Ich ivill dich nicht verfolgen, ich will dich
nicht töten. Aber ich will ruhig und friedlich
atmen können, und du sollst mich daran nicht
hindern.".
„Weshalb denn sollte ich dich hindern? Ich
ivill ja selbst nichts anderes. Die Erde hat
Platz für uns alle. Wir könnten so schön im
Frieden nebeneinander leben und die kurzen
Sonnenscheinstunden genießen, die uns der
Himmel vergönnt. Trübe Tage iverden uns