9193
Im Exil.
„Was schaust denn immer aufs Acker hinaus, Petert?"
„Ich schau nach, ob nicht bald der Rumänen-Ferdinand mit dem Goldschatz
als dritter Mann zum Balkankönigskat kommt."
M nobelfpäne. r©
Da meinen sie, der Weltkrieg
Sei keine Revolution
Doch siehe da, drei Throne
Sind umgefallen schon.
Und weiter wird erfüllen
Sich dieser Zeit Geschick;
Mir scheint, cs droht zu stürzen
Auch eine. Republik.
Die Welt beginnt zu zeigen
Ein anderes Gesicht —
Die Superklugen verstehen
Der Zeiten Zeichen nicht.
Einem Kriegslieferanten träumte jüngst, die am Krieg beteiligten
Völker hätten den Kriegszustand in Permanenz erklärt und der Krieg
dauere daher bis zum Jahre 3000. — Herrgott, was der alles zu-
sammenfluchte, als er erwachte und sah, daß dies nur ein „schöner"
Traum gewesen war! .
Sprecht nicht, für alle Zukunft sei
Die Welt nun eine Wüstenei,
Und könne sich erholen nie
Von dem, was jetzt erlitten sie.
Die Arbeit ist's, die Friedensmacht,
Die Wunden heilt nach blnt'ger Schlacht,
Und die aus Trümmern neu erschafft.
Was traf des Kriegs Zerstörungskraft.
Wo sich heute zwei Menschen treffen, wird nur noch vom Essen
gesprochen. Begreiflich; schon Ludwig Feuerbach hat den Satz geprägt:
„Der Mensch ist, was er ißt!"
Ihr getreuer Säge, Schreiner und Landstürmer.
Nächtlicher Kampf.
Laut schlug das herz; gedrängt in dichte Reihen
Lchon harrten wir der bangen Stunden zwei:
U)ir kannten unser Schicksal, doch die Hoffnung
Belebte herz und Sinne stets aufs neu;
Da blitzt es rot am nächtigen Horizont,
Durch alle Seelen zuckt ein Schreck, ein jäher,
Man fühlt';: die Stunde der Entscheidung naht!
Und näher kam'; und unaufhaltsam näher.
Uun stand's vor unser» eng geschlossnen Massen,
Er zügelte den Schritt und machte halt,
Ein dumpfer Schrei entrang sich tausend Rehlen,
Und vorwärts brach's mit stürmender Gewalt;
3um grausen Nahkampf drängle Brust an Brust,
Mild in den Knäul hieb man die blutigen Krallen,
»Jetzt oder nie!" erscholl das Rampfgeschrei,
§chon sah man rechts und links die ersten fallen.
Es knackten Knochen unter meinen Tritten,
3wei Schritt empor — schon stehe ich am Ziel!
Doch droben dräut der Feind mit hundert Fäusten
Und stößt hinab mich in das Rampfgewühl;
Groß war die Übermacht, doch unverzagt
Focht weiter ich im grimmen Massenstreite,
Denn löwenmütig, treu und wetterhart
Ltand kämpfend mir mein bester Freund zur Seste.
Da traf ein hieb ihn und er sank zu Boden:
»Grüß mir mein Lottchen, Freund!" rief erzurück;
2um letztenmal drückt' ich die treue Rechte, -
Ein letzter Röcheln und ein letzter Blick!
Da war's, als wenn die Hoffnung Abschied nahm,
Und durch mein Herz schnitt es mit glühenden
Flammen,
Mild wütete der Kampf im Mondsche.n fort,
Doch mich verließ die Kraft— ich brach zusammen!
Und nun errate, sehr geehrter Leser,
lvelch einen Kampf ich dir geschildert Hab:
Führt ich dich vor Verduns umstürmte Mauern,
Dich an der Somme ödes Massengrab?
Malt ich dir im Karpathenpaß die Schlacht
Um Fuß der eng geschlossnen Feljensenkung?
D nein! Ich schilderte-die Straßenbahn
Berlins im Zeichen der Verkehrsbeschränkung!
f Lehmann.
Lieber Jacob! ^
Jestern mittags kommt mein Jingster, der
für seine sechs Jahre leider noch 'n biske»
dämlich is, in de Stube jeloofen, mit'» frisch
jebackenes blaues Ooge, 'ne Beule vor de
Stirne un drillt wie'n Ochse: „Miericke hat
mir vertobakt! So'n jroßer Bengel, zweemal
so lang wie ick un sechs Jahre älter! Vater,
du mußt dafor sorjen, det er von seine Mutter
ordentliche Keile besieht un det er mir ab-
bitten muß!" „Det is 'ne Feigheit un 'ne
Jemeinheit!" treeste ick det mißhandelte Kind
im Tone väterlicher Milde, „sei stille, mein
Sohn, ick werde dir von det Aas 'ne jlanz-
volle Jenugtuung verschaffen! Wie is denn
det ieberhaupt jekommen?" Da jibt der Junge
foljenden Bericht ieber dem Tatbestand: „Ick
hätte mir ja niemals nich an Miericke'n ran-
jetraut, weil er doch ville stärker is als wie
ick! Aber heite hatten ihm jerade drei andere
jroße Jungens uff de Erde jeschmissen un
knieten uff ihm. Un da lief ick ran un jab
ihn eenen Trttt vor den Hintern. Aber jerade
in den Oogenblick riß er sich von die drei
anderen los, stirzte uff mir zu un hat mir
noch kurz vor unsere Haustiere zu packen je-
kriegt liu verwamst! Vater, du mußt dafor
sorjen — —" Aber jetz hatte mein Mitjefiehl
seine nalierlichen Jrenzen erreicht un ick er-
faßte dem Limmel beim Kragen: „Wat," schrie
ick, „ohne jeden Jrund, aus puren Jebermut
haste Miericke'n anjefallen, un denn willste
dir hier noch beklagen un verlangst Jenug-
tuung? Du bist woll von'n blauen Affen je-
bissen! Schämste dir denn janich, Rotzneese,
dämliche?" Nach Entjejennahme von zwee
Katzenköppe verschwand der entartete Spröß-
ling eiligst aus meinen väterlichen Machtbereich.
Die Schose jab mir aber zu denken, un ick
machte mir ernsthafte Sorjen von wejen plötzlich
ausjebrochenen nioralischen Irrsinn, der ja in
de jesindesten Fainilijen manchmal Vorkommen
soll. Da fiel mein Blick uff de Zeitung, die
de Antwort der Entente uff Wilson'n seine
Friedensmahnung enthielt, un ick las die Stelle,
wo de Wiederjulmachung des den Rumäne»
zujefiegten Schadens als Moralische Flicht der
Mittelmächte jefordert wird. Da treestete ick.
mein väterliches Jemiet mit die Betrachtung:
Wenn sich olle ausjetrajene Esel von de eiro-
päische Diplomatie sowat in'n welthistorisches
Aktenstick leisten dersen, denn kannst« det am
Ende ooch eenen Rotzjungen, der noch nich
mal det ABC intus hat, nich weiter iebel
nehmen! Leid tat mir man bloß, det die
Strafpredigt, die ick am Abend meinen zer-
knirschten un reuemietljen Jingsten zu teil
werden ließ, nich ooch Briand un Lloyd George
in de Horchlappen jeklungen is!
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Stanke,
an 'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Rebatltonsschlub 22. Januar lim.
Im Exil.
„Was schaust denn immer aufs Acker hinaus, Petert?"
„Ich schau nach, ob nicht bald der Rumänen-Ferdinand mit dem Goldschatz
als dritter Mann zum Balkankönigskat kommt."
M nobelfpäne. r©
Da meinen sie, der Weltkrieg
Sei keine Revolution
Doch siehe da, drei Throne
Sind umgefallen schon.
Und weiter wird erfüllen
Sich dieser Zeit Geschick;
Mir scheint, cs droht zu stürzen
Auch eine. Republik.
Die Welt beginnt zu zeigen
Ein anderes Gesicht —
Die Superklugen verstehen
Der Zeiten Zeichen nicht.
Einem Kriegslieferanten träumte jüngst, die am Krieg beteiligten
Völker hätten den Kriegszustand in Permanenz erklärt und der Krieg
dauere daher bis zum Jahre 3000. — Herrgott, was der alles zu-
sammenfluchte, als er erwachte und sah, daß dies nur ein „schöner"
Traum gewesen war! .
Sprecht nicht, für alle Zukunft sei
Die Welt nun eine Wüstenei,
Und könne sich erholen nie
Von dem, was jetzt erlitten sie.
Die Arbeit ist's, die Friedensmacht,
Die Wunden heilt nach blnt'ger Schlacht,
Und die aus Trümmern neu erschafft.
Was traf des Kriegs Zerstörungskraft.
Wo sich heute zwei Menschen treffen, wird nur noch vom Essen
gesprochen. Begreiflich; schon Ludwig Feuerbach hat den Satz geprägt:
„Der Mensch ist, was er ißt!"
Ihr getreuer Säge, Schreiner und Landstürmer.
Nächtlicher Kampf.
Laut schlug das herz; gedrängt in dichte Reihen
Lchon harrten wir der bangen Stunden zwei:
U)ir kannten unser Schicksal, doch die Hoffnung
Belebte herz und Sinne stets aufs neu;
Da blitzt es rot am nächtigen Horizont,
Durch alle Seelen zuckt ein Schreck, ein jäher,
Man fühlt';: die Stunde der Entscheidung naht!
Und näher kam'; und unaufhaltsam näher.
Uun stand's vor unser» eng geschlossnen Massen,
Er zügelte den Schritt und machte halt,
Ein dumpfer Schrei entrang sich tausend Rehlen,
Und vorwärts brach's mit stürmender Gewalt;
3um grausen Nahkampf drängle Brust an Brust,
Mild in den Knäul hieb man die blutigen Krallen,
»Jetzt oder nie!" erscholl das Rampfgeschrei,
§chon sah man rechts und links die ersten fallen.
Es knackten Knochen unter meinen Tritten,
3wei Schritt empor — schon stehe ich am Ziel!
Doch droben dräut der Feind mit hundert Fäusten
Und stößt hinab mich in das Rampfgewühl;
Groß war die Übermacht, doch unverzagt
Focht weiter ich im grimmen Massenstreite,
Denn löwenmütig, treu und wetterhart
Ltand kämpfend mir mein bester Freund zur Seste.
Da traf ein hieb ihn und er sank zu Boden:
»Grüß mir mein Lottchen, Freund!" rief erzurück;
2um letztenmal drückt' ich die treue Rechte, -
Ein letzter Röcheln und ein letzter Blick!
Da war's, als wenn die Hoffnung Abschied nahm,
Und durch mein Herz schnitt es mit glühenden
Flammen,
Mild wütete der Kampf im Mondsche.n fort,
Doch mich verließ die Kraft— ich brach zusammen!
Und nun errate, sehr geehrter Leser,
lvelch einen Kampf ich dir geschildert Hab:
Führt ich dich vor Verduns umstürmte Mauern,
Dich an der Somme ödes Massengrab?
Malt ich dir im Karpathenpaß die Schlacht
Um Fuß der eng geschlossnen Feljensenkung?
D nein! Ich schilderte-die Straßenbahn
Berlins im Zeichen der Verkehrsbeschränkung!
f Lehmann.
Lieber Jacob! ^
Jestern mittags kommt mein Jingster, der
für seine sechs Jahre leider noch 'n biske»
dämlich is, in de Stube jeloofen, mit'» frisch
jebackenes blaues Ooge, 'ne Beule vor de
Stirne un drillt wie'n Ochse: „Miericke hat
mir vertobakt! So'n jroßer Bengel, zweemal
so lang wie ick un sechs Jahre älter! Vater,
du mußt dafor sorjen, det er von seine Mutter
ordentliche Keile besieht un det er mir ab-
bitten muß!" „Det is 'ne Feigheit un 'ne
Jemeinheit!" treeste ick det mißhandelte Kind
im Tone väterlicher Milde, „sei stille, mein
Sohn, ick werde dir von det Aas 'ne jlanz-
volle Jenugtuung verschaffen! Wie is denn
det ieberhaupt jekommen?" Da jibt der Junge
foljenden Bericht ieber dem Tatbestand: „Ick
hätte mir ja niemals nich an Miericke'n ran-
jetraut, weil er doch ville stärker is als wie
ick! Aber heite hatten ihm jerade drei andere
jroße Jungens uff de Erde jeschmissen un
knieten uff ihm. Un da lief ick ran un jab
ihn eenen Trttt vor den Hintern. Aber jerade
in den Oogenblick riß er sich von die drei
anderen los, stirzte uff mir zu un hat mir
noch kurz vor unsere Haustiere zu packen je-
kriegt liu verwamst! Vater, du mußt dafor
sorjen — —" Aber jetz hatte mein Mitjefiehl
seine nalierlichen Jrenzen erreicht un ick er-
faßte dem Limmel beim Kragen: „Wat," schrie
ick, „ohne jeden Jrund, aus puren Jebermut
haste Miericke'n anjefallen, un denn willste
dir hier noch beklagen un verlangst Jenug-
tuung? Du bist woll von'n blauen Affen je-
bissen! Schämste dir denn janich, Rotzneese,
dämliche?" Nach Entjejennahme von zwee
Katzenköppe verschwand der entartete Spröß-
ling eiligst aus meinen väterlichen Machtbereich.
Die Schose jab mir aber zu denken, un ick
machte mir ernsthafte Sorjen von wejen plötzlich
ausjebrochenen nioralischen Irrsinn, der ja in
de jesindesten Fainilijen manchmal Vorkommen
soll. Da fiel mein Blick uff de Zeitung, die
de Antwort der Entente uff Wilson'n seine
Friedensmahnung enthielt, un ick las die Stelle,
wo de Wiederjulmachung des den Rumäne»
zujefiegten Schadens als Moralische Flicht der
Mittelmächte jefordert wird. Da treestete ick.
mein väterliches Jemiet mit die Betrachtung:
Wenn sich olle ausjetrajene Esel von de eiro-
päische Diplomatie sowat in'n welthistorisches
Aktenstick leisten dersen, denn kannst« det am
Ende ooch eenen Rotzjungen, der noch nich
mal det ABC intus hat, nich weiter iebel
nehmen! Leid tat mir man bloß, det die
Strafpredigt, die ick am Abend meinen zer-
knirschten un reuemietljen Jingsten zu teil
werden ließ, nich ooch Briand un Lloyd George
in de Horchlappen jeklungen is!
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Stanke,
an 'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Rebatltonsschlub 22. Januar lim.