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. 9222 .-

Der Paragraphenberg.

Kennst du den Berg auf Erden?
Der wächst mit jedem Tag.

Weiß niemand, was noch werden
Und was noch kommen mag.

Die Zugspitz und der Brocken,
Wie sind sie kurz und klein.

Er aber unerschrocken
Wächst hoch ins Blau hinein.

Er baut sich nicht aus Marmel,
Aus Gneis nicht und Porphyr,
Er ist ein neuer Karmel
Aus weißem Druckpapier.

Das mehrt sich ohne Ende,

Das schichtet sich zuhauf.

Es türmen s Geisterhände
Zu höchsten Höhen auf.

Nicht wachsen auf ihm Blüten,
Nicht drauf ein edler Wein —
Der Herr mög' uns behüten.
Wie würde der wohl sein?
Nur dürre Paragraphen
Zeugt er millionenfach.

Und Strafen, Strafen, Strafen,
Die stürzen wie ein Bach.

Das ist vom Weltenbrande
Der Paragraphenberg,

Stünd' er nicht hier im-Lande,
Ging alles Überzwerg.

Erst war er nur ein Häusel,
Zeht ragt er himmelhoch.

Und holt ihn nicht der Teufel,
So wächst er immer noch.

E. Kl.

Aufforderung.

Von Rudolf Lavant -f.

Ein halber Mann, deff'Tage schwinden
In selbstischer Befangenheit, —

Du sollst im Busen Mitempfinden
Den hohen Wellenschlag der Zeit!

Ein schlechter Mann, dem da gelassen
Durch das Geäder schleicht das Blut, —
Du sollst voll tiefen Ingrimms Haffen
And lieben mit der Seele Glut!

Du sollst zur Linken oder Rechten
Dich schlagen — das ist Pflichtgebot!

Du sollst mit blanker Waffe sechten.
Getreuen Muts, in Glück und Not!

Der Fahne treu, die du erkoren.

Sollst du, gebeugt von keiner Pein,

Ein Kind der Zeit, die dich geboren.

In jedem Atemzuge sein!

Sei ganz, was deine Pflichten fodern.
Was diese große Zeit begehrt!

Laß hell die Glut, die heil'ge lodern,

And lächle, wenn sie dich verzehrt!

And wenn im Kampf die Jahre schwanden,
Sei stolz auf deines Lauptes Schnee;

Du hast in Reih und Glied gestanden
Mit den Soldaten der Idee!

Rur einen Tag von sieben träume —

Doch diesen einen halte wert!

Ein Tempel sind die engsten Räume
So oft er freundlich wiederkehrt.

Lat er vom Staub des Kampfgefildes
Die müde Seele rein gemacht —

Dann frisch zurück, in rauhes, wildes.
Erbittertes Gefühl der Schlacht!

&&

Feldpostbriefe.

LXVII.

Geliebte Rieke! Du beklagst Dir in bejam-
mernswerte Weise über das lausige Kohlen-
stehen, versicherst, daß keine europäische Groß-
macht Dir bewegen könnte, in Deinen Leben
noch jemals eine Kohlrübe zu genießen, und

fragst mir, ob wir hier an die Front auch
etwas von die Nöte des Krieges merken. Diese
Frage würde ich, wenn ich nicht Dein Bräuti-
gam und ein gewohnheitsmäßiger Kavalier
wäre, als sehr dämlich bezeichnen. Überlege
Dir doch mal gefälligst: wie sollen wir hier
etwas vom Kriege merken, wo wir uns immer
gute zwanzig Kilometer von jede Brotkom-
mission und jeden Kohlenkeller entfernt hal-
ten? Wir leben reineweg wie ins Paradies,
brauchen keine Polonäsen nicht bilden und
kriegen alles für umsonst geliefert. Neulich
hat ein Kamerad von mir sogar ein ganz
neues Holzbein ohne Bezugschein bekommen!

Auch die dienstliche Beschäftigung ist hier
viel angenehmer als wie aufs Tempelhofer
Feld. Unser Hauptmann fühlt sich vollständig
glücklich, wenn wir beim Anmarschieren über-
haupt ans Ziel kommen, und er besitzt gar
kein Augenmerk mehr dafür, ob auch die Rich-
tungen gehalten und die Beine ordentlich aus
das Kniegelenk geschleudert werden. Was
blanke Stiefel sind, das scheint unfern Kor-
poralschastsführer aus das Gedächtnis ent-
schwunden zu sein, so daß man mit die ver-
dammte Reinlichkeit, die in die Kaserne immer
so mühsam ist, fast gar nicht mehr getriezt
wird. In Berlin mußten wir alle Abzeichen
der Vorgesetzten auswendig lernen und unfern
Kopf mit Gefreitenknöpfen und Generalsstreisen
vollfüllen. Hier ist das nicht nötig, denn die
Ehrenerweisungen werden nicht mehr mit die
dienstliche Strenge aufgefaßt wie zu Hause,
und wenn unsereiner beim Sturm einen Ober-
leutnant auf die Hühneraugen tritt, so fliegt
er nicht gleich ins Kittchen. Um so schwieriger
ist es, die Abzeichen des Feindes richtig zu
begreifen, denn es gibt bei die feindlichen
Heerscharen so viele verschiedene Abarten, daß
sogar ich mir nicht auskenne, obgleich ich auf
die Schule in Zoologie immer „Gut" gehabt
habe. Zum Beispiel unterscheiden sich manche
Rumänen von unser» Ungarn bloß dadurch,
daß sie zwei Zipfel auf die Mütze haben statt
einen wie die Ungarn. Wenn aber die Ru-
mänen größenwahnsinnig werden, dann drücken
sie einen Zipfel ein und sehen genau so aus
wie die Ungarn. Da hilft nichts weiter, als

wie feste drauflosgehen, bis man dichte dran
ist: reißen sie dann aus, so waren es Rumänen,
halten sie stand, so sind es Ungarn.

Das einzige, womit es hier noch ebenso
genau genommen wird wie zu Hause, ist die
Schießerei. Wenn die mal nicht klappt, brüllen
die Unteroffiziere derartig, daß einem zumut
wird wie mitten in die stillsten Friedenszeiten.
Vorigen Donnerstag waren wir an den Feind
bis auf achthundert Meter herangerückt. Er
lag in eine ganz unsichtbare Stellung, und
wir konnten bloß mit das richtige Visier in
die angegebene Gegend funken. Wie die erste
Salve losgeht, schlagen sämtliche Geschosse
etwa fünfhundert Meter vor uns ein. Die
ganze Kompagnie hatte also dreihundert Meter
zu kurz gefeuert, und der Deibel war los.
Aber während die Unteroffiziere uns noch mit
sämtliche gangbare Höllenstrafen bedrohten,
sahen wir, wie die feindliche Linie Reißaus
nahm und eine Masse Verwundete mit sich
schleppte. Erst waren wir platt, aber dann
löste sich der ReK^: unsere Salve war richtig
in die Front eingeschlagen, und was wir vor
uns funken gesehen hatten, das war nicht
unser, sondern das feindliche Feuer gewesen,
das sich man bloß um ein popliges halbes
Kilometer in die Entfernung geirrt hatte! Da
standen wir in dienstliche Erhabenheit da, und
die Unteroffiziere hatten ihre Spucke umsonst
verschwendet.

Du siehst also, geliebte Rieke, daß wir hier
nicht viel von dem Kriege zu leiden haben,
und unser einzigster Schmerz ist, daß ihr in
Berlin jetzt so anstrengende Strapazen aus-
stehen müßt. Im übrigen darfst Du Dir über
mein Wohlbefinden vollständig beruhigen.

Mit herzliche Küsse und Grüße Dein ge-
treuer Bräutigam

August Säge jun., Garde-Grenadier.

Nachschrift. Ich möchte Dir gerne eine von
die schönen rumänischen Handtaschen schicken,
mit die Du Dir bei die Sauerkrautpolonäsen
schmücken kannst. Um sie gut verpacken zu
können, würde ich eine ziemlich große Zigarren-
kiste brauchen, und damit Du die Feldpost
nicht mit eine leere Sendung bemühst, könntest
Du dieselbe mit die bekannte Sorte ausfülle».
 
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