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Kindersegen.
Zwei Skizzen. T'vn L. P.
Es waren sonst kreuzbrave Leute. Arm.
arbeitsam, fleißig von früh bis spät, aber
es wollte halt doch nicht recht gehen Ich
kann mich der Plage des allen Lorenz
noch recht gut erinnern. Der Hausbesitzer
kündigte ihm die Wohnung wegen der
Stube» voll Kinder. Elfe! Sieben Buben
und vier Mädel! Und so lief denn der
alte Lorenz Tag um Tag nach Feierabend,
um eine Wohnung zu bekommen. Außer-
dem ging die Frau auf die Suche. Um-
sonst, alles umsonst. Überall waren die
vielen Kinder der Grund des Mißlingens.
Lorenz suchte im Wohnungsanzeiger.
Immer wieder die alte Leier: kinderlose
Eheleute.,. möglichst wenig Kinder ...
an eine ruhige Familie! Damit meinte
man eben immer wieder die Kinder. So
wurde den armen Leuten der reiche Kinder-
segen zum Fluch.
Endlich wußte irgendein Bekannter
einen Rat in der Not. Draußen vor der
Stadt stand'ein großes Ökonomieanivesen.
Der Besitzer verkaufte eben den ertragärmsten
Teil seines großen Gartenlandes zum Anbau
von Sonimerhäusern für reiche Leute. Dabei
mußte ein altmodisches, turmähnliches hölzer-
nes Gartenhaus abgebrochen werden. Der
Verkäufer war aber ein sehr praktischer Mann
und ließ das Turmhaus an der Steinmauer
des Obstgartens wieder aufrichten. „In der
Zeit der Wohnungsnot gibt das noch eine
hübsche Wohnung. Ei» ganzes Dutzend Men-
schen kann darin Hausen!" lachte der praktische
Mann dem Lorenz ins Gesicht.
„Ich habe elf Kinder!" meinte der Mieter.
Und so kam der Mietvertrag zustande.
„Nun bi» ich alleiniger Turmbesitzer! Keine
Mietpartei kann sich mehr über meine vielen
Kinder beschiveren. Ist auch was wert, was?"
lachte gutgelaunt mein alter Freund.
Er hatte sich die Sache ganz hübsch ange-
legt. Zu ebener Erde war die Küche. Im
ersten Stock die Wohnung mit den Betten
für die Eltern. Im zweiten Stock und auf
dem Turmboden war der Schlasraum für die
Kinder. Sogar eine Veranda lief um den Turm
herum.
Wenn hie und da Spaziergänger stehen
blieben und über die eigentümliche Wohnstätte
den Kopf schüttelten, meinte Lorenz mit etwas
Bitterkeit in der Slinime: „Wahrhaftig, glotzen
die Leute nicht, als wären wir stromernde
Zigeuner? Dabei verdient man sein Brot
ehrlich und rechtschaffen." Und nach einer
Weile fuhr er fort: „Der Gedanke an einen
Krieg ist grausig. Allein schon der Gedanke!
Aber dann würden meine Buben sicher mehr
Ansehen bei den lieben Hausbesitzern genießen.
Da schau hin, sieben stramme Burschen!"
Es ist schon lange her, das Erlebnis der
Geschichte mit den armen Holzturmbewohnern.
Der furchtbare Krieg hat mir die Sache aber
wieder so lebendig in Erinnerung gebracht,
als wäre das Ganze erst von gestern.
Vor dem Krieg kam ich öfter aus irgend-
einem Grund zu den Perlenmachern nach
Warmensteinach. So reich und verschwende-
Der Frühling.
uferstanden aus den Banden
Schweren Traums ist die Natur,
Todesschauer, Nacht und Trauer
Streifen ab nun Lain und Flur.
Sonne süße, nun begrüße
Uns in deiner volle» Zier!
Langenlbehrke! Unsre Erde,
Unser Äerz sehnt sich nach dir.
Komm' und kleide Wald und Laibe,
Lald und Weide, Trift und Fluh,
Luft und Wipfel, Kluft und Gipfel,
Brunnen alles Lebens du!
Selbst de» Toten in dem Boden
Wärme ihre kalte Gruft.
Steck' ein Reislein, steck' ein Sträußlein,
Weck' ein Lüftlein, einen Duft!,
Blumen webe um die Stäbe,
Um die Kerkergitter dicht;
Durch die Ritzen lasse blitzen
Den Gefangnen Lenz und Licht;
Die da müssen schmachten, büßen.
Weil zu feurig ihr Gemüt,
Weil zu lohe für die hohe
Freiheit hat ihr L>erz geglüht.
Erdbezwinger, Blütenbringer,
Frühling. Frühling, Lebenshauch!
Freiheitssänger. Knospenspender,
Spreng', o spreng' die Kerker auch!
Friedrich Stolze.
risch die Natur dort ihre Gaben ausgeteilt
hat, so arm sind die meisten Bewohner dieser
Gegend. Die elenden Hültep der Perlenmacher
kleben dort an dem Bergland wie Schwalben-
nester am Mauerwerk. Neben ihrem Glasberuf
bewirtschaften die emsigen Leute dort ein
Stückchen Acker, etwas Gartenland oder einen
Wiesenfetzen, halten Ziegen und mästen auch
wohl ein Schwein.
Ein solches Jungtier wollte sich ein mir
befreundeter Mann in St. Georgen kaufen,
und so fuhren ivir also auf der Lokalbahn
von Warmensteinach nach Bayreuth. Neben
anderen Fahrgästen saß im Abteil ein lächeln-
des Mütterlein. Mit Stolz lief ihr Blick immer
wieder über die schmucke Soldatengestalt
neben ihr. Mein Bekannter grüßte die
Frau und sagte: „Na, Mutter, jetzt sind
sechs Buben- von Euch Soldaten geivor-
den?"
Das faltenreiche Gesicht der alten Frau
wurde hell, und die alten Augen leuch-
teten vor Stolz wie die liebe Sonne
draußen.
„Ja, alle sechs. Drei Leiber, zwei Ka-
nonier und ein schwerer Reiter. Das ist
ja der da! Jetzt geht's wieder vom Ur-
laub aus auf München zu. Gelt, Wolf?"
sagte die Frau voll mütterlicher Freude.
Der Soldat nebenan nickte mit dem Kopf,
lächelte wortlos seine Mutter an und
Vlies Rauchwolken aus einer Zigarre in
die Luft.
Nebenan saß ein Herr im Jagdkostüm,
die Flinte auf dem Knie. Einer redete
ihn als Apotheker an. Der Sportjäger
betrachtete wohlwollend die alte Frau
und den strammen Soldaten. Dan» zog
er die Zigarrentasche, hielt sie dem noch
zögernden Reiter hin und meinte auf-
munternd: „Nur fest zugegrifsen, junger
Mann!" Zur Mutter sagte er: „Bei solchen
Jungens kann eine Mutter schon stolz sein,
wenn sie alle so sind wie der da!"
„O, die vom Leibregiment sind'noch größer,
so, so hoch!" meinte die Mutter, und reckte
die Arme hoch, um das Maß ihrer Buben an-
zudeuten. ’
Da pfiff es grell, mein Bekannter war an
seiner Station angelangt.
Kürzlich traf ich ihn wieder. Wir sprachen
von alten Tagen, von den schönen Zeiten vor
dem Krieg und wurden zuletzt ganz schweig-
sam. Wir waren an dem seelischen Punkt, wo
die Mehrzahl der Menschheit angekommen ist,
in der Stimmung voll Sehnsucht nach dem
Frieden.
„Wie geht's denn dem Mütterlein von
Steinach, wirst dich erinnern können, der guten
alten Frau mit den sechs strammen Buben?"
„Diese Mutter hat das Lachen verlernt: Sie
ist voll Schwermut. Von den sechs hat sie nur
noch einen, und der ist ein Krüppel.. . ."
Mitleid und Trauer sprachen aus der Slimme
des Freundes. Wir schieden mit einem stum-
men Händedruck.
Einem Urteilslosen.
von ktugust Illinger.
Jedem kjeuchler, jedem Schmeichler,
Jedem flotten Demagogen
Sinkst gerührt du in die tlrme,
wenn er nur recht schön gelogen.
wenn er nur die Worte wählet,
Die dein Dhr mag gerne hören,
wenn er nur die Töne findet,
Die dein eitles Herz betören.
Zwar, verstand und Oenkwerkzeuge
Hat auch dir dein Gott gegeben,
Uber du benützest beide
Nicht, um der Vernunft zu leben.
Einmal wirst du dies bereuen,
wirst dein eitles Tun beklagen
Und die schlichte Wahrheit nimmer
Höhnend von der Schwelle jagen!
Kindersegen.
Zwei Skizzen. T'vn L. P.
Es waren sonst kreuzbrave Leute. Arm.
arbeitsam, fleißig von früh bis spät, aber
es wollte halt doch nicht recht gehen Ich
kann mich der Plage des allen Lorenz
noch recht gut erinnern. Der Hausbesitzer
kündigte ihm die Wohnung wegen der
Stube» voll Kinder. Elfe! Sieben Buben
und vier Mädel! Und so lief denn der
alte Lorenz Tag um Tag nach Feierabend,
um eine Wohnung zu bekommen. Außer-
dem ging die Frau auf die Suche. Um-
sonst, alles umsonst. Überall waren die
vielen Kinder der Grund des Mißlingens.
Lorenz suchte im Wohnungsanzeiger.
Immer wieder die alte Leier: kinderlose
Eheleute.,. möglichst wenig Kinder ...
an eine ruhige Familie! Damit meinte
man eben immer wieder die Kinder. So
wurde den armen Leuten der reiche Kinder-
segen zum Fluch.
Endlich wußte irgendein Bekannter
einen Rat in der Not. Draußen vor der
Stadt stand'ein großes Ökonomieanivesen.
Der Besitzer verkaufte eben den ertragärmsten
Teil seines großen Gartenlandes zum Anbau
von Sonimerhäusern für reiche Leute. Dabei
mußte ein altmodisches, turmähnliches hölzer-
nes Gartenhaus abgebrochen werden. Der
Verkäufer war aber ein sehr praktischer Mann
und ließ das Turmhaus an der Steinmauer
des Obstgartens wieder aufrichten. „In der
Zeit der Wohnungsnot gibt das noch eine
hübsche Wohnung. Ei» ganzes Dutzend Men-
schen kann darin Hausen!" lachte der praktische
Mann dem Lorenz ins Gesicht.
„Ich habe elf Kinder!" meinte der Mieter.
Und so kam der Mietvertrag zustande.
„Nun bi» ich alleiniger Turmbesitzer! Keine
Mietpartei kann sich mehr über meine vielen
Kinder beschiveren. Ist auch was wert, was?"
lachte gutgelaunt mein alter Freund.
Er hatte sich die Sache ganz hübsch ange-
legt. Zu ebener Erde war die Küche. Im
ersten Stock die Wohnung mit den Betten
für die Eltern. Im zweiten Stock und auf
dem Turmboden war der Schlasraum für die
Kinder. Sogar eine Veranda lief um den Turm
herum.
Wenn hie und da Spaziergänger stehen
blieben und über die eigentümliche Wohnstätte
den Kopf schüttelten, meinte Lorenz mit etwas
Bitterkeit in der Slinime: „Wahrhaftig, glotzen
die Leute nicht, als wären wir stromernde
Zigeuner? Dabei verdient man sein Brot
ehrlich und rechtschaffen." Und nach einer
Weile fuhr er fort: „Der Gedanke an einen
Krieg ist grausig. Allein schon der Gedanke!
Aber dann würden meine Buben sicher mehr
Ansehen bei den lieben Hausbesitzern genießen.
Da schau hin, sieben stramme Burschen!"
Es ist schon lange her, das Erlebnis der
Geschichte mit den armen Holzturmbewohnern.
Der furchtbare Krieg hat mir die Sache aber
wieder so lebendig in Erinnerung gebracht,
als wäre das Ganze erst von gestern.
Vor dem Krieg kam ich öfter aus irgend-
einem Grund zu den Perlenmachern nach
Warmensteinach. So reich und verschwende-
Der Frühling.
uferstanden aus den Banden
Schweren Traums ist die Natur,
Todesschauer, Nacht und Trauer
Streifen ab nun Lain und Flur.
Sonne süße, nun begrüße
Uns in deiner volle» Zier!
Langenlbehrke! Unsre Erde,
Unser Äerz sehnt sich nach dir.
Komm' und kleide Wald und Laibe,
Lald und Weide, Trift und Fluh,
Luft und Wipfel, Kluft und Gipfel,
Brunnen alles Lebens du!
Selbst de» Toten in dem Boden
Wärme ihre kalte Gruft.
Steck' ein Reislein, steck' ein Sträußlein,
Weck' ein Lüftlein, einen Duft!,
Blumen webe um die Stäbe,
Um die Kerkergitter dicht;
Durch die Ritzen lasse blitzen
Den Gefangnen Lenz und Licht;
Die da müssen schmachten, büßen.
Weil zu feurig ihr Gemüt,
Weil zu lohe für die hohe
Freiheit hat ihr L>erz geglüht.
Erdbezwinger, Blütenbringer,
Frühling. Frühling, Lebenshauch!
Freiheitssänger. Knospenspender,
Spreng', o spreng' die Kerker auch!
Friedrich Stolze.
risch die Natur dort ihre Gaben ausgeteilt
hat, so arm sind die meisten Bewohner dieser
Gegend. Die elenden Hültep der Perlenmacher
kleben dort an dem Bergland wie Schwalben-
nester am Mauerwerk. Neben ihrem Glasberuf
bewirtschaften die emsigen Leute dort ein
Stückchen Acker, etwas Gartenland oder einen
Wiesenfetzen, halten Ziegen und mästen auch
wohl ein Schwein.
Ein solches Jungtier wollte sich ein mir
befreundeter Mann in St. Georgen kaufen,
und so fuhren ivir also auf der Lokalbahn
von Warmensteinach nach Bayreuth. Neben
anderen Fahrgästen saß im Abteil ein lächeln-
des Mütterlein. Mit Stolz lief ihr Blick immer
wieder über die schmucke Soldatengestalt
neben ihr. Mein Bekannter grüßte die
Frau und sagte: „Na, Mutter, jetzt sind
sechs Buben- von Euch Soldaten geivor-
den?"
Das faltenreiche Gesicht der alten Frau
wurde hell, und die alten Augen leuch-
teten vor Stolz wie die liebe Sonne
draußen.
„Ja, alle sechs. Drei Leiber, zwei Ka-
nonier und ein schwerer Reiter. Das ist
ja der da! Jetzt geht's wieder vom Ur-
laub aus auf München zu. Gelt, Wolf?"
sagte die Frau voll mütterlicher Freude.
Der Soldat nebenan nickte mit dem Kopf,
lächelte wortlos seine Mutter an und
Vlies Rauchwolken aus einer Zigarre in
die Luft.
Nebenan saß ein Herr im Jagdkostüm,
die Flinte auf dem Knie. Einer redete
ihn als Apotheker an. Der Sportjäger
betrachtete wohlwollend die alte Frau
und den strammen Soldaten. Dan» zog
er die Zigarrentasche, hielt sie dem noch
zögernden Reiter hin und meinte auf-
munternd: „Nur fest zugegrifsen, junger
Mann!" Zur Mutter sagte er: „Bei solchen
Jungens kann eine Mutter schon stolz sein,
wenn sie alle so sind wie der da!"
„O, die vom Leibregiment sind'noch größer,
so, so hoch!" meinte die Mutter, und reckte
die Arme hoch, um das Maß ihrer Buben an-
zudeuten. ’
Da pfiff es grell, mein Bekannter war an
seiner Station angelangt.
Kürzlich traf ich ihn wieder. Wir sprachen
von alten Tagen, von den schönen Zeiten vor
dem Krieg und wurden zuletzt ganz schweig-
sam. Wir waren an dem seelischen Punkt, wo
die Mehrzahl der Menschheit angekommen ist,
in der Stimmung voll Sehnsucht nach dem
Frieden.
„Wie geht's denn dem Mütterlein von
Steinach, wirst dich erinnern können, der guten
alten Frau mit den sechs strammen Buben?"
„Diese Mutter hat das Lachen verlernt: Sie
ist voll Schwermut. Von den sechs hat sie nur
noch einen, und der ist ein Krüppel.. . ."
Mitleid und Trauer sprachen aus der Slimme
des Freundes. Wir schieden mit einem stum-
men Händedruck.
Einem Urteilslosen.
von ktugust Illinger.
Jedem kjeuchler, jedem Schmeichler,
Jedem flotten Demagogen
Sinkst gerührt du in die tlrme,
wenn er nur recht schön gelogen.
wenn er nur die Worte wählet,
Die dein Dhr mag gerne hören,
wenn er nur die Töne findet,
Die dein eitles Herz betören.
Zwar, verstand und Oenkwerkzeuge
Hat auch dir dein Gott gegeben,
Uber du benützest beide
Nicht, um der Vernunft zu leben.
Einmal wirst du dies bereuen,
wirst dein eitles Tun beklagen
Und die schlichte Wahrheit nimmer
Höhnend von der Schwelle jagen!