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Die Brücke.
Von L. P.
Der Krieg zwang den alten Dorf-
schmied wieder an den Amboß. Vor
ein paar Jahren hatte er den schweren
Schmiedehammer weggelegt und das
Geschäft seinem Sohne übergeben. Es
war nur einer da, aber der schaffte für
zwei, nahm sich die blonde Marie aus
der Bergmühle droben zum Weib, und
gar bald zappelte ein blonder kräftiger
Junge in der Wiege. War das eine
Freude und ein Leben in der Hütte bei
den jungen'Schmiedeleuten! Und der
alte Schmied nahm den Pfeifenstummel
aus dem Mundwinkel und machte sich
an der Wiege zu schaffen.
Da griff das Verhängnis mit rauher
Hand ins friedliche Weltgetriebe und
schlug auch das bescheidene, glückliche
Familienleben der Schmiedeleute in
Trümmer. Als der Jungschmied ins
Feld mußte, blieb noch ein Brachteil Hoffnung
zu Hause bei Weib und Vater. Eine böse Feld-
post jagte aber auch dies winzige Teilchen Glück
aus der Hütte und machte das erhoffte frohe
Wiedersehen zuschanden. Der Jungschmied
starb den erbarmungslosen Schlachtentod. Das
Weib trug den Schmerz des Unabänderlichen
fast allein, denn der alte Schmied hatte in
seinem gapzen Leben nicht viele Worte gemacht,
war auch jetzt nur ein wortkarger Tröster, und
der nun vierjährige Bub konnte das Unglück
noch nicht erfassen.
Wortlos hing der Alte das Schurzfell um,
machte Feuer in der Schmiede und zwang die
alten steifen Knochen an den längst entwöhn-
ten Schmiedehammer. Aber es wollte nicht
vorwärts gehen mit der Arbeit, und die da-
heimgebliebenen Dorfleute waren in böser Ver-
legenheit, gerade jetzt, wo man alle Feldwerk-
zeuge so nötig brauchte wie das liebe Brot.
Um diese Zeit kamen einige gefangene Fran-
zosen ins Dorf als Hilfe zur landwirtschaft-
lichen Arbeit. Zufällig erfuhren die Dorfleute,
daß ein Schmied unter den Rothosen wäre,
und bald ward durch amtliche Vermittlung der
Franzosenschmied zum tüchtigen Helsex des
Alten in der Schmiede. Wortlos schafften die
zwei Hand in Hand. Die Schmiedwitwe sah
dem Fremden oft mit bösen Augen nach. Er
war ja einer von denen, die ihren Mann ums
Leben gebracht hatten. Der Alte tat dem Helfer
nichts zuleid, blieb aber mißtrauisch und ver-
schlossen.
„'s ist halt ein Welscher!" gab er kurz und
mürrisch den Nachfragenden zum Bescheid.
Darauf schwiegen sie.
Die unsägliche Schwermut der traurigsten
aller Zeiten lag auf den Gemütern der Dorf-
leute. Freudlos und trübselig schlichen die
Alltage hin. Am Sonntag hockten die alten
Bauern im Tabaksqnalm am Wirtstisch und
sagten sich in kurzen, hartklingenden Sähen
ihre Meinung über den Krieg. Nur die land-
wirtschaftlichen Fragen und die Ansichten über
Wind und Wetter machten sie temperament-
voller.
Unterdessen ging der Franzosenschnned dem
Alten fest mit ans Handwerk, schlief in der
Kammer neben der Schmiede und ging nur
Der Zar.
Unabsehbar auf der Steppe lieget nah und
lieget ferne
Ohne Ton die Limmelsglocke, sonder Farbe,
sonder Sterne.
Unaufhörlich Schneegestöber nicdcrweht auf
Dorn und Steine,
Deckend in den Wagengleisen bleiche polnische
Gebeine.
Lorch, was sauset im Galoppe wie ein Geistcr-
zug vorüber?
Langgestreckt schwirrt an der Erde eine tvilde
Jagd hinüber.
Mäntel flattern, Reiter flogen, bärtige Reiter
windgetragen,
Rings umschwebt von ihren Lanzen ohne
Räder glitt ein Wage».
Leicht zittert noch die .Leide; doch dann wird
cs stille wieder,
Rur der Schnee in weißen Flocken fällt mit
stummer Last hernieder.
Und ein Rabe sitzt im Dorne, rauscht empor
und krächzet heiser
Durch die ausgestorbnen Lüste: Russenkaiser,
Russenkaiser!
Widerhallt es in den .Lohen, und die grauen
Lüfte sprechen.
Wie mich dünkt, mit kaltem Lauche: Wie ein
Rohr wird er zerbrechen!
Gotifried Keller.
selten ins Wirtshaus. Häufiger sah inan ihn
Sonntags durch die Felder wandern in der
Nähe des Dorfes. Der Verkehr zwischen ihm
und den Schmiedelenten ivar immer noch der
alte, mißtrauische, wie es eben bei Landfrem-
den in Kriegszeiten gar oft ist. An einem
Sonntag in der Frühe stand der Alte am
Fenster und traute seinen Augen kaum. Dort
an der frühlingsgrünen Hecke mit den knospen-
den Ansätzen entlang ging der Franzos und
hatte den kleinen Schmiedeheinerle an der
Hand. Der Altschmied rief der Mutter des
Jungen und sagte: „Da, schau hin, meint's
der gut mit dem Jungen, . . . oder?"
Die Frau wehrte mit der Hand ab, band
sich eine Schürze vor und sagte im Hinaus-
gehen: „Will mal schauen. . . ."
„Soll ich mit?" frug der Alte.
„Bleibt," gab die Frau zum Bescheid
und stand die nächste Minute schon
drüben an der Hecke. Den Weg entlang
ging sie hinter den beiden drein.
Der fremde Schmied nahm den Buben
' auf den Rücken und trabte mit ihm wie
ein Reitpferd am Saume des Birken-
wäldchens entlang. Dann hob er den
Jungen aufs Knie und setzte sich mit
ihm auf die wurmstichige Bank vor
dem Wald.
Verdeckt von der Hecke sah die Mutter
mit hellen Augen dem Spiel zu und
hörte ihren Buben lachen und jauchzen
vor Lust. Wie er ihn herzte und mit
ihm schön tat, der Franzos! Und der
Vater lag erschlagen von fremder Ge-
walt im fernen Land. Sie konnte den
Widerspruch kaum fasse», lind mitten
im trauernden Gedenken an den lieben
Gefallenen überkam sie ein Gefühl rein
menschlicher Güte. Der verbissene Groll
gegen den Fremdling dort sank in ihrem
Innern in nichts zusammen. Mitleid undTrauer
bauten eine unsichtbare geistige Brücke von
Mensch zu Mensch. Sie empfand das wie eine
stille Erlösung von etwas namenlos Schwerem.
In dieser Stimmung ging sie heimwärts
zur Hütte. Der Alte stand da mit einer stum-
men Frage in den Augen.
„Er meint es gut mit dem Buben, der Fran-
zos!" sagte mit fester Stimme die Frau.
„Jst's wahr?" fragte erstaunt der Altschmied.
Als vom Pfarrdorf drüben die Mittags-
glocken herüberklangen,kam der fremdeSchmied
mit dem Buben an der Hand in die Schmiede-
hütte. Die Frühjahrssonne schien hell auf
Welt und Menschen, breitete ihre Goldschleier
über alles Grau der Gegenwart, lockte alle
guten Triebe aus harten Schollen und grol-
lenden Herzen und gab auch der Hütte ein
Teil Sonnenglück. Warm schossen ihre Strah-
len durch die niederen Fenster am kleinen
Haus, und die Menschen darin fühlten ihren
Anteil am rechten Menschentum.
Es war, als ob der Lenz, wie draußen in
der Natur, auch hier in der engen Hütte neben
der Schmiede neue Zuversicht auferstehen ließe.
Die Schmiedeleute wurden ledig jedes Miß-
trauens und Grolles untereinander. Wenn
man nun den Altschmied im Wirtshaus nach
seinem Franzosen fragte, gab er mit klarer
Bestimmtheit zur Antwort: „Den haben wir
als einen rechten Kerl gefunden. Laßt euch
nicht durch einen welschfarbigen Rock täuschen.
Darunter schlügt oft ein ehrliches Herz."
Der Fremde wurde auch ganz zutraulich
und bekundete, daß er in seiner Heimat ein
herzig Kind, ein braves Weib und ein be-
scheidenes Heim hatte, wie sie hier. Und daß
er an all das mit urgewaltiger Liebe gefesselt
sei, wie eben alle Menschen an ihre Heimat.
Tie Dorfleute sahen im Gesicht des Fremden
das Bangen und die Sorgen um alles Hei-
matliche sich widerspiegeln. Ganz wie bei
ihnen. Sie fühlten alle das harte Schicksal
der Zeit, und das brachte sie einander als
Menschen näher. Und ohne Groll und Haß
nahmen sie Abschied vom Franzosenschmied,
als er abkommandiert wurde, um anderswo
als feindlicher Gefangener in der Heiniat des
Gegners nützlich zu sein.
Die Brücke.
Von L. P.
Der Krieg zwang den alten Dorf-
schmied wieder an den Amboß. Vor
ein paar Jahren hatte er den schweren
Schmiedehammer weggelegt und das
Geschäft seinem Sohne übergeben. Es
war nur einer da, aber der schaffte für
zwei, nahm sich die blonde Marie aus
der Bergmühle droben zum Weib, und
gar bald zappelte ein blonder kräftiger
Junge in der Wiege. War das eine
Freude und ein Leben in der Hütte bei
den jungen'Schmiedeleuten! Und der
alte Schmied nahm den Pfeifenstummel
aus dem Mundwinkel und machte sich
an der Wiege zu schaffen.
Da griff das Verhängnis mit rauher
Hand ins friedliche Weltgetriebe und
schlug auch das bescheidene, glückliche
Familienleben der Schmiedeleute in
Trümmer. Als der Jungschmied ins
Feld mußte, blieb noch ein Brachteil Hoffnung
zu Hause bei Weib und Vater. Eine böse Feld-
post jagte aber auch dies winzige Teilchen Glück
aus der Hütte und machte das erhoffte frohe
Wiedersehen zuschanden. Der Jungschmied
starb den erbarmungslosen Schlachtentod. Das
Weib trug den Schmerz des Unabänderlichen
fast allein, denn der alte Schmied hatte in
seinem gapzen Leben nicht viele Worte gemacht,
war auch jetzt nur ein wortkarger Tröster, und
der nun vierjährige Bub konnte das Unglück
noch nicht erfassen.
Wortlos hing der Alte das Schurzfell um,
machte Feuer in der Schmiede und zwang die
alten steifen Knochen an den längst entwöhn-
ten Schmiedehammer. Aber es wollte nicht
vorwärts gehen mit der Arbeit, und die da-
heimgebliebenen Dorfleute waren in böser Ver-
legenheit, gerade jetzt, wo man alle Feldwerk-
zeuge so nötig brauchte wie das liebe Brot.
Um diese Zeit kamen einige gefangene Fran-
zosen ins Dorf als Hilfe zur landwirtschaft-
lichen Arbeit. Zufällig erfuhren die Dorfleute,
daß ein Schmied unter den Rothosen wäre,
und bald ward durch amtliche Vermittlung der
Franzosenschmied zum tüchtigen Helsex des
Alten in der Schmiede. Wortlos schafften die
zwei Hand in Hand. Die Schmiedwitwe sah
dem Fremden oft mit bösen Augen nach. Er
war ja einer von denen, die ihren Mann ums
Leben gebracht hatten. Der Alte tat dem Helfer
nichts zuleid, blieb aber mißtrauisch und ver-
schlossen.
„'s ist halt ein Welscher!" gab er kurz und
mürrisch den Nachfragenden zum Bescheid.
Darauf schwiegen sie.
Die unsägliche Schwermut der traurigsten
aller Zeiten lag auf den Gemütern der Dorf-
leute. Freudlos und trübselig schlichen die
Alltage hin. Am Sonntag hockten die alten
Bauern im Tabaksqnalm am Wirtstisch und
sagten sich in kurzen, hartklingenden Sähen
ihre Meinung über den Krieg. Nur die land-
wirtschaftlichen Fragen und die Ansichten über
Wind und Wetter machten sie temperament-
voller.
Unterdessen ging der Franzosenschnned dem
Alten fest mit ans Handwerk, schlief in der
Kammer neben der Schmiede und ging nur
Der Zar.
Unabsehbar auf der Steppe lieget nah und
lieget ferne
Ohne Ton die Limmelsglocke, sonder Farbe,
sonder Sterne.
Unaufhörlich Schneegestöber nicdcrweht auf
Dorn und Steine,
Deckend in den Wagengleisen bleiche polnische
Gebeine.
Lorch, was sauset im Galoppe wie ein Geistcr-
zug vorüber?
Langgestreckt schwirrt an der Erde eine tvilde
Jagd hinüber.
Mäntel flattern, Reiter flogen, bärtige Reiter
windgetragen,
Rings umschwebt von ihren Lanzen ohne
Räder glitt ein Wage».
Leicht zittert noch die .Leide; doch dann wird
cs stille wieder,
Rur der Schnee in weißen Flocken fällt mit
stummer Last hernieder.
Und ein Rabe sitzt im Dorne, rauscht empor
und krächzet heiser
Durch die ausgestorbnen Lüste: Russenkaiser,
Russenkaiser!
Widerhallt es in den .Lohen, und die grauen
Lüfte sprechen.
Wie mich dünkt, mit kaltem Lauche: Wie ein
Rohr wird er zerbrechen!
Gotifried Keller.
selten ins Wirtshaus. Häufiger sah inan ihn
Sonntags durch die Felder wandern in der
Nähe des Dorfes. Der Verkehr zwischen ihm
und den Schmiedelenten ivar immer noch der
alte, mißtrauische, wie es eben bei Landfrem-
den in Kriegszeiten gar oft ist. An einem
Sonntag in der Frühe stand der Alte am
Fenster und traute seinen Augen kaum. Dort
an der frühlingsgrünen Hecke mit den knospen-
den Ansätzen entlang ging der Franzos und
hatte den kleinen Schmiedeheinerle an der
Hand. Der Altschmied rief der Mutter des
Jungen und sagte: „Da, schau hin, meint's
der gut mit dem Jungen, . . . oder?"
Die Frau wehrte mit der Hand ab, band
sich eine Schürze vor und sagte im Hinaus-
gehen: „Will mal schauen. . . ."
„Soll ich mit?" frug der Alte.
„Bleibt," gab die Frau zum Bescheid
und stand die nächste Minute schon
drüben an der Hecke. Den Weg entlang
ging sie hinter den beiden drein.
Der fremde Schmied nahm den Buben
' auf den Rücken und trabte mit ihm wie
ein Reitpferd am Saume des Birken-
wäldchens entlang. Dann hob er den
Jungen aufs Knie und setzte sich mit
ihm auf die wurmstichige Bank vor
dem Wald.
Verdeckt von der Hecke sah die Mutter
mit hellen Augen dem Spiel zu und
hörte ihren Buben lachen und jauchzen
vor Lust. Wie er ihn herzte und mit
ihm schön tat, der Franzos! Und der
Vater lag erschlagen von fremder Ge-
walt im fernen Land. Sie konnte den
Widerspruch kaum fasse», lind mitten
im trauernden Gedenken an den lieben
Gefallenen überkam sie ein Gefühl rein
menschlicher Güte. Der verbissene Groll
gegen den Fremdling dort sank in ihrem
Innern in nichts zusammen. Mitleid undTrauer
bauten eine unsichtbare geistige Brücke von
Mensch zu Mensch. Sie empfand das wie eine
stille Erlösung von etwas namenlos Schwerem.
In dieser Stimmung ging sie heimwärts
zur Hütte. Der Alte stand da mit einer stum-
men Frage in den Augen.
„Er meint es gut mit dem Buben, der Fran-
zos!" sagte mit fester Stimme die Frau.
„Jst's wahr?" fragte erstaunt der Altschmied.
Als vom Pfarrdorf drüben die Mittags-
glocken herüberklangen,kam der fremdeSchmied
mit dem Buben an der Hand in die Schmiede-
hütte. Die Frühjahrssonne schien hell auf
Welt und Menschen, breitete ihre Goldschleier
über alles Grau der Gegenwart, lockte alle
guten Triebe aus harten Schollen und grol-
lenden Herzen und gab auch der Hütte ein
Teil Sonnenglück. Warm schossen ihre Strah-
len durch die niederen Fenster am kleinen
Haus, und die Menschen darin fühlten ihren
Anteil am rechten Menschentum.
Es war, als ob der Lenz, wie draußen in
der Natur, auch hier in der engen Hütte neben
der Schmiede neue Zuversicht auferstehen ließe.
Die Schmiedeleute wurden ledig jedes Miß-
trauens und Grolles untereinander. Wenn
man nun den Altschmied im Wirtshaus nach
seinem Franzosen fragte, gab er mit klarer
Bestimmtheit zur Antwort: „Den haben wir
als einen rechten Kerl gefunden. Laßt euch
nicht durch einen welschfarbigen Rock täuschen.
Darunter schlügt oft ein ehrliches Herz."
Der Fremde wurde auch ganz zutraulich
und bekundete, daß er in seiner Heimat ein
herzig Kind, ein braves Weib und ein be-
scheidenes Heim hatte, wie sie hier. Und daß
er an all das mit urgewaltiger Liebe gefesselt
sei, wie eben alle Menschen an ihre Heimat.
Tie Dorfleute sahen im Gesicht des Fremden
das Bangen und die Sorgen um alles Hei-
matliche sich widerspiegeln. Ganz wie bei
ihnen. Sie fühlten alle das harte Schicksal
der Zeit, und das brachte sie einander als
Menschen näher. Und ohne Groll und Haß
nahmen sie Abschied vom Franzosenschmied,
als er abkommandiert wurde, um anderswo
als feindlicher Gefangener in der Heiniat des
Gegners nützlich zu sein.