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Ein Trauerkondukt.

Wir alle lebten vom Vergangenen

Und gehen am Vergangenen zu Grunde. (Goethe.,

o

Die Bestie.

Jahrelang lag die Bestie in sichrer Hut,

Und umsonst war all ihr Lechzen nach Blut,
Eines Tags doch wurde sie ledig und frei.

Und nun war's mit Ruhe und Frieden vorbei.

Brüllend, verheerend zog sie durchs weite Land.
Legte Städte und Dörfer in Schutt und Brand,
Schlug die Menschen, krank ihren Lebensquell,
Blut troff ihr vomMaul und vom struppigenFell.

Was die Menschheit Schönes, Großes gezeugt,
Ihrer Mordgier ward es untergebeugt!

Was die Menschheit schuf an Besitz und Wert,
Gierigen Rachens hat sie es all verzehrt!

Rot und Elend folgen auf ihrer Spur,
Riedergetreten, verwüstet liegt rings die Flur,
Gräber reihen sich riesig in Ost und West,

Und der Hunger giert wie die schleichende Pest.

Jede Hütte beinahe ein Trauerhaus,

Aber immer noch hält sie frevelnden Schmaus,
Immer noch hebt sie drohend ihr Mordgebrllll,
Keine Kugel ihr Dasein beenden will!

Wer schlägt endlich die Blutbegierige tot,

Die im Mutterleibs das Kind bedroht.

Die Millionen versenkt in des Grabes Nacht,
Die die Menschheit selber zur Bestie macht?

__ Ernst Klaar.

Stenz.

Eine menschliche Geschichte von Karl Bröger.

Der „Zug" ist jene Gemeinschaft feldgrauer
Menschen, in der sich die nächsten soldatischen
Angelegenheiten abspielen. In so einem Zug
kannst du kalte und heiße, lallte und leise
Menschen treffen, Musterknaben undAusschuß-
ware, Heilige und Heiden, alle in den gleichen
grauen Rock gekleidet. Die ganze bunte, när-
rische Welt findet sich im Rahmen eilies sol-
chen Zuges wieder.

Schon auf der Fahrt nach dem Mobil-
machungsort war er mir ausgefallen. Ein seh-
niger, langaufgeschossener Bursche, stand er an,
Fenster, zündete eine Zigarette an der andern an
und spuckte in weitem Bogen i» die Laildschaft.

Sie war ihm sichtlich auch nicht mehr wert.
Der schlecht sitzende Konfektionsanzug war von
einem auffälligen Schnitt, die Hosen umge-
krempelt, übermäßig große Knöpfe am Jackett,
eine übeldnftende Eleganz, die nach Spelunke
roch. Die gelben Knöpfschuhe liefen in lächer-
lichen Spitzen aus, und das knallrote Tuch um
den bloßen Hals vervollständigte die Livree
eines Laufburschen der verdienenden Liebe.
Das Gesicht ivar nicht einmal unschön, zeigte
aber alle Spuren des aufreibenden Nachtlebens.
Uber breiten, viereckigen Zähnen saß ein fester,
schwarzer Schnurrbart, und das tief in die
Stirn gezogene Haar schwang sich in einem
eitle» Bogen über die linke Augenbraue. An
beiden Schläfen pichte es im „Sechser"schwung'

Das war mein erster Eindruck vom Härtl
Max. Er kal» in meinen Zug. Auch in der
Uniform sah der Härtl Max anders aus als
ivir braven Normalbürger. Das Feldgrau
deckte die Grundfarbe seiner zivilen Unnvelt
nicht zu. Da ttnb dort schimmerte sie noch
durch. In ihren schönsten Tönen strahlte sie,
ivenn der Härtl Max den Mund öffnete. Er
war ein schrecklicher Prahlhans, der stets von
den Affären seines Geiverbes berichtete. Dazu
rühmte er sich seiner Muskeln, die gar nicht
weither waren, und stellte Heldentaten in
Aussicht, die den Krieg gewiß entscheiden wür-
den. Merkwürdig genug, daß Max Widerspruch
vertrug und kleinlaut einlenkte, wenn ihm ein
Kamerad den übervollen Mund rnit einer bis-
sigen Bemerkung stopfte. Zwei Tage war der
Härtl Max im Zug, dann hatte er seinen Spitz-
namen weg. Zuerst riefen ihn die kräftigen
und körperlich Selbstbewußten „Stenz", dann
wagten sich die andern langsam an diesen
Namen, und schließlich hieß er so für die ganze
Kompagnie. Der Härtl Max hörte den etwas
anzüglichen Namen ohne Protest, fast mit einem
Anflug von Stolz. Er fühlte sich als Wider-
spiel der Bürger, die ihn so hießen. . . .

Saarburg, Nancy, Arras . . . Tage voll
Blut und Schweiß gingen in diesen Namen
an uns vorüber. Der Zug schmolz, wurde neu
aufgefüllt, schmolz wieder. Stenz ging aus

allen Fährlichkeiten glücklich hervor, hielt im
Bimak und Quartier seine schwungvollen Reden,
die er mehr als je mit groben und feinen
Spitzen gegen die Polizei versah, und spuckte
reichlich in die Hände, um seinen kühnen „Sech-
sern" an den Schläfen Ansehen und Festigkeit
zu geben. Stenz war der übliche Soldat, nicht
tapfer und nicht feig, mürrisch auf langen
Märschen, aufgekratzt, wenn er seine Ruhe
hatte, immer hungrig und gar nicht versessen
auf den Heldentod. Von den versprochenen
Heldentaten hatte er noch keine vollbracht. Er
schoß, sobald es befohlen wurde, nahm volle
Deckung, auch wenn es manchmal nicht be-
fohlen war, und freute sich herzlich über jedes
Geschoß, das an seinen Ohren vorbeipfiff.

Die Stellung von Carenzy wird keiner ver-
gessen, der einmal bis zu den Hüften im Dreck
dieser Gräben gesteckt hat. Was haben wir in
jener Zeit geflucht! Stenz fluchte sein redliches
Teil mit. Anfangs versuchte er ein paarmal,
den kranken Mann zu spielen. Aber der Stabs-
arzt gab ihm so viel Aspirin ein, daß Stenz
die Wahl Aspirin oder Stellung nie mehr an
sich herankomme» ließ. Er brannte seine zwei
Tage mit den andern ab, schimpfte und
schöpfte Wasser und pfiff auf dem Rückmarsch
in Ruhe mit Ausdauer und Hingebung sein
„Puppchen, du bist mein Augenstern" und
ähnliche Stücke.

Im Februar 191S wurde es wieder einmal
lebhaft bei den Franzmännern. Sie funkten
den ganzen Tag und schienen ernstliche Ab-
sichten zu haben. Nach einer solchen Beschießung
hieß es eines Abends, Patrouillen vor und
nachgeschaut, was man drüben vor hat. Wir
waren nicht schlecht paff, als sich zu einer sol-
chen Patrouille auch Stenz freiwillig meldete.
Sollte das der Anfang seiner versprochenen
Heldenlaufbahn sein? Bisher hatte.Stenz jeden-
falls eine zärtliche Liebe für die eigene Haut
gezeigt. Aber jeder Soldat hat seine Stunden
der Wurstigkeit.

Um elf Uhr in der Nachtzoge» die Patrouillen
los. Wir schossen mächtig, um ihnen das An-
schleichen zu erleichtern. Weiten Weg hatten
 
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