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9270

Im Germmal 1793.

Aus dem Tagebuch Karl Leinrich Sansvns,
des Scharfrichters von Paris.

11. Germinal. Nach zahlreichen Hinrichtungen
geringerer Leute sind heute die Bürger Danton,
Camille Desmoulins, Lacroix und Philippeaux
verhaftet morden.

Bisher hatte die Revolution nur die ge-
troffen, welche ihr das Recht verliehen, sie
als Feinde zu betrachten; jetzt begann sie aber
in ihren eigenen Eingeweiden zu wühlen. Die
mächtigen Geister und Talente, welche sich
vereinigt hatten, um niederzureißen, wurden
unter sich uneinig durch den Sieg selbst. Die
festesten Säulen des Gebäudes,
welches die Neuerer auf den
Trümmern des alten aufgeführt
hatten, stürzten jetzt, und da-
durch wurden die Grundfesten
so erschüttert, daß der Tag nicht
fern war, an welchem der Hauch
eines Tallien genügte, um das
republikanische Werk zu vernich-
ten, und der Tod Dantons war
das erste Symptom von dem
Ende der Republik.

Danton folgte ohne Wider-
stand den Leuten Hörons, die ihn
verhafteten. Camille Desmou-
lins dagegen riß das Fenster auf
und rief um Hilfe gegen die
Tyrannei. Als er sah, daß nie-
mand erschien, um ihn zu ver-
teidigen, bat er um die Erlaub-
nis, aus seiner Bibliothek einige
Bücher mitnehmen zu dürfen,
umarmte seine Frau und seinen
Sohn, der noch in der Wrege
lag, und ließ sich fortführen.

Die Nachricht von der An-
wesenheit dieser eben noch so
mächtigen Männer verbreitete
in dem Gefängnis eine lebhafte
Aufregung. Einer der Gefange-
nen fragte Danton, wie er sich
von Robespierre hätte betrügen
lassen können? Und er antwor-
tete: „Ich glaubte nicht, daß der
Schuft mich so leicht beseitigen
könnte; übrigens will ich aber
doch lieber ein Guillotinierter

als ein Guillotinierer sein."

* *

-i-

In der Nacht vom 12. zum 13.
wurden die Angeklagten nach der Conciergerie
gebracht, und am 13. erschienen sie vor dem
Tribunal. Die Anklage lautete auf Verschwö-
rung mit dem Auslande.

Auf die üblichen Fragen gab Danton die
stolze Antwort: „Ich bin Danton, hinlänglich
bekannt in der Revolution; meine Wohnung
wird bald das Nichts sein; mein Name wird
foctleben in dem Pantheon der Geschichte."

16. Germinal. Nach dem Befehl des Bürgers
Fouquier begab ich mich gegen 9 Uhr in den
Justizpalast. Als ich ein trat, klopfte mir ein
Gendarm auf die Schulter und sagte: „Heute
bekommst du Hochwild!" — Riviöre fügte
hinzu: „Sie sind alle verurteilt!"

Bald darauf kam der Bürger Lescot, der
Substitut des öffentlichen Anklägers, und
fragte mich, ob meine Karren bereit wären.
— „Ich erwarte sie," antwortete ich ihm.

Danton hatte ein gleichgültiges, beinahe
kaltes Wesen angenommen; er ging mit festem
Schritt auf mich zu, setzte sich auf einen Stuhl,
riß den Hemdkragen herab und sagte: „Ver-
richte dein Geschäft, Bürger Sanson." — Ich
brachte ihn selbst in Ordnung. Sei» Haar
war dick und hart, wie Roßhaar. Während-
dessen sprach er beständig. Er sagte zu seinen
Freunden: „Das ist der Anfang vom Ende;
sie werden die Volksvertreter jetzt haufenweise

guillotinieren, aber Isolierung ist nicht Macht."
— Er schloß mit den Worten: „Wir haben
unsere Aufgabe erfüllt; gehen wir schlafen!"

Die Bürger Horault von Söchelles und Ca-
mille Desmoulins wurden zugleich gebracht.
Der erste schien gleichgültig zu sein; der zweite
weinte und sprach von seiner Frau, seinem
Kinde mit den rührendsten Worten, indem
er rief: „Lucile! O meine Lucile!"

Endlich war alles bereit. Tucray, der zu-
gegen war, gab das Zeichen zum Aufbruch.

In dem Augenblick, als der Fuhrmann sein
Pferd antrieb, schrie Danton: „Die einfältigen
Tiere! Sie werden bei unserem Vorüberkom-
men rufen: ,Es lebe die Republik!' und in
zwei Stunden hat die Republik keinen Kopf
mehr!"

Als wir vor einem Kaffeehause vorüber-
kamen, sahen wir aus einem Fensterbrett einen
Bürger sitzen, der die Verurteilten zeichnete.
Diese erhoben sich sämtlich und murmelten:
„David! David!" Ich erkannte ihn in der
Tat an seinem schiefen Munde. Danton erhob
die Stimme und rief ihm zu: „Da bist du,
Knecht! Sage deinem Gebieter, wie die Streiter
der Freiheit sterben!" — Lacroix rief ihm dann
auch zu und nannte ihn ein Ungeheuer, David
aber fuhr ruhig fort zu zeichnen.

Türen, Fenster und Fensterladen waren in
dem Hause von Duplay, in dem Robespierre
wohnte, geschloffen. Als die Verurteilten es
erreichten, rief Camille: „Unge-
heuer, wenn du mein Blut ge-
trunken hast, wirst du dann, um
deinen Durst zu löschen, auch
noch das meiner Frau trinken
müssen?" — Dantons Stimme
übertönte die aller andern, und
wutschäumend schrie er: „Robes-
pierre, vergebens versteckst du
dich; auch du wirst kommen, und
der Schatten Dantons wird in
seinem Grabe vor Freude erröten,
wenn du an dieser Stelle bi-st!"

Bis zur Guillotine ging Dan-
tonfortwährend von der größten
Ruhe plötzlich zu der heftigsten
Aufregung über und ebenso um-
gekehrt. In dem Augenblick, als
wir auf den Platz einbogen, be-
merkte er das Schafott; das Blut
schwand aus feinem Gesicht. In-
dem der Karren hielt, schüttelte
er heftig den Kopf und murmelte:
„Danton, keine Schwäche!"

Als Desmoulins die Plattform
betrat, blieb er vor mir stehen
und bat mich, eine Haarlocke von
ihm der Mutter seiner Frau zu
bringen. Darauf ließ er sich ruhig
an das Schwungbrett führen,
und mehrmals wiederholte er
den Namen Lucile. Ich gab das
Zeichen, und das Messer fiel.

Hörault von Söchelles bestieg
hierauf das Gerüst und mit ihm
Danton, ohne daß jemand ihn
gerufen hatte oder ihn daran
zu hindern wagte; die Gehilfen
hatten Hörault ergriffen, als
Danton sich ihm näherte, um
ihn zu umarmen. Hörault wurde
fortgerissen, und Danton rief: „Die Dumm-
köpfe! Sie können unsere Lippen nicht hindern,
sich in dem Korbe zu küssen?"

Er sah seinen Freund sterben, ohne daß
eine Muskel seines Gesichtes zuckte. Noch war
das Schwungbrett nicht leer, das Messer nicht
gereinigt, als er vortrat. Ich hielt ihn zurück,
aber geringschätzig sagte er: „Etwas mehr,
etwas weniger Blut auf deiner Maschine, was
kömmt es darauf an? Vergiß übrigens nicht,
meinen Kopf dem Volke zu zeigen; es sieht
nicht alle Tage solche Köpfe."

Als man, nach dem Wunsche Dantons, dessen
Kopf rings um das Schafott trug, ertönte der
Ruf: „Es lebe die Guillotine!" Aber er ver-
breitete sich nicht über den nächsten Umkreis
des Schafotts. —

Richter (zu einem wegen Lebensmittelfälschung Angeklagten): Haben Sie noch
etwas zu Ihrer Verteidigung vorzubringen?

Angeklagter: Ja, Herr Präsident. Ich bitte um Freisprechung. Der
Reichskanzler selbst hat gesagt: Freie Bahn jedem Tüchtigen!
 
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