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Völkerwahn.

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Millionen Herzen Kennen nur einen Schlag:

Wann das große Leid wohl sich wenden mag?

Jedes Kindlein, das abends zu Belke gehl,

Ilm des Baters Rückkehr mit Inbrunst fleht.

Zede Gattin, einsam, verlassen, verwaist,

Irrt und wandert zur Ferne mit suchendem Geist.

Wer als Mutter einen im Schoße trug.

Murmelt gegen die Hetzer grimmigsten Fluch.

Seufzer und Sehnen durchzucken das Herz der Braut,
Wenn sie nächtlich empor zu den Sternen schaut.

Hüben und drüben — alle stehen vereint.

Wenn die Sorge und Sehnsucht um Liebes weint.

Emst Klaar.

Ob uns Sprache und ob uns die Grenze trennt —
Keiner, keine hier anderes Fühlen kennt.

Menschen sind wir, Menschen in tiefster Not,

Alle gegeißelt vom blutigen Schlachtentod.

Warum reichen wir brüderlich nicht die Hand,
Schaffend ein freies, frohes, glückliches Land?

Warum bieten wir nicht dem Morden ein Halt,
Daß beherrschend es über die Erde schallt?

Ach, noch fesselt so viele der finstre Wahn
Und verlegt zu beßrer Erkenntnis die Bahn!

Ach, noch sind so viele vom Hasse blind —

Und die Völker büßen's vom Greis zum Kind!

Griechenland.

Alle deine alten Götter helfen dir nicht.

Stumm ragt der Olympos empor in dein gol-
denes Licht.

In dein Licht, das froh über heilige Erde streift

And Brot dir und süße, schwellende Trauben
reift.

In dein Licht... o, du von tiefem Dunkel ge-
schlagenes Land!

Grinsende Quäler haben dich auf die Folter
gespannt;

Fessel um Fessel schmieden sie; zerren dir
Glied auf Glied:

Stirb oder singe! Sing' deiner Peiniger Lied!

Gib uns die Traube, gib uns dein spärliches
Brot!

Siehe, wir schmausen — und trinken auf deinen
Tod!

Gib uns dein Leben, dein Blut, deine heldische
Kraft —

Oder der Äunger verdorre der Adern starr-
trotzigen Saft!

Stirb oder winde dich uns zu Füßen, du
Knecht;

Verstärk' unfern Chorus und brülle: die Frei-
heit, das Recht!

Freiheit den Völkern, so wie wir sie spenden
der Welt,

Dazu das Recht, wie die Faust hier vor Augen
dir's hält!-

Geht eine traurige Sage wohl um im Land

Von Prometheus, der an den Felsen ge-
spannt;

Dem ein Geier das wehrlose Leben frißt. . .

Griechenland, siehe, wer nun Prometheus ist!

Ernst Preczang.

Feldpostbriefe.

LXXV.

Geliebte Rieke! Die Gründe, die Du zu-
gunsten einer sofortigen Kriegstrauung an-
führst, haben mir sehr angenehm berührt. Aber
es Hilst alles nichts: ich kann Dir momentan
nicht heiraten! Das heißt. Du darfst mir nicht

mißverstehen: heiraten und so könnte ich Dir
von mir aus schon, aber die dienstlichen Ver-
hältnisse erlauben augenblicklich eine so weit-
gehende private Ausschweifung leider nicht.
Zu die Kriegstrauung nebst Zubehör braucht
man Mindestens vierzehn Tage Urlaub. Die
Türken kriegen mehr, weil ihnen ihre reli-
giösen Empfindungen gebieten, daß sie immer
gleich fünf bis sechs 'Stück auf einmal hei-
raten, und wenn sie für jede auch man bloß
eine Woche Eheurlaub benötigen, so kommt
doch schon immer ein ganz schöner Posten
heraus. Aber obgleich ich mir hier nun schon
ziemlich lange in ein überwiegend mohamme-
danisches Gelände bewege, so beneide ich doch
die Türken in diese Hinsicht nicht, indem daß
die Liebe vermittels ihre rituellen Vorschriften
kein sogenanntes Vergnügen nicht ist. Die
Damenwelt geht nämlich von ganz unten bis
über den Zinken eingewickelt, und aus die
Tücher stechen bloß die Augendeckel heraus, die
das einzige sind, womit ihnen auf Grund ihrer
religiösen Überzeugung zu klappern erlaubt ist.
Unter diese obwaltenden Umstände kann zwi-
schen Brautleute natürlicherweise von Stralau
oder Halensee oder sonst einen Schwoof am
Sonntag nicht im entferntesten die Rede sein.
Aber auch nach glücklich erfolgtem Standesamt
hat die Sache einen bedeutenden Haken. Man
sitzt mit Muttern egal im Harem und macht
Killekille, aber eine höhere Geselligkeit findet
in das Familienleben nicht statt, und wenn
Maxe oder Fritze einen zu einem Sonntag-
nachmittagskat besuchen wollen, dann steht vor
die Haustüre ein Eunuche, fletscht mit die
Zähne und läßt ihnen nicht hinein. Denn jede
männliche Anwesenheit verstößt gegen den
mohammedanischen Katechismus. Ich kann
mir nicht helfen, aber ich mutmaße, der alte
Mohammed muß in seine verflossene Jugend
ein Aas auf die Baßgeige gewesen sein, sonst
würde ergegen seine gläubige Männerwelt nicht
so mißtrauische Vorschriften erlassen haben.

Entschuldige diese Abschweifungen, geliebte
Rieke, aber ich mußte Dir über die Sachlage
instruieren, weil Du Dir in Deinem lieben
Brief gewisse andeutungsweise Spitzfindigkeiten
erlaubst, als wie wenn ich von türkische An-
wandlungen befallen wäre und von eine euro-

päische Ehe Überhauptnichts mehr wissen wollte.
Dieses trifft jedoch keineswegs zu, sondern
vielmehr gerade das Gegenteil. Ich würde
Dir von: Platz weg heiraten, aber zahlreiche
strategische Gründe sprechen, wie gesagt, augen-
blicklich dagegen. Zunächst bin ich in meine
dienstliche Charge noch nicht genügend hoch
gestiegen, daß es zu eine richtige Eheschließung
langt. Frau Garde-Grenadier ist gewiß ein
sehr wohlklingender Titel, der Deine weibliche
Eitelkeit schmeicheln würde, aber man darf in
diese ernsthaften Zeiten apf solchen äußerlichen
Prunk und Ehren kein Gewicht nicht legen,
und satt wird man nicht davon, selbst wenn
man auf eine Kriegerwitwenpenston spekulieren
sollte, welche Gemeinheit ich bei Dein zartes
Gemüt für ausgeschlossen erachte. Die Haupt-
sache aber ist und bleibt, daß ich augenblicklich
nicht abkömmlich bin. Als ich meinem Feld-
webel bloß eine leise Andeutung von wegen
Heiratsurlaub fallen ließ, hat er mir sofort
auf das bestimmteste erklärt, daß er angesichts
von die neue Gestaltung der griechischen Ver-
wicklungen meine Mitwirkung an die hiesige
Südostfront aus zwingende militärische Gründe
auch nicht für drei Tage entbehren könnte. Es
werden von unsere Truppen in die allernächste
Zeit wahrscheinlich sehr kräftige Vorstöße ver-
langt werden, deren Wucht nicht durch Ehe-
schließungen verzettelt werden darf.

Du wirst also einsehen, geliebte Rieke, daß
es beim besten Willen nicht geht, und ich bitte
Dir herzlich, gedulde Dir noch eine Zeitlang,
ebenso wie ich Dir auf dienstliches Ehrenwort
verspreche, daß ich trotz Deine verdächtigen
Mutmaßungen mir hier keinen Harem anlegen,
sondern mir stets so behelfen werde, wie es
sich für einen preußischen Garde-Grenadier
schicken tut.

Mit diese glaubwürdige Versicherung sowie
tausend Grüße und Küsse bleibe ich bis auf
weiteres Dein getreuer Bräutigam

August Säge jun., Garde-Grenadier.

Nachschrift. Da ich Dir Deine Bitte von
wegen postwendende Kriegstrauung leider nicht
habe erfüllen können, möchte auch ich dieses
Mal keine Bitte nicht äußern. Andernfalls wäre
mir eine Kiste von die bewußte Marke („Feuer-
zauber, unsortiert") sehr angenehm gewesen.
 
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