9340
Kritische Gedanken.
Zeige mir ihre Propheten, und ich will dir
sagen, was an einer Sache ist.
Die Lautesten sind nicht immer die Lautersten.
Die Biedermeier und Schreier
Legen die faulsten Eier.
In Geldsachen hört nicht nur die Gemütlich-
keit, sondern oft auch die Prinzipienfestigkeit auf.
Weil man aus ihrer Haut Pergament macht,
glaube» die Esel, alle Weisheit
stamme von ihnen.
Mit Phrasen kann man wohl die
Leute aufs Maul, aber keine Ideen
totschlagen.
Wer die Stockschläge gerechter
Entrüstung nicht mit Gründen wider
legen kann, hüllt sich in die belei-
digte „Würde" und pariert mit dein
Hintern.
Die politische Orthodoxie ist genau
so schlimm wie die religiöse. Beide
kennen keine Freiheit und keine
Fortentwicklung.
Kultur und Kultus sind zivei
Dinge, die weiter nichts miteinander
gemein haben als die ersten fünf
Buchstaben.
Vorschußlorbeeren welken frühe.
Nicht überrumpeln und überreden,
sondern überzeugen ist dieHauplsache.
Je schlechter die Sache, desto blen-
dender die Mache.
Gegen die Gemeinheit ist kein
Kraut gewachsen, aber manchmal
ein — guter Haselstock! E. Kl.
Die Mutter der Erde.
Mutter Gäa war schon ein wenig
altersschwach geworden; sie saß am
liebsten, wie alte Frauen es gern
tun, in ihrem Lehnstuhl und drehte
die Damnen umeinander oder machte ein aus-
giebiges Schläfchen. Eines Tages aber erwachte
sie und fuhr schreckhaft in die Höhe. Die Erde
erbebte, und ein Gepolter wie von hundert-
tausend Donnern erfüllte die Luft.
Mutter Gäa meinte, ihre Söhne, die Zy-
klopen, vollführten in ihrer Schmiede so einen
Heidenlärm, aber als sie dann vor die Tür
trat und die Erde überblickte, sah sie ihre
weitere Familie, die Menschheit, in heftigem
Zwiste toben. Ja, nun erinnerte sie sich: die
Menschen hatten das Erbe des Zeus über-
nommen und führten den Donner und Blitz
in ihrer kleinen Hand, machten aber zuweilen
einen überreichen Gebrauch davon und warfen
einander gegenseitig alles Erz der Welt an
den Kopf.
Frau Gäa sah dem Schauspiel mit große»
Augen zu. Ihr Haushalt war ja eigentlich nie
so ganz ordentlich und geregelt gewesen, und
was in jeder Gemeinschaft als friedliches Ideal
ausgestellt wird: Gerechtigkeit und Verträg-
lichkeit, das war auch hier zwar schon seit
altersgrauen Zeiten von zahlreichen Propheten
eindringlich verkündet, aber nicht ganz von
der Wirklichkeit erreicht worden. Da gab es
zum Beispiel Kinder, die mit aller ordentlicher
Liebe und Sorgfalt behandelt wurden, und
Stiefkinder, denen man jeden Atemzug iniß-
gönnte. Manche ihrer Söhne und Töchter klei-
deten sich nach dem neuesten PariserJournal und
andere schlichen in ärmlichen Nachahmungen
oder gar Lumpen herum. Einige aßen gut in
der guten Stube, andere wanderten bettelnd
in den Gassen von Hans zu Haus. Skandal
gab es auch genug. Mutige Leute hieben ein-
ander Stühle und Maßkrüge an den Kopf,
wenn sie einmal so recht vergnügt sein woll-
ten, und mitunter rutschte wohl auch ein blankes
Messer aus. Ja, es kam vor, daß jemand er-
würgt, erschlagen, erschossen, vergiftet wurde.
Mau stahl, log, betrog, wilderte, wucherte,
brach Ehen, zündete noch gut erhaltene Häuser
an, wenn sie ausreichend versichert waren, und
kluge Leute preßten aus den dummen den letzten
Tropfen Lebenskraft heraus, um sich selbst ein
angenehmes Dasein zu schaffen. Einige waren
stets damit beschäftigt, sich zu amüsieren, und
andere amüsierten sich damit, sich die Haut
von dm Händen oder Schwielen ins Gehirn
zu schinden.
Kurzum: Mutter Gäa gestand sich: eine sehr
feine und vernünftige Familie war die Mensch-
heit nicht, war es nie gewesen, solange sie
existierte. Man schlug sich und vertrug sich
und produzierte daneben recht viele schöne und
friedliche Worte.
Nun aber, soweit sie auch in ihren Erinne-
rungen zurückgrub: etwas derart Wildes hatte
sie noch nicht erlebt. Da krabbelten wahrhaftig
alle Menschen wie irre gewordene Ameisen-
schwärme gegen- und durcheinander, wühlten
die Erde auf, zersprengten die Gebirge, pfla-
sterten Wälder und Felder mit Eisen, verwan-
delten Städte und Dörfer zu Schutt-
haufen und legten Kunstwerke in
Trümmer, an denen die Kraft der
Hirne und Hände lange, mühselige
Jahrzehnte geschaffen. Sie glitten
unsichtbar im Wasser umher und
lagen wie Hechte auf der Lauer; sie
schwebten adlergleich hoch oben im
Äther, verbissen sich wie kämpfende
Raubvögel ineinander und sandten
Tod und Vernichtung auch von dort
oben auf die zitternde Erde oder
stürzten selbst wie flammende Me-
teore herab.
Da, als Mutter Gäa dies erblickte,
weiteten sich ihre Augen immer mehr
und mehr zu schreckhafter Größe,
und ihre krumme Gestalt richtete sich
auf und wuchs und wuchs empor zu
riesenhafter Höhe, bis ihr Haupt an
die Wolken stieß und ihr Haar wie
lange schwarze Fahnen, über die
Erde flatterte.
Unselige! rief sie: Unselige! Seid
ihr nicht Brüder und alle aus mei-
nem Schoß entsprungen? Zogt ihr
darum die Kraft aus meinem Blute,
um euch selber zu vernichten? Pflück-
tet ihr darum die Weisheit aus den
prangenden Gärten des Lebens, um
dem Tode dienstbar zu sein?
Frau Gäa bat, schrie und drohte.
Aber der Hall ihret Stimme ging
unter in dem Brausen des feurigen
Sturmes, der über die zerrissene
Erde fegte. Da quollen zwei große
blutige Tränen aus den Augen der
Mutter Gäa, und sie sank wieder
zusammen, wurde klein und krunim,
wie sie vorher gewesen.
Nächstens aber geht sie über die Schlacht-
felder, nimmt die Toten in ihren Arm, drückt
den Stöhnenden sanft dieAugen zu und flüstert:
„Ich will euch alle wieder zu mir nehmen,
alle, alle! Zu mir, von der ihr gekommen seid.
Euer Blut soll mich stärken und verjüngen,
auf daß ich einst eine neue, bessere Mensch-
heit gebären kann." Pan.
Rot oder Schwarz.
Ein Traum.
Die russische Revolution hatte gesiegt. Die
Internierung des Zaren in Zarskoje Selo war
erfolgt, und die Opfer der Revolution waren
unter Teilnahme von Hunderttausende» in ihr
Ehrengrab gelegt ivordcn.
Die Stickluft des Zarismus war durch die
Windsbraut der Volkserhebung hinweggefegt,
Herr Nimmersatt.
Frei nach Vakocky.
„Alles arbeitet," heißt es in einem schönen Artikel der Zeitung. „Die Halme
drangen nach oben, die Kartoffeln brechen durch die graue Erddecke, der
Dünger zersetzt sich, die Schweine bilden Fett, die Kühe sanimeln Milch in
ihre Euter, die Bienen Honig in ihre Waben,"' — und das alles, liebe
Nosalie, sammelt sich in unserem Panzcrkassenschrank als Niederschlag
einer großen Zeit. . . .
Kritische Gedanken.
Zeige mir ihre Propheten, und ich will dir
sagen, was an einer Sache ist.
Die Lautesten sind nicht immer die Lautersten.
Die Biedermeier und Schreier
Legen die faulsten Eier.
In Geldsachen hört nicht nur die Gemütlich-
keit, sondern oft auch die Prinzipienfestigkeit auf.
Weil man aus ihrer Haut Pergament macht,
glaube» die Esel, alle Weisheit
stamme von ihnen.
Mit Phrasen kann man wohl die
Leute aufs Maul, aber keine Ideen
totschlagen.
Wer die Stockschläge gerechter
Entrüstung nicht mit Gründen wider
legen kann, hüllt sich in die belei-
digte „Würde" und pariert mit dein
Hintern.
Die politische Orthodoxie ist genau
so schlimm wie die religiöse. Beide
kennen keine Freiheit und keine
Fortentwicklung.
Kultur und Kultus sind zivei
Dinge, die weiter nichts miteinander
gemein haben als die ersten fünf
Buchstaben.
Vorschußlorbeeren welken frühe.
Nicht überrumpeln und überreden,
sondern überzeugen ist dieHauplsache.
Je schlechter die Sache, desto blen-
dender die Mache.
Gegen die Gemeinheit ist kein
Kraut gewachsen, aber manchmal
ein — guter Haselstock! E. Kl.
Die Mutter der Erde.
Mutter Gäa war schon ein wenig
altersschwach geworden; sie saß am
liebsten, wie alte Frauen es gern
tun, in ihrem Lehnstuhl und drehte
die Damnen umeinander oder machte ein aus-
giebiges Schläfchen. Eines Tages aber erwachte
sie und fuhr schreckhaft in die Höhe. Die Erde
erbebte, und ein Gepolter wie von hundert-
tausend Donnern erfüllte die Luft.
Mutter Gäa meinte, ihre Söhne, die Zy-
klopen, vollführten in ihrer Schmiede so einen
Heidenlärm, aber als sie dann vor die Tür
trat und die Erde überblickte, sah sie ihre
weitere Familie, die Menschheit, in heftigem
Zwiste toben. Ja, nun erinnerte sie sich: die
Menschen hatten das Erbe des Zeus über-
nommen und führten den Donner und Blitz
in ihrer kleinen Hand, machten aber zuweilen
einen überreichen Gebrauch davon und warfen
einander gegenseitig alles Erz der Welt an
den Kopf.
Frau Gäa sah dem Schauspiel mit große»
Augen zu. Ihr Haushalt war ja eigentlich nie
so ganz ordentlich und geregelt gewesen, und
was in jeder Gemeinschaft als friedliches Ideal
ausgestellt wird: Gerechtigkeit und Verträg-
lichkeit, das war auch hier zwar schon seit
altersgrauen Zeiten von zahlreichen Propheten
eindringlich verkündet, aber nicht ganz von
der Wirklichkeit erreicht worden. Da gab es
zum Beispiel Kinder, die mit aller ordentlicher
Liebe und Sorgfalt behandelt wurden, und
Stiefkinder, denen man jeden Atemzug iniß-
gönnte. Manche ihrer Söhne und Töchter klei-
deten sich nach dem neuesten PariserJournal und
andere schlichen in ärmlichen Nachahmungen
oder gar Lumpen herum. Einige aßen gut in
der guten Stube, andere wanderten bettelnd
in den Gassen von Hans zu Haus. Skandal
gab es auch genug. Mutige Leute hieben ein-
ander Stühle und Maßkrüge an den Kopf,
wenn sie einmal so recht vergnügt sein woll-
ten, und mitunter rutschte wohl auch ein blankes
Messer aus. Ja, es kam vor, daß jemand er-
würgt, erschlagen, erschossen, vergiftet wurde.
Mau stahl, log, betrog, wilderte, wucherte,
brach Ehen, zündete noch gut erhaltene Häuser
an, wenn sie ausreichend versichert waren, und
kluge Leute preßten aus den dummen den letzten
Tropfen Lebenskraft heraus, um sich selbst ein
angenehmes Dasein zu schaffen. Einige waren
stets damit beschäftigt, sich zu amüsieren, und
andere amüsierten sich damit, sich die Haut
von dm Händen oder Schwielen ins Gehirn
zu schinden.
Kurzum: Mutter Gäa gestand sich: eine sehr
feine und vernünftige Familie war die Mensch-
heit nicht, war es nie gewesen, solange sie
existierte. Man schlug sich und vertrug sich
und produzierte daneben recht viele schöne und
friedliche Worte.
Nun aber, soweit sie auch in ihren Erinne-
rungen zurückgrub: etwas derart Wildes hatte
sie noch nicht erlebt. Da krabbelten wahrhaftig
alle Menschen wie irre gewordene Ameisen-
schwärme gegen- und durcheinander, wühlten
die Erde auf, zersprengten die Gebirge, pfla-
sterten Wälder und Felder mit Eisen, verwan-
delten Städte und Dörfer zu Schutt-
haufen und legten Kunstwerke in
Trümmer, an denen die Kraft der
Hirne und Hände lange, mühselige
Jahrzehnte geschaffen. Sie glitten
unsichtbar im Wasser umher und
lagen wie Hechte auf der Lauer; sie
schwebten adlergleich hoch oben im
Äther, verbissen sich wie kämpfende
Raubvögel ineinander und sandten
Tod und Vernichtung auch von dort
oben auf die zitternde Erde oder
stürzten selbst wie flammende Me-
teore herab.
Da, als Mutter Gäa dies erblickte,
weiteten sich ihre Augen immer mehr
und mehr zu schreckhafter Größe,
und ihre krumme Gestalt richtete sich
auf und wuchs und wuchs empor zu
riesenhafter Höhe, bis ihr Haupt an
die Wolken stieß und ihr Haar wie
lange schwarze Fahnen, über die
Erde flatterte.
Unselige! rief sie: Unselige! Seid
ihr nicht Brüder und alle aus mei-
nem Schoß entsprungen? Zogt ihr
darum die Kraft aus meinem Blute,
um euch selber zu vernichten? Pflück-
tet ihr darum die Weisheit aus den
prangenden Gärten des Lebens, um
dem Tode dienstbar zu sein?
Frau Gäa bat, schrie und drohte.
Aber der Hall ihret Stimme ging
unter in dem Brausen des feurigen
Sturmes, der über die zerrissene
Erde fegte. Da quollen zwei große
blutige Tränen aus den Augen der
Mutter Gäa, und sie sank wieder
zusammen, wurde klein und krunim,
wie sie vorher gewesen.
Nächstens aber geht sie über die Schlacht-
felder, nimmt die Toten in ihren Arm, drückt
den Stöhnenden sanft dieAugen zu und flüstert:
„Ich will euch alle wieder zu mir nehmen,
alle, alle! Zu mir, von der ihr gekommen seid.
Euer Blut soll mich stärken und verjüngen,
auf daß ich einst eine neue, bessere Mensch-
heit gebären kann." Pan.
Rot oder Schwarz.
Ein Traum.
Die russische Revolution hatte gesiegt. Die
Internierung des Zaren in Zarskoje Selo war
erfolgt, und die Opfer der Revolution waren
unter Teilnahme von Hunderttausende» in ihr
Ehrengrab gelegt ivordcn.
Die Stickluft des Zarismus war durch die
Windsbraut der Volkserhebung hinweggefegt,
Herr Nimmersatt.
Frei nach Vakocky.
„Alles arbeitet," heißt es in einem schönen Artikel der Zeitung. „Die Halme
drangen nach oben, die Kartoffeln brechen durch die graue Erddecke, der
Dünger zersetzt sich, die Schweine bilden Fett, die Kühe sanimeln Milch in
ihre Euter, die Bienen Honig in ihre Waben,"' — und das alles, liebe
Nosalie, sammelt sich in unserem Panzcrkassenschrank als Niederschlag
einer großen Zeit. . . .