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(Ein Lied vom Durchhalten.
Rückt nun der Winter bald heran,
Oer Keller steckt voll Kohlen,
wer jetzt noch spricht von Frostes Bann,
Den soll der Teufel holen!
wir haben Gas, elektrisch Licht,
Oie Schränke voller Kleider,
Kn pelzen auch, da mangelt'; nicht,
Nebst Schuhwerk — und so weiter!
kjoch Ludendorff und kjindenburg!
wir halten durch!
Oie Vorratskammer ist instand
Mit Eiern, Mehl und Zucker —
Ein braver kjeereslieferant,
Das ist kein armer Schlucker!
2m Rauchfang hängt 'ne ganze Sau
Nebst Speck und Wurst und Schinken,
Und wird mir dennoch einmal „mau" —
2ch Hab' auch was zu trinken!
hoch Ludendorff und ljindenburg!
wir halten durch!
Mein Geldschrank geht bald nicht mehr zu,
So schwellen die „Papiere",
Nur einer stört mir noch die Ruh:
Daß platzen könnt' die Türe!
wohin ich meinen Finger streck',
Häuft sich das Geld in Massen —
Mit „blauen Lappen" (welcher Oreck!)
Mag man sich kaum befassen.
Hoch Ludendorff und Hindenburg!
wir halten durch!
2ch weiß nicht, was der'pöbel schreit
Und anhebt lautes Klagen?
Ich dächte doch, die „schwere Zeit",
Oie wäre zu ertragen!
wer sich nicht allzu hoch verstieg,
Oer kann fein Schäfchen scheren —
Meintswegen könnte dieser Krieg
Noch ein paar Jahre währen!
kjoch Ludendorff und Hindenburg!
wir halten durch! <E. Kl.
Das Georgskreuz.
Glühend brannten die Sonnenstrahlen
auf die Fluren des am Abhang eines
bewaldeten Hügels ausgebreiteten russi-
schen Dorfes Staraja Derewna. Die
Bauern waren auf dem Felde mit dem
Abernten des Roggens beschäftigt, der
einen guten Ertrag versprach. Infolge Mangels
an Gespannen mußten die Garben auf Karren
und Schlitten von den Weibern und Kindern
unter unsäglichen Mühen ins Dorf gebracht
werden, während die Bauern selbst, meistens
Greise, sich bei der Feldarbeit abmühten.
Bor einem Bauernhause, das noch ziemlich
wohlerhalten war, stand eine mit Garben be-
ladene Karre, die von einem alten Äauern
und dessen Frau vom Felde herbeigeführt wor-
den war und nunmehr abgeladen wurde.
„So, Annisja, das ist die letzte Fuhre, die
den Segen Gottes heimbringt, der uns vor
dem Hunger schützen soll. Die Arbeit war doch
für uns beide Alten recht sauer. Aber was
macht's, sie ist jetzt getan."
„Wohl, wohl, Grischka," sagte die Bäuerin,
„ich hab's kauni für möglich gehalten, daß
unsere alten Glieder die Arbeit bewältigen
könnten. Immer hoffte ich, daß einer oder
zwei von unseren Jungen von der Front heim-
geschickt werden würden, um uns zu helfen.
Aber nicht einmal Antwort haben wir erhalten
auf den Brief,- den unser Djakon (Kaplan) an
sie geschrieben hat, so daß ich daran zweifle,
ob sie noch am Leben sind."
„Ach was. Alte, wer wird immer gleich das
Schlimmste denken," antwortete der Bauer.
„Den Jungen wird es gut gehen, sie werden
schon wieder kommen oder doch bald etwas
von sich hören lassen."
„Gebe Gott, daß du recht behältst, Grischka,
— mir ist es aber manchmal, als wenn ich
meine Kinder nicht Wiedersehen sollte."
Mittlerweile waren die Garben untergebracht
worden, und die Alten hatten sich in das Haus
begeben, wo die Bäuerin den Ofen, der fast
die Hälfte des Gemachs einnahm, öffnete, um
das Essen herauszunehmen, das sie bereits am
frühen Morgen in die glühende Asche zum
langsamen Kochen eingestellt hatte.
Der Bauer Grigor Petrowitsch war ein an-
gehender Siebziger, aber noch gut bei Kräften,
ebenso die Bäuerin Annisja. Sie hatte drei
Drei Generationen.
Nacht um Nacht.
von Joses tuilpold.
Nacht um Nacht nun, wenn die Sterne leuchten,
Schmerz, wie viele Rügen wirst du feuchten?
Mond wird fahl in tausend Kammern scheinen,
Sehen wird er tausend Frauen weinen.
Böses Rhnen, vorgefühlter Kummer
Reiht die greise Mutter aus dem Schlummer.
Rollen sah im Traum sie die Kanone,
Und am Rad klebt Blut von ihrem Sohne.
Gelles Schreien schreckt die dunkle Stunde,
lvar es Träumen? Ivar es bittre Kunde?
Nacht um Nacht nun, wenn die Sterne leuchten,
Schmerz, o wieviel Rügen wirst dir feuchten!
Buben zur Welt gebracht und gesund auf-
gezogen, um sie — statt eine Stütze in ihrem
Alter daran zu haben — an den Zaren ab-
zuliefern zur Verteidigung des heiligen Ruß-
lands, denn das sei nötig — wenigstens hatte
das der Pristaw und der Pope gesagt — also
mußte cs wohl wahr sein.
Der Bauer selbst hatte in seinem langen
Leben vielerlei erfahren, aber im allgemeinen
war er doch leidlich dabei weggekommen. Bei
seiner Geburt war er noch leibeigen gewesen,
aber wie seine Eltern war auch er auf dem
Dorfe geblieben, um Leid und Freude mit den
Bauern zu teilen. Manches im bäuerlichen
Leben war schlechter, manches aber auch besser
geworden. So ganz besonders die Befreiung
aus der Leibeigenschaft hatte die Bauern vor
ganz neue Aufgaben gestellt, denen sie in vielen
Fällen nicht gewachsen waren. Statt in der
früheren Sorglosigkeit beharren zu können,
waren nunmehr ganz bestimmte Forderungen
an die Bauern gerichtet worden, denen sie bei
ihren mangelhaften Erfahrungen und ihrer
Unkenntnis des Lesens und Schreibens rat-
los gegenüberstanden. Den Schlichen schlauer
Händler waren die meisten schonungslos aus-
geliefert und den Steuereintreibern auf
Gnade und Ungnade preisgegeben. — So
gut es aber ging, hatte das Heimatdorf
Grigors die Übergangszeit überwunden,
so daß die Bauern zurzeit sich recht und
schlecht durchschlagen konnten.
Von dem Krieg gegen die Türkei im
Jahre 1878 war auch unser Grigor be-
troffen worden. Der Feldzug war ein sieg-
reicher bis San Stefano, wo die West-
mächte den Russen den Weg zum Gol-
denen Horn versperrten und ihnen nur
einen Blick auf Konstantinopel gestatteten,
das sehnsüchtig erstrebte Ziel des russi-
schen Heeres. In dem Feldzug hatte sich
Grigor tüchtig und brav benommen, und
bei einer Gelegenheit, die persönliche
Tapferkeit erforderte, hatte man ihm das
Georgskreuz verliehen.
Nach beendetem Feldzug kehrte auch
Grigor in sein heimatliches Dorf zurück
und fing da wieder an, wo er bei der
Einberufung stehen geblieben war. Er
heiratete seine Annisja, sah seine Buben
heranwachsen, und ein Jahr um das
andere verging, bis ihm Bart und Haare
ergraut waren.
Da brach aufs neue ein Krieg aus; aber diesmal
ging es gegen die alten Nachbarn Deutschland
und Österreich, und Grigor mußte seine drei
Jungen hergeben, die mit den andernKameraden
jauchzend und siegestrunken an die Grenze zogen.
Dieser Krieg mit seinen Folgen machte aber
einen ganz anderen Eindruck auf das russische
Volk als der von 1878. — Bald schwirrten
Gerüchte durch Rußland, daß die kaiserlichen
Heere geschlagen seien, daß weite Provinzen
des Reichs von den Feinden besetzt worden
wären, und endlich kam es so weit, daß es
hieß, der Zar sei wegen Verrats gefangenge-
setzt, und es würde ihm der Prozeß gemacht
werden. Die Soldaten hätten mit dem Volk
gemeinsame Sache gemacht und wollten Frie-
den und aus Rußland eine Republik machen,
in der jeder Bauer mehr Land haben und die
Steuern abgeschafft werden sollten.
(Ein Lied vom Durchhalten.
Rückt nun der Winter bald heran,
Oer Keller steckt voll Kohlen,
wer jetzt noch spricht von Frostes Bann,
Den soll der Teufel holen!
wir haben Gas, elektrisch Licht,
Oie Schränke voller Kleider,
Kn pelzen auch, da mangelt'; nicht,
Nebst Schuhwerk — und so weiter!
kjoch Ludendorff und kjindenburg!
wir halten durch!
Oie Vorratskammer ist instand
Mit Eiern, Mehl und Zucker —
Ein braver kjeereslieferant,
Das ist kein armer Schlucker!
2m Rauchfang hängt 'ne ganze Sau
Nebst Speck und Wurst und Schinken,
Und wird mir dennoch einmal „mau" —
2ch Hab' auch was zu trinken!
hoch Ludendorff und ljindenburg!
wir halten durch!
Mein Geldschrank geht bald nicht mehr zu,
So schwellen die „Papiere",
Nur einer stört mir noch die Ruh:
Daß platzen könnt' die Türe!
wohin ich meinen Finger streck',
Häuft sich das Geld in Massen —
Mit „blauen Lappen" (welcher Oreck!)
Mag man sich kaum befassen.
Hoch Ludendorff und Hindenburg!
wir halten durch!
2ch weiß nicht, was der'pöbel schreit
Und anhebt lautes Klagen?
Ich dächte doch, die „schwere Zeit",
Oie wäre zu ertragen!
wer sich nicht allzu hoch verstieg,
Oer kann fein Schäfchen scheren —
Meintswegen könnte dieser Krieg
Noch ein paar Jahre währen!
kjoch Ludendorff und Hindenburg!
wir halten durch! <E. Kl.
Das Georgskreuz.
Glühend brannten die Sonnenstrahlen
auf die Fluren des am Abhang eines
bewaldeten Hügels ausgebreiteten russi-
schen Dorfes Staraja Derewna. Die
Bauern waren auf dem Felde mit dem
Abernten des Roggens beschäftigt, der
einen guten Ertrag versprach. Infolge Mangels
an Gespannen mußten die Garben auf Karren
und Schlitten von den Weibern und Kindern
unter unsäglichen Mühen ins Dorf gebracht
werden, während die Bauern selbst, meistens
Greise, sich bei der Feldarbeit abmühten.
Bor einem Bauernhause, das noch ziemlich
wohlerhalten war, stand eine mit Garben be-
ladene Karre, die von einem alten Äauern
und dessen Frau vom Felde herbeigeführt wor-
den war und nunmehr abgeladen wurde.
„So, Annisja, das ist die letzte Fuhre, die
den Segen Gottes heimbringt, der uns vor
dem Hunger schützen soll. Die Arbeit war doch
für uns beide Alten recht sauer. Aber was
macht's, sie ist jetzt getan."
„Wohl, wohl, Grischka," sagte die Bäuerin,
„ich hab's kauni für möglich gehalten, daß
unsere alten Glieder die Arbeit bewältigen
könnten. Immer hoffte ich, daß einer oder
zwei von unseren Jungen von der Front heim-
geschickt werden würden, um uns zu helfen.
Aber nicht einmal Antwort haben wir erhalten
auf den Brief,- den unser Djakon (Kaplan) an
sie geschrieben hat, so daß ich daran zweifle,
ob sie noch am Leben sind."
„Ach was. Alte, wer wird immer gleich das
Schlimmste denken," antwortete der Bauer.
„Den Jungen wird es gut gehen, sie werden
schon wieder kommen oder doch bald etwas
von sich hören lassen."
„Gebe Gott, daß du recht behältst, Grischka,
— mir ist es aber manchmal, als wenn ich
meine Kinder nicht Wiedersehen sollte."
Mittlerweile waren die Garben untergebracht
worden, und die Alten hatten sich in das Haus
begeben, wo die Bäuerin den Ofen, der fast
die Hälfte des Gemachs einnahm, öffnete, um
das Essen herauszunehmen, das sie bereits am
frühen Morgen in die glühende Asche zum
langsamen Kochen eingestellt hatte.
Der Bauer Grigor Petrowitsch war ein an-
gehender Siebziger, aber noch gut bei Kräften,
ebenso die Bäuerin Annisja. Sie hatte drei
Drei Generationen.
Nacht um Nacht.
von Joses tuilpold.
Nacht um Nacht nun, wenn die Sterne leuchten,
Schmerz, wie viele Rügen wirst du feuchten?
Mond wird fahl in tausend Kammern scheinen,
Sehen wird er tausend Frauen weinen.
Böses Rhnen, vorgefühlter Kummer
Reiht die greise Mutter aus dem Schlummer.
Rollen sah im Traum sie die Kanone,
Und am Rad klebt Blut von ihrem Sohne.
Gelles Schreien schreckt die dunkle Stunde,
lvar es Träumen? Ivar es bittre Kunde?
Nacht um Nacht nun, wenn die Sterne leuchten,
Schmerz, o wieviel Rügen wirst dir feuchten!
Buben zur Welt gebracht und gesund auf-
gezogen, um sie — statt eine Stütze in ihrem
Alter daran zu haben — an den Zaren ab-
zuliefern zur Verteidigung des heiligen Ruß-
lands, denn das sei nötig — wenigstens hatte
das der Pristaw und der Pope gesagt — also
mußte cs wohl wahr sein.
Der Bauer selbst hatte in seinem langen
Leben vielerlei erfahren, aber im allgemeinen
war er doch leidlich dabei weggekommen. Bei
seiner Geburt war er noch leibeigen gewesen,
aber wie seine Eltern war auch er auf dem
Dorfe geblieben, um Leid und Freude mit den
Bauern zu teilen. Manches im bäuerlichen
Leben war schlechter, manches aber auch besser
geworden. So ganz besonders die Befreiung
aus der Leibeigenschaft hatte die Bauern vor
ganz neue Aufgaben gestellt, denen sie in vielen
Fällen nicht gewachsen waren. Statt in der
früheren Sorglosigkeit beharren zu können,
waren nunmehr ganz bestimmte Forderungen
an die Bauern gerichtet worden, denen sie bei
ihren mangelhaften Erfahrungen und ihrer
Unkenntnis des Lesens und Schreibens rat-
los gegenüberstanden. Den Schlichen schlauer
Händler waren die meisten schonungslos aus-
geliefert und den Steuereintreibern auf
Gnade und Ungnade preisgegeben. — So
gut es aber ging, hatte das Heimatdorf
Grigors die Übergangszeit überwunden,
so daß die Bauern zurzeit sich recht und
schlecht durchschlagen konnten.
Von dem Krieg gegen die Türkei im
Jahre 1878 war auch unser Grigor be-
troffen worden. Der Feldzug war ein sieg-
reicher bis San Stefano, wo die West-
mächte den Russen den Weg zum Gol-
denen Horn versperrten und ihnen nur
einen Blick auf Konstantinopel gestatteten,
das sehnsüchtig erstrebte Ziel des russi-
schen Heeres. In dem Feldzug hatte sich
Grigor tüchtig und brav benommen, und
bei einer Gelegenheit, die persönliche
Tapferkeit erforderte, hatte man ihm das
Georgskreuz verliehen.
Nach beendetem Feldzug kehrte auch
Grigor in sein heimatliches Dorf zurück
und fing da wieder an, wo er bei der
Einberufung stehen geblieben war. Er
heiratete seine Annisja, sah seine Buben
heranwachsen, und ein Jahr um das
andere verging, bis ihm Bart und Haare
ergraut waren.
Da brach aufs neue ein Krieg aus; aber diesmal
ging es gegen die alten Nachbarn Deutschland
und Österreich, und Grigor mußte seine drei
Jungen hergeben, die mit den andernKameraden
jauchzend und siegestrunken an die Grenze zogen.
Dieser Krieg mit seinen Folgen machte aber
einen ganz anderen Eindruck auf das russische
Volk als der von 1878. — Bald schwirrten
Gerüchte durch Rußland, daß die kaiserlichen
Heere geschlagen seien, daß weite Provinzen
des Reichs von den Feinden besetzt worden
wären, und endlich kam es so weit, daß es
hieß, der Zar sei wegen Verrats gefangenge-
setzt, und es würde ihm der Prozeß gemacht
werden. Die Soldaten hätten mit dem Volk
gemeinsame Sache gemacht und wollten Frie-
den und aus Rußland eine Republik machen,
in der jeder Bauer mehr Land haben und die
Steuern abgeschafft werden sollten.