9349
Die Alldeutschen in Schwulität.
Weil wir annektieren wollten
And nicht tanzten wie wir sollte».
Hing man uns hier an die Wiind'.
Himmelhcrrgottsaikerment!
Wollen den VerstSndignngSfrieden.
Den wie Gift wir stets gemieden.
And wer rührte alles an?
Der verfluchte Scheidemaun!
„Das ließe sich hören, damit
könnten die Bauern wohl ein-
verstanden sein," meinte Grigor,
und seine Frau stimmte ihm zu,
aber sie unterließ nicht, immer
wieder nach ihren Jungen zu
janimern und dahin zu drängen,
daß der Djakon noch einmal
schreiben sollte, — die Jungen
müßten doch wohl am besten
>vissen, wie es mit diesen Dingen
stände, und wenn Frieden ge-
macht werden sollte, so könnte
man sie auch in die Heimat ent-
lassen.
Der Djakon hatte den Wunsch
der Bäuerin, ohne ihr davon
Mitteilung zu machen, bereits
erfüllt, aber eine Antwort war
auf sein Schreiben immer noch
nicht eingegangen, und Mutter
Annisja befand sich in quälender
Ungewißheit, die ihr schlaflose
Nächte genug bereitete.
* #
*
Der Abend nahte heran. Die
Sonne sandte ihre letzten Strah-
len über Staraja Derewna. Die
alte Bäuerin stand vor der Tür
ihres Hauses, während Grigor
in der Scheune beschäftigt war.
Die hohe Gestalt deS Djakons,
des Vertrauensmannes derBäue-
rin, schritt ernst und gemessen
die Dorfstraße herauf, um bei
Annisja stehen zu bleiben und
sic zu begrüße».
„Na, Mütterchen, wie ich ver-
nahm, habt ihr euer Getreide
glücklich unter Dach gebracht
und habt Ursache, euch über den
Segen zu freuen."
„Das tun wir auch, Ehrwürden, aber noch
viel mehr würde es uns freuen, wenn wir
endlich Nachricht über unsere Jungen bekämen,
ob sie noch leben und gesund sind."
„Deshalb komme ich gerade zu euch. Ich
möchte mit dir und deinem Mann über eine
Mitteilung sprechen, die ich erhalten habe
und die deine Söhne angeht."
„O heilige Mutter Gottes, es ist doch nichts
Schlimmes, was Ihr uns mitzuteilen habt?"
schrie erregt Annisja. „Gehet mittlerweile ins
Haus, Ehrwürden, — ich will schnell den
Grischka holen."
Nach wenigen Minuten, nachdem der Bauer
und die Bäuerin eingetreten waren, eröffnete
ihnen der Geistliche, daß er Nachricht vom
Regiment, in dem die drei Brüder dienten,
bekommen habe. Gesund seien sie, indessen sie
wären eingesperrt worden wegen Disziplin-
widrigkeit, und wenn nicht bald Hilfe käme,
könne ihr Leben verwirkt sein. Die zunehmende
Flucht von der Front hätte die neue Regie-
rung veranlaßt, über die Unbotmäßigen —
und dazu gehörten auch ihre Söhne — die
schwersten Strafen zu verhängen.
Gefaßt hörte Grigor den Bericht an, wäh-
rend sein Weib vor dem Geistlichen in die Knie
gesunken war und unter strömenden Tränen
ihn bat, ihnen Mittel und Wege an die Hand
zu geben, wie sie ihre Söhne retten könnten.
„Ich weiß keinen andern Rat zu erteilen,
als daß sich Grigor aufmacht, um an Ort
und Stelle sich für die drei jungen Leute zu
verwenden, die jedenfalls gar nicht bedacht
haben, in welche Gefahr sie durch die Flucht
von der Front geraten würden."
„Und wo befinden sich unsere Jungen jetzt?"
fragte Grigor, den seine Ruhe nicht verlassen
hatte. „Wäre es möglich, bis zu ihrem Auf-
enthaltsort zu gelangen?"
„Das könntest du freilich, Grigor. Bis zur
nächsten Eisenbahnstation R. ist es von hier
nicht weit. Wenn du von dort nach B. fährst,
wo die Jungen im Kreisgerichtsgefängnis ein-
gesperrt worden sind, kannst du morgen nach-
mittag dein Ziel erreichen. Die Fahrt mußt
du aber bald unternehmen, denn Eile tut not."
„Ich will noch heute nacht nach R. gehen,
um morgen früh die Reise anzutreten," ent-
schied Grigor. „Vielleicht ist es möglich, für
die Jungen etwas zu tun, vielleicht kann ich
sie vor dem Verderben retten."
„Und ich will an der Fahrt teilnehmen,"
fügte die Bäuerin leidenschaftlich hinzu, „und
wenn es mein Leben kosten sollte. Den Bitten
einer Mutter werden die Herren Gehör schen-
ken müssen." Gutmütig nickend stimmte Grigor
seiner Frau zu und empfahl ihr, das Nötige
zu rüsten, damit beide sich rechtzeitig auf den
Weg machen könnten.
„So geht denn mit Gott,"
sagte bewegt der Djakon, „er
wird euch schützen und eure treue
Liebe lohnen. Ich werde für euch
und eure Kinder beten; der All-
mächtige möge die Herzen der
Gewalthaber mit Barmherzig-
keit erfüllen."
- * . *
Am übernächsten Tage stand
Grigor und sein Weib vor dem
Portal eines düsteren Hauses in
B., des Kreisgerichtsgebäudes.
Grigor hatte vor seiner Ab-
fahrt sein Georgskreuz an seine
Brust geheftet; es sollte ihm hier
gute Dienste tun. Der Wacht-
posten — das Kreuz erblickend —
ließ die beiden alten Leute pas-
sieren.
Nach langem Hin- und Her-
fragen wurden sie in ein Zimmer
geführt, in dem sich ein höherer
Offizier befand, dem soeben ein
Unterbeamter ein Aktenstück ge-
bracht hatte.
„Wer seid ihr?" herrschte er
die beiden Alten an.
„GrigorPetrowitsch Chleboiv,
Euer Hochwohlgeboren, und das
ist meine Frau Annisja Jwa-
nowna."
„Und ihr wollt eure Söhne
besuchen, die sich der Fahnen-
flucht schuldig gemacht haben?"
„Wenn Sie erlauben, ja, Euer
Hochwohlgeboren; wir wollen
zugleich bitten, daß man sie nicht
so hart behandeln möge, wenn
sie sich vergangen haben; sie sind
ja noch jung und können alles
wieder gut machen."
„Was geschehen ist, läßt sich nicht mehr
ändern. Du bist selbst Soldat gewesen und
weißt daher, welche Strafe auf Fahnenflucht
steht." Und zum Unterbeamten gewendet, sagte
er: „Geh, Kusmitsch, und führe sie."
Und Kusmitsch führte sie. Erst über einen
Hof und dann noch über einen zweiten Hof
bis zur Umfassungsmauer des Gebäudes, an
der ein frischer Hügel aufgeworfen war.
„Hier," erklärte Kusmitsch, seiner Bewe-
gung kaum Herr werdend, „sind gestern fünfzig
Deserteure erschossen worden-und darunter
befanden sich auch-eure drei Söhne."
Mit einem gellenden Schrei stürzte die alte
Bäuerin zu Boden. Grigor aber, ruhig und
gefaßt wie immer, stand sinnend vor dem
Hügel, — langsam löste er sein Georgskreuz
von der Brust und legte es bedächtig auf das
schmucklose Massengrab, das auch seine drei
Kinder barg. „Also das ist die Republik," mur-
melte er, „die der Menschenschlächterei ein
Ende machen und uns Frieden und Freiheit
bringen will! Wenn die Bauern jetzt mehr
Land bekommen, dann haben sie es mit ihrem
Blut teuer genug bezahlt."
Splitter.
So mancher Zeitgenosse prahlt »nt dem
Adlerflug seiner Gedanken und weiß doch
genau, daß es nur ein Geierflug ist.
Die Alldeutschen in Schwulität.
Weil wir annektieren wollten
And nicht tanzten wie wir sollte».
Hing man uns hier an die Wiind'.
Himmelhcrrgottsaikerment!
Wollen den VerstSndignngSfrieden.
Den wie Gift wir stets gemieden.
And wer rührte alles an?
Der verfluchte Scheidemaun!
„Das ließe sich hören, damit
könnten die Bauern wohl ein-
verstanden sein," meinte Grigor,
und seine Frau stimmte ihm zu,
aber sie unterließ nicht, immer
wieder nach ihren Jungen zu
janimern und dahin zu drängen,
daß der Djakon noch einmal
schreiben sollte, — die Jungen
müßten doch wohl am besten
>vissen, wie es mit diesen Dingen
stände, und wenn Frieden ge-
macht werden sollte, so könnte
man sie auch in die Heimat ent-
lassen.
Der Djakon hatte den Wunsch
der Bäuerin, ohne ihr davon
Mitteilung zu machen, bereits
erfüllt, aber eine Antwort war
auf sein Schreiben immer noch
nicht eingegangen, und Mutter
Annisja befand sich in quälender
Ungewißheit, die ihr schlaflose
Nächte genug bereitete.
* #
*
Der Abend nahte heran. Die
Sonne sandte ihre letzten Strah-
len über Staraja Derewna. Die
alte Bäuerin stand vor der Tür
ihres Hauses, während Grigor
in der Scheune beschäftigt war.
Die hohe Gestalt deS Djakons,
des Vertrauensmannes derBäue-
rin, schritt ernst und gemessen
die Dorfstraße herauf, um bei
Annisja stehen zu bleiben und
sic zu begrüße».
„Na, Mütterchen, wie ich ver-
nahm, habt ihr euer Getreide
glücklich unter Dach gebracht
und habt Ursache, euch über den
Segen zu freuen."
„Das tun wir auch, Ehrwürden, aber noch
viel mehr würde es uns freuen, wenn wir
endlich Nachricht über unsere Jungen bekämen,
ob sie noch leben und gesund sind."
„Deshalb komme ich gerade zu euch. Ich
möchte mit dir und deinem Mann über eine
Mitteilung sprechen, die ich erhalten habe
und die deine Söhne angeht."
„O heilige Mutter Gottes, es ist doch nichts
Schlimmes, was Ihr uns mitzuteilen habt?"
schrie erregt Annisja. „Gehet mittlerweile ins
Haus, Ehrwürden, — ich will schnell den
Grischka holen."
Nach wenigen Minuten, nachdem der Bauer
und die Bäuerin eingetreten waren, eröffnete
ihnen der Geistliche, daß er Nachricht vom
Regiment, in dem die drei Brüder dienten,
bekommen habe. Gesund seien sie, indessen sie
wären eingesperrt worden wegen Disziplin-
widrigkeit, und wenn nicht bald Hilfe käme,
könne ihr Leben verwirkt sein. Die zunehmende
Flucht von der Front hätte die neue Regie-
rung veranlaßt, über die Unbotmäßigen —
und dazu gehörten auch ihre Söhne — die
schwersten Strafen zu verhängen.
Gefaßt hörte Grigor den Bericht an, wäh-
rend sein Weib vor dem Geistlichen in die Knie
gesunken war und unter strömenden Tränen
ihn bat, ihnen Mittel und Wege an die Hand
zu geben, wie sie ihre Söhne retten könnten.
„Ich weiß keinen andern Rat zu erteilen,
als daß sich Grigor aufmacht, um an Ort
und Stelle sich für die drei jungen Leute zu
verwenden, die jedenfalls gar nicht bedacht
haben, in welche Gefahr sie durch die Flucht
von der Front geraten würden."
„Und wo befinden sich unsere Jungen jetzt?"
fragte Grigor, den seine Ruhe nicht verlassen
hatte. „Wäre es möglich, bis zu ihrem Auf-
enthaltsort zu gelangen?"
„Das könntest du freilich, Grigor. Bis zur
nächsten Eisenbahnstation R. ist es von hier
nicht weit. Wenn du von dort nach B. fährst,
wo die Jungen im Kreisgerichtsgefängnis ein-
gesperrt worden sind, kannst du morgen nach-
mittag dein Ziel erreichen. Die Fahrt mußt
du aber bald unternehmen, denn Eile tut not."
„Ich will noch heute nacht nach R. gehen,
um morgen früh die Reise anzutreten," ent-
schied Grigor. „Vielleicht ist es möglich, für
die Jungen etwas zu tun, vielleicht kann ich
sie vor dem Verderben retten."
„Und ich will an der Fahrt teilnehmen,"
fügte die Bäuerin leidenschaftlich hinzu, „und
wenn es mein Leben kosten sollte. Den Bitten
einer Mutter werden die Herren Gehör schen-
ken müssen." Gutmütig nickend stimmte Grigor
seiner Frau zu und empfahl ihr, das Nötige
zu rüsten, damit beide sich rechtzeitig auf den
Weg machen könnten.
„So geht denn mit Gott,"
sagte bewegt der Djakon, „er
wird euch schützen und eure treue
Liebe lohnen. Ich werde für euch
und eure Kinder beten; der All-
mächtige möge die Herzen der
Gewalthaber mit Barmherzig-
keit erfüllen."
- * . *
Am übernächsten Tage stand
Grigor und sein Weib vor dem
Portal eines düsteren Hauses in
B., des Kreisgerichtsgebäudes.
Grigor hatte vor seiner Ab-
fahrt sein Georgskreuz an seine
Brust geheftet; es sollte ihm hier
gute Dienste tun. Der Wacht-
posten — das Kreuz erblickend —
ließ die beiden alten Leute pas-
sieren.
Nach langem Hin- und Her-
fragen wurden sie in ein Zimmer
geführt, in dem sich ein höherer
Offizier befand, dem soeben ein
Unterbeamter ein Aktenstück ge-
bracht hatte.
„Wer seid ihr?" herrschte er
die beiden Alten an.
„GrigorPetrowitsch Chleboiv,
Euer Hochwohlgeboren, und das
ist meine Frau Annisja Jwa-
nowna."
„Und ihr wollt eure Söhne
besuchen, die sich der Fahnen-
flucht schuldig gemacht haben?"
„Wenn Sie erlauben, ja, Euer
Hochwohlgeboren; wir wollen
zugleich bitten, daß man sie nicht
so hart behandeln möge, wenn
sie sich vergangen haben; sie sind
ja noch jung und können alles
wieder gut machen."
„Was geschehen ist, läßt sich nicht mehr
ändern. Du bist selbst Soldat gewesen und
weißt daher, welche Strafe auf Fahnenflucht
steht." Und zum Unterbeamten gewendet, sagte
er: „Geh, Kusmitsch, und führe sie."
Und Kusmitsch führte sie. Erst über einen
Hof und dann noch über einen zweiten Hof
bis zur Umfassungsmauer des Gebäudes, an
der ein frischer Hügel aufgeworfen war.
„Hier," erklärte Kusmitsch, seiner Bewe-
gung kaum Herr werdend, „sind gestern fünfzig
Deserteure erschossen worden-und darunter
befanden sich auch-eure drei Söhne."
Mit einem gellenden Schrei stürzte die alte
Bäuerin zu Boden. Grigor aber, ruhig und
gefaßt wie immer, stand sinnend vor dem
Hügel, — langsam löste er sein Georgskreuz
von der Brust und legte es bedächtig auf das
schmucklose Massengrab, das auch seine drei
Kinder barg. „Also das ist die Republik," mur-
melte er, „die der Menschenschlächterei ein
Ende machen und uns Frieden und Freiheit
bringen will! Wenn die Bauern jetzt mehr
Land bekommen, dann haben sie es mit ihrem
Blut teuer genug bezahlt."
Splitter.
So mancher Zeitgenosse prahlt »nt dem
Adlerflug seiner Gedanken und weiß doch
genau, daß es nur ein Geierflug ist.