—. 9352
Die Schuldigen.
Seltsame Welt! Die Lüge prahlt und gleißt-
Sie überwuchert herrschend Lag und Stunde -
Und Wahrheit sucht sich heimlich ihren Weg
Und offenbart sich aus Vetrügermunde.
War es ein Volk, das diesen Krieg begann,
Ein Volk von allen, die heut blutend sterben?
Zurchtbare Antwort: Kammer und verderben,
Schmutzige Diebesfinger rührten'« an!
Ein Zeöerzug - und schon fliegt der Befehl,
Ein Blitz vom Göttersitz, durch alle Drähte:
Das Wort, das eine Welt in Lrümmer schlug
Und Menschen, Menschen wie die Halme mähte.
Ein Wort, daraus das Blut in Strömen sprang,
Das Krüppel schuf und Wüsten und Ruinen... -
Herr Suchomlinow sah's mit kühlen Mienen,
Getröstet durch des Rubels holden Klang-
Oer Rubel glänzt- es locken Kreuz und Stern-
Die Habgier flüstert: Mut, es wird schon glücken!
Willst du gewinnen, scheu den Einsatz nicht:
Ein paar Millionen in den Eod zu schicken!
Den Leusel auch! Geschäfte müssen sein.
Und lästig ist uns des Gewissens Enge.
Der Aar? Gehorcht. Und, pah, die blöde Menge
Seift man gar leicht mit schönen Phrasen ein!
Seltsame Welt! Jst's Wahnsinn, Wirklichkeit,
Daß unsichtbar, im Dunkeln und Geheimen,
stus Lug und Lrug, aus Habsucht, Diebsgelüst
Die Wurzeln allen völkerschicksals keimen?
hält's in der Hand ein Dummkopf oder Wicht,
Die hinter Wolken wie ein Gott agieren?
Dann sorge, Welt, daß sie sich demaskieren,
Und zieh' die Hexenküchen in das Licht! Pan.
Ribots Enttäuschung.
„Adieu. Marianne, es war mir nicht möglich, den
Krieg zu gewinnen."
Mariannes Wünsche.
„Jetzt bin ich aber gespannt, ob sich der neue Minister-
.Präsident als Cäsar entpuppen wird. Zeit wäre es!"
Feldpostbriefe.
LXXXI.
Geliebte Eltern! Ich teile Euch mit, daß
.ich meinen Kriegsschauplatz gewechselt und
.mir vom tiefsten Süden nach den höchsten
Morden konzeniriert habe. Der Abschied von
Mazedonien ivurde uns nicht schwer, denn die
'fünfzig Grad Hitze, die wir zuletzt dort hatten,
waren für diese vorgerückte Jahreszeit ein
bißchen reichlich, besonders wenn man an das
balsamische Klima von Berlin gewöhnt ist. Im
übrigen aber hatten wir uns in unsere letzten
Ruhequartiere recht gemütlich eingerichtet, und
mein Freund Fritze Lehmann aus die Acker-
straße, der der Verfressenste von die ganze
Kompagnie ist, betrieb sogar eine ausgedehnte
Karnickelzucht. Außerdem hatte er sich so sehr an
den süßlichen mazedonischen Nationalschnaps
gewöhnt, daß ihm beim Abschied ein hestiseg
Heimweh übermannte.
Da in Mazedonien sehr viele Lebensmittel
im Lande vorhanden waren, so erhielten ivir
die dienstliche Erlaubnis, uns für die weite
Reise mit Vorräten zu versehen. Jeder kaufte
ein, soviel wie sein Portemonnaie leisten, sein
Rucksack tragen und sein Magen vertragen
konnte. Da von die drei genannten Organe
das erste bei mir am schwächlichsten war, so
brauchte ich die beiden andern nicht übermäßig
zu strapazieren und hielt mir in die Grenzen
der Bescheidenheit. Den größten Hamstersack
schleppte Fritze Lehmann mit: er hatte ein
ganzes mazedonisches Kasseler und drei Schock
Eier geladen. Außerdem führte er noch eine
umfangreiche Flaschenkiste mit» die er mit aber-
gläubische Sorgfalt hütete, und auf die ge-
schrieben stand: „Vorsicht! Glas! Nichtkippen!"
Die Reise dauerte längere Zeit und war
sehr angenehm. Besonders freuten wir uns,
wie wir über die deutsche Grenze gekommen
waren und die Heimat nach so lange Tren-
nung wiedersahen. Leider kamen uns die be-
rühmten Kohlrüben, auf die wir schon sehr
neugierig waren, da wir darüber in die Zei-
tungen so viel Ruhmvolles gelesen hatten, nicht
vor die Augen. Aber sonst war die Verpfle-
gung gut, und wir brauchten nicht Not zu
leiden. Außerdem hatten wir ja unsere maze-
donischen Vorräte, von die wir im Bedarfs-
fälle reichlich zu uns nehmen konnten. Bloß
Fritze Lehmann rührte seinen Hamstersack und
seine Flaschenkiste nicht an, weil er erklärte,
er wolle sich mit den gesamten Inhalt nach
die endgültige Ausschiffung ein wohlverdien-
tes Festessen bereiten.
Bei die Fahrt durch Ostpreußen kam es
dann zu eine unverhoffte Katastrophe. Fritze
saß mit mir und andere Kompagniekameraden
in dasselbe Eisenbahnabteil und hatte seine
Flaschenkiste über dem Platz gestellt, wo unser
Korporalschaftsführer, der Herr Sergeant Leh-
mann, saß. Mit einem Male fühlte dieser, daß
es ihn feucht auf den Kopf tröpfelte, und daß
die Flüssigkeit aus Fritzen seine Kiste sickerte.
Der Sergeant fuhr sich sofort mit die Hand
über die Haare und leckte dem vermeintlichen
süßen Likör. Aber ein grauenerregender Schreck
verzerrte seine Züge: „Pfui Deibel!" brüllte
er Fritzen an, „jetzt ist Ihr gottverdammter
mazedonischer Gilka auch noch vergoren!"
„Wieso Gilka?" fragte Fritze mit erstaunte
Miene, „in die Kiste sitzt mein schöner großer
Karnickelbock!"-Geliebte Eltern, wenn
ein preußischer Sergeant in dienstliche Wild-
heit gerät, so ist das immer ein furchtbares
Naturspiel: aber wie sich der Korporalschafts-
führer Lehmann nach diese Mitteilung gebär-
dete, kann ich Euch nicht beschreiben! Die
Kiste mußte sofort aufgemacht werden, und
der Bock wurde zivischen Insterburg und
Stallupönen in Freiheit gesetzt.
Aber auch nach unsere Ausschiffung genoß
Fritze Lehmann keine reine Freude an seine
Hamsterei. Wie wir hier in Livland unsere
Quartiere bezogen hatten und er über seine
mazedonischen Vorräte herfallen wollte, waren
die drei Schock Trinkeier sämtlich stänkerig
geworden, und aus den Kasseler sprangen ihm
die Maden entgegen. So rächt sich jede Un-
mäßigkeit mit die gebührende Strafe.
Mir dagegen geht es sehr gut. Die Gegend
hier ist nicht schön, aber sehr zweckentsprechend,
und obgleich sie in Rußland liegt, ist die
Sprache der Eingeborenen zum größten Teil
deutsch. So heißt zum Beispiel der Fluß, an
den wir hier lagern, „Aa", was ja auch bei
uns jedes Kind verstehen würde.
Mithin fühle ich mir hier beinahe wie zu
Hause, und wenn es nicht noch schlimmer
kommt, grüße ich Euch bei andauernde gute
Gesundheit als Euer dankbarer Sohn
August Säge jun., Garde-Grenadier.
Die Schuldigen.
Seltsame Welt! Die Lüge prahlt und gleißt-
Sie überwuchert herrschend Lag und Stunde -
Und Wahrheit sucht sich heimlich ihren Weg
Und offenbart sich aus Vetrügermunde.
War es ein Volk, das diesen Krieg begann,
Ein Volk von allen, die heut blutend sterben?
Zurchtbare Antwort: Kammer und verderben,
Schmutzige Diebesfinger rührten'« an!
Ein Zeöerzug - und schon fliegt der Befehl,
Ein Blitz vom Göttersitz, durch alle Drähte:
Das Wort, das eine Welt in Lrümmer schlug
Und Menschen, Menschen wie die Halme mähte.
Ein Wort, daraus das Blut in Strömen sprang,
Das Krüppel schuf und Wüsten und Ruinen... -
Herr Suchomlinow sah's mit kühlen Mienen,
Getröstet durch des Rubels holden Klang-
Oer Rubel glänzt- es locken Kreuz und Stern-
Die Habgier flüstert: Mut, es wird schon glücken!
Willst du gewinnen, scheu den Einsatz nicht:
Ein paar Millionen in den Eod zu schicken!
Den Leusel auch! Geschäfte müssen sein.
Und lästig ist uns des Gewissens Enge.
Der Aar? Gehorcht. Und, pah, die blöde Menge
Seift man gar leicht mit schönen Phrasen ein!
Seltsame Welt! Jst's Wahnsinn, Wirklichkeit,
Daß unsichtbar, im Dunkeln und Geheimen,
stus Lug und Lrug, aus Habsucht, Diebsgelüst
Die Wurzeln allen völkerschicksals keimen?
hält's in der Hand ein Dummkopf oder Wicht,
Die hinter Wolken wie ein Gott agieren?
Dann sorge, Welt, daß sie sich demaskieren,
Und zieh' die Hexenküchen in das Licht! Pan.
Ribots Enttäuschung.
„Adieu. Marianne, es war mir nicht möglich, den
Krieg zu gewinnen."
Mariannes Wünsche.
„Jetzt bin ich aber gespannt, ob sich der neue Minister-
.Präsident als Cäsar entpuppen wird. Zeit wäre es!"
Feldpostbriefe.
LXXXI.
Geliebte Eltern! Ich teile Euch mit, daß
.ich meinen Kriegsschauplatz gewechselt und
.mir vom tiefsten Süden nach den höchsten
Morden konzeniriert habe. Der Abschied von
Mazedonien ivurde uns nicht schwer, denn die
'fünfzig Grad Hitze, die wir zuletzt dort hatten,
waren für diese vorgerückte Jahreszeit ein
bißchen reichlich, besonders wenn man an das
balsamische Klima von Berlin gewöhnt ist. Im
übrigen aber hatten wir uns in unsere letzten
Ruhequartiere recht gemütlich eingerichtet, und
mein Freund Fritze Lehmann aus die Acker-
straße, der der Verfressenste von die ganze
Kompagnie ist, betrieb sogar eine ausgedehnte
Karnickelzucht. Außerdem hatte er sich so sehr an
den süßlichen mazedonischen Nationalschnaps
gewöhnt, daß ihm beim Abschied ein hestiseg
Heimweh übermannte.
Da in Mazedonien sehr viele Lebensmittel
im Lande vorhanden waren, so erhielten ivir
die dienstliche Erlaubnis, uns für die weite
Reise mit Vorräten zu versehen. Jeder kaufte
ein, soviel wie sein Portemonnaie leisten, sein
Rucksack tragen und sein Magen vertragen
konnte. Da von die drei genannten Organe
das erste bei mir am schwächlichsten war, so
brauchte ich die beiden andern nicht übermäßig
zu strapazieren und hielt mir in die Grenzen
der Bescheidenheit. Den größten Hamstersack
schleppte Fritze Lehmann mit: er hatte ein
ganzes mazedonisches Kasseler und drei Schock
Eier geladen. Außerdem führte er noch eine
umfangreiche Flaschenkiste mit» die er mit aber-
gläubische Sorgfalt hütete, und auf die ge-
schrieben stand: „Vorsicht! Glas! Nichtkippen!"
Die Reise dauerte längere Zeit und war
sehr angenehm. Besonders freuten wir uns,
wie wir über die deutsche Grenze gekommen
waren und die Heimat nach so lange Tren-
nung wiedersahen. Leider kamen uns die be-
rühmten Kohlrüben, auf die wir schon sehr
neugierig waren, da wir darüber in die Zei-
tungen so viel Ruhmvolles gelesen hatten, nicht
vor die Augen. Aber sonst war die Verpfle-
gung gut, und wir brauchten nicht Not zu
leiden. Außerdem hatten wir ja unsere maze-
donischen Vorräte, von die wir im Bedarfs-
fälle reichlich zu uns nehmen konnten. Bloß
Fritze Lehmann rührte seinen Hamstersack und
seine Flaschenkiste nicht an, weil er erklärte,
er wolle sich mit den gesamten Inhalt nach
die endgültige Ausschiffung ein wohlverdien-
tes Festessen bereiten.
Bei die Fahrt durch Ostpreußen kam es
dann zu eine unverhoffte Katastrophe. Fritze
saß mit mir und andere Kompagniekameraden
in dasselbe Eisenbahnabteil und hatte seine
Flaschenkiste über dem Platz gestellt, wo unser
Korporalschaftsführer, der Herr Sergeant Leh-
mann, saß. Mit einem Male fühlte dieser, daß
es ihn feucht auf den Kopf tröpfelte, und daß
die Flüssigkeit aus Fritzen seine Kiste sickerte.
Der Sergeant fuhr sich sofort mit die Hand
über die Haare und leckte dem vermeintlichen
süßen Likör. Aber ein grauenerregender Schreck
verzerrte seine Züge: „Pfui Deibel!" brüllte
er Fritzen an, „jetzt ist Ihr gottverdammter
mazedonischer Gilka auch noch vergoren!"
„Wieso Gilka?" fragte Fritze mit erstaunte
Miene, „in die Kiste sitzt mein schöner großer
Karnickelbock!"-Geliebte Eltern, wenn
ein preußischer Sergeant in dienstliche Wild-
heit gerät, so ist das immer ein furchtbares
Naturspiel: aber wie sich der Korporalschafts-
führer Lehmann nach diese Mitteilung gebär-
dete, kann ich Euch nicht beschreiben! Die
Kiste mußte sofort aufgemacht werden, und
der Bock wurde zivischen Insterburg und
Stallupönen in Freiheit gesetzt.
Aber auch nach unsere Ausschiffung genoß
Fritze Lehmann keine reine Freude an seine
Hamsterei. Wie wir hier in Livland unsere
Quartiere bezogen hatten und er über seine
mazedonischen Vorräte herfallen wollte, waren
die drei Schock Trinkeier sämtlich stänkerig
geworden, und aus den Kasseler sprangen ihm
die Maden entgegen. So rächt sich jede Un-
mäßigkeit mit die gebührende Strafe.
Mir dagegen geht es sehr gut. Die Gegend
hier ist nicht schön, aber sehr zweckentsprechend,
und obgleich sie in Rußland liegt, ist die
Sprache der Eingeborenen zum größten Teil
deutsch. So heißt zum Beispiel der Fluß, an
den wir hier lagern, „Aa", was ja auch bei
uns jedes Kind verstehen würde.
Mithin fühle ich mir hier beinahe wie zu
Hause, und wenn es nicht noch schlimmer
kommt, grüße ich Euch bei andauernde gute
Gesundheit als Euer dankbarer Sohn
August Säge jun., Garde-Grenadier.