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9356

Herbststimmung.

Die Tage sinken. Bald weht der lvind
Uber kahle Felder und Stoppeln.

Me schwinden doch Tage und Monde
hin,

Sie scheinen die (Eile zu doppeln.

Und rast auch die Zeit, wie schwer, o
wie schwer

Furcht sie bittere, tiefernste Spuren,
Venn jeglicher Tag, jede Stunde fast,
Tränkt unendliches Blut die Fluren.

vie Tage sinken. Wie lang noch hin,
vann frostet's in Wälder und 5Iuen.
Wir hofften auf kjerbst — bringt der
Winter Schluß?

Wann endet, wann endet das Grauen ?

- P.H.

Der alberne Traum
des Professor Kolbenschläger.

„Bist du wieder hier?" fragteeine
verschlafene Frauenstimme.

„Jawohl. Ich bin hier. Ich habe
dich gewiß geweckt, Teuerste?"

„Nein, Väterchen. Ich habe nicht
geschlafen. Ist es schon spät?"

„Mitternacht. Genau: ein Viertel
nach zwölf."

„Du bist wohl heiser, Väterchen?"

Der Herr Professor klopfte sich auf
die Brust und hustete einen dishar-
monischen Akkord.

„Ich habe mich ein wenig heiser
geredet."

„Du schonst dich aber auch nicht
ein bißchen," klagte seine Gattin.
„Immer wieder vergißt du, was

Verständigung.

von Joseph Luitpold.

Tausende Soldaten sind schon durch das Dorf gezogen. Mancher hat
vielleicht siüchtig hinaufgesehen zu dem kleinen Friedhof am Berghang.
Uber keiner von all den Marschierenden vernimmt in seinem Innern,
was da droben Abgeschiedenheit und Stille predigen.

Kreuz an ltreuz stehen nebeneinander, eines wie däs andere, auf-
gerichtet und unbewegt, ganz wie Soldaten,in Reit)’ und Glied, ganz
wie einstmals die Menschen, die unter ihnen liegen.

Uber so in Reih' und Glied wie hier waren sie noch nie beisammen
zu finden, der Michel Gberhuber vom vierten Tiroler Kaiserjäger-Regi-
ment und der russische Gefangene Spiridon velpkowic, der Bosniak Uli
Usam und der Fracassina Giacomo von der sechsten Kompagnie des ein-
undfünfzigsten italienischen Infanterie-Regiments.

Unten in den Tälern der Zeit marschieren sie noch wider einander,
Michel wider Spiridon, Uli wider Giacomo — nur Geduld: sie bleibt
nicht aus, die Verständigung; über eine Weile kommt der große weise,
der sie alle verbrüdert. .. .

dir not tut." Der Herr Professor
streichelte ihr beschwichtigend den
Arm, der bis zum Ellenbogen nackt
auf dem Deckbett lag.

„Keinen Vorwurf heute, teure
Amalie. Umarme lieber deinen Hein-
rich. Er hat gesprochen wie ein De-
mosthenes. Solange es Redner von
meinem Schlage gibt, wird das
Vaterland keinen Frieden schließen,
der ihm nicht ewige Gewalt über
seine Feinde verheißt. Eine volle
Stunde habe ich gesprochen. O, du
hättest mich hören müssen. Die ganze
Daheimfront habe ich aufgerüttelt
und emporgerissen. Sind wir denn
daheim ein Volk von Weibern, daß
wir schon müde des Krieges sind,
habe ich in den Saal gebrüllt. Wollt
ihr, habe ich gefragt, daß der Krieg
ein Stückwerk, ein Fragment bleiben
soll? Wollt ihr, habe ich gefragt,
wirklich nicht so lange durchhalten,
als bis der letzte Britenhund Hungers
verreckt ist? Die Soldaten draußen
möchten am liebsten jeden, der von
einem demokratischen Frieden faselt,
in Stücke reißen, ihr aber murrt und
räsoniert wie Rebellen. Schämt euch!
Und zum Schluß, siehst du, habe
ich ausgerufen, deutsche Männer,
deutsche Frauen, ihr könnt nicht ab-
bröckeln! Ihr könnt nicht weich wer-
den wie Lehm, dieweil die Soldaten
draußen wie eine Mauer stehen!"

Seine Stimme versagte, und er
brachte kein Wort mehr hervor, so
heftig er auch den Kopf schütteln
und mit den Füßen stampfen mochte.

Der Tod des Wilden.

Von Pan.

Wakurombwe war ein schwarzer Krieger, —
übers Meer gebracht von weißen Leuten, —
daß er hier im Dienste der Entente — kämpfe
für die vielgepriesno-' Freiheit — und das
Recht, wie England sie versteht. — Waku-
rombwe kam mit tapferm Herzen. — Er, den
oft der Krieg im Busch erprobt, — war be-
reit, Europens Händel auch — mit der Kühn-
heit seines Arms zu schlichten.

Und so stand er denn im Schützengraben,—
während die Schrapnelle ihn umschwirrten,

— hörte ringsumher Granaten platzen, — sah
sie Trichter in die Erde wühlen, — ward
verschüttet, wieder ausgegraben, — lief zum
Sturme vor, wie ihm befohlen, — sank, von
Gas betäubt, im Felde nieder, — lag ver-
wundet, frierend Tage, Nächte, — unter Leichen,
unter Lebenden, — die verzweifelt nach dem
Tode stöhnten.

Wakurombwe war ein tapfrer Krieger, —
doch nun murrte er: „Dies nennt der Weiße,

— der so klug sich dünkt, dies nennt er Krieg?

— Grauen ist's, und unsre schwarzen Horden

— sind nur Futter für das blut'ge Morden

— der Maschinen hinterm Stacheldraht!"
Und der arme irre Wakurombwe — hob

empor sich und fing an zu tanzen — seinen
afrikanisch-wilden Kriegestanz. — Tanzte so
zurück ins eigne Lager, — führte wirre Reden,

ward rebellisch, — und man sprach: „Der
Wilde ist verrückt." — Und sie legten ihn in
harte Fesseln, — aber Wakurombwe tobte
weiter — also, daß die weißen Krieger
sprachen: — „Er ist krank. Drum fort mit
ihm nach Haus!"

Und so brachten sie ihn denn aufs Schiff,

— und nach langen, langen Monden sah —
Wakurombwe seine Heimat wieder. — War
nicht mehr der frohe, tapfre Mann; — finster
sprach er zum erschreckten Weibe: — „Laß uns
ziehen tiefer in den Busch. — In dem finster-
sten der dunklen Wälder, — wo die Löwen
um die Hütte brüllen — und die Schlangen
sich ums Lager räkeln, — will ich sein, nur
bei den Weißen nicht."

So geschah's. Auf vielverschlungnen Pfa-
den, — die sich enge durch das Dickicht win-
den, — zogen Wakurombwe und sein Weib

— wochenlang der neuen Heimat zu. — Tief
im Schatten grüner Kokospalmen — an dem
Ufer eines kleinen Flusses, — drin die feisten
Fische sorglos spielten, — schlugen sie nun ihre
Hütte auf. — „Wird hierher uns je ein Weißer
folgen? — Seh ich keinen, ist mein Sinn ge-
sund; — aberkrank, gewahr ich nur die Zunge,

— die von süßen, falschen Worten träuft. —
Nie mehr soll mein Auge einen schaun! ..."

Armer Wakurombwe!... Wenig Monde —
waren übers neue Hüttendach, — über Fluß
und Palmen hingezogen, — als ein kleines
Boot am Ufer hielt. — „Ach, ihr Wilden,"

sprach der Missionar, — „während England
für die Freiheit blutet — und das Recht der
ganzen Menschheit stolz — auf den Bajonetten
vorwärtsträgt, — faulenzt ihr im Schatten
grüner Palmen. — Auf! Bekehrt euch zu dem
Christentum, — das emporflammt in Europens
Gauen, — um der Nächstenliebe gastlich Haus
— nun mit Blut und Feuer neu zu bauen. —
Ach, ihr Armen! Die ihr elend lebt — ohne
Wahrheit, ohne Ideale, — nur der Forde-
rung des Leibs gehorchend, — doch dem
höhern, edlen Geiste fremd; — die ihr nie
den Segen der Kultur, — nie den Schwung
liebreicher Seelen spürtet. . ."

Doch hier schwieg urjäh der Missionar. —
Wakurombwe saß vor seiner Hütte, — schaute
irr zuerst den Weißen an, — stützte dann den
Kopf in beide Hände — und begann leis vor
sich hin zu lachen. — Angstvoll sah und hörte
es^die Frau. — Immer stärker lachte Waku-
rombwe, — bis sein ganzer Körper, tief
erschüttert, — sich in unbezähmten Krämpfen
wand. — Lachte nur und lachte nun so dröh-
nend, — daß die Vögel, Affen, Papageien —
schreiend aus der Bäum. Wipfel flohen —
und die Fische tauchten tief zum Grund.

Und dann sank der irre Wakurombwe, —
immer lachend noch, zur Erde nieder, — bis
aus keuchender, erschöpfter Brust — ihm der
letzte Atem sanft entwich. — Er, der heil ent-
rann aus mancher Schlacht, — hatte sich, zu
Haus nun: totgelacht!
 
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