9366
Spätherbst.
Von Paul Enderllng, im Felde.
Verflogen die letzten Bienen —
Die Wandervögel ziehn.
Die bunten Georginen,
Die Astern blühn.
Dicht fallen bunte Blätter,
Noch schön im TodeSweh.
Nachts toben Stürme und Wekker:
Bald kommt der Schnee.
Und alles, was gestern blühte,
Nun welk und müde ward.
Das Hoffen selbst im Gemüte
Erstirbt, erstarrt.
Einst wird die Winter-Erlösten
— Sie träumen's — die Sonne umglühn.
Ein Frühling wird sie trösten
Mit buntem Blühn. ...
Die Schmerzen, die wild erglommen,
Sie kommen auch zur Ruh':
Der Frühling, der Friede willkommen —
Herz, glaub' auch du!
Wandspruch.
„Es recht zu machen jedermann
Ist eine Kunst, die niemand kann....'
Das weiß der Fritze, weiß die Rieke
Und steht in jeder Schnapsbudike.
Nur in der hohen Politik«
Lat man davon noch keinen Dunst
And übt sich schwitzend in der Kunst.
O Die Zeit, o
von Shelley.
Du See, unendliche, voll Iahreswogcn,
Du INeer der Zeit, defl' tiefe Leidensflut
" von bittern Tränen salzig längst geworden,
Die Sterblichkeit hältst du in deiner lsut.
Und raubgesättigt heulst du stets nach mehr,
Speist deine Wracks hinauf den öden Strand,
In Ruhe tückisch, fürchterlich im Sturm,
Pan. Wer soll dir traun, der einmal dich erkannt?
Der Krieg im Winkel.
Kleine Bilder den Karl Bröger.
Der Garten.
Vor meinem Fenster liegt der Lazarett-
garten. Eigentlich ist Garten zuviel ge-
sagt. Der glattgewalzte Schulhof sieht
eher nach einem Übungsplatz denn nach
einem Garten aus. Nur eine Gruppe
junger, frischer, immer bewegter Pap-
peln gibt dem Hof Gartenähnlichkeit.
Jeden Tag, wenn nur ein wenig
Sonne scheint, ergehen sich die Verwun-
deten im Hof. Die gestreiften Anzüge,
die einfachen Ruhestühle, auf denen sie
sitzen oder liegen, gehören seit Wochen
zu meinem Gesichtsfeld.
Welche Zahl großer, schöner Männer
und Jünglinge wandert da durch mei-
nen Blick, Sehnsucht, Spannung, auch
Langeweile in den scharf und hart ge-
meißelten Zügen!
Dort treiben drei Männer einen Fußball,
unter lautem Rufen und Johlen dem Spiel
wie Buben hingegeben. Einer, der noch an
Krücken geht, hüpft mit den sonderbar unge-
schickten Bewegungen eines halbflüggen Vogels
dem Ball nach und will ihn mit der Krücke
schlagen. Abseits von den Ballspielern stelzt
einer mit dick verbundenem Fuß einsani und
beharrlich über den Hof. Er übt das Gehen,
übt mit starrem Blick und gepreßten Mund-
winkeln zehn Schritte hin, zehn Schritte her
Würzburg.
Der Ort des diesjährigen deutschen Parteitags hat
eine höchst merkwürdige geographische Lage. Er erstreckt
sich zu beiden Seiten des Mains, liegt also mitten auf
der sogenannten Mainlinie und gehört dementsprechend
teilweise zu Nord-, teilweise zu Süddeutschland. Diese
günstige Lage wird auf etwaige Meinungsdisferenzen
zweifellos eine ausgleichende und besänftigende Wir-
kung ausüben. Im übrigen ist die Stadt nicht nur der
Sitz eines Bischofs, sondern auch der einer Königlich
Bayerischen Kreisregierung, und sie vereinigt so in
ihren Mauern die ehrwürdigste mittelalterliche
Glaubensfestigkeit mit jenem vorwärtsstürmenden
modernen Geiste, der in dem gegenwärtigen baye-
rischen Ministerium sich zur schönsten Blüte ent-
faltet hat.
Die EingeborenenWürzburgs waren in alten
Zeiten von streng konservativem Geiste und allen
Neuerungen durchaus abgeneigt. Das bewiesen sie
unter anderem auch dem heiligen Kilian gegen-
über, der bei ihnen im Jahre 689 das Christentum
einführen wollte und dafür mit feinen beiden Ge-
fährten ermordet wurde. Nachdem man aber einmal
die Abneigung vor der alleinseligmachenden Kirche
überwunden hatte, blieb man ihr und ihrem erha-
benen Oberhaupte, der gentrumsfraktion des Deut-
schen Reichstags, treu und verfolgte und mißhandelte
die Träger aller neuen Lehren mit großer Stand-
Hastigkeit bis zum Beginne des Jahres 1912, wo
die Würzburger sich endlich entschlossen, den roten
Schmitt an Stelle eines schon stark abgegriffenen
und nicht mehr vollwertigen schwarzen Thalers
auf den Schild zu erheben. Wie sehr seitdem das
Rot in Würzburg dominiert, kann man auch daraus
erkennen, daß sogar der kommandierende General
seine Dienstwohnung in einem RotenBau be-
zogen hat.
Während des Mittelalters wurde Würzburg
von zahlreichen schweren Prüfungen heimgesucht.
Bald herrschte der Kaiser, bald der Bischof über die
Einwohner, bald wurden sie von den Ungarn ge-
plündert und gebrandschatzt, bald verheerte die Pest
Stadt und Land. Aber der lebensfrohe und heitere
Sinn der Würzburger ließ sich dadurch nicht beirren,
und man feierte die Feste, wie sie sielen. Zu den be-
liebtesten Volksbelustigungen, die auf Kosten der Ne-
gierung veranstaltet und von der heiligen Kirche leb-
haft protegiert wurden, gehörten die Hexenver-
brennungen, die erst im achtzehnten Jahrhundert
einschlummerten, als unter dem verhetzenden Einfluß
der modernen Aufklärung der harmlose Sinn der Ein-
geborenen sich von dem alten guten Glauben immer
mehr abzuwenden begann.
Würzburg. Festung und alte Mainürücke.
Im Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde der
Patriotismus der Würzburger wiederholt auf die
härtesten Proben gestellt. IhreLandesherren verlangten
von ihnen in rascher Abwechslung bald deutsch-natio-
nale Gesinnung, bald begeisterte Anhänglichkeit an das
französische Kaiserhaus. Das staatserhaltende und ord-
nungsliebende Bürgertum zeigte sich indessen allen An-
forderungen gewachsen und widmete seine Hurras mit
derselben geschäftskundigen Überzeugungstreuc heute
dem angestammten Herzog und morgen dem Kaiser
Napoleon.
Die Stadt ist reich an gelehrten, frommen und
wohltätigen Anstalten. Die Würzburger Universität
hat zur Pflege der Wissenschaften und zur Verbrei-
tung der Bildung jahrhundertelang wesentlich bei-
getragen. Aber die erleuchtetste Stätte am Ort ist
doch die Königliche Residenz, welche 947
Fenster zählt.
Unter den zahlreichen Wohltätigkeitsinstituten
der Stadt nimmt das „Julius-Spital" die
erste Stelle ein. Der in seinem Garten aufragende
Ktippelbau gehört aber leider nicht einem „Julius-
Turm", sondern einem klinischen Gebäude an. In
der Ebrachergaffe fallen die weitläufigen Baulich-
keiten eines „Mutterhauses der Barmherzi-
gen Schwestern" dem Passanten in die Augen.
Die eigentliche Bestimmung dieser frommen Anstalt
ist bisher noch nicht einwandfrei festgestellt worden,
und der Streit darüber, wem sie von Rechts wegen
zukommt, ist noch nicht abgeschlossen.
Die großartige Kanalisation, die in neuerer Zeit
durchgeführt wurde, - hat den Gesundheitszustand
der Bevölkerung wesentlich gehoben. Dagegen scheint
der am rechten Mainufer errichtete Hochkai den
berechtigten Erwartungen der gutgesinnten Bürger-
schaft leider nicht völlig entsprochen zu haben: er
hat zwar die Nachteile der Mainüberschwemmungen
von der Stadt ferngehalten, vermochte aber das un-
gleich gefährlichere Anschwellen der roten
Hochflut, die bei den letzten Reichstagswahlen
zutage trat, nicht im geringsten zu dämmen. Der
Schönheitssinn der Würzburger dokumentiert sich
Spätherbst.
Von Paul Enderllng, im Felde.
Verflogen die letzten Bienen —
Die Wandervögel ziehn.
Die bunten Georginen,
Die Astern blühn.
Dicht fallen bunte Blätter,
Noch schön im TodeSweh.
Nachts toben Stürme und Wekker:
Bald kommt der Schnee.
Und alles, was gestern blühte,
Nun welk und müde ward.
Das Hoffen selbst im Gemüte
Erstirbt, erstarrt.
Einst wird die Winter-Erlösten
— Sie träumen's — die Sonne umglühn.
Ein Frühling wird sie trösten
Mit buntem Blühn. ...
Die Schmerzen, die wild erglommen,
Sie kommen auch zur Ruh':
Der Frühling, der Friede willkommen —
Herz, glaub' auch du!
Wandspruch.
„Es recht zu machen jedermann
Ist eine Kunst, die niemand kann....'
Das weiß der Fritze, weiß die Rieke
Und steht in jeder Schnapsbudike.
Nur in der hohen Politik«
Lat man davon noch keinen Dunst
And übt sich schwitzend in der Kunst.
O Die Zeit, o
von Shelley.
Du See, unendliche, voll Iahreswogcn,
Du INeer der Zeit, defl' tiefe Leidensflut
" von bittern Tränen salzig längst geworden,
Die Sterblichkeit hältst du in deiner lsut.
Und raubgesättigt heulst du stets nach mehr,
Speist deine Wracks hinauf den öden Strand,
In Ruhe tückisch, fürchterlich im Sturm,
Pan. Wer soll dir traun, der einmal dich erkannt?
Der Krieg im Winkel.
Kleine Bilder den Karl Bröger.
Der Garten.
Vor meinem Fenster liegt der Lazarett-
garten. Eigentlich ist Garten zuviel ge-
sagt. Der glattgewalzte Schulhof sieht
eher nach einem Übungsplatz denn nach
einem Garten aus. Nur eine Gruppe
junger, frischer, immer bewegter Pap-
peln gibt dem Hof Gartenähnlichkeit.
Jeden Tag, wenn nur ein wenig
Sonne scheint, ergehen sich die Verwun-
deten im Hof. Die gestreiften Anzüge,
die einfachen Ruhestühle, auf denen sie
sitzen oder liegen, gehören seit Wochen
zu meinem Gesichtsfeld.
Welche Zahl großer, schöner Männer
und Jünglinge wandert da durch mei-
nen Blick, Sehnsucht, Spannung, auch
Langeweile in den scharf und hart ge-
meißelten Zügen!
Dort treiben drei Männer einen Fußball,
unter lautem Rufen und Johlen dem Spiel
wie Buben hingegeben. Einer, der noch an
Krücken geht, hüpft mit den sonderbar unge-
schickten Bewegungen eines halbflüggen Vogels
dem Ball nach und will ihn mit der Krücke
schlagen. Abseits von den Ballspielern stelzt
einer mit dick verbundenem Fuß einsani und
beharrlich über den Hof. Er übt das Gehen,
übt mit starrem Blick und gepreßten Mund-
winkeln zehn Schritte hin, zehn Schritte her
Würzburg.
Der Ort des diesjährigen deutschen Parteitags hat
eine höchst merkwürdige geographische Lage. Er erstreckt
sich zu beiden Seiten des Mains, liegt also mitten auf
der sogenannten Mainlinie und gehört dementsprechend
teilweise zu Nord-, teilweise zu Süddeutschland. Diese
günstige Lage wird auf etwaige Meinungsdisferenzen
zweifellos eine ausgleichende und besänftigende Wir-
kung ausüben. Im übrigen ist die Stadt nicht nur der
Sitz eines Bischofs, sondern auch der einer Königlich
Bayerischen Kreisregierung, und sie vereinigt so in
ihren Mauern die ehrwürdigste mittelalterliche
Glaubensfestigkeit mit jenem vorwärtsstürmenden
modernen Geiste, der in dem gegenwärtigen baye-
rischen Ministerium sich zur schönsten Blüte ent-
faltet hat.
Die EingeborenenWürzburgs waren in alten
Zeiten von streng konservativem Geiste und allen
Neuerungen durchaus abgeneigt. Das bewiesen sie
unter anderem auch dem heiligen Kilian gegen-
über, der bei ihnen im Jahre 689 das Christentum
einführen wollte und dafür mit feinen beiden Ge-
fährten ermordet wurde. Nachdem man aber einmal
die Abneigung vor der alleinseligmachenden Kirche
überwunden hatte, blieb man ihr und ihrem erha-
benen Oberhaupte, der gentrumsfraktion des Deut-
schen Reichstags, treu und verfolgte und mißhandelte
die Träger aller neuen Lehren mit großer Stand-
Hastigkeit bis zum Beginne des Jahres 1912, wo
die Würzburger sich endlich entschlossen, den roten
Schmitt an Stelle eines schon stark abgegriffenen
und nicht mehr vollwertigen schwarzen Thalers
auf den Schild zu erheben. Wie sehr seitdem das
Rot in Würzburg dominiert, kann man auch daraus
erkennen, daß sogar der kommandierende General
seine Dienstwohnung in einem RotenBau be-
zogen hat.
Während des Mittelalters wurde Würzburg
von zahlreichen schweren Prüfungen heimgesucht.
Bald herrschte der Kaiser, bald der Bischof über die
Einwohner, bald wurden sie von den Ungarn ge-
plündert und gebrandschatzt, bald verheerte die Pest
Stadt und Land. Aber der lebensfrohe und heitere
Sinn der Würzburger ließ sich dadurch nicht beirren,
und man feierte die Feste, wie sie sielen. Zu den be-
liebtesten Volksbelustigungen, die auf Kosten der Ne-
gierung veranstaltet und von der heiligen Kirche leb-
haft protegiert wurden, gehörten die Hexenver-
brennungen, die erst im achtzehnten Jahrhundert
einschlummerten, als unter dem verhetzenden Einfluß
der modernen Aufklärung der harmlose Sinn der Ein-
geborenen sich von dem alten guten Glauben immer
mehr abzuwenden begann.
Würzburg. Festung und alte Mainürücke.
Im Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde der
Patriotismus der Würzburger wiederholt auf die
härtesten Proben gestellt. IhreLandesherren verlangten
von ihnen in rascher Abwechslung bald deutsch-natio-
nale Gesinnung, bald begeisterte Anhänglichkeit an das
französische Kaiserhaus. Das staatserhaltende und ord-
nungsliebende Bürgertum zeigte sich indessen allen An-
forderungen gewachsen und widmete seine Hurras mit
derselben geschäftskundigen Überzeugungstreuc heute
dem angestammten Herzog und morgen dem Kaiser
Napoleon.
Die Stadt ist reich an gelehrten, frommen und
wohltätigen Anstalten. Die Würzburger Universität
hat zur Pflege der Wissenschaften und zur Verbrei-
tung der Bildung jahrhundertelang wesentlich bei-
getragen. Aber die erleuchtetste Stätte am Ort ist
doch die Königliche Residenz, welche 947
Fenster zählt.
Unter den zahlreichen Wohltätigkeitsinstituten
der Stadt nimmt das „Julius-Spital" die
erste Stelle ein. Der in seinem Garten aufragende
Ktippelbau gehört aber leider nicht einem „Julius-
Turm", sondern einem klinischen Gebäude an. In
der Ebrachergaffe fallen die weitläufigen Baulich-
keiten eines „Mutterhauses der Barmherzi-
gen Schwestern" dem Passanten in die Augen.
Die eigentliche Bestimmung dieser frommen Anstalt
ist bisher noch nicht einwandfrei festgestellt worden,
und der Streit darüber, wem sie von Rechts wegen
zukommt, ist noch nicht abgeschlossen.
Die großartige Kanalisation, die in neuerer Zeit
durchgeführt wurde, - hat den Gesundheitszustand
der Bevölkerung wesentlich gehoben. Dagegen scheint
der am rechten Mainufer errichtete Hochkai den
berechtigten Erwartungen der gutgesinnten Bürger-
schaft leider nicht völlig entsprochen zu haben: er
hat zwar die Nachteile der Mainüberschwemmungen
von der Stadt ferngehalten, vermochte aber das un-
gleich gefährlichere Anschwellen der roten
Hochflut, die bei den letzten Reichstagswahlen
zutage trat, nicht im geringsten zu dämmen. Der
Schönheitssinn der Würzburger dokumentiert sich