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♦ vaterlanü. ❖
JWe wir schwören mit Herz unü hanö:
„Vaterland! Vaterland!"
Mer wie schon in Glück und Frieden,
3Ji der Sinn dieses Morts verschieden.
Den einen ist es die große Liebe,
Ihres Herzens heiligste Triebe -
Indern ist es die melkende Kuh,
Gibt ihnen Butter und Milch dazu.
Einer, dem es im Herzen glutet,
Kür das Vaterland stirbt und blutet -
Mürer lebt für das Vaterland,
Küllt sich die laschen mit giecer Hand.
Und wo die einen schweigend sterben,
Ghne sich Gut oder Macht zu erwerben,
Krech die andern sich spreizen und recken,
Um allein den Erfolg zu schlecken.
Volk, das du alle Last getragen,
Nun die schwerste Schlacht gilt^s zu schlagen:
dämpfe der Habgier lodernden Brand -
Schafft dir in Wahrheit ein Vaterland!
C. Klaar.
Wilsons Besorgnis.
„Wenn das FriedensgedUdel doch noch Erfolg
hat, verliere ich meine höchst wertvolle europäische
Kundschaft."
0?(3?
Weckruf.
Es geht ein Raunen durch die Welt,
Ein großes, starkes Losten —
Die Menschheit war von Gift geschwellt
And Fieberwahn betroffen.
Genug des Elends und des Leids
Ward Mensch und Land beschieden!
Vertragt euch wieder allerseits —
Macht Frieden — Frieden — Frieden!
Laßt die Kanonen stille stehn
And still das Mordgewaffen —
Wir wollen neu als Brüder gehn
And schaffen.— schaffen — schaffen!
Wir wollen die verheerte Flur
Zu neuem Blühn erfrischen
And rings des grausen Würgens Spur
Zerstreuen und verwischen.
Wir wollen eine neue Zeit
And neues Wohl bereiten.
Von Laß und finstrem Wahn befreit
Als wahre Menschen schreiten.
Wir wollen neu zum Bruderbund
Vereinen Lerz und Lände —
Ihr Völker alle in der Rund,
Dem Würgen macht ein Ende! K.
Feldpostbriefe.
lxxxiii.
Geliebte Rieke! Daß Du noch immer unter
die Nahrungsschwierigkeiten zu leiden hast,
tut mir sehr leid. Denn eine Braut, die nicht
genug Nahrung hat, ist für den Bräutigam
ein schmerzlicher Gedanke. Aber wenn Du Dir
darüber beklagst, daß es schon seit drei Jahre
in Berlin nichts zu scherbeln gegeben hat, so
kann ich Dir deswegen leider nicht bedauern.
Mit Deinen Magen habe ich Mitgefühl, mit
Deine Tanzbeine aber nicht, und wer das
Glück genießt, einen Bräutigam bei die Garde
zu besitzen, der braucht nicht anderweitig zu
scherbeln, sondern soll sich mit sein stolzes
Bewußtsein begnügen. Ich bestrebe mir hier,
dasselbe zu tun.
Seit gestern liegen wir in eine Gegend, die
der Russe sehr eilig geräumt hat. Die Rück-
kompagnien haben sich aber noch die Mühe
gemacht, alles Genießbare und Bewohnbare
zu verungenieren. Ich bin augenblicklich zur
Verstärkung des Küchenpersonals kommandiert
und befinde mir daher, was die Verpflegung an-
belangt, in eine besonders begnadigte Stellung.
Allerdings müssen wir uns unsere Diners sel-
ber aus die Mutter Natur ausbuddeln und
können noch froh sein, daß es die Russen nicht
geglückt ist, alle Kartoffelfelder ungenießbar zu
machen. Gleich nach unser Eintreffen gestern
abend zog ich zu diesen Zweck mit vier Kame-
raden los. Wir hatten bald unsere Säcke voll
und nebenbei noch einen Eimer Pilze gesam-
melt. Als wir uns aber auf den Zuhauseweg
befanden, tauchte auf weite Entfernung plötz-
lich eine verirrte Hammelherde auf, die offen-
bar den strategischen Zusammenhang mit die
russischen Streitkräfte verloren hatte und nicht
wußte, ob sie sich zu Kerenski oder zu Kornilow
bekennen sollte. Um ihr das weitere Kopfzer-
brechen zu ersparen, funkten wir mitten in
das Gros hinein und hatten den Dusel, zwei
zu erlegen, die wir ebenfalls Mitnahmen. Durch
dieses Ereignis waren unsere Ansprüche ge-
stiegen, und wie wir bei hereinbrechende Nacht
an ein zerstörtes Gehöft vorbeikameü, kletterten
wir in den Garten und suchten nach Obst für
unseren Nachtisch. Und wirklich fanden wir
auch zwei Apfelbäume. Da man jedoch in die
Dunkelheit nicht sehen konnte, ob was dran
hing, so schüttelten wir aus gut Glück. Kaum
war aber dieses geschehen, so krachte und pras-
selte es in die Aste, und aus das Laubdickicht
von jeden Baum plumpste eine schwere schwarze
Masse herunter, so daß wir rasch beiseite
springen mußten, damit wir sie nicht auf den
Kopf bekamen. Bei nähere Besichtigung er-
kannten wir das seltsame Fallobst als zwei
versprengte Russen, die sich dort oben ver-
krochen gehabt hatten. Wir nahmen auch sie
mit, obgleich sie als Fourage nicht zu gebrauchen
waren. Sie hatten zwar im Laufe des ver-
flossenen Tages die beiden Bäume vollständig
kahl gefressen und die Bäuche voll, aber ein
gefangener Russe unterscheidet sich auch darin
von eine gebratene Gans, daß die letztere,
wenn sie mit Äpfeln gefüllt ist, für sehr wohl-
schmeckend gilt, der erstere aber auch in diesen
Zustande nichtsdestoweniger keineswegs.
So trafen wir wohlbehalten und hochwill-
kommen bei die Kompagnie ein, und ich brauche
Dir nicht zu erzählen, was es an den Abend
zu essen gab, aber Du wirst zugeben, daß
Pellkartoffeln und gekochtes Hammelfleisch mit
Pilze keine verachtungsvolle Nahrung sind.
In die zärtliche Hoffnung, daß auch Dir
bald einmal eine ähnliche Annehmlichkeit zu-
stoßen möchte, grüße und küsse ich Dir herz-
lichst als Dein getreuer Bräutigam
August Säge jun., Garde-Grenadier.
Nachschrift. Unter die Pilze müssen wohl
einige nicht ganz zweckentsprechende gewesen
sein. Denn ich habe seit den Genuß ein an-
dauerndes wehmütiges Gefühl in mein Ver-
dauungsbereich. Nach Verordnung unseres
Sanitäters soll dagegen ein Schluck Rum das
beste Heilmittel sein. In welche baldige Er-
wartung Deinerseits ich Dir nochmals herz-
lich küsse.
<2? <3?
Herbst im Blätterwald.
Nun siehst du nicht nur Uosen, Kstern, Nelken,
Nun siehst du auch bedruckte Blätter welken.
wie war er einst von Inseraten fett,
Oer Generalanzeiger — jetzt Skelett.
Zusammcnschrumpfte er wie dürres Laub,
Ach, all sein ansehn fiel der Zeit zum Naub.
was ihn gemästet, sank verdorrt dahin,
Und, lieber Freund, was steht dennjetztnoch drin?
vu siehst entlaubtes stolz mit trockner Uinde,
Das traurig schwankt in dem polit'schen winde.
♦ vaterlanü. ❖
JWe wir schwören mit Herz unü hanö:
„Vaterland! Vaterland!"
Mer wie schon in Glück und Frieden,
3Ji der Sinn dieses Morts verschieden.
Den einen ist es die große Liebe,
Ihres Herzens heiligste Triebe -
Indern ist es die melkende Kuh,
Gibt ihnen Butter und Milch dazu.
Einer, dem es im Herzen glutet,
Kür das Vaterland stirbt und blutet -
Mürer lebt für das Vaterland,
Küllt sich die laschen mit giecer Hand.
Und wo die einen schweigend sterben,
Ghne sich Gut oder Macht zu erwerben,
Krech die andern sich spreizen und recken,
Um allein den Erfolg zu schlecken.
Volk, das du alle Last getragen,
Nun die schwerste Schlacht gilt^s zu schlagen:
dämpfe der Habgier lodernden Brand -
Schafft dir in Wahrheit ein Vaterland!
C. Klaar.
Wilsons Besorgnis.
„Wenn das FriedensgedUdel doch noch Erfolg
hat, verliere ich meine höchst wertvolle europäische
Kundschaft."
0?(3?
Weckruf.
Es geht ein Raunen durch die Welt,
Ein großes, starkes Losten —
Die Menschheit war von Gift geschwellt
And Fieberwahn betroffen.
Genug des Elends und des Leids
Ward Mensch und Land beschieden!
Vertragt euch wieder allerseits —
Macht Frieden — Frieden — Frieden!
Laßt die Kanonen stille stehn
And still das Mordgewaffen —
Wir wollen neu als Brüder gehn
And schaffen.— schaffen — schaffen!
Wir wollen die verheerte Flur
Zu neuem Blühn erfrischen
And rings des grausen Würgens Spur
Zerstreuen und verwischen.
Wir wollen eine neue Zeit
And neues Wohl bereiten.
Von Laß und finstrem Wahn befreit
Als wahre Menschen schreiten.
Wir wollen neu zum Bruderbund
Vereinen Lerz und Lände —
Ihr Völker alle in der Rund,
Dem Würgen macht ein Ende! K.
Feldpostbriefe.
lxxxiii.
Geliebte Rieke! Daß Du noch immer unter
die Nahrungsschwierigkeiten zu leiden hast,
tut mir sehr leid. Denn eine Braut, die nicht
genug Nahrung hat, ist für den Bräutigam
ein schmerzlicher Gedanke. Aber wenn Du Dir
darüber beklagst, daß es schon seit drei Jahre
in Berlin nichts zu scherbeln gegeben hat, so
kann ich Dir deswegen leider nicht bedauern.
Mit Deinen Magen habe ich Mitgefühl, mit
Deine Tanzbeine aber nicht, und wer das
Glück genießt, einen Bräutigam bei die Garde
zu besitzen, der braucht nicht anderweitig zu
scherbeln, sondern soll sich mit sein stolzes
Bewußtsein begnügen. Ich bestrebe mir hier,
dasselbe zu tun.
Seit gestern liegen wir in eine Gegend, die
der Russe sehr eilig geräumt hat. Die Rück-
kompagnien haben sich aber noch die Mühe
gemacht, alles Genießbare und Bewohnbare
zu verungenieren. Ich bin augenblicklich zur
Verstärkung des Küchenpersonals kommandiert
und befinde mir daher, was die Verpflegung an-
belangt, in eine besonders begnadigte Stellung.
Allerdings müssen wir uns unsere Diners sel-
ber aus die Mutter Natur ausbuddeln und
können noch froh sein, daß es die Russen nicht
geglückt ist, alle Kartoffelfelder ungenießbar zu
machen. Gleich nach unser Eintreffen gestern
abend zog ich zu diesen Zweck mit vier Kame-
raden los. Wir hatten bald unsere Säcke voll
und nebenbei noch einen Eimer Pilze gesam-
melt. Als wir uns aber auf den Zuhauseweg
befanden, tauchte auf weite Entfernung plötz-
lich eine verirrte Hammelherde auf, die offen-
bar den strategischen Zusammenhang mit die
russischen Streitkräfte verloren hatte und nicht
wußte, ob sie sich zu Kerenski oder zu Kornilow
bekennen sollte. Um ihr das weitere Kopfzer-
brechen zu ersparen, funkten wir mitten in
das Gros hinein und hatten den Dusel, zwei
zu erlegen, die wir ebenfalls Mitnahmen. Durch
dieses Ereignis waren unsere Ansprüche ge-
stiegen, und wie wir bei hereinbrechende Nacht
an ein zerstörtes Gehöft vorbeikameü, kletterten
wir in den Garten und suchten nach Obst für
unseren Nachtisch. Und wirklich fanden wir
auch zwei Apfelbäume. Da man jedoch in die
Dunkelheit nicht sehen konnte, ob was dran
hing, so schüttelten wir aus gut Glück. Kaum
war aber dieses geschehen, so krachte und pras-
selte es in die Aste, und aus das Laubdickicht
von jeden Baum plumpste eine schwere schwarze
Masse herunter, so daß wir rasch beiseite
springen mußten, damit wir sie nicht auf den
Kopf bekamen. Bei nähere Besichtigung er-
kannten wir das seltsame Fallobst als zwei
versprengte Russen, die sich dort oben ver-
krochen gehabt hatten. Wir nahmen auch sie
mit, obgleich sie als Fourage nicht zu gebrauchen
waren. Sie hatten zwar im Laufe des ver-
flossenen Tages die beiden Bäume vollständig
kahl gefressen und die Bäuche voll, aber ein
gefangener Russe unterscheidet sich auch darin
von eine gebratene Gans, daß die letztere,
wenn sie mit Äpfeln gefüllt ist, für sehr wohl-
schmeckend gilt, der erstere aber auch in diesen
Zustande nichtsdestoweniger keineswegs.
So trafen wir wohlbehalten und hochwill-
kommen bei die Kompagnie ein, und ich brauche
Dir nicht zu erzählen, was es an den Abend
zu essen gab, aber Du wirst zugeben, daß
Pellkartoffeln und gekochtes Hammelfleisch mit
Pilze keine verachtungsvolle Nahrung sind.
In die zärtliche Hoffnung, daß auch Dir
bald einmal eine ähnliche Annehmlichkeit zu-
stoßen möchte, grüße und küsse ich Dir herz-
lichst als Dein getreuer Bräutigam
August Säge jun., Garde-Grenadier.
Nachschrift. Unter die Pilze müssen wohl
einige nicht ganz zweckentsprechende gewesen
sein. Denn ich habe seit den Genuß ein an-
dauerndes wehmütiges Gefühl in mein Ver-
dauungsbereich. Nach Verordnung unseres
Sanitäters soll dagegen ein Schluck Rum das
beste Heilmittel sein. In welche baldige Er-
wartung Deinerseits ich Dir nochmals herz-
lich küsse.
<2? <3?
Herbst im Blätterwald.
Nun siehst du nicht nur Uosen, Kstern, Nelken,
Nun siehst du auch bedruckte Blätter welken.
wie war er einst von Inseraten fett,
Oer Generalanzeiger — jetzt Skelett.
Zusammcnschrumpfte er wie dürres Laub,
Ach, all sein ansehn fiel der Zeit zum Naub.
was ihn gemästet, sank verdorrt dahin,
Und, lieber Freund, was steht dennjetztnoch drin?
vu siehst entlaubtes stolz mit trockner Uinde,
Das traurig schwankt in dem polit'schen winde.