9376
Weltfinsiernis.
Von Byron.
Das Lomgglas
des Lerrn Lauptmann.
Von A. L.
Nicht als ob der Herr Hauptmann
Süßigkeiten im allgemeinen und Honig
im besonderen geliebt hätte. Aber die
junge Frau Hauptmann wußte gar nicht,
was sie ihrem Mann alles hinausschicken
sollte ins Feld, und so schickte sie ihm
eines Tages mit anderen guten Dingen
auch ein Glas Honig. Der Honig war
klar wie Gold und das Glas dicht mit
Pergamentpapier zugebunden, und auf
das Papier hatte die Frau Hauptmann
in ihrer schönen großen Schrift geschrie-
ben: „Wenn Du erkältet bist!"
Der Hauptniann konnte sich nicht er-
innern, während des Feldzuges einmal
erkältet gewesen zu sein, und er hoffte,
auch künftig verschont zu bleiben. Da er
selber ein Butterbrot einem Honigbrot
vorzog, schenkte er das Glas Honig sei-
nem Burschen.
Peter, der ein Muster von Treue und
Gewissenhaftigkeit war, nahm die süße
Gabe als Anerkennung treuer Dienste
auf und besah sie liebevoll von allen
Seiten. War der Herr Hauptmann ein
Feind von Süßigkeiten, so war sein
Bursche ein Freund davon: Kuchen,
Pudding, Schokolade und Honig galten
ihm als unübertreffliche Herrlichkeiten.
So leckte er sich denn auch beim An-
blick des süßen Goldes schon im voraus
die Finger und schmunzelte: „Dich mag
ich schon, darin bin ich meiner Mutter
nachgeschlagen."
Schon wollte er den Bindfaden lösen,
um sein Brot zu streichen, da hielt er
plötzlich inne. Der Gedanke an die Mut-
ter hatte augenblicklich alle Begehrlich-
keit niedergeschlagen. EinS, zwei, drei
war das Glas wieder eingewickelt und
steckte tief unten im Tornister. In ein
paar Wochen gab es Urlaub, dann sollte
die Mutter sich freuen.
Und richtig, als der Infanterist Peter
in Urlaub fuhr, trug er die süße Last
mit sich fort aus dem Bereich des
Schützengrabens in die sonnige Heimat
am Rhein.
Aber der Bursche ging nicht mit fröh-
lichem Gesicht und munterem Schritt.
Sein Hauptmann hatte einen Schulterschuß
bekommen. Er wußte nicht einmal, wohin
man ihn gebracht hatte. Irgendwo in einer
rheinischen Stadt lag er im Lazarett. Wenn
Peter nur wüßte, wo.
Daheim kam wieder etwas Sonne in Peters
Herz. So bei Mutter» zu sein und sich ver-
wöhnen zu lassen, war doch zu schön. Und
die Mutter so glücklich sehen, wenn sie heim-
lich ihren Jungen mustert, war viel wert.
Und der frohe Dank für den weitgewanderten
Honig ivog auch nicht wenig. Also gab Peter
sich zufrieden und suchte sich die trüben Ge-
danken an seinen Hauptmann aus dem Kopf
zu schlagen.
Schon war eine Woche der Urlaubszeit um,
und noch immer stand das Glas Honig un-
berührt. Peters Mutter machte sich ihre eigenen
Mir kam ein Traum, der war nicht ganz ein Traum.
Verloschen war die lichte Sonne: Sterne,
Sie zogen dunkelnd durch den ew'gen Raum
Skcahllos und pfadlos, und die eis'ge Erbe
Schwang blind und schwarz in mondverlass'ner Luft.
Und Krieg, der eine Zeit verschollen war,
Er überfraß sich neu: mit Blut erkauft
Ward Brot, und tückisch einsam nagt ein jeder, -
3n Trübsal zehrend: Liebe war dahin —
Die Erde war nur ein Gedanke: Tod.
-- —-Leer war nun die Welt:
Die völkervolle, mächtige war ein Klumpen —
Iahrlos und grünlos, baumlos, mannlos, leblos —
Ein Klumpen Tod, ein Chaos Harken Staubes.
Die Ströme, Seen, der Ozean stand still,
Und nichts erregt die stillen Abgrundtiefen,
Mannlos im Meer die Schiffe lagen faulend,
Die Masken sielen stllckweis: und im Falle
Entschliefen ohne Brandung sie im Grund,
Die Wasser waren tot, ein Grab die Ebbe,
Vermodert war ihr Meister längst, der Mond,
Die Winde welkten in der faulen Luft,
Die Wolken starben hin: die Finsternis
Halt' ihrer keine Rot: sie war das All.
Gedanken um die seltene Gabe. Sie putzte
und schruppte jede Woche zweimal die Gänge
und Treppen im großen Lazarett. Was sie da
für Eiend gesehen hatte! Die blutjungen
Menschen, wie arm die da lagen in Schmerzen
und Fieber und Heimweh! Für die war ge-
rade das Beste gut genug. Denen gehörte auch
der Honig, nicht ihr, dem alten unnützen
Weibieiu.
Und eines Tages, als sie denken durste,
Peter frage nicht mehr nach dem Honig und
danach, wie er ihr schnieckte, wickelte sie das
Glas sorgfältig ein und nahm es mit zum
Lazarett. Dort schlüpfte Schwester Johanna
über den Gang. Der drückte sie ihre Liebes-
gabe in die Hand und sagte verschämt: „Gebt
es da drin einem, der arge Schmerzen hat!"
Schwester Johanna lächelte, und da sie gerade
in das Offizierszimmer eintreten wollte,
nahm sie das Päcklein mit und wickelte
es drinnen aus seiner Hülle.
„Herr Hauptmann, mögen Sie gern
Honig? Eben hat mir eine brave alte
Frau dieses Glas geschenkt für einen,
der arge Schmerzen hätte, und das sind
hier doch wohl Sie! Und hier steht auch
noch was darauf: Wenn Du erkältet
bist!" Schwester Johanna lachte hell auf.
Der Hauptmann aber wandte sich
mühsam und langte mit der gesunden
Hand nach dem Glas. Im Augenblick
erkannte er die Schriftzüge seiner Frau.
'Da gab's ein schnelles Fragen und
Forschen. Peters Mutter mußte herbei-
kommen, und der geheimnisvolle Fall
war bald aufgeklärt.
Eine halbe Stunde später stand Peter
an seines Hauptmanns Bett. „Ob er
sich freute, ihn wiederzusehen," forschte
der Hauptmann.
„Jawohl, Herr Hauptmann!" war
alles, was Peter herausbrachte, und
dabei nahm er ganz unvorschriftsmäßig
die Hand von der Hosennaht und wischte
sich die zwei dicken Tropfen weg, die
ihm über die Backen gerollt waren. Doch
als ihn der Hauptmann fragte, ob er
schon einmal etwas von der Traube
des Markarius* gehört hätte, hatte er
seine Fassung wiedergewonnen, stand
stramm und antwortete: „Nein, Herr
Hauptmann!"
Da lachte der Hauptmann: „Ist auch
nicht nötig, du bist doch ein ganzer Kerl."
Peter durfte für heute abtreten. Aber
seine Mutter sollte er noch einmal schicken.
Auch Peters Mutter wußte nichts von
der Traube des Markarius. Aber der
Herr Hauptmann ist gewiß auch mit
ihr zufrieden gewesen, denn als sie aus
dem Zimmer kam, glänzte ihr altes, run-
zeliges, gutes Gesicht in großer Freude.
Heiliger Markarius, du hast viele
Jünger in deutschen Landen, und das
ist gut so.
* Dem Einsiedler Markarius wurde eines
heißen Tages eine saftige Traube verehrt. Er
überwand sich und schickte sie dem zweiten Bru-
der. Der machte es wie Markarius. Der folgende
ebenso. Und so ging die Traube die Einsiedler
durch, bis sie am Abend zu Markarius zurückkam.
Tröstliche Rückblicke.
Unter diesem Titel hat ein Professor der
seufzenden Menschheit neulich ausgiebigen
Trost gespendet. Den unzufriedenen Leuten
von heute stellt er unsere bescheidenen, zufrie-
denen Vorfahren, die vor zwei- bis dreitausend
Jahren lebten, als leuchtendes Beispiel gegen-
über. Man denke: die alten Germanen kannten
weder Kartoffeln noch den Bohnenkaffee, der
Zucker war ihnen gänzlich unbekannt, und mit
Kuba und Havanna hatten sie keinerlei Ver-
bindung, ließen sich also auch keinen Rauch
um die Nase wehen. Trotzdem: sie lebten! .. -
Mit dem Alkohol liegt die Sache ja ein wenig
zweifelhaft. Man weiß nicht, ob der Met, von
dem bekanntlich die alten Deutschen immer
noch eins tranken, eine größere Verwandtschaft
Weltfinsiernis.
Von Byron.
Das Lomgglas
des Lerrn Lauptmann.
Von A. L.
Nicht als ob der Herr Hauptmann
Süßigkeiten im allgemeinen und Honig
im besonderen geliebt hätte. Aber die
junge Frau Hauptmann wußte gar nicht,
was sie ihrem Mann alles hinausschicken
sollte ins Feld, und so schickte sie ihm
eines Tages mit anderen guten Dingen
auch ein Glas Honig. Der Honig war
klar wie Gold und das Glas dicht mit
Pergamentpapier zugebunden, und auf
das Papier hatte die Frau Hauptmann
in ihrer schönen großen Schrift geschrie-
ben: „Wenn Du erkältet bist!"
Der Hauptniann konnte sich nicht er-
innern, während des Feldzuges einmal
erkältet gewesen zu sein, und er hoffte,
auch künftig verschont zu bleiben. Da er
selber ein Butterbrot einem Honigbrot
vorzog, schenkte er das Glas Honig sei-
nem Burschen.
Peter, der ein Muster von Treue und
Gewissenhaftigkeit war, nahm die süße
Gabe als Anerkennung treuer Dienste
auf und besah sie liebevoll von allen
Seiten. War der Herr Hauptmann ein
Feind von Süßigkeiten, so war sein
Bursche ein Freund davon: Kuchen,
Pudding, Schokolade und Honig galten
ihm als unübertreffliche Herrlichkeiten.
So leckte er sich denn auch beim An-
blick des süßen Goldes schon im voraus
die Finger und schmunzelte: „Dich mag
ich schon, darin bin ich meiner Mutter
nachgeschlagen."
Schon wollte er den Bindfaden lösen,
um sein Brot zu streichen, da hielt er
plötzlich inne. Der Gedanke an die Mut-
ter hatte augenblicklich alle Begehrlich-
keit niedergeschlagen. EinS, zwei, drei
war das Glas wieder eingewickelt und
steckte tief unten im Tornister. In ein
paar Wochen gab es Urlaub, dann sollte
die Mutter sich freuen.
Und richtig, als der Infanterist Peter
in Urlaub fuhr, trug er die süße Last
mit sich fort aus dem Bereich des
Schützengrabens in die sonnige Heimat
am Rhein.
Aber der Bursche ging nicht mit fröh-
lichem Gesicht und munterem Schritt.
Sein Hauptmann hatte einen Schulterschuß
bekommen. Er wußte nicht einmal, wohin
man ihn gebracht hatte. Irgendwo in einer
rheinischen Stadt lag er im Lazarett. Wenn
Peter nur wüßte, wo.
Daheim kam wieder etwas Sonne in Peters
Herz. So bei Mutter» zu sein und sich ver-
wöhnen zu lassen, war doch zu schön. Und
die Mutter so glücklich sehen, wenn sie heim-
lich ihren Jungen mustert, war viel wert.
Und der frohe Dank für den weitgewanderten
Honig ivog auch nicht wenig. Also gab Peter
sich zufrieden und suchte sich die trüben Ge-
danken an seinen Hauptmann aus dem Kopf
zu schlagen.
Schon war eine Woche der Urlaubszeit um,
und noch immer stand das Glas Honig un-
berührt. Peters Mutter machte sich ihre eigenen
Mir kam ein Traum, der war nicht ganz ein Traum.
Verloschen war die lichte Sonne: Sterne,
Sie zogen dunkelnd durch den ew'gen Raum
Skcahllos und pfadlos, und die eis'ge Erbe
Schwang blind und schwarz in mondverlass'ner Luft.
Und Krieg, der eine Zeit verschollen war,
Er überfraß sich neu: mit Blut erkauft
Ward Brot, und tückisch einsam nagt ein jeder, -
3n Trübsal zehrend: Liebe war dahin —
Die Erde war nur ein Gedanke: Tod.
-- —-Leer war nun die Welt:
Die völkervolle, mächtige war ein Klumpen —
Iahrlos und grünlos, baumlos, mannlos, leblos —
Ein Klumpen Tod, ein Chaos Harken Staubes.
Die Ströme, Seen, der Ozean stand still,
Und nichts erregt die stillen Abgrundtiefen,
Mannlos im Meer die Schiffe lagen faulend,
Die Masken sielen stllckweis: und im Falle
Entschliefen ohne Brandung sie im Grund,
Die Wasser waren tot, ein Grab die Ebbe,
Vermodert war ihr Meister längst, der Mond,
Die Winde welkten in der faulen Luft,
Die Wolken starben hin: die Finsternis
Halt' ihrer keine Rot: sie war das All.
Gedanken um die seltene Gabe. Sie putzte
und schruppte jede Woche zweimal die Gänge
und Treppen im großen Lazarett. Was sie da
für Eiend gesehen hatte! Die blutjungen
Menschen, wie arm die da lagen in Schmerzen
und Fieber und Heimweh! Für die war ge-
rade das Beste gut genug. Denen gehörte auch
der Honig, nicht ihr, dem alten unnützen
Weibieiu.
Und eines Tages, als sie denken durste,
Peter frage nicht mehr nach dem Honig und
danach, wie er ihr schnieckte, wickelte sie das
Glas sorgfältig ein und nahm es mit zum
Lazarett. Dort schlüpfte Schwester Johanna
über den Gang. Der drückte sie ihre Liebes-
gabe in die Hand und sagte verschämt: „Gebt
es da drin einem, der arge Schmerzen hat!"
Schwester Johanna lächelte, und da sie gerade
in das Offizierszimmer eintreten wollte,
nahm sie das Päcklein mit und wickelte
es drinnen aus seiner Hülle.
„Herr Hauptmann, mögen Sie gern
Honig? Eben hat mir eine brave alte
Frau dieses Glas geschenkt für einen,
der arge Schmerzen hätte, und das sind
hier doch wohl Sie! Und hier steht auch
noch was darauf: Wenn Du erkältet
bist!" Schwester Johanna lachte hell auf.
Der Hauptmann aber wandte sich
mühsam und langte mit der gesunden
Hand nach dem Glas. Im Augenblick
erkannte er die Schriftzüge seiner Frau.
'Da gab's ein schnelles Fragen und
Forschen. Peters Mutter mußte herbei-
kommen, und der geheimnisvolle Fall
war bald aufgeklärt.
Eine halbe Stunde später stand Peter
an seines Hauptmanns Bett. „Ob er
sich freute, ihn wiederzusehen," forschte
der Hauptmann.
„Jawohl, Herr Hauptmann!" war
alles, was Peter herausbrachte, und
dabei nahm er ganz unvorschriftsmäßig
die Hand von der Hosennaht und wischte
sich die zwei dicken Tropfen weg, die
ihm über die Backen gerollt waren. Doch
als ihn der Hauptmann fragte, ob er
schon einmal etwas von der Traube
des Markarius* gehört hätte, hatte er
seine Fassung wiedergewonnen, stand
stramm und antwortete: „Nein, Herr
Hauptmann!"
Da lachte der Hauptmann: „Ist auch
nicht nötig, du bist doch ein ganzer Kerl."
Peter durfte für heute abtreten. Aber
seine Mutter sollte er noch einmal schicken.
Auch Peters Mutter wußte nichts von
der Traube des Markarius. Aber der
Herr Hauptmann ist gewiß auch mit
ihr zufrieden gewesen, denn als sie aus
dem Zimmer kam, glänzte ihr altes, run-
zeliges, gutes Gesicht in großer Freude.
Heiliger Markarius, du hast viele
Jünger in deutschen Landen, und das
ist gut so.
* Dem Einsiedler Markarius wurde eines
heißen Tages eine saftige Traube verehrt. Er
überwand sich und schickte sie dem zweiten Bru-
der. Der machte es wie Markarius. Der folgende
ebenso. Und so ging die Traube die Einsiedler
durch, bis sie am Abend zu Markarius zurückkam.
Tröstliche Rückblicke.
Unter diesem Titel hat ein Professor der
seufzenden Menschheit neulich ausgiebigen
Trost gespendet. Den unzufriedenen Leuten
von heute stellt er unsere bescheidenen, zufrie-
denen Vorfahren, die vor zwei- bis dreitausend
Jahren lebten, als leuchtendes Beispiel gegen-
über. Man denke: die alten Germanen kannten
weder Kartoffeln noch den Bohnenkaffee, der
Zucker war ihnen gänzlich unbekannt, und mit
Kuba und Havanna hatten sie keinerlei Ver-
bindung, ließen sich also auch keinen Rauch
um die Nase wehen. Trotzdem: sie lebten! .. -
Mit dem Alkohol liegt die Sache ja ein wenig
zweifelhaft. Man weiß nicht, ob der Met, von
dem bekanntlich die alten Deutschen immer
noch eins tranken, eine größere Verwandtschaft