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— 9380 . -

Oie neue Weltmacht.

Noch Kämpfen die alten Mächte
Mit ungezügelter Wut,

Noch immer bedeckt sich die Erde
Mit strömendem Menschendlut.

Und ob auch Tränen und Seufzer
weithin durch die Länder gehn,
Es ist noch immer kein Ende
ves grausigen Mordens zu sehn.

Und wimmernd folgen die Witwen
Und Waisen des Unheils Lauf,

Und richten vergebens die blicke
Zum schweigenden Himmel hinauf.

verzaget nicht! Es ist erstanden
Verweil eine neue Macht;

Cs ist in der Völker Herzen
vie friedenssehniucht erwacht.

Vie friedensfehnsucht ist stärker
Wohl als die Watten all.

Und ste verwandelt die Seufzer
In einen mächtigen hall.

ver dringet über die erde
Zu einem jeglichen Ort,

Und pflanzt sich unwiderstehlich
Und unaufhaltsam fort.

vis dah die Sehnsucht den willen
ver Völker, den starken, gebiert,
ver uns aus all diesem eiend
hinüber zum frieden führt.

es ist kein vergeblich hotten,
es ist kein kindlicher Trug;

Ver weltgeist erhebt seine Stimme
Und donnert: es ist genug!

n■ Titus.

Bambino in Ängsten.

l.

Etwas vom Kartenlegen.

Poincarö teilte den französischen Politikern
voller Freude mit, daß eine berühmte Pariser
Wahrsagerin ihm prophezeit habe, wenn er es
zum französischen Kaiser brächte, die Deutschen
Elsaß-Lothringen ihm als Angebinde bescheren
würden, worauf ihm Ribot entgegnete, daß
dann Frankreich bis auf den St.Nimmerleins-
tag auf Elsaß-Lothringen verzichten müßte.

Feldpostbriefe.

LXXXIV.

Geliebte Eltern! Ich muß Euch heute Mit-
teilen, daß ich hier im Lazarett liege. Aber
die Wunde ist nicht schlimm, und in acht Tagen
komme ich auf Erholungsurlaub nach Berlin.

Wir hatten nämlich einen sogenannten Ruhe-
tag, wo schon immer der Teufel los ist. Mit-
tags gab es Wellfleisch und steifen Grog, der
aus eine Sendung Liebesgaben-Rum hergestellt
worden war. Kaum hatten wir uns zu das
besagte Festessen niedergesetzt, als auch schon
der Befehl kam: „Das Regiment steht in einer
Stunde zum Abmarsch bereit." In solche
Lebenslagen pflegt der Soldat sehr laut zu
schimpfen. Das Hilst ihm zwar nichts, aber
es tut ihm doch wohl, weil es die Seele
dienstlich erleichtert. Also mußten wir unsere
Affen packen, und die Promenade ging los.

Sie dauerte ohne Unterbrechung bis zum
späten Abend. Da gelangten wir in ein Dorf,
wo haltgemacht wurde. Es war schon dicke
mit Truppen besetzt und jeder mußte suchen,
wo er eine Schlafgelegenheit fand. Mein
Freund Fritze Lehmann aus die Ackerstraße
und ich kletterten in die Dunkelheit auf den
Bagagewagen eines andern Regiments und
haben sehr gut geschlafen. Unser Lager war
sehr warm und merkwürdig weich, und wie
wir früh um fünfe weiter mußten, konnten
wir mit Befriedigung feststellen, daß wir auf
frischgebackene Kommißbrote gepennt hatten,
was sich selbst bei Euch in Berlin heutzutage
nur die allerreichsten Leute leisten könnten. Mit
dieses stolze Bewußtsein zogen wir los, und
es ging auch gleich zum Angriff vor. Unser
Zug mußte ausschwärmen, und schon pfiffen
uns die Kugeln dicht wie Hagelkörner um die
Kohlrübe. Die Russen standen uns in starke
Übermacht gegenüber. Unbehelligt kam ich
durch ein dichtes Waldstück mit viel Unter-
holz; aber dann ging es über eine 200 Meter
breite Wiese, und kaum war ich ein paar
Schritte vorgesprungen und hatte gerade einen
breiten Wassergraben durchklettert, da fühlte ich
auch schon einen heftigen Schlag gegen meine

rechte Hüfte und, bums, lag ich in dem Graben.
Hier konnten mir zwar die russischen Ma-
schinengewehre nicht befeuern, aber der Auf-
enthalt hatte doch seine Kehrseiten, denn das
Wasser war barbarisch kalt und die Wunde
tat verdammt weh. Aber ich konnte mir nicht
von alleine helfen, und so mußte ich mehrere
Stunden in den Graben verleben. Das Wasser
färbte sich allmählich ganz rot von meinen
Blutverlust, und ich dachte, wenn ich mir noch
lange hier aufhalte, dann kann es mit die
Zest die schönste Wurstsuppe geben. Da er-
schien unverhofft über dem Grabenrand die
wohlbekannte Visage von Fritze Lehmann, der
mitten im Kugelregen mit heldenhafte Todes-
verachtung auf dem Bauche kriechend das
ganze Feld der Ehre nach mir abgesucht hatte.
Er war sehr erschrocken, wie er mir in meinen
Zustand wiedererkannte. In seine erste Er-
schütterung schwor er, daß er bei mir bleiben
und die Gefangenschaft, auf die ich mir schon
eingerichtet hatte, mit mir kameradschaftlich
teilen wolle. Aber dann überlegte er sich, daß
das Essen bei die Russen doch zu mangelhaft
wäre, und so kriegte er mir zu packen und
schleifte mir den Graben entlang bis an die
Stelle, wo wir durch Schlingpflanzen gegen
das feindliche Feuer gedeckt waren. Hier zog
er mir aufs Trockene, verband mir meine
Wunde und deckte mir mit seinen Mantel zu.

Ich muß wohl gleich die Besinnung ver-
loren haben; denn ich kam erst wieder bei mir,
als es schon dunkel war und zwei Kranken-
träger, die Fritze geholt hatte, mir hochhißten
und zum Verbandplatz expedierten. Hier wurde
ich von einen Arzt nochmals verbunden, be-
kam ein trockenes Hemde an, schob noch den-
selben Abend in das nächste Lazarett ab. Da
liege ich nun in ein feines Bett, wo es sich
beinahe noch besser pennt wie die Nacht vor-
her auf die warmen Kommißbrote. In eine
Woche spätestens hoffe ich, wie gesagt, bei Euch
einzutreffen und freue mir schon herzlichst auf
das baldige Wiedersehen nach so lange Zeit.

Bis dahin mit viele Grüße von Euren dank-
baren Sohn

August Säge jun., Garde-Grenadier.
 
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