9392
Große und kleine Kinder.
Von A. L.
An ihrem alten Nähtisch in der
Fensternische sitzt die Mutter und
wartet auf den Sohn, der aus dem
Krieg kommen soll. Nach zwei langen
Jahren soll er heute für wenige Ur-
laubstage heimkommen. Sie wird
die Haustüre gehen hören, wenn er
kommt, sie wird seine Schritte auf
der Treppe vernehmen. Sie wird
ihm nicht entgegen stürzen, sie wird
ihn allein ins Zimmer treten lassen,
ihn hier erwarten, wie sie es ge-
wohnt war.
Ja, wie sie es gewohnt war. Und
plötzlich denkt sie daran, in wie vielen
Jahren sie hier auf diesem Plätzchen
gesessen hat, in wie vielen Stunden
aller Tageszeiten sie hier gewartet
hat, daß die Haustüre ins Schloß
fallen möge und sein Schritt auf der
Treppe vernehmbar würde. Zuerst, vor fast
dreißig Jahren, da war es ein kaum vernehm-
barer Kinderschritt. Wie hätte er auch mit den
kleinen Stiefelchen, die er damals trug, fest und
vernehmlich austreten können? Und doch, und
doch hat sie ihn kein einziges Mal überhört.
Es war damals noch keine Eigenart in seinem
Schritt. Er setzte die Füße noch ein wenig un-
sicher und zaghaft auf den Boden, wie schüch-
terne Kinder zu tun pflegen. Später, als er
aus die Mittelschule ging, da war sein Schritt
schon fester, oft zu kräftig, säst ungestüm. Lauter
flog die Tür ins Schloß, und die Treppe
herauf nahm er immer drei Stufen auf
einmal. Das war damals, als er so rasch
wuchs und so breite Schultern bekam.
Es kam auch damals wohl vor, daß er
leise und behutsam die Treppe herauf-
schlich; aber das war kein gutes Zeichen.
Da brachte er sicher eine schlechte Note
heim. Dann, wieder ein paar Jahre später,
als er an der Hochschule studierte. Die
Hast, der Überschwang der allzujungen
Jugend hatten sich abgeschliffen, der all-
zujunge Wein war schon klarer gewor-
den, wenngleich er immer noch jung war.
Da war sein Gang ein kraftvolles, selbst-
bewußtes, maßvoll gezügeltes Schreiten.
Die Treppe herauf ging er Stufe für
Stufe, außer er hätte besondere Eile
gehabt. Und nun? Seit zwei langen
Jahren ist sein Schritt in diesem Hause
nicht mehr erklungen. Doch heute, in
dieser Stunde, soll er heimkommen.
Die Mutter sitzt an ihrem Tischlein.
Sie will ruhig sein, sie will arbeiten.
Doch ihre Hände beben und beim leisesten
Geräusch, das von unten her, von der
Straße heraufdringt, erzittert ihr Herz....
Da. ... Die Haustüre fiel ins Schloß,
doch kaum vernehmbar. Ganz leise und
vorsichtig ist sie zugemacht worden. Nein,
daS war sonst seine Art nicht. Er kann
es nicht sein. Jetzt— Schritte im Flur
und auf der Treppe_Behutsame, ab-
gedampfte Schritte. Nein, draußen im
Krieg kann er doch nicht solch einen lei-
sen, zarten Gang bekommen haben! .. .
Und doch. Da ist zwischen den Schritten
Auffahrt.
Von Karl Bröger.
Als die Granate eingeschlagen,
brauste vom Himmel ein feuriger Wagen
mit federnder Brücke, mit sirrenden Achsen,
und der Tod, wie aus der Luft entwachsen,
schnellt vor mit herrischer Gebärde
und reißt drei Menschen von der Erde. ..
Der Wagen kehrt den rasenden Lauf
und zuckt als Blitz den Himmel hinauf...
Eine weiße, dampfende Wolke nur
schleicht hinter der flammenden Wagenspur,
und Sonne, die spät am Himmel kroch,
schüttet blutigen Schein in das rauchende Loch.
Der Tod rennt längst am letzten Limmelssaum,
lenkt seinen Wagen in die dunkle Ferne,
schon donnert er durchs goldne Tor der Steine...
Drei Menschen fahren auf und sind nichts mehr als Raum-
so ein leises Wiegen, solch ein winziger, schwe-
bender Zwischentakt, wohl nur für sie hörbar,
nur für die Mutter. .. .
Da entsinkt die Handarbeit, über die sie ge-
beugt sitzt, ihren Händen, und ihr weißum-
rahmtes Greisinnenantlitz, auf dem Röte und
Blässe in höchster Erregung fieberhaft wechseln,
wendet sich der ausgehenden Türe zu.
Das Kind ist heimgekommen.. . .
Also jetzt haben sie ihren Vater wieder, der
kleine Franzl und die etwas größere Mariann,
Im Vorzimmer seiner Exzellenz.
auf acht ganze Tage haben sie ihren
Vater wieder. Im ersten Augenblick
haben sie den Vater gar nicht er-
kannt, haben sich gar vor dem frem-
den, braungebrannten Landsturm-
mann gefürchtet. Aber da ihm die
Mutter gleich mit einem Jubelschrei
an den Hals geflogen ist, so hat es
doch wohl der Vater sein müssen.
Also jetzt haben die Kinder ihren
Vater wieder.
Am ersten Tag ist der beurlaubte
Landsturmmann Matthias Engel-
brecht mit seinen Kindern spazieren
gegangen. Der kleine Franzl, der
noch nicht recht laufen kann, hat
auf dem Arm des Vaters sitzen dür-
fen. Die Mariann hat er an der
Hand geführt. Das aber war der
Mariann gar nicht recht, denn sol-
cherart war der Franzl viel näher
beim Vater, ja, er hat gar seinen
Arm um Vaters Hals geschlungen!
Da hat die Mariann bitterlich zu weinen an-
gefangen. Nachdem der Landsturmmann Mat-
thias Engelbrecht mühsam den Grund dieser
schmerzhaft hervorgeschluchzten Tränen in Er-
fahrung gebracht hatte, bückte er sich und
nahm die Mariann auf den anderen Arm.
Der Franzl saß rechts, die Mariann saß links.
Jedes der Kinder hatte einen Arm um den
Hals des Vaters geschlungen.
Acht Tage lang hat der Landsturmmann
Matthias Engelbrecht so seine Kinder auf
Schritt und Tritt mit sich herumgetragen.
Dann ist er wieder zurück gefahren in
den Krieg, zurück in seinen Schützen-
graben, zurück in alle Grauen der
Schlachten.
Vergebens haben ihn die Kameraden
gefragt, was es denn daheim in der
Stadt Neues gebe, wie es denn aussehe,
ob sich nicht mancherlei verändert habe.
Der Matthias Engelbrecht hat gar nichts
zu erzählen gehabt.
„Ja, Mensch, hast du dich denn gar
nicht ein wenig umgeschaut? Nicht nach
links und nicht'nach rechts gesehen?"
Der Matthias Engelbrecht schüttelt
mit einem versonnenen und stillen Lä-
cheln den Kopf. Nein. Er hat nicht nach
links und nicht nach rechts gesehen. Die
Kinder sind ja davor gewesen. Rechts ist
der Franzl gewesen, links die Mariann.
„Ich kann nicht einschen, warum ich nicht ebensogut wie die an-
dern die Anwartschaft auf den Reichskanzlerposten haben sollte,
wenn ich auch gegen den Scheidemannfrieden bin. Ich denke doch,
daß meine sechzehn Ahnen auch ihre Bedeutung haben."
Bonar Law.
Der Deutsche ist ein Paria!
Herr Bonar Law es sprach,
And tausend Narre« schrieen gleich
Ihm solche Weisheit nach.
Aussätzig auch der Deutsche ist.
Fuhr Bonar Law dann fort.
And tausendfach ward wiederholt
Vom Narrentum das Wort.
In seiner Größe hat er sich
Bewundert früh und spat.
And was er spricht, erscheint ihm wohl
Als welthistorische Tat.
Doch kennet ihr das Schicksal gut
Solch großer Schwätzer all!
Schon immer war der Hochmut noch
Am größten vor dem Fall! A. T.
Große und kleine Kinder.
Von A. L.
An ihrem alten Nähtisch in der
Fensternische sitzt die Mutter und
wartet auf den Sohn, der aus dem
Krieg kommen soll. Nach zwei langen
Jahren soll er heute für wenige Ur-
laubstage heimkommen. Sie wird
die Haustüre gehen hören, wenn er
kommt, sie wird seine Schritte auf
der Treppe vernehmen. Sie wird
ihm nicht entgegen stürzen, sie wird
ihn allein ins Zimmer treten lassen,
ihn hier erwarten, wie sie es ge-
wohnt war.
Ja, wie sie es gewohnt war. Und
plötzlich denkt sie daran, in wie vielen
Jahren sie hier auf diesem Plätzchen
gesessen hat, in wie vielen Stunden
aller Tageszeiten sie hier gewartet
hat, daß die Haustüre ins Schloß
fallen möge und sein Schritt auf der
Treppe vernehmbar würde. Zuerst, vor fast
dreißig Jahren, da war es ein kaum vernehm-
barer Kinderschritt. Wie hätte er auch mit den
kleinen Stiefelchen, die er damals trug, fest und
vernehmlich austreten können? Und doch, und
doch hat sie ihn kein einziges Mal überhört.
Es war damals noch keine Eigenart in seinem
Schritt. Er setzte die Füße noch ein wenig un-
sicher und zaghaft auf den Boden, wie schüch-
terne Kinder zu tun pflegen. Später, als er
aus die Mittelschule ging, da war sein Schritt
schon fester, oft zu kräftig, säst ungestüm. Lauter
flog die Tür ins Schloß, und die Treppe
herauf nahm er immer drei Stufen auf
einmal. Das war damals, als er so rasch
wuchs und so breite Schultern bekam.
Es kam auch damals wohl vor, daß er
leise und behutsam die Treppe herauf-
schlich; aber das war kein gutes Zeichen.
Da brachte er sicher eine schlechte Note
heim. Dann, wieder ein paar Jahre später,
als er an der Hochschule studierte. Die
Hast, der Überschwang der allzujungen
Jugend hatten sich abgeschliffen, der all-
zujunge Wein war schon klarer gewor-
den, wenngleich er immer noch jung war.
Da war sein Gang ein kraftvolles, selbst-
bewußtes, maßvoll gezügeltes Schreiten.
Die Treppe herauf ging er Stufe für
Stufe, außer er hätte besondere Eile
gehabt. Und nun? Seit zwei langen
Jahren ist sein Schritt in diesem Hause
nicht mehr erklungen. Doch heute, in
dieser Stunde, soll er heimkommen.
Die Mutter sitzt an ihrem Tischlein.
Sie will ruhig sein, sie will arbeiten.
Doch ihre Hände beben und beim leisesten
Geräusch, das von unten her, von der
Straße heraufdringt, erzittert ihr Herz....
Da. ... Die Haustüre fiel ins Schloß,
doch kaum vernehmbar. Ganz leise und
vorsichtig ist sie zugemacht worden. Nein,
daS war sonst seine Art nicht. Er kann
es nicht sein. Jetzt— Schritte im Flur
und auf der Treppe_Behutsame, ab-
gedampfte Schritte. Nein, draußen im
Krieg kann er doch nicht solch einen lei-
sen, zarten Gang bekommen haben! .. .
Und doch. Da ist zwischen den Schritten
Auffahrt.
Von Karl Bröger.
Als die Granate eingeschlagen,
brauste vom Himmel ein feuriger Wagen
mit federnder Brücke, mit sirrenden Achsen,
und der Tod, wie aus der Luft entwachsen,
schnellt vor mit herrischer Gebärde
und reißt drei Menschen von der Erde. ..
Der Wagen kehrt den rasenden Lauf
und zuckt als Blitz den Himmel hinauf...
Eine weiße, dampfende Wolke nur
schleicht hinter der flammenden Wagenspur,
und Sonne, die spät am Himmel kroch,
schüttet blutigen Schein in das rauchende Loch.
Der Tod rennt längst am letzten Limmelssaum,
lenkt seinen Wagen in die dunkle Ferne,
schon donnert er durchs goldne Tor der Steine...
Drei Menschen fahren auf und sind nichts mehr als Raum-
so ein leises Wiegen, solch ein winziger, schwe-
bender Zwischentakt, wohl nur für sie hörbar,
nur für die Mutter. .. .
Da entsinkt die Handarbeit, über die sie ge-
beugt sitzt, ihren Händen, und ihr weißum-
rahmtes Greisinnenantlitz, auf dem Röte und
Blässe in höchster Erregung fieberhaft wechseln,
wendet sich der ausgehenden Türe zu.
Das Kind ist heimgekommen.. . .
Also jetzt haben sie ihren Vater wieder, der
kleine Franzl und die etwas größere Mariann,
Im Vorzimmer seiner Exzellenz.
auf acht ganze Tage haben sie ihren
Vater wieder. Im ersten Augenblick
haben sie den Vater gar nicht er-
kannt, haben sich gar vor dem frem-
den, braungebrannten Landsturm-
mann gefürchtet. Aber da ihm die
Mutter gleich mit einem Jubelschrei
an den Hals geflogen ist, so hat es
doch wohl der Vater sein müssen.
Also jetzt haben die Kinder ihren
Vater wieder.
Am ersten Tag ist der beurlaubte
Landsturmmann Matthias Engel-
brecht mit seinen Kindern spazieren
gegangen. Der kleine Franzl, der
noch nicht recht laufen kann, hat
auf dem Arm des Vaters sitzen dür-
fen. Die Mariann hat er an der
Hand geführt. Das aber war der
Mariann gar nicht recht, denn sol-
cherart war der Franzl viel näher
beim Vater, ja, er hat gar seinen
Arm um Vaters Hals geschlungen!
Da hat die Mariann bitterlich zu weinen an-
gefangen. Nachdem der Landsturmmann Mat-
thias Engelbrecht mühsam den Grund dieser
schmerzhaft hervorgeschluchzten Tränen in Er-
fahrung gebracht hatte, bückte er sich und
nahm die Mariann auf den anderen Arm.
Der Franzl saß rechts, die Mariann saß links.
Jedes der Kinder hatte einen Arm um den
Hals des Vaters geschlungen.
Acht Tage lang hat der Landsturmmann
Matthias Engelbrecht so seine Kinder auf
Schritt und Tritt mit sich herumgetragen.
Dann ist er wieder zurück gefahren in
den Krieg, zurück in seinen Schützen-
graben, zurück in alle Grauen der
Schlachten.
Vergebens haben ihn die Kameraden
gefragt, was es denn daheim in der
Stadt Neues gebe, wie es denn aussehe,
ob sich nicht mancherlei verändert habe.
Der Matthias Engelbrecht hat gar nichts
zu erzählen gehabt.
„Ja, Mensch, hast du dich denn gar
nicht ein wenig umgeschaut? Nicht nach
links und nicht'nach rechts gesehen?"
Der Matthias Engelbrecht schüttelt
mit einem versonnenen und stillen Lä-
cheln den Kopf. Nein. Er hat nicht nach
links und nicht nach rechts gesehen. Die
Kinder sind ja davor gewesen. Rechts ist
der Franzl gewesen, links die Mariann.
„Ich kann nicht einschen, warum ich nicht ebensogut wie die an-
dern die Anwartschaft auf den Reichskanzlerposten haben sollte,
wenn ich auch gegen den Scheidemannfrieden bin. Ich denke doch,
daß meine sechzehn Ahnen auch ihre Bedeutung haben."
Bonar Law.
Der Deutsche ist ein Paria!
Herr Bonar Law es sprach,
And tausend Narre« schrieen gleich
Ihm solche Weisheit nach.
Aussätzig auch der Deutsche ist.
Fuhr Bonar Law dann fort.
And tausendfach ward wiederholt
Vom Narrentum das Wort.
In seiner Größe hat er sich
Bewundert früh und spat.
And was er spricht, erscheint ihm wohl
Als welthistorische Tat.
Doch kennet ihr das Schicksal gut
Solch großer Schwätzer all!
Schon immer war der Hochmut noch
Am größten vor dem Fall! A. T.