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9396

„Horrido!"

Nun stellt sich Alldeutschland auf den Plan,
Mit Hurra geht's an den Feind heran.

Es rasselt die Trommel, es tönt das Horn,
Und aus den Augen lodert der Zorn.

Wenn jetzt vergeblich die Mehrheitshatz,

So räumen wir dem Umsturz den Platz,

Zu Ende geht's dann mit des Zunkers Witz,
Lebt wohl, ihr Köckerih — Itzenplitz!

Drauf, drauf, auf der Mehrheit Zerrgebild,
Unsrer guten Sache es nunmehr gilt!

Holt aus und schwinget die Speere mit Macht,
Dem Wahlrecht sei der Garaus gemacht!

Auf des Reichskanzlers Platz, wir sehn ihn schon.
Sitzt ein getaufter Abraham Cohn,

Und Schlimmeres kommt wohl noch hinterdrein.
Die Arbeiterbluse wird hoffähig sein.

Solang noch ein Tropfen Blut in uns gärt.
Sei dem satanischen Spuk gewehrt,

Drum Hussa und Horrido, drauf und dran,
Alldeutschland kämpft bis zum letzten Mann!

Schwanders Rückkehr nach Straßburg.

wieder!"

Feldpostbriefe.

LXXXVI.

Geliebte Eltern! Ich befinde mir augenblick-
lich in, die nächste Umgebung der berühmten
Stadl Venedig und auch sonst ganz wohl. Die
ersten Tage war ich allerdings ein bißchen
verschnupft in die Gedärme, aber das ist alles
inzwischen wieder in das richtige Fahrwasser
gekommen. Darüber bin ich sehr froh, denn
bei solche Erkrankungsfälle hat man hierzu-
lande mit die größten Schwierigkeiten zu
kämpfen, wie Ihr gleich hören werdet.

Nämlich ich kam bei eine alte italienische
Landfrau in Quartier, die mir sehr freund-
schaftlich aufnahm und sofort mit einen großen
Teller voll frisch gepflückte Feigen bewirtete.
Die letzteren schmeckten sehr Zut, und ich aß
ahnungslos dem ganzen Teller klar. Um mir
erkenntlich zu bezeigen, wollte ich ein leut-
seliges Gespräch anfangen und die Alte mein
tiefgefühltes Belleid von wegen das italienische
Schlamassel ausquetschen. Da mir die hiesige
Sprache aber noch nicht ganz geläufig ist, so
beschränkte ich mir darauf, mit eine mitleids-
volle Gebärde das Wort „Fiasko" auszu-

sprechen. Das muß die Frau sehr gerührt
haben, denn sie verschwand sofort und brachte
mir eiligst eine von die großen strohbefloch-
tenen Weinpullen, die sie nebst ein sehr dreckiges
Glas vor mir auf den Tisch stellte. Ich folgte
die freundliche Einladung, aber kaum hatte
ich die halbe Pulle intus, so überfiel mir eine
derartige knusperige Erregung in die Einge-
weide, daß ich mir nach eine schleunigste Orts-
veränderung umsehen mußte. Ich schrie „Re-
tirade", und wieder war die Wirkung meiner
Äußerung eine höchst unwahrscheinliche. Die
alte Frau brach in Tränen aus, umärmelte
mir schluchzend und rief in einen fort „Povera
Jtalia!" Herrgott, dachte ich, bei uns gibt es
zwischen Trebbin und Luckenwalde auch povere
ländliche Gegenden, wo sie gewisse unaus-
sprechliche Errungenschaften der höheren Zi-
vilisation noch nicht besitzen und man sich mit
dem freihändigen Betriebe behelfen muß —
aber es fällt doch keinen Menschen ein, des-
wegen gleich Rotzblasen zu weinen! Weil sich
jedoch meine Gedärme im Zustande der drin-
gendsten Alarmbereitschaft befanden, so hatte
ich keine Zeit, die Alte zu trösten', sondern
schrammte in den Hof hinaus, wo ich zu meine
Überraschung den gesuchten Ort vorfand. Aber
mit was für eine Einrichtung! Es war ein
trichterförmiges Loch im Boden, und davor
standen zwei hohe Steine, auf die man sich
stellen mußte. Alles Weitere blieb dann die
turnerische Gewandtheit des Publikums über-
lassen. Da ich auf diese Art Zimmergymnastik
noch nicht eingespielt war, so machte die Be-
nutzung des Apparates große Schivierigkeiten,
über die ich mir nicht näher verlautbaren will.
Ebenso erging es die übrigen Kameraden. Wir
haben eine sehr gute Schießausbildung ge-
nossen, aber auch solche Leute, die sich schon
als Rekruten die Schützenschnüre erworben
haben, treffen hier fast niemals richtig ins
Zentrum. Daher sehen die betreffenden Orte
schon jetzt nach unser» erst so kurzen Sieges-
lauf sehr ivenig willkommen aus, und unser
Hauptmann sagt, die Schweinerei wäre ihm
denn doch zu doll und er werde, wenn das

so weiter geht, am nächsten Ruhetag in die
italienischen Lokusse mit die ganze Kompagnie
Zielübungen veranstalten. Ein solcher Re-
krutendienst wäre natürlich für uns alte Feld-
soldaten sehr beschämend, aber selbst die preu-
ßische Garde kann in ihre Ausbildung nicht auf
alle dienstlichen Schicksatsschläge gefaßt sein!

Abgesehen von diese Schattenseiten ist das
Leben hier in Italien sehr interessant. Schön
allein unter die Nahrungsmittel trifft man
Dinge an, von die man bei uns zu Hause
nicht die geringste Vorkenntnis hat. Das meiste
ist in einen fettigen Mehlteig eingcbacken, und
keiner ahnt, was es bedeuten soll. Sowie man
es aber herausgepellt hat, kommen die unbe-
kanntesten naturgeschichtlichen Gegenstände
zum Vorschein. Besonders hier in die nächste
Nähe der See muß man schon beinahe auf
alles gefaßt sein. Meeresungeheuer, Wasset-
splnnen, Tintenfische und anderes gehören zu
die Alltäglichkeiten unserer Menage. Wenn
Ihr nächsten billigen Sonntag mal ins Aqua-
riuin geht und Ihr ekelt Euch vor die grau-
lichen Wunder der Tiefe, dann denkt daran,
daß Euer Sohn das alles an demselben Tage
zu Mittag gegessen hat. Aber auch daran
gewöhnt sich der Soldat, und er hat als ge-
bildeter Berliner schließlich das befrievigende
Bewußtsein, daß er sich hier von lauter Sehens-
würdigkeiten ernähren tut.

Daher bin ich mit,meinem gegenwärtigen
dienstlichen Aufenthalt bis auf . weiteres zu-
frieden und grüße Euch herzlichst als Euer
dankbarer Sohn

August Säge jun.. Garde-Grenadier.

Nachschrift. Wie ich leider erst später er-
fahren habe, bezeichnen die Italiener mit das
Wort „Fiasko" auf eine sehr unzutreffende
Weise ihre Weinpullen, während sie unter
„Retirade" einen strategischen Ausriß ver-
stehen.. Damit ich mir bei die hiesigen Ein-
geborenen nicht wieder in die obige Weise
mißverständlich blamiere, möchte ich Euch
bitten, mir mit das demnächst recht baldige
Tabakspaket einen kleinen italienischen Sprach-
führer mitzuschicken.
 
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