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9400 —

Gespenster.

Im alten Berliner Schlosse
Gtbt's Lintertreppen gar viel.

Dort treiben am Hellen Tage
Gespenster ihr heimliches Spiel.

In seidenen Wadenstrümpfen
!Ind Fräcken, mit Gold bestickt.
Behängt mit Orden und Bändern,
Man Kammerherrn dort erblickt.

Hofdamen in kostbaren Roben,

Mit feinsten Spitzen besetzt.

Die Hüpfen dort auf und nieder
Die Treppen gespenstisch jetzt.

Geschmeidige Kammerdiener
Gehn um dort in leisem Schritt.

Die vorne gar freundlich lächeln.
Wenn hinten erfolgt ein Tritt.

Wie waren einst alle so fröhlich,

Der Übermut ging nie aus.

Es herrschten Gelächter und Scherze
Im Lintertreppenhaus.

Doch jetzo find sie gar traurig
And keines mehr lächeln mag.

Denn allesamt sind sie geworden
Gespenster am Hellen Tag.

Wie ist es denn nur gekommen.

Daß niemand mehr scherzt und lacht?
Es werden jetzt nicht mehr Minister-
Auf Hintertreppen gemacht! A.Tttus.

Der stille Winkel.

Von Pan.

lung

3ofef

Der letzte Blick.

Bon Josef Luitpold.*

Nicht in Nebel, nicht in Sumpf und Nacht
letzte Stunde kläglich sei verbracht

Sonne glänze, zarter Wölkchen Weiß!

Fernstes Fern erschließe seinen Kreis.

Zeig' dich ganz mir, prächtig Weltgerüst,
daß den letzten Blick noch Schönheit küßt!

Aus der demnächst In unserem Verlag erscheinenden Gedlchisamm-
„tzerz im Elsen". Aus dem Tagebuch eines Landsturmmannes. Von
Luitpold.

Es war für einen Fremden nicht leicht, den
stillen Winkel aufzufinden. Wer ihn suchte,
mußte den ältesten Teil der kleinen Stadt
durchwandern: durch schmale, krumme, wink-
lige Gäßchen führte der Weg, an schiefen
Häuschen vorbei, die einander nur mühselig
am Umfallen hinderten, und deren moosgrüne
oder geschwärzte Dächer so aussahen, als
wollten sie dem ahnungslosen Wanderer auf
den Kopf rutschen. Aber dann kam man an
einen kleinen grünen Platz mit uralten Kasta-
nien, und dahinter lag jene Sackgasse, die
niemand anders als den „stillen Winkel" hieß,
obgleich ein verblichenes Straßenschild die
Aufschrift „An der Stadtmauer" zeigte.

Diese Stadtmauer, ein letzter Überrest mittel-
alterlicher Befestigung, begrenzte eine Seite
der Gasse und schloß sie an ihrem äußersten
Ende mit der kümmerlichen Ruine eines Wacht-
turmes vollständig ab. Die breite Stadtmauer
selbst aber war zu einem langgestreckten Ge-
bäude geworden: man hatte sie ausgehöhlt
und die so geivonnenen Steine gleich von
neuem benützt, um mit ihrer Hilfe die Löcher
zu einer Art von Wohnungen auszubauen, die
zum Teil in, zum Teil vor der Mauer lagen.
Sie erhielten ihr Licht vornehmlich von der
Gasse, aber auch die Rückseile der Mauer ivar
mit kleinen Öffnungen versehen worden: schma-
len, niedrigen Fenstern, durch die der Blick auf
den Stadtgraben ging, aus dem eine flache,
grünschlammige Flut übelriechende Dünste
emporsandte.

Für die meisten derer, die hier wohnten,
gab es nie eine andere Aussicht in ein wei-
teres Gesichtsfeld; denn sie krochen wie herbst-

matte Fliegen in diesem stillen Winkel umher
oder humpelten an Krückstöcken über die Gasse
und hockten auf dem Mauervorsprung des
Kirchhofgitters nieder, das die andere Seite
der Straße begrenzte. Die Mutigeren schlepp-
ten ihren welken Leib allenfalls bis zu dem
grünen Platz mit den allen Kastanien und
stritten um einen Sitz auf der Bank, die ein
fürsorglicher Magistrat hier aufgestellt halte.

Andere kamen noch weiter hinaus — bis
in die angrenzenden krummen Gäßchen oder
gar bis in die Mitte der Stadt, aber nur
selten gelang es einem, aus der Stadt hinaus
zu gelangen — vors Tor, wo die Gärlen und
Felder sich breiteten und man den Graben
und die Mauer von der andern Seite be-
- schauen konnte.

Das waren die Beneideten unter den Spital-
bewohnern, die hier im stillen Viertel unter-
gebracht waren und den Rest ihrer mühseligen
Tage auf Kosten der Stadt und wohltätiger
Stiftungen verdämmerten.

Hier schlich ein Tag wie der andere dahin.
Mochte draußen das Leben brausen und schäu-
men und die Erde erzittern machen — hier
kräuselte es kaum noch die Wellen und ver-
ebbte in den müden Seelen wie ein Wind-
hauch in raschelnden Blättern.

Was wußte man hier? Es gab wohl da
und dort eine Zeitung, und die Spittler, die
weiter in die Stadt kamen, brachten auch zu-
weilen Neuigkeiten mit, die ihren Weg von
einem Ende der Gasse bis zum andern mach-
ten und die zahnlosen Münder in eine schwache
Bewegung versetzten, aber alles, was an großen
Kingen geschah, war doch so sehr, so sehr weit

von hier und konnte das Leben im stillen
Winkel nicht verändern. Und so kreiste
all ihr Wollen und Denken fast nur um
den einen Punkt: sich satt zu machen
und in dem traurigen Schutthaufen die-
ses Daseins hier und da nach einem
nährenden Körnchen zu suchen.

Bis der Magistrat eines Tages einen
kriegsinvaliden Schuhmacher, für den
sich kein ander Unterkommen gefunden,
in den stillen Winkel brachte. Ihm fehlte
ein Bein, und auch ein Ohr war ihm
abgeschossen worden, aber seine Arme
und Hände waren intakt geblieben und
sein Mundwerk auch. Er setzte beides in
lebhafte Bewegung. Eine kleine Schuster-
werkstatt tat sich auf und wurde zur
Reparaturstätte für abgelaufene Sohlen
und Seelen. Denn der Invalide konnte
' gut schustern und nicht schlecht erzählen.

An milden Tagen rückte er seinen
Schemel vor seine dunkle Behausung in
der Stadtmauer, und um ihn versam-
melten sich die Spittler, seinen Worten
zu lauschen. Sie saßen auf der Türschwelle
und am Rinnstein, lehnten am Hause
und drängten sich dicht um den Schuh-
macher, die Augen gespannt auf seinen
Mund gerichtet, die Hände an den
schwerhörigen Ohren. Jetzt blieben so-
gar die Bänke unter den Kastanien leer;
die eintönige, einschläfernde Friedens-
melodie der flüsternden Kastanien lockte
nicht mehr; denn der Schuhmacher sprach
lauter und eindringlicher und redete
vom Kriege. Ja, nun erst trat er ihnen
nahe, der große, grausame, unheimliche Welt-
zerstörer, der die ganze Erde in Atem hielt.
Nun peilschle er auch ihre müden Sinne auf
und erschütterte die abgestorbenen Seelen, so
daß sie noch nachts von schweren, unruhigen
Träumen gequält wurden.

Nun schritt er auch im „stillen Winkel" mit
seinen dröhnenden Schritten umher, hockte mit
glühenden Augen in den dumpfen Wohnlöchern
der Stadtmauer und blitzte aus dem Schuster-
hammer, den der Invalide bei seinen Schilde-
rungen oft weil ausholend schwang.

Aber diese Erzählungen wiederholten sich
schließlich. Und bald mußte der Sprechende
hören: „Das kennen wir schon, Schuster."
Dann war er gekränkt und schwieg. Die Zahl
seiner Zuhörer bröckelte ab, und einer nach
dem andern zog sich auf seinen alten Platz
zurück: auf die Bank unter den friedlichen
Kastanien oder auf den Mauervorsprung des
Kirchhofgitters, wo die Sonne so lieb und
freundlich die alten morschen Knochen wärmte.

Und wenn der Schuhmacher nicht einsam
auf seinem Dreibein bei der Arbeit hockte und
den Hammer nun ganz leicht und manierlich
auf die geduldigen Sohlen fallen ließ, dann
saß auch er bei den anderen und machte es
wie sie: brummelte ein gelegentliches Wort,
neigte den Kopf, schloß die Augen und ließ
sich die Sonne auf die Ohrnarbe scheinen.

Irgendwo, das wußte er, war der Krieg.
Aber hier hörte man seine Stimme nicht, und
wenn er jemals hier gewesen war, hatte er
sich jedenfalls nicht lange aufgehalten.

Der Schuster blinzelte träumend in die
Sonne. Hier im stillen Winkel war der Frieden.
 
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