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- 9404

Der Stern

Kamerad, im Osten steht ein Stern,
wenn der zu unfern Häupten geht,
sind Krieg und Kampf von uns bald fern
und aller Pulverdampf verweht.

Noch bricht er mühsam feine Bahn,
und Wolken trüben feinen Schein.

Wann zieht er ungehemmt heran
und glänzt ins dunkle Land hinein?

im Osten.

Von müden Augen lang gesucht,
von aller Herzen Schlag erhofft:
Stern, der aus finstrem Himmel lugt,
strahlst du nur trügend wie schon oft?

Wir grüßen dich. Nur bleibe da!

Wo du am hohen Himmel bist,
ist auch das große Wunder nah,
das dieser Zeit verheißen ist.

Gieß deinen Glanz in jedes Haus,

daß sich das Wunder bald erfüllt

und über Grimm und Gram und Graus

das Bild des Friedens sich enthüllt. KariBröger.

Artur Stadthagen.

Krtur Stadthagen, der Reichstagsabgeordnete für Nieder-
barnim, ist in Berlin, 60 Zähre alt, gestorben. Er war von
Beruf Nechtsanwalt, wurde aber 1892 wegen seiner poli-
tischen Tätigkeit aus der Anwaltschaft ausgeschlossen und
ging dann zur Presse über. Seit 1890 gehörte er dem Reichs-
tag und der Berliner Stadtverordnetenversammlung an, wo
er besonders in juristischen Fragen die sozialdemokratische
Fraktion in verdienstvoller weis: vertrat. Weite Verbrei-
tung fand sein Werk „Vas Arbeiterrecht". Als infolge der
langen Dauer des Kriegs die Meinungsverschiedenheiten in
der Reichstagsfraktion zur Spaltung führten, schloß er sich
her Opposition an und trat mit ihr aus der Gesamtpartei aus.

Von der Oftgrenze.

„Friedenspfeife gefällig ?"

Neue Diplomatie.

Die alten Lerrn Diplomaten,

Die dünkten gar hoch sich gestellt,

Sie wandelten wie in den Wolken
Loch über der kämpfenden Welt.

Sie saßen an grünen Tischen,

Und was sie dort ausgeheckt.

Das blieb als tiefes Geheimnis
Der übrigen Welt versteckt.

Sie schlichen auf Lintertreppen
Am Lose wohl auf und ab.

Auch Unterröcke mit Spitzen
Sah dort man im flinksten Trab.

Als ihre wichtigsten Leiser
War'» oft am Lose zu schau'n
Viel tuschelnde Kammerdiener
Und zischelnde Kammerfrau'».

Und was sie der Welt bescheret.

And was dort heimlich geschehn.

Das ließen gutmütig die Völker
Über sich als Schicksal ergehn.

O Diplomaten-Jdylle,

Den Mächtigen einst so vertraut!

Nun ist dein Ende gekommen,
Neu-Rußland verkündet es laut.

Nicht sollen mehr weiße Krawatte,
Kniehosen und Dreispitz und Frack,

Noch Kammerdiener-Intrigen
Behandeln die Völker als Pack.

Es wollen die Männer des Volkes
Bestimmen selbst ihr Geschick
And wollen die Bahn eröffne».

Die neue, zum friedlichen Glück. A. s.

Feldpostbriefe.

LXXXVIL

Geliebte Rieke! Du beneidest niir in Deine»
letzten lieben Briefe von wegen meinen Auf-
enthalt in Italien, wo Du Dir doch schon
immer gewünscht hast, einmal in dieses Land
der Poesie herumgondeln zu dürfen. Und Du
meinst, daß ich vielleicht keinen richtigen Ge-
nuß von alles dieses hier habe, weil mir der
Sinn für die Schönheit mangeln tnt.

Geliebte Rieke, ich möchte Dir zunächst bloß
daran erinnern, daß ich von alle Mädchen
ausgerechnet Dir zur Braut erwählt habe.
Ob das ein Beiveis für mangelhaften Schön-
heitssinn ist oder im Gegenteil — das über-
lasse ich Deine gefällige Entscheidung. Was
aber die Poesie anbelangt, so kann ich Dir
aus meine körperliche Erfahrung sagen: Poesie
ist etwas sehr Schönes in die Bücher und in
die Zeitungsromane, aber wenn man selber
mit beide Beine mitten drinsteht, dann hat
der Genuß manchmal seinen Haken. Eine alte
Ruine soll, glaube ich, etwas Poetisches fein.
Aber hast Du schon einmal in eine alte Ruine
in Quartier gelegen? Die ganze Gegend hier
besteht egal aus eine Ruine neben die andere.
Wenn nun in die Zimmerdecke überall hand-
große Löcher sind, durch die einem Tag und
Rächt das entblößte Firmament anlächelt,
wenn in kein Fenster sich Scheiben befinden
und statt die Türen nichts wie bunte Lappen
von das Gerüste hängen, so daß einer nie-
mals sagen kann, ob er sich zu Hause oder
auf die Straße befindet, — dann ist es Essig
mit die poetische Ruine, und man sehnt sich
nach Muttern ihre gute Stube zurück.

Auch die italienische Damenivelt — falls
Du Dir auch für diesen Punkt interessieren
solltest — ist in ihre Bekleidungsweise sehr
poetisch, und gegen die Farbenpracht, die sie
in ihre Blusen und Röcke entwickeln, kannst
Du, liebe Rieke, mitsamt alle Deine Freun-
dinnen nicht auskommen. Aber wo alles in
Fetzen hängt und die ganze Poesie über und
über mit Fettflecke bedreckt ist, da würden sich
selbst Scheller und Goethe für solche Poesie
hochachtungsvollst bedanken. Und wenn Du
Dir diese malerischen Erscheinungen auch bloß
auf zehn Schritte Abstand näherst, so hast
Du sicher in wenige Minuten Deine drei
Dutzend Flöhe aufgefangen. Was ein richtiger
gelernter Poet ist, der mag ja dagegen abge-
. härtet sein, aber ich kann mir nicht damit be-
freunden, iveil inir wahrscheinlich der richtige
Schönheitssinn mangelt und es hier auch kein
richtiges Insektenpulver nicht gibt.

Mit die Natur und das Klima sieht es hier
ebenfalls nicht so aus, wie Du Dir das vor-
 
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