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Zwei frische, jugendliche
Gestatten. Ihr Grus;
jchallte fröhlich durchs
ganze Zimmer. Eine
kurze Verbeugung vor
dem Schulrat, der an
hinein Liiör nippte, und
dann standen sie schon
dei Hansen, ihrem Lei-
densgefährten.
„Wer von uns wohl
der .Bevorzugte' sein
wird," stieß Mariens
vergnügt hervor.
„Na, ich verzichte am
liebsten freiwillig," sagte
Hansen.
„Ich auch, ich auch,"
klang es von den beiden
andern zurück.
Da öffnete sich die Tür
vor der Respektsperson
des Dorfes. Der alte
Peemöller, als reichster
Bauer schon seit langen
Jahren Dorfschulze, trat
vierschrötig hinein, sei-
nen Stock fest auf den
Boden setzend. Schön
warer gerade nicht. Aber
gesund und stark schaute
er ans. Hinter ihm er-
schienen wohl ein halbes
Dutzend Dorfbewohner.
Einige hielten sich noch
draußen vor dem Hause
auf.
„Wollt wie röber gähn,
HarrSchoolinspekler,dce
Kinner sinn all dor!"
„Ja, Herr Gemeinde-
vorsteher, dann können
wir ja beginnen!"
Langsam leerte sich das
Gastzimmer. Alle gingen
»i die gegenüberliegende
schule, wo schon der erste Lehrer und noch
einige Bauern und Häusler anwesend waren.
Der Schulrat sprach salbungsvoll ein Ge-
det, seine Hände auf dem runden Bäuchlein
gefaltet. Die Kinder sangen: „In allen meinen
Daten laß ich den Höchsten raten. . .."
Verständnisvoll lächelten sich die drei Kan-
didaten an. Das Los bestimmte Martens als
Nummer 1, Hansen als letzten.
I» feinsinniger Weise bot Martens den Kin-
dern eine Illustration zu seinem Thema: Du
sollst nicht töten. Sticht nur im Krieg wird
wider Gottes Gebot gehandelt. Ist nicht Hart-
herzigkeit gegen die Mitnienschen, das Dahin-
stechenlassen der Schwachen und Gebrechlichen
ohne jegliche Hilfe auch töten? Er sprach dann
noch über das geistige Töten, über das Töten
des freien Willens, der Selbstbestimmung des
Menschen.
Die beiden Kollegen waren seine gespann-
lesten Zuhörer. Im Schulrat kochte es. Er wäre
am liebsten dazwischengefahrcn. Kaum wußte
er sich noch zu beherrschen_Da war Martens
zu Ende. Die Kinder schauten ihn leuchtenden
Auges an. Sie würden gerne mehr aus diesem
Munde hören.
Joffe & Cohn, oder der russische Goldregen.
Ein bolschewistischer Beitrag für die Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung
in Deutschland.
Doch Denecke mußte jetzt ihre Anfmerksani-
keit beansptnchen. Er eptwickelle niit ihnen
nach seinem Thema die Entstehung der Marsch-
lande. Freudig folge» die Kinder seinen An-
regungen. Auch hier war ihnen die Zeit viel
zu kurz. Eine so interessante Lektion Hallen sie
lange nicht gehabt. „Genug, Herr Denecke, ich
danke Ihnen," tönte cs vonl Schulrat.
Nun tritt Hansen vor die Klasse. Einem
trockenen Thema sollen die Kinder Interesse
abgewinnen, über Eigenschaftswörter nilißte
er mit ihnen sprechen. Diese Materie lockle die
Dorfjugend nicht. Obwohl sie, ihren Mienen
nach zu urteilen, denl Lehrer freudig lauschten,
sein freies, fröhliches Wese:; gern aus sich
tvirken ließen, so vermochte er doch in dieser
abstrakten Sache wenige Finger hervorzulocken.
Er hatte von vornherein verspielt.
„Schaad," sagte der Wiesenbaner zu seinein
Nachbar, „fönst 'n sympatsch'n Kerl."
Die bi ei Kandidaten traten ab mib ließen
sich drüben im Kruge nieder.
„Denecke, ich darf wohl gratulieren, du wirst
der Erkorene sein," sagte Martens..
„Ne, ne, mal den Teufel nicht an die Wand."
Darauf Hansen: „Na, einer muß doch der
Unglnckswurmsein."Bei
einem Glas Bier frönten
sie noch weiter ihrem
Galgenhumor.
JnderSchulstubeging
unterdessen der Wahlakt
vor sich. „Watt meent
ji," redete der Schmied
ein paar Häusler an,
„dee Hansen, dee arm
Kerl mutt doch ook en
paar Stimm hemm."
Kleensank, der Ge-
meindediener, sammelte
in seiner Mühe die
Stimmzettel ein. Der
Schulrat zählte aus. De-
necke, Denecke, Hansen,
Martens, Hansen, Han-
sen. . . . „Nanu, immer
Hansen? ..."
„Hansen ist mit elf
Stimmen zuin zweiten
Lehrer in Schärpen ge-
wählt," verkündete er
dann mit kaum unter-
drückter Wut. „Es haben
noch erhalten: Denecke
— nenn und Martens zwei
_= Stimmen."
Die Wahlschlacht war
geschlagen. Der Sieger
saß noch ganz heiter mit
seinen Kollegen in der
Wirtsstube. Da trat auch
schon der erste Bauer
ins Zimmer und brachte
ihm die Kunde von sei-
nem Triumphe.
Das hatte er nicht er-
ivartet. Starr blickte er
vor sich hin. Doch nur
einen Augenblick vergaß
er sich. Dann lächelte er
schon wieder und nahm
die Glückwünsche einiger
Bauer» entgegen. „Mein Beileid, Hansen; laß
den Kopf nicht hängen, lange bleibst du ja
doch nicht in Schärpen. Aber viel Gutes
kannst du hier noch stiften. Wirst die Geister
einmal ordentlich aufrütteln müssen." So
tröstete Martens seinen Kollegen. Auch Denecke
fand einige passende Worte. Merkwürdig, daß
auch der Sieger manchmal des Trostes bedarf.
Die drei jungen Lehrer brachen aus. Hansen
verabschiedete sich, schon wieder ganz der alte,
in lustigen Redewendungen von seinen beide»
Kollegen, die ihren Heimweg nach benachbarten
Dörfern zusammen antraten. Bor dem Wirts-
Hause trafen sie den Inspektor.
„Den hat unser Kollege hier im Dorf wohl
abiaufen lassen. Da ist er ja um sein Mittag-
essen gekommen," flüsterte Martens noch im
Abgehen Hansen zu. Dieser winkte seinem
Kutscher. Dev-Wnge» fuhr vor. Da kaiu auch,
gewiß rein zufällig, der Herr Schulrat in die
Nähe des Wagens.
„Darf ich Sie zur Rückfahrt einladen, Herr
Inspektor." Einen Augenblick zögerte der An-
geredele.
„Sehr liebenswürdig, Hansen, ich fahre
mit." Wieder saßen sich die beiden Antipoden