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Das Nationaltheater in Weimar.
Das Gebäude, in dem die konstituierende deutsche National-
versammlung tagt.
<s% ftobelfpänc. z®
Ach, was liegt nicht jenseits des Rheins?
Straßburg, Metz, Saarbrücken und Mainz,
Und hoch in den Lüsten die Trikolore
Flattert und knattert auf jedem Tore!
Jetzt schielen nach diesseits die Franzosen,
Man nannte sie früher auch Ohnehosen,
Den Ranzen voll von Kommunismus
Und in den Taschen den Sozialismus.
Doch ist das alles anders worden
Nach jahrelangem Menschenmorden.
Sie hören nicht mehr auf ihre Denker,
Und spielen lieber den blutigen Henker.
Wann werden die Völker erst wieder eins
Auf beiden Ufern des deutschen Rheins?
Wilson vertritt den Standpunkt, daß die Alliierten von einer Kriegs-
entschädigung abzusehen haben; gegen eine Wiedergutmachung des
„angerichteten Schadens" hat er nichts einzuwenden. Ein geschickter
Rechenmeister, a» dem es den Alliierten nicht fehlen wird, kann ohne
große Mühe den Schaden so hoch bemessen, daß er auch als Kriegs-
entschädigung gelten kann. *
Wir haben jetzt die 'Republik Den Kehraus tanzt im Namen der Armen,
Und richten vorwärts nur den Blick, Das wird das deutsche Herz erwärmen,
Wir werden eine Verfassung schaffe», DaS in der großen Gcistesfchlacht
Die mit dem Geldsack und den Pfaffen Gewonnen hat die Übermacht.
*
Mit meiner Ollen is keen Auskommen mehr. Nu will se partuh
Kolonien haben, die uns doch von de Engländer ivcgstibitzt ivorn sind,
„denn", so sagt se, „woher soll ick denn den Zimt krieje», ivenn nich
aus de Kolonien?" Nu jloob ick doch, bet se noch in de unabhängije
Kiste verkehrt, denn da janz alleene un bei Stresemann denkt man heite
»och an den Kolonial-Zimt.
Dein getreuer Säge, Schreiner.
Handlungen geeignet erschien. Schließlich aber
einigte man sich auf das Hoftheater, das
schon wiederholt abgebrannt, aber immer ivie-
der rasch anfgebaut worden ist und daher
auch etwaigen spartakistischen Aufmunterungs-
besuchen gegenüber sich als unverwüstlich er-
weise» dürste.
Für würdige Unterkunft der Abgeordneten
und der Pressevertreter ist ebenfalls gesorgt.
Die Sozialdeniokraten.wohnen am besten im
„Roten Schloß", die Konservativen in der
„Dicken Eiche", für die Zentrumsdeputierten
dürften die „Klause" und die „Pension Rosen-
kranz" der geeignetste Aufenthalt sein, die
monarchistisch gesinnten Mitglieder der Ver-
sammlung werden in der Gesellschaft der
„Freunde in der Not" mitfühlende Aufnahme
finden, die Vertreter des wegen seiner strengen
Wahrheitsliebe bekannten Organs der Ber-
liner Unabhängigen sich in der „Phantasie"
ganz wie zu Hanse fühlen. Anch für die Be-
friedigung weitergehender Komfortbedürfnisse
sind Einrichtungen vorhanden. Dem Abge-
ordneten Eichhorn und anderen Stipendiaten
des Bolschewismus ist Gelegenheit geboten,
in der Russisch-Griechischen Kapelle neben
der Fürstengruft etwaige. Dankgottesdienste
abzuhalten.
Beim Besuch von Goethes Sterbezimmer,
in dem er mit den Worten „Mehr Licht!"
sein Leben aushauchte, ist Vorsicht am Platz.
Namentlich den Mitgliedern der Christlichen
Volkspartei ist das Betreten dieses Raumes
dringend abzuraten, da hier nach den überein-
stimmenden Feststellungen des päpstlichen
Stuhls und der preußischen Generalssynode
noch immer der Teufel umgeht.
Lieber Jacob!
Mit det Fraueuivahlrecht is bet nämlich
nich so eenfach, verstehste. Wenigstens wat
meine Olle anbetrefft, da habe ick anfänglich
de Reese von voll jehabt. Erst wollte se ieber-
haupt nich wählen. Bei de Plienicken nebenan
war näuilich een richlijer Baron jewesen un
hatte die Frau als Mitjlied von seinen Wahl-
verein verjebenst usfnehmen wollen un hatte
ihr sechs Stimmzettel un siebenunfuffzig lebens-
frohe Uffruse von de Nazjonale Volkspartei
hinterlasscn, wo se nu for 'ne janze Weile
scheenet Papier zu allerhand nitzliche Zwecke
besitzen tut. Det hatte meine Olle jewurmt.
„Bei mir is keen Hund un keene Laus nich
jewesen," knurrte se, „un uffdrüngeln tue ick
mir nich!" Ick suchte ihr klar zu machen, det
se in ihre sozjale Stellung jewisse unieber-
ivindliche Ehrenslichten zu ersillen habe, un
det det Vaterland un de Partei et nich ver-
stehen wirde, wenn de Jattin von Jotthilf
Rauten Wahlenthaltsamkeit ausieben wirde.
Det bestach ihr, un se war mit een Mal Feier
un Flamme for de Polletik. „Wat for ’» Hut
setze ick nur denn eejentlich zu det Jeschäft
uff!" fragte se mir, „de Sonntagskiepe mit de
jeschiente Pleereese oder dem ollen Plischbibi,
dem ick zum Jnholen trage?" „Sehe dir dem
Dreimaster mit de jeknickte Straußenfahne uff
de Kohlrübe," antwortete ick ihr, „denn zu de
Ausiebung des heechsten Ehrenrechls jeheert
sich Jalauniform."
An Sonntag machten wir uns pinktlich zu
de festjesetzte Stunde uff'n Weg. Meine Olle,
weil det Wetter mies aussah, nich mit de
Pleereese, sonder» uiit'n Plischbibi. In de
Zeitungen hatte jestanden, jeder solle meeg-
lichst frieh erscheinen, um det Jedrängele zu
vermeiden, un daher hatten sich vor de Leh-
mannsche Eckdeslille, wo det Fest statlfand,
ooch richtig schon zirka siebenhundert jehor-
same Leite' injefunden, die det Jedrängele,
vermeideit tvollten. Wir schlossen uns ihnen
seifzend an un rickten drei Stunden langsam
vor, bis wir um Zwelfe in't Allerheiligste je-
langten. Kurz vorher erschien pletzlich noch
een Flieger ieber uns und beschmiß uns mit
eene schwere Wolke von Wahlzettel von de
Christliche Volkspartei.
Meine Olle, die zwee Kilo von den Sejen
uff'n Kopp bekam, wurde jiftig un entlud
sich, wie jewehnlich, jejen mir Unschuldswurm.
„Sehste," schrie se, „wenn ick dir Demelack
jehorcht un de Sonntagskiepe uffjesetzt hätte,
dann wäre de Pleereese zum Deibel jejangen!"
Ick jloobte schon, det nu alle Schwierigkeiten
ieberwunden wären, aber kurz vor Schluß
kam es z»i eine nochmalije Entladung. Wie
der Blaue meine Olle det Kuvert ieberreichte,
fragte se mir, wo det Wahlklosett for Damen
wäre, un als ick ihr zu belehren suchte, ent-
jejente se mit laute Stimme: „In jedes an-
ständije Lokal is for Damen un Herren je-
trennt. Det scheint ja hier 'ne nette Schwei-
nerei zu sind!"
Am Sonntag druff bei de Preißenwahlen
jing de Schose denn schon janz jlatt un ohne
Panne ab. De Frauen missen sich ebent erst
an allens jewehnen, un se stehen mit ihr Be-
jriffsvermöjen nu mal nich uff de Höhe von
unsre männliche Bildimg, verstehste.
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf/Rauke,
an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
NedalkionSschluk 3. Februar 1919
Das Nationaltheater in Weimar.
Das Gebäude, in dem die konstituierende deutsche National-
versammlung tagt.
<s% ftobelfpänc. z®
Ach, was liegt nicht jenseits des Rheins?
Straßburg, Metz, Saarbrücken und Mainz,
Und hoch in den Lüsten die Trikolore
Flattert und knattert auf jedem Tore!
Jetzt schielen nach diesseits die Franzosen,
Man nannte sie früher auch Ohnehosen,
Den Ranzen voll von Kommunismus
Und in den Taschen den Sozialismus.
Doch ist das alles anders worden
Nach jahrelangem Menschenmorden.
Sie hören nicht mehr auf ihre Denker,
Und spielen lieber den blutigen Henker.
Wann werden die Völker erst wieder eins
Auf beiden Ufern des deutschen Rheins?
Wilson vertritt den Standpunkt, daß die Alliierten von einer Kriegs-
entschädigung abzusehen haben; gegen eine Wiedergutmachung des
„angerichteten Schadens" hat er nichts einzuwenden. Ein geschickter
Rechenmeister, a» dem es den Alliierten nicht fehlen wird, kann ohne
große Mühe den Schaden so hoch bemessen, daß er auch als Kriegs-
entschädigung gelten kann. *
Wir haben jetzt die 'Republik Den Kehraus tanzt im Namen der Armen,
Und richten vorwärts nur den Blick, Das wird das deutsche Herz erwärmen,
Wir werden eine Verfassung schaffe», DaS in der großen Gcistesfchlacht
Die mit dem Geldsack und den Pfaffen Gewonnen hat die Übermacht.
*
Mit meiner Ollen is keen Auskommen mehr. Nu will se partuh
Kolonien haben, die uns doch von de Engländer ivcgstibitzt ivorn sind,
„denn", so sagt se, „woher soll ick denn den Zimt krieje», ivenn nich
aus de Kolonien?" Nu jloob ick doch, bet se noch in de unabhängije
Kiste verkehrt, denn da janz alleene un bei Stresemann denkt man heite
»och an den Kolonial-Zimt.
Dein getreuer Säge, Schreiner.
Handlungen geeignet erschien. Schließlich aber
einigte man sich auf das Hoftheater, das
schon wiederholt abgebrannt, aber immer ivie-
der rasch anfgebaut worden ist und daher
auch etwaigen spartakistischen Aufmunterungs-
besuchen gegenüber sich als unverwüstlich er-
weise» dürste.
Für würdige Unterkunft der Abgeordneten
und der Pressevertreter ist ebenfalls gesorgt.
Die Sozialdeniokraten.wohnen am besten im
„Roten Schloß", die Konservativen in der
„Dicken Eiche", für die Zentrumsdeputierten
dürften die „Klause" und die „Pension Rosen-
kranz" der geeignetste Aufenthalt sein, die
monarchistisch gesinnten Mitglieder der Ver-
sammlung werden in der Gesellschaft der
„Freunde in der Not" mitfühlende Aufnahme
finden, die Vertreter des wegen seiner strengen
Wahrheitsliebe bekannten Organs der Ber-
liner Unabhängigen sich in der „Phantasie"
ganz wie zu Hanse fühlen. Anch für die Be-
friedigung weitergehender Komfortbedürfnisse
sind Einrichtungen vorhanden. Dem Abge-
ordneten Eichhorn und anderen Stipendiaten
des Bolschewismus ist Gelegenheit geboten,
in der Russisch-Griechischen Kapelle neben
der Fürstengruft etwaige. Dankgottesdienste
abzuhalten.
Beim Besuch von Goethes Sterbezimmer,
in dem er mit den Worten „Mehr Licht!"
sein Leben aushauchte, ist Vorsicht am Platz.
Namentlich den Mitgliedern der Christlichen
Volkspartei ist das Betreten dieses Raumes
dringend abzuraten, da hier nach den überein-
stimmenden Feststellungen des päpstlichen
Stuhls und der preußischen Generalssynode
noch immer der Teufel umgeht.
Lieber Jacob!
Mit det Fraueuivahlrecht is bet nämlich
nich so eenfach, verstehste. Wenigstens wat
meine Olle anbetrefft, da habe ick anfänglich
de Reese von voll jehabt. Erst wollte se ieber-
haupt nich wählen. Bei de Plienicken nebenan
war näuilich een richlijer Baron jewesen un
hatte die Frau als Mitjlied von seinen Wahl-
verein verjebenst usfnehmen wollen un hatte
ihr sechs Stimmzettel un siebenunfuffzig lebens-
frohe Uffruse von de Nazjonale Volkspartei
hinterlasscn, wo se nu for 'ne janze Weile
scheenet Papier zu allerhand nitzliche Zwecke
besitzen tut. Det hatte meine Olle jewurmt.
„Bei mir is keen Hund un keene Laus nich
jewesen," knurrte se, „un uffdrüngeln tue ick
mir nich!" Ick suchte ihr klar zu machen, det
se in ihre sozjale Stellung jewisse unieber-
ivindliche Ehrenslichten zu ersillen habe, un
det det Vaterland un de Partei et nich ver-
stehen wirde, wenn de Jattin von Jotthilf
Rauten Wahlenthaltsamkeit ausieben wirde.
Det bestach ihr, un se war mit een Mal Feier
un Flamme for de Polletik. „Wat for ’» Hut
setze ick nur denn eejentlich zu det Jeschäft
uff!" fragte se mir, „de Sonntagskiepe mit de
jeschiente Pleereese oder dem ollen Plischbibi,
dem ick zum Jnholen trage?" „Sehe dir dem
Dreimaster mit de jeknickte Straußenfahne uff
de Kohlrübe," antwortete ick ihr, „denn zu de
Ausiebung des heechsten Ehrenrechls jeheert
sich Jalauniform."
An Sonntag machten wir uns pinktlich zu
de festjesetzte Stunde uff'n Weg. Meine Olle,
weil det Wetter mies aussah, nich mit de
Pleereese, sonder» uiit'n Plischbibi. In de
Zeitungen hatte jestanden, jeder solle meeg-
lichst frieh erscheinen, um det Jedrängele zu
vermeiden, un daher hatten sich vor de Leh-
mannsche Eckdeslille, wo det Fest statlfand,
ooch richtig schon zirka siebenhundert jehor-
same Leite' injefunden, die det Jedrängele,
vermeideit tvollten. Wir schlossen uns ihnen
seifzend an un rickten drei Stunden langsam
vor, bis wir um Zwelfe in't Allerheiligste je-
langten. Kurz vorher erschien pletzlich noch
een Flieger ieber uns und beschmiß uns mit
eene schwere Wolke von Wahlzettel von de
Christliche Volkspartei.
Meine Olle, die zwee Kilo von den Sejen
uff'n Kopp bekam, wurde jiftig un entlud
sich, wie jewehnlich, jejen mir Unschuldswurm.
„Sehste," schrie se, „wenn ick dir Demelack
jehorcht un de Sonntagskiepe uffjesetzt hätte,
dann wäre de Pleereese zum Deibel jejangen!"
Ick jloobte schon, det nu alle Schwierigkeiten
ieberwunden wären, aber kurz vor Schluß
kam es z»i eine nochmalije Entladung. Wie
der Blaue meine Olle det Kuvert ieberreichte,
fragte se mir, wo det Wahlklosett for Damen
wäre, un als ick ihr zu belehren suchte, ent-
jejente se mit laute Stimme: „In jedes an-
ständije Lokal is for Damen un Herren je-
trennt. Det scheint ja hier 'ne nette Schwei-
nerei zu sind!"
Am Sonntag druff bei de Preißenwahlen
jing de Schose denn schon janz jlatt un ohne
Panne ab. De Frauen missen sich ebent erst
an allens jewehnen, un se stehen mit ihr Be-
jriffsvermöjen nu mal nich uff de Höhe von
unsre männliche Bildimg, verstehste.
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf/Rauke,
an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
NedalkionSschluk 3. Februar 1919