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Staatssozialismus.
„Cb unser Betrieb auch schon reif ist für die Verstaatlichung?"
„Nee, bloß der Direktor."
„Wie meinst du das?"
„Na, er ist reis für zehn Jahre Zuchthaus."
SZ Nobelspiine.
Die Reichsversassnng ist genehinigt,
Voll Mißtrau'» sicht's der Bourgeois,
Ihm paßt nicht dieses, paßt nicht jenes,
Er fühlt nicht mehr pro pntrin.
Ja ja, es geht ihm wie den Kühen,
Die plötzlich stehn vorm neuen Tor,
Sie starren's an mit lautem Muhen,
llnd gehn nicht rückwärts und nicht vor.
Bersucht's doch mal ihm klar zu machen:
Hier Deutschlands Ehrenpforte steht!
Vielleicht begreift's auch unser Stoffel,
In Reih und Glied dann mit uns geht.
N
Prinz Friedrich Karl von Hessen hat auf den finnischen Thron ver-
zichtet. Tirpitz verzichtete auf den Vorsitz in der Vaterlandspartei,
Ludendorff auf seine alldeutschen Plane. Der Bolschewik Gribojedoss
indessen verzichtete nicht, Präsident der deutschen Republik zu werden.
*
Am Marmorbild des alten Fritzen
Spricht Ledebour, des Friedens Hort,
Und aus zehnpfündigen Geschützen
Schallt seiner Botschaft Echo fort.
Die Götzenbilder sind zertreten.
Der stolze Heros der Nation,
Zu dem der Gläubigen Lippen beten.
Heißt heute Radek-Sobelsohn.
★
Mit meiner Ollen bin ick in eenem Punkt bereits seit vier Jahren
einig, un det is die Schuldfrage. „Paß uff," 'sagte se immer, „aus det
Lüjenjewirr wirste nich klug, und doch is et klar wie Kloßbriehe, det
der Schuldige allemal der Verlierer sein ivird." Schade, det meine Olle
nich Reichskanzler jeworden is. Dein getreuer Säge, Schreiner.
Ztreikfieber.
Das deutsche Volk lebt heutzutag
Nach einem neuen Stile,
Und mit dem Leben änderten
Sich auch des Lebens Ziele:
Einst lief der Mensch der Arbeit nach
Rastlos auf allen wegen,
Heut späht er nach Gelegenheit,
Um nieder sie zu legen.
Der Uusstand in der fl. E. ffi.
Bestimmt zu gleichem Schritte
Die Straßenbahn, und freudig schließt
Die Bank sich an als Dritte:
Heut streiken klrzt und Polizist
Und morgen die Matrosen,
Und auf den Veserteurestreik
Folgt der der Arbeitslosen.
Der eine streikt, weil man sein Dach
Zwangsweise rot beflaggt hat,
Der andre, weil auf seinen Hut
Ein Spatz schwarzweiß gekackt hat,
Den dritten kränkt die wacht am Uhein,
Den vierten Freiheitslieder,
Und beide legen zielbewußt
Mal erst die Arbeit nieder.
Nur einen Stand sah unentwegt
Man seine Mühle treten:
Vas sind wir arbeitsfreudigen,
Beharrlichen Poeten.
Doch weshalb sollen wir allein
Auf unser Recht verzichten-?
Ich spritze meine Feder au;
Und höre auf zu dichten! ttobicts.
Lieber Jacob!
Kannste mir villeicht sage», wie ick am besten
nach Spittelmarcht kommen kann? Montag
versuchte ich et, aber da jing de Elektrische
nich, weil de Fahrer streikten, un wie ick
Dienstag wiederkam, hieß et, heite jeht de
Bahn nich von wejen Schneeverwehung. Mitt-
woch stand ick ne halbe Stunde an de Halte-
stelle, ehe ick erfuhr, det de innere Stadt be-
treffs Waffenbeschlagnahme milletürisch abje-
sperrt is un deswejen keen Verkehr nich statt-
finden tut. Donnerstag streikten de Schaffner
un Freitag hätte ick fahren können, aber weil
an't Hallesche Tor Demonstrazjonszieje statt-
fanden, wurde de Bahn ieber Dahlen-Kleen-
Machnow rumjeleitet un det war mir 'n bißken
zu langwierig, da ick mir uff Nachtuffenthalt
nich injericht't hatte. Sonnabend war der Be-
trieb ivejen Kohlenmangel injestellt un Sonn-
tag fuhr de Uuterjrundbahn nich un infolje-
dessen war de Elektrische so ieberfillt, det ick
mit de ersten fuffzehn Wajen nich mitkain un
det Rennen uffjeben mußte. Am Montag wäre
allens jut jejangen, wenn da nich de neiste
Fahrpreiserhehung in Kraft jetreten wäre, die
ick bei meine beschränkte Valuta als mehrfällig
iviederholter Familjenvater denn doch nich
erschwingen kau». Et jibt jetz bloß zwee
Meeglichkeeten, nach Spittelmarcht zu kommen:
entweder wird man Anjestellter uff die be-
treffende Linie, denn derf man jratis mit, oder
— wat »och zweckentsprechender is — man
is Straßenbahnariouär, denn kan» man mit
eijene Eqnipasche »ff Juinmi hinfahren. -
Ooch sonst Hütte ick noch verschiedene Punkte
usf'n Herzen, wo ick Dir jerne um Rat fragen
mechte. Zum Beispiel: wat kann man heitzu-
dage seinen Drittjingsten werden lassen, wenn
er zu -Ostern aus de Schule kommt? Jelernt
hat meiner nischt, det jede ick ohne weiteres
zu. Denn ivährend de vier Kriegsjahre fiel der
Unterricht ivejen de Siejesfeiern ejal aus, un
det letzte halbe Jahr, meente er, lohnte et nich
mehr anzufangen. Jnfoljedessen is seine Bil-
dung so lickenhaft, det se allerheechstens zu'n
unabhängigen Kultusminister ausreichen wirde,
aber nach den Posten is oogenblicklich leider
keen Bedarf nich mehr. Also watsollder Bengel
werden? Ick schlug ihm vor, in 'ne Fabrike
zu jehen, aber er belehrte mir, det er als Ar-
beilsloser mehr verdienen kenne, un er schiene
Lust zil habe», diese heite so aussichtsreiche
Karriere zu erjreifen. Denn fragte ick ihm, ob
ick ihm irjendivo in Lehre jeden solle, ivat er
jedoch init die verächtlichen Worte ablehnte:
„Wat, Lehrjnnge soll ick spielen? Da klaue ick
inir doch lieber 'n Maschinenjewehr un mache
mir jleich selbständig!" For diese unmoralische
Weltanschauung klebte ick ihm zwee Saftije in
de Fassade, ivodruff er mir heulend mit die
Worte^ierließ: „Vater, du wirst mir so lange
»tißhandeln, bis ick aus Verzweiflung unter
de Soldaten jehe! Ick weeß mau bloß noch
nich, ob ick mir bei de Ostfront oder bei Spar-
takussen auwerben lasse: bei de erster« is et
sicherer, aber de anderen zahlen besser!" Nu
sage mir bloß, >vat fange ick mit die Rübe an?
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthils Rauke.
an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
rN«daIttonsschIub 17. Februar leis
Staatssozialismus.
„Cb unser Betrieb auch schon reif ist für die Verstaatlichung?"
„Nee, bloß der Direktor."
„Wie meinst du das?"
„Na, er ist reis für zehn Jahre Zuchthaus."
SZ Nobelspiine.
Die Reichsversassnng ist genehinigt,
Voll Mißtrau'» sicht's der Bourgeois,
Ihm paßt nicht dieses, paßt nicht jenes,
Er fühlt nicht mehr pro pntrin.
Ja ja, es geht ihm wie den Kühen,
Die plötzlich stehn vorm neuen Tor,
Sie starren's an mit lautem Muhen,
llnd gehn nicht rückwärts und nicht vor.
Bersucht's doch mal ihm klar zu machen:
Hier Deutschlands Ehrenpforte steht!
Vielleicht begreift's auch unser Stoffel,
In Reih und Glied dann mit uns geht.
N
Prinz Friedrich Karl von Hessen hat auf den finnischen Thron ver-
zichtet. Tirpitz verzichtete auf den Vorsitz in der Vaterlandspartei,
Ludendorff auf seine alldeutschen Plane. Der Bolschewik Gribojedoss
indessen verzichtete nicht, Präsident der deutschen Republik zu werden.
*
Am Marmorbild des alten Fritzen
Spricht Ledebour, des Friedens Hort,
Und aus zehnpfündigen Geschützen
Schallt seiner Botschaft Echo fort.
Die Götzenbilder sind zertreten.
Der stolze Heros der Nation,
Zu dem der Gläubigen Lippen beten.
Heißt heute Radek-Sobelsohn.
★
Mit meiner Ollen bin ick in eenem Punkt bereits seit vier Jahren
einig, un det is die Schuldfrage. „Paß uff," 'sagte se immer, „aus det
Lüjenjewirr wirste nich klug, und doch is et klar wie Kloßbriehe, det
der Schuldige allemal der Verlierer sein ivird." Schade, det meine Olle
nich Reichskanzler jeworden is. Dein getreuer Säge, Schreiner.
Ztreikfieber.
Das deutsche Volk lebt heutzutag
Nach einem neuen Stile,
Und mit dem Leben änderten
Sich auch des Lebens Ziele:
Einst lief der Mensch der Arbeit nach
Rastlos auf allen wegen,
Heut späht er nach Gelegenheit,
Um nieder sie zu legen.
Der Uusstand in der fl. E. ffi.
Bestimmt zu gleichem Schritte
Die Straßenbahn, und freudig schließt
Die Bank sich an als Dritte:
Heut streiken klrzt und Polizist
Und morgen die Matrosen,
Und auf den Veserteurestreik
Folgt der der Arbeitslosen.
Der eine streikt, weil man sein Dach
Zwangsweise rot beflaggt hat,
Der andre, weil auf seinen Hut
Ein Spatz schwarzweiß gekackt hat,
Den dritten kränkt die wacht am Uhein,
Den vierten Freiheitslieder,
Und beide legen zielbewußt
Mal erst die Arbeit nieder.
Nur einen Stand sah unentwegt
Man seine Mühle treten:
Vas sind wir arbeitsfreudigen,
Beharrlichen Poeten.
Doch weshalb sollen wir allein
Auf unser Recht verzichten-?
Ich spritze meine Feder au;
Und höre auf zu dichten! ttobicts.
Lieber Jacob!
Kannste mir villeicht sage», wie ick am besten
nach Spittelmarcht kommen kann? Montag
versuchte ich et, aber da jing de Elektrische
nich, weil de Fahrer streikten, un wie ick
Dienstag wiederkam, hieß et, heite jeht de
Bahn nich von wejen Schneeverwehung. Mitt-
woch stand ick ne halbe Stunde an de Halte-
stelle, ehe ick erfuhr, det de innere Stadt be-
treffs Waffenbeschlagnahme milletürisch abje-
sperrt is un deswejen keen Verkehr nich statt-
finden tut. Donnerstag streikten de Schaffner
un Freitag hätte ick fahren können, aber weil
an't Hallesche Tor Demonstrazjonszieje statt-
fanden, wurde de Bahn ieber Dahlen-Kleen-
Machnow rumjeleitet un det war mir 'n bißken
zu langwierig, da ick mir uff Nachtuffenthalt
nich injericht't hatte. Sonnabend war der Be-
trieb ivejen Kohlenmangel injestellt un Sonn-
tag fuhr de Uuterjrundbahn nich un infolje-
dessen war de Elektrische so ieberfillt, det ick
mit de ersten fuffzehn Wajen nich mitkain un
det Rennen uffjeben mußte. Am Montag wäre
allens jut jejangen, wenn da nich de neiste
Fahrpreiserhehung in Kraft jetreten wäre, die
ick bei meine beschränkte Valuta als mehrfällig
iviederholter Familjenvater denn doch nich
erschwingen kau». Et jibt jetz bloß zwee
Meeglichkeeten, nach Spittelmarcht zu kommen:
entweder wird man Anjestellter uff die be-
treffende Linie, denn derf man jratis mit, oder
— wat »och zweckentsprechender is — man
is Straßenbahnariouär, denn kan» man mit
eijene Eqnipasche »ff Juinmi hinfahren. -
Ooch sonst Hütte ick noch verschiedene Punkte
usf'n Herzen, wo ick Dir jerne um Rat fragen
mechte. Zum Beispiel: wat kann man heitzu-
dage seinen Drittjingsten werden lassen, wenn
er zu -Ostern aus de Schule kommt? Jelernt
hat meiner nischt, det jede ick ohne weiteres
zu. Denn ivährend de vier Kriegsjahre fiel der
Unterricht ivejen de Siejesfeiern ejal aus, un
det letzte halbe Jahr, meente er, lohnte et nich
mehr anzufangen. Jnfoljedessen is seine Bil-
dung so lickenhaft, det se allerheechstens zu'n
unabhängigen Kultusminister ausreichen wirde,
aber nach den Posten is oogenblicklich leider
keen Bedarf nich mehr. Also watsollder Bengel
werden? Ick schlug ihm vor, in 'ne Fabrike
zu jehen, aber er belehrte mir, det er als Ar-
beilsloser mehr verdienen kenne, un er schiene
Lust zil habe», diese heite so aussichtsreiche
Karriere zu erjreifen. Denn fragte ick ihm, ob
ick ihm irjendivo in Lehre jeden solle, ivat er
jedoch init die verächtlichen Worte ablehnte:
„Wat, Lehrjnnge soll ick spielen? Da klaue ick
inir doch lieber 'n Maschinenjewehr un mache
mir jleich selbständig!" For diese unmoralische
Weltanschauung klebte ick ihm zwee Saftije in
de Fassade, ivodruff er mir heulend mit die
Worte^ierließ: „Vater, du wirst mir so lange
»tißhandeln, bis ick aus Verzweiflung unter
de Soldaten jehe! Ick weeß mau bloß noch
nich, ob ick mir bei de Ostfront oder bei Spar-
takussen auwerben lasse: bei de erster« is et
sicherer, aber de anderen zahlen besser!" Nu
sage mir bloß, >vat fange ick mit die Rübe an?
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthils Rauke.
an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
rN«daIttonsschIub 17. Februar leis