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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 36.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.8264#0055
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- . 9671 . - -

Gegensätze in Berlin.

Das Lichtspieltheater.

W lrovellpilne.

Ihr lieben Genossen, höret mich an,

Es spricht zu euch ein besonnener Mann:
Kommt wieder zusammen, reichet die Hand
Und schließet mit uns das Bruderband.
Trauet dem Worte, das einst euch gelehrt,
Das stets die alle Partei geehrt,

Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit
Sei unser Banner zu jeder Zeit.

Glaubet, es kommt-bestimmt der Tag,

Der uns befreiet von Ungemach,

Für den Sehenden brach er schon an,

Drum auf denn, Genossen, steht wie ein Man».
Zerfleischet euch nicht durch Bruderzwist,

Der die Freude des Kapitalisten ist,

Ringt nieder mit uns das Kapital,

Der Sieg ist unser daun allemal!

*

Das deutsche Volk wird von der Entente andauernd als der „ver-
lorene Sohn" Europas hingestellt. Nun ist es aber bald Zeit, daß
man ihm das gemästete Kalb schlachtet.

k

Ein Königsberger Professor hat aus künstlichem Nikotin eine
„Kunstzigarre" hergestellt. Er sollte aber auch einen Kunstraucher er-
finden, der das Zeug verträgt.

Als jüngst ich nach dein Befinden fragte
Den Nachbar, lachte er fröhlich und sagte:

„Famos! Ich leide seit einiger Zeit
An gänzlicher — Appetitlosigkeit."
k

„Wat sind eijentlich Jroßmächte?" fragte mir neulich nieine Olle
beim Morgenkaffee-Ersatz. „Det liegt doch schon im Wort drin," erklärte
ich ihr. „Großmächte sind Mächte, die beim Frieden rvat Großes möchten!"

Dein getreuer Säge, Schreiner.

Der Klabautermann.

Durch die sternklare Nacht sauste ein Doppel-
decker; den hatte sich ein Großer der Schwer-
industrie bauen lassen, um Millionenwerte nach
der Schweiz zu verschieben. Als Flieger saß
sein Chauffeur drin, dem er alles zutraute,
und der Prokurist Müller, dessen Treue wie
Gold war, flog als Beobachter mit. Plötzlich
schubste der Beobachter de» Flieger, bis dieser
sich nmdrehte. „Mensch, über uns auf der
Tragfläche sitzt was und quietscht immerzu!"

Beide lauschten gespannt. Da kam's wieder:
ein langgezogenes Stöhnen.

„Hol'mich der Deubel, wenn das kein echter
Klabautermann is!" schrie der Chauffeur und
gab Vollgas.

Er tat einige hastige Griffe nach dein Höheu-
und Seitensteuer, aber es mußte wohl in der
Eile ein schädlicher dabei sein, denn nach meh-
reren sehr eleganten Bocksprüngen gab es plötz-
lich einen saudummen Gleitflug nach unten, wo
elektrische Lichter auftauchten. Da der Chauf-
feur aber Nerven wie Stricke hatte, paddelte
er sich halbwegs zurecht und landete mit eini-
gem Krach vordem Stuttgarter Hauptbahnhof.

„Die drei Herren haben Glück gehabt!"
meinte die Wache, die sie aufsammelte.

„Drei...?" rief der Prokurist Müller und
sah sich erschrocken um. Da stand ein spindel-
dürres kleines Männchen, das verbindlich
grinste und sich vorstellte:

„Privatdetektiv Siebentrilt. — Ich habe un-
auffällig aufzupaffen, daß die Herren mit dem
Gelbe nicht durchbrenncn." T.

Gruß an Noske.

Gustav, Gustav, armer Mann,

Was hängt man dir alles an?
Pflaumenaugust, Menschenschinder,
Mörder kleiner Bürgerskinder,

Bluthund, Schuft und Volksverräter,
Nennen dich die Übeltäter, —

Gustav, mache dir nichts draus.

Gehst doch übers Schellendaus!

Ktel. __ _ F. 0.

Lieber Jacob!

Wie det statistische Amt jlaubwirdig fest-
jestellt hat, is der Berliner Fremdenverkehr
in de letzten Monate sehr zurickjejangen. Außer
'n paar Schock russische Verjniejungsreisende
haben sich keene nennenswerten Touristen
nich injefunden. Det beriehmte Berliner
Nachtleben hat seine Reize jänzlich verloren,
wenn doch de Lokale schon um Elfe zujemacht
werden un de Straßenbeleichtung so licken-
haft is, det de bei 'ne jelejentliche Bejegnung
nich unterscheiden kannst, ob de 'n junges
Mächen oder 'n älteren Jrundstickspekulanten
vor dir hast. Aus diesen Jrunde missen wir
uns druff jesaßt machen, det schließlich ooch
der Bund der Landwirte un de preißesche
Jeneralsynode. die uns bis jetz noch trei je-
blieben sin, ihre jährlichen Festveranstaltungen
in amisantere Jejenden verlejen werden.

Da helft denn nu allens nischt: et muß
endlich wat jeschehen. Wenn ick nu bedenke,
det Jtaljen det beliebteste Touristenland der
janzen Welt is, denn jloobc ick fast, det

ooch Berlin »och 'ne Zukunst in diese Hin-
sicht hat. Wanzen sin ooch bei uns, da is
ja keene Frage, un wat veranlaßt denn im
iebrijen de internazjonale Hochsinanx, det se
ihr scheenes Feld Jahr for Jahr ieber de
Alpen schleppen tut? Det sin erstens mal de
Ruinen, verstehste. Un mit die kennen wir
nich minder dienen. Zwar haben wir keene
Erdbeben un keene Vulkane nich, aber Sparta-
kus nimmt et Jott sei Dank noch mit jeden
spuckenden Krater uff, un wat Vesuv un Ätna
mit vereinigte Kräfte leisten, det bringt er janz
alleene fertig. Warte man bloß noch 'n paar
Wochen, denn sin wir so weit, det de Aus-
jrabungen am Alexanderplatz bejinnen kennen,
un dann wird de staunende Nachwelt sehe»,
det Herkulanum un Pompeji in ihren heitije»
Zustand 'ne elejante Villenstadt sin jeje» unser
Ruinenviertel. Un wer noch nach italjenische
Reiberromantik verlangt, der braucht bloß ’»
Avendspazierjang durch det dunkelste Berlin
machen un er wird, wenn er lebendig zurick-
kehrt, zujestehen, det de Abruzzen da nich mit
konkurrieren kennen! In Anbetracht von diese
jesejenten Umstände jloobe ick, det wir noch
keenen Jrund zur Verzweiflung nich besitzen,
un ick erwarte in jute Hoffnung dem nahen
Tag, wo der neiste Band Bädeker „Berlin
als Jtaljen-Ersatz" rauskommt un de ameri-
kanischen Milljardäre un de englische» LädieS
unseren interessanten Ort mit ihre jeschätzte
Kundschaft ieberschwemmen werden.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jdreier Jotthils Rauke.

an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

RedalltonSlchtub 17. März 1919.
 
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