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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 36.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.8264#0058
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9674 —

Zwei Proletarier-Sonette.

von Ferdinand Madlinger.

' i.

Der monarchische Zauber.

Des Volksstaats Führung wird darüber klar sein,
Daß viele ihr mit Widerwillen dienen;

Solang Miesmacher mit verdrotznen Mienen
Km Freistaat mäkeln, wird er in Gefahr fein.

Pfahlbürger sähen gern, und das muß wahr fein,
Vas neue Haus baldmöglichst in Ruinen,

Sie möchten wieder, fürstengunftbeschienen,
Tragsäulen für den Thron und den Mar sein.

ver echte Untertan läßt sich nicht leiten
von seinesgleichen; er verachtet jeden,

Der Bürger nur, wie er, wenn auch im Frack ist;

Tr schwärmt für „gottgesalbte" Dbrigkeiten;
Ihn dürfen Fürsten in den Hintern treten,
wenn nur dabei der Schuh vom feinsten Lack ist.

II.

Courage hinterher.

Die Staatserhalter, meistens zahme Denker,

Die unterm Kaisertum voll Sorge schwiegen,

Ihr Ümtchen oder Bändchen nicht zu Kriegen,
Bemerkst du häufig jetzt als wilde Zänker.

Ihr Leisetreter und Rückgratverrenker,
was kommt ihr jetzt aufs Forum hergeftiegen,
Dem selbjtbefreiten Volk im Ehr zu liegen
^Mit unerbetnem Rat? Schert euch zum Henker!

Solang es Muts bedurfte vor den Thronen,

Des Volkes Sache mannhaft zu vertreten,
hat niemand euch am Rednerpult gesehen;

vermochtet ihr zu euren Feuerreden
Mit Leib und Leben früher nicht zu stehen,

So wollet uns auch jetzt damit verschonen!

Das Unbegreifliche.

Skizze von Ernst Preczang.

Es ist noch kein Jahr her, da ging der alte,
hoch in den Sechzigern stehende Wachtmeister
außer Diensten Gotthold Negenhart an jeden»
Tage „die Wachen revidieren", »vie er sagte.
Mit dem Glockenschlag fünf — das Wetter
mochte sein »vie es rvollte — stieg er von seiner
hochgelegenen Erkerivohnung im Zentrum der
Stadt hinab, überquerte die Brücke, beaugen-
scheinigte die Posten a>n Schloß, schritt stramm
aufgerichtet die Promenade hinunter in den
Park, machte hier einige Rundgänge, spazierte
auf einem Umweg an der Kaserne vorbei zun»
Schloß zurück, erwartete hier als Zuschauer
die Ablösung der Posten und kletterte wenige
Minuten später langsam und ein wenig er-
mattet wieder empor zu seinem „Ausguck".
Dort erwartete ihn Frau Lene, seine grau-
haarige, gebückte Lebensgefährtin, uahin ihm
Hut, Stock und Mantel ab, stellte ihm die
Filzpantoffeln vor den Lehnstuhl am Ofen und
legte die Abendzeitung bereit.

Beim Essen besprachen sie die Neuigkeiten,
und Gotthold Regenhart schwaimn wie der
Fisch im Wasser in all den bunten Kriegs-
nachrichten. Denn dieser Krieg war eine ganz
»vunderbare Sache für ihn, der an die sechzig
Jahre — von der Unterosfiziervorschule an —
in» bunten Rock gesteckt und den Feldzug Anno
siebzig mitgemacht hatte. Die übrige Welt, in
ihrer Wirklichkeit ihm näher, rvandelte sich fast
zu bedeutungslosen Schatten für ihi», aber
die Heeresberichte standen lebendig aus ihrer
Druckerschwärze auf und füllten ihn» Hirn und
Herz mit glutvoller Erregung. Er kampierte
mit den Kriegern in Etappe und Graben und
schlug ihre Schlachten mit'— »venn auch nur
mit Worten und fuchtelnden Armen »ind auf
den Frontkarten, die die Wände seines kleinen
Erkerzimmers bedeckten. Zahlreiche Nadeln
init bunten Fähnchen »narkierten die Truppen-
bewegungen/ und wenn die schivarziveißroten
Banner sich einmal vor der Trikolore zurück-
ziehen mußten, gab es schlechtes Wetter im
Hause.

„Bin ich schuld?" fragte dann Frau Lene
bekümmert.

„Duinmes Zeug!" knurrte er, lief mit ge-
falteter Slirn auf und ab »>nd wartete. War-
tete mit Ungeduld auf die nächsten Berichte.

Sie kamen — und sagten vom Abfall Bul-
gariens, von türkischen Niederlagen, von öster-
reichischer Kriegsmüdigkeit, von deutschen
Raumverlusten iin Westen. Eine Hioöspost
folgte der andern.

Frau Lene ging sozusagen von morgens bis
abends aufZehenspitzen und machte große Bogen
uin den reizbaren Hausherrn, der zuweilen
»vortlos mit der Faust auf den Tisch schlug.

Eines Abends geriet sie in starke Unruhe:
Gotthold »var eine gute halbe Stunde nach
seiner geivohnten Spazierzeit noch nicht wie-
der daheim. Sie dachte schon daran, zur Po-
lizei zi» gehe»», als sie seinen Schlüssel an der
Flurtür hörte. Doch nicht rasch und energisch
»vie sonst schloß er, sondern es klirrte unsicher

Stilles Leldentum.

„Wenn ich auch als Beamter von den Revolu-
tionären bezahlt iverde, so schwöre ich doch Euer
Majestät ewige Treue."

und nervös. Die Hände zittern ihm, dachte
sie unrvillkürlich, es muß etwas Furchtbares
geschehen sein.

Als er eintrat, erschrak sie noch mehr. Seme
sonst noch rosigen Wangen waren blaß, die
Augen siackerten wild und der weiße Schnurr-
bart schien sich zornig zu sträuben. Die Hand
mit dem Stocke bebte, und er vergaß es, ihr
»vie sonst Hut und Mantel zu reichen.

„Was ist passiert, Golthold?!"l

„Heut hat sich dein Alter beinah geprügelt,
Mutter!" Er lachte grimmig und hob den

Stock: „So stand ich schon da-Aber dann

kniffen sie aus, die Feiglinge, und lachten. Ja,
ausgelacht haben sie mich. Lene!"

„Von wein sprichst du, Vater?"

„Von »ven»? Von den Mieslnachern, den
Angsthase», de» Meuterern. Prophezeien ganz
offenkundig auf der Straße unseren Zusam-
nienbruch, schlvadronieren frech von blödsin-
niger Militärpolitik und dergleichen. Na, da
bin ich dazwischen gegangen.» Ist sonst nicht
meine Art, das weißt du ja. Aber dieslnal
könnt' ich's nicht lange mit anhören. Hab' ihnen
eine Rede geschwungen, die hat geraucht von
Blut und Pulverdainpf, das kannst du glauben.
Eine richtige Volksversammlung wurde es.
Bis ich den Stock schwang und ein Schutz-
mann kam. Da stoben sie mit Hallo und Ge-
lächter auseinander." Der Alte lachte verächt-
lich und warf den Stock in die Ecke. „Schluß
damit! Und die Zeit»»ng —," er fegte sie mit
einer Handbe»veg»»ng vom Tisch, „die Zeitung
kannst du auch abbestellen. Lügen, nichts als
Lügen! Der Generalstab wird's den Eseln schon
zeigen! Nein, ich geh keinen Schritt mehr aus
dem Halls! Keinen Schritt, hörst du, Lene?
Nicht eher, als bis ich den Siegesmarsch
unserer einziehenden Truppen höre und die
Kaiserfnhne vom Schlosse weht!... Sag nichts
dagegen. Es bleibt dabei! Sonst bringt der
Arger mich um."

Es blieb dabei. Der alte Regenhart saß in
seinen» Ausguck ain Erkerfenster, beobachtete
die Straßen, horchte in die Ferne und nah»»»
zuweilen das Glas, um nach dem Schloß zu
spähen. Die Zeitung blieb aus. Was Frau
Lene auf ihren Gängen zuin Kaufmann und
Bäcker erfuhr, verschloß sie in sich. Aber ihr
Herz erzitterte bei dem Gedanken, daß die
Wahrheit plötzlich dort oben in das Erker-
zimmer eintreten und zu ei.nem harten Schlage
ausholen könnte. Sie sann auf Beschäftigung
für ihren Mann und tan» auf die Idee, ein
in Heften erscheinendes Werk über den Krieg
zu bestellen. Das griff der Alte mit Fre»»den
auf; er vertiefte sich voll Eifer in die aus-
führlichen Darlegungen der Strategie und
Taktik, in die beigegebenen Schlachtenpläne
und die siegfreudigen Räsonnements des sach-
kundigen Verfassers, der die Dinge in allen
Einzelheiten und mit »veit ausholender Gründ-
lichkeit vom Beginn des Feldzugs an behan-
delte. —

Inzwischen stand die Weltgeschichte nicht
ganz still. Die Novembertage kainen. Die
Straße w»»rde lebendig. Automobile mit Be-
waffneten jagten durch die Gassen, Volk ballte
sich lärmend zusammen, und donnernde Hochs
rauschten an den Häusern empor.

Frau Lene ging in einer fürchterlichen Angst
umher. Und »venn irgendivo aus der Ferne
 
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