9794
Das Schicksal
Und als der Frieden unterzeichnet war,
Mir war, ich stünö' an einer Evtenbahr.
Ich hörte schluchzende Gebete lallen,
Ich sah die harten, schweren Schollen fallen,
Ins Herz getroffen schlich ich heimatwärts,
Und in mir schrie gerechter, wilder Schmerz:
was wird aus uns werden 7
Wie war die Seele tief enttäuscht und krank!
Ermattet sank ich hin auf eine Bank,
Sah rings die Kinder spielen, froh und licht,
Barg in den Händen stumm das Angesicht:
klhr lieben Kinder, ahnungslos und rein,
Was wird wohl einstens euer Schicksal fein I
Was wird aus uns werden?
da ... aus dem Buschwerk eine fimsel fang,
Hob hell die kleine Brust im Überschwang:
„Siehst du den Frühling nicht, der rings erwacht?
fluf jeden Winter folgt des Lenzes Pracht!
Und jede Nacht den neuen Tag gebiert!
verloren ist nur, wer sich selbst verliert!
Eril! ... «Tritt ... I"
G süßes Himmclslied,
vor dem der Sämon der Verzweiflung flieht!
Hus all dem Schmutze der Erniedrigung
Ein neues Volk, zu neuen Eaten jung,
der Freiheit treuster Kämpe fort und fort,
der Menschenwürde, alles Edlen Hort —
das soll aus uns werden! Karl «kitängcr
Arbeit
Von A. Lackmann
Die alte Frau Grasbirn steht tiesgebückt
zwischen den welkenden Stauden ihres kleinen
Ackers dicht hinterm Hausgarten und nimmt
Erdäpfel aus. Di: morschen Greisenbeine zit-
tern ihr ein wenig, der gekrümmte Rucken
schmerzt sie stalE. Doch sie achtet weder des
einen noch des anderen, sondern achtet bloß
darauf, daß sie möglichst schöne ausgewachsene
erivischt, die sich zum appetitliche» Häufchen
türmen. Ab und zu rastet sie ein Weilchen
und blickt zurück auf den strotzenden Nußbaum,
den sie vor fünfzig und etlichen Jahren als
ein ivinziges Reis mit eigenen Händen ge-
pflanzt hat, und der nun
wie ein dunkelgrüner Verg
in den blauen Sommer-
nachmittag hereinragt; sie
blickt zurück auf das Klee-
feld, die Wiese, den Obst-
garten, die silberglänzen-
den Giebel von Wohnhaus
und Scheune. Und geht
dann froh und frisch von
neuem an die Arbeit. Und
sinnt dabei mancherlei.
Am öftesten aber jedoch,
wie vielmal sie bereits den
braven Acker betreut hat
von der Saat bis zurErnte
und wie wenigem«! etwa
es ihr noch vergönnt sein
wird, die kostbare Frucht
einzuheimsen.
Da vernimmt ihr Ohr,
das im Aller nicht stump-
fer,sondernschärfergewor-
Len ist, nahende Schritte,
und wie sie das steife Kreuz in die Höhe reckt,
sieht sie ihre Sommerpartei, die wohlbeleibte
Oberrechnungsratsgattin Vordermann, an die
die beiden besten Zimmer vermietet sind, vom
Hause her langsam ans sich zukommen. Die
trägt in der linken Hand einen angefangenen
Strickstrumpf, der während ihres heurigen
Landaufenthalts noch um keine anderthalb
Zoll gewachsen ist.
„Alleweil fleißig, Frau Rätin," wird sie von
der Grasbirn begrüßt.
„Man muß ja," seufzt die Rätin, stehen-
bleibend und ein bißchen mit den Stricknadeln
klirrend. „Es bleibt einem nichts anderes übrig,
wenn man Nachkommen will mit allem.... Die
gekaufte War' is nix wert, das werden S' ja
eh wissen, Frau. ... So muß man halt den
Nachmittag, wann man mit der Häuslichkeit
halbwegs in Ordnung ist, wiederum zn einer
Handarbeit benutzen. Zur Erholung bin ich
aufs Land gangen — mit der Erholung
schaut's schlecht aus für mich. Ich war schön
dumm, daß ich mir keinen Dienstboten mit,
heraus g'nommen Hab'. Der Alte will seine
Ordnung haben wie in München und der
Junge auch, und keiner hat um einen Pfennig
Einsehn. . . ."
Während dieser Märtyrerklage hat die acht-
undsiebzigjährige Frau Grasbirn soviel Erd-
äpfel ausgegraben und in den Korb geworfen,
wie sie, ihr Sohn und ihre Schwiegertochter
voraussichtlich heute und niorgen verzehren
werden, und schickt sich nun an, mit ihrer Last
ins Haus zurückzuhumpeln. Frau Vordermann
folgt ihr langsam, das Strickzeug zusammen-
steckend und ihre Gutherzigkeit bitter ver-
wünschend, mit der sie dem Gemahl und dem
Sohn für heute ausnahmsweise ein warmes,
daheim gekochtes Abendeflen znsagte.
Da komnit ihr auch schon der rundliche,
kurzbeinige und kurzatmige Herr Oberrech-
nungsrat entgegen, der immer verschlafen aus-
sieht — seine ruchlosen Untergebenen behaup-
ten, „im Schlafen" sei er zu seiner hohen Stel-
lung gelangt — und der, vom Spaziergang
heimgekehrt, bereits im Wohnzimmer Rock
und Hemdkragen abgelegt hat, trotzdem aber
immer noch bedenklich schivitzte. Nach einem
kurzen Gruße beantwortet er die Frage seiner
Gattin also:
„Wie's mir geht? Wie soll's mir denn
geh'n! Gut nicht. Müh und Arger hat man
mehr als genug, aber Anerkennung hat man
keine dafür. Ich hab's satt. Vis daher Hab'
ich's satt. Wann's nicht wegen euch wär,
wegen dir und dem Buben — morgen früh
möcht' ich mein Pensionsgesuch überreichen."
Seufzend begeben sich Herr und Frau Vor-
dermann ins Haus, um dort von ihren An-
strengungen auszuruhen.
Frau Grasbirn hat inzwischen ihre Kar-
toffeln in die Küche getragen, auch nachge-
sehen, ob die am Zaune hängenden Wäsche-
stücke noch nicht trocken seien, und geht nun
daran, im Flur vor der Scheuer Holz klein
zu machen. Auf dem Sägebock kürzt sie die
Scheite, auf dem Hackstock spaltet sie sie in
möglichst kleine Stücke, denn die Feuerstelle
ist eng und klein. Mancher Eichenast ist hart
wie Stein, und es wird dem alten Weiblein
recht heiß dabei. Aber Geduld und Beharr-
lichkeit erzielen doch so viel gebrauchsfertiges
Holz, wie sie und die gnädige Frau zur Be-
reitung des heutigen Nachtmahls und des
morgigen Frühstücks bedürfen. Und dann heizt
sie den Herd und setzt Kartoffeln ans Feuer.
Während das Wasser zu sieden beginnt, treibt
Frau Grasbirn die Enten zur Nachtruhe in
si)r Ställchen, und wie sie damit fertig ist,
xommt ihre Schwiegertochter mit einem hoch-
gefüllten Tragkorb saftigen Kuhfutters 'zum
Tor herein. Der Tragkorb drückt schwer, und
das robuste junge Weib, das gesegneten Leibes
ist, schleudert ihn unwillig mit den Worten
zu Boden:
„Der Teuxel soll s' holen, dö Arbeit. I kann
nimmer, wir müassen uns einen Taglöhner
nehmen. Für mein Zustand is das nix. Steht
der Kaffee auf dem Tisch?"
„Jn'der Röhr'» is er, glei wird er wieder
warm sein," entgegnet die Alte.
Bald hat der Kaffee die richtige Tempera-
tur. Frau Grasbirn schleift den gewaltige»
Tragkorb nach dem Kuhstall und bereitet dort
die abendliche Fütterung vor. Ihre Schwieger-
tochter, müd und hungrig, setzt sich an den Tisch
und wirft große Brocken in
die-dampfende Schale und
zugleich gierige Blicke in
das billige, illustrierte
Blättchen, das dem Gras-
birnschen Hause die ein-
zige Kenntnis von den Er-
eignissen der großen Welt
vermittelt.
Eine halbe Stunde spä-
ter tritt auch der Sohn
durchs knarrende Hoftor,
breitspurig, sehnig, ge-
bräunt, die Merkmale här-
tester Feldarbeit an den
Stiefeln und.Händen.
„Wo isd'Muiter?"sragt
er kurz, die Kappe an den
Nagel hängend.
„Im Kuhstall, mein i,"
antwortet das junge Weib
und schiebt die Zeitung
beiseite. „I weiß eh net,
wo s' bleibt so lang."
Ein feiner Posten
»Na, Schulze, du hast dich aber schön 'rausgemacht!«- ,
»Hab' ich auch: bin von der aikiecitzanischen Speckexportgesellschaft als Reklame-
reisender angestellt!«-
Das Schicksal
Und als der Frieden unterzeichnet war,
Mir war, ich stünö' an einer Evtenbahr.
Ich hörte schluchzende Gebete lallen,
Ich sah die harten, schweren Schollen fallen,
Ins Herz getroffen schlich ich heimatwärts,
Und in mir schrie gerechter, wilder Schmerz:
was wird aus uns werden 7
Wie war die Seele tief enttäuscht und krank!
Ermattet sank ich hin auf eine Bank,
Sah rings die Kinder spielen, froh und licht,
Barg in den Händen stumm das Angesicht:
klhr lieben Kinder, ahnungslos und rein,
Was wird wohl einstens euer Schicksal fein I
Was wird aus uns werden?
da ... aus dem Buschwerk eine fimsel fang,
Hob hell die kleine Brust im Überschwang:
„Siehst du den Frühling nicht, der rings erwacht?
fluf jeden Winter folgt des Lenzes Pracht!
Und jede Nacht den neuen Tag gebiert!
verloren ist nur, wer sich selbst verliert!
Eril! ... «Tritt ... I"
G süßes Himmclslied,
vor dem der Sämon der Verzweiflung flieht!
Hus all dem Schmutze der Erniedrigung
Ein neues Volk, zu neuen Eaten jung,
der Freiheit treuster Kämpe fort und fort,
der Menschenwürde, alles Edlen Hort —
das soll aus uns werden! Karl «kitängcr
Arbeit
Von A. Lackmann
Die alte Frau Grasbirn steht tiesgebückt
zwischen den welkenden Stauden ihres kleinen
Ackers dicht hinterm Hausgarten und nimmt
Erdäpfel aus. Di: morschen Greisenbeine zit-
tern ihr ein wenig, der gekrümmte Rucken
schmerzt sie stalE. Doch sie achtet weder des
einen noch des anderen, sondern achtet bloß
darauf, daß sie möglichst schöne ausgewachsene
erivischt, die sich zum appetitliche» Häufchen
türmen. Ab und zu rastet sie ein Weilchen
und blickt zurück auf den strotzenden Nußbaum,
den sie vor fünfzig und etlichen Jahren als
ein ivinziges Reis mit eigenen Händen ge-
pflanzt hat, und der nun
wie ein dunkelgrüner Verg
in den blauen Sommer-
nachmittag hereinragt; sie
blickt zurück auf das Klee-
feld, die Wiese, den Obst-
garten, die silberglänzen-
den Giebel von Wohnhaus
und Scheune. Und geht
dann froh und frisch von
neuem an die Arbeit. Und
sinnt dabei mancherlei.
Am öftesten aber jedoch,
wie vielmal sie bereits den
braven Acker betreut hat
von der Saat bis zurErnte
und wie wenigem«! etwa
es ihr noch vergönnt sein
wird, die kostbare Frucht
einzuheimsen.
Da vernimmt ihr Ohr,
das im Aller nicht stump-
fer,sondernschärfergewor-
Len ist, nahende Schritte,
und wie sie das steife Kreuz in die Höhe reckt,
sieht sie ihre Sommerpartei, die wohlbeleibte
Oberrechnungsratsgattin Vordermann, an die
die beiden besten Zimmer vermietet sind, vom
Hause her langsam ans sich zukommen. Die
trägt in der linken Hand einen angefangenen
Strickstrumpf, der während ihres heurigen
Landaufenthalts noch um keine anderthalb
Zoll gewachsen ist.
„Alleweil fleißig, Frau Rätin," wird sie von
der Grasbirn begrüßt.
„Man muß ja," seufzt die Rätin, stehen-
bleibend und ein bißchen mit den Stricknadeln
klirrend. „Es bleibt einem nichts anderes übrig,
wenn man Nachkommen will mit allem.... Die
gekaufte War' is nix wert, das werden S' ja
eh wissen, Frau. ... So muß man halt den
Nachmittag, wann man mit der Häuslichkeit
halbwegs in Ordnung ist, wiederum zn einer
Handarbeit benutzen. Zur Erholung bin ich
aufs Land gangen — mit der Erholung
schaut's schlecht aus für mich. Ich war schön
dumm, daß ich mir keinen Dienstboten mit,
heraus g'nommen Hab'. Der Alte will seine
Ordnung haben wie in München und der
Junge auch, und keiner hat um einen Pfennig
Einsehn. . . ."
Während dieser Märtyrerklage hat die acht-
undsiebzigjährige Frau Grasbirn soviel Erd-
äpfel ausgegraben und in den Korb geworfen,
wie sie, ihr Sohn und ihre Schwiegertochter
voraussichtlich heute und niorgen verzehren
werden, und schickt sich nun an, mit ihrer Last
ins Haus zurückzuhumpeln. Frau Vordermann
folgt ihr langsam, das Strickzeug zusammen-
steckend und ihre Gutherzigkeit bitter ver-
wünschend, mit der sie dem Gemahl und dem
Sohn für heute ausnahmsweise ein warmes,
daheim gekochtes Abendeflen znsagte.
Da komnit ihr auch schon der rundliche,
kurzbeinige und kurzatmige Herr Oberrech-
nungsrat entgegen, der immer verschlafen aus-
sieht — seine ruchlosen Untergebenen behaup-
ten, „im Schlafen" sei er zu seiner hohen Stel-
lung gelangt — und der, vom Spaziergang
heimgekehrt, bereits im Wohnzimmer Rock
und Hemdkragen abgelegt hat, trotzdem aber
immer noch bedenklich schivitzte. Nach einem
kurzen Gruße beantwortet er die Frage seiner
Gattin also:
„Wie's mir geht? Wie soll's mir denn
geh'n! Gut nicht. Müh und Arger hat man
mehr als genug, aber Anerkennung hat man
keine dafür. Ich hab's satt. Vis daher Hab'
ich's satt. Wann's nicht wegen euch wär,
wegen dir und dem Buben — morgen früh
möcht' ich mein Pensionsgesuch überreichen."
Seufzend begeben sich Herr und Frau Vor-
dermann ins Haus, um dort von ihren An-
strengungen auszuruhen.
Frau Grasbirn hat inzwischen ihre Kar-
toffeln in die Küche getragen, auch nachge-
sehen, ob die am Zaune hängenden Wäsche-
stücke noch nicht trocken seien, und geht nun
daran, im Flur vor der Scheuer Holz klein
zu machen. Auf dem Sägebock kürzt sie die
Scheite, auf dem Hackstock spaltet sie sie in
möglichst kleine Stücke, denn die Feuerstelle
ist eng und klein. Mancher Eichenast ist hart
wie Stein, und es wird dem alten Weiblein
recht heiß dabei. Aber Geduld und Beharr-
lichkeit erzielen doch so viel gebrauchsfertiges
Holz, wie sie und die gnädige Frau zur Be-
reitung des heutigen Nachtmahls und des
morgigen Frühstücks bedürfen. Und dann heizt
sie den Herd und setzt Kartoffeln ans Feuer.
Während das Wasser zu sieden beginnt, treibt
Frau Grasbirn die Enten zur Nachtruhe in
si)r Ställchen, und wie sie damit fertig ist,
xommt ihre Schwiegertochter mit einem hoch-
gefüllten Tragkorb saftigen Kuhfutters 'zum
Tor herein. Der Tragkorb drückt schwer, und
das robuste junge Weib, das gesegneten Leibes
ist, schleudert ihn unwillig mit den Worten
zu Boden:
„Der Teuxel soll s' holen, dö Arbeit. I kann
nimmer, wir müassen uns einen Taglöhner
nehmen. Für mein Zustand is das nix. Steht
der Kaffee auf dem Tisch?"
„Jn'der Röhr'» is er, glei wird er wieder
warm sein," entgegnet die Alte.
Bald hat der Kaffee die richtige Tempera-
tur. Frau Grasbirn schleift den gewaltige»
Tragkorb nach dem Kuhstall und bereitet dort
die abendliche Fütterung vor. Ihre Schwieger-
tochter, müd und hungrig, setzt sich an den Tisch
und wirft große Brocken in
die-dampfende Schale und
zugleich gierige Blicke in
das billige, illustrierte
Blättchen, das dem Gras-
birnschen Hause die ein-
zige Kenntnis von den Er-
eignissen der großen Welt
vermittelt.
Eine halbe Stunde spä-
ter tritt auch der Sohn
durchs knarrende Hoftor,
breitspurig, sehnig, ge-
bräunt, die Merkmale här-
tester Feldarbeit an den
Stiefeln und.Händen.
„Wo isd'Muiter?"sragt
er kurz, die Kappe an den
Nagel hängend.
„Im Kuhstall, mein i,"
antwortet das junge Weib
und schiebt die Zeitung
beiseite. „I weiß eh net,
wo s' bleibt so lang."
Ein feiner Posten
»Na, Schulze, du hast dich aber schön 'rausgemacht!«- ,
»Hab' ich auch: bin von der aikiecitzanischen Speckexportgesellschaft als Reklame-
reisender angestellt!«-